Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.08.2003, Az.: L 1 RA 293/01
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Berufsunfähigkeit; Beurteilung des verbliebenen Leistungsvermögens; Möglichkeit der Verrichtung leichter Arbeiten; Zubilligung von Berufsschutz; Verweisung auf noch mögliche Tätigkeiten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.08.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 293/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0805.L1RA293.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 25.10.2001 - AZ: S 6 RA 112/00
Rechtsgrundlagen
- § 44 SGB VI a.F.
- § 240 SGB VI
Redaktioneller Leitsatz
Auch wenn man annimmt, dass einem Antragsteller Berufsschutz zuzubilligen ist, besteht dann kein Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn er auf ihm noch mögliche Tätigkeiten verwiesen werden kann.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.
Der 1948 geborene Kläger erlernte vom 1. Mai 1963 bis 31. Juli 1966 den Beruf des Einzelhandelskaufmanns und war bis zum 15. Februar 1967 in diesem Beruf versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 23. Februar 1967 ist er als Fruchthändler selbstständig tätig.
Im April 1998 stellte der Kläger einen Rentenantrag und begründete diesen mit einer beidseitigen Arthrose der Kniegelenke und Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Orthopädie D ... Nach dem dieser Sachverständige in seinem Gutachten vom 11. Juni 1998 zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Kläger trotz einer Gonarthrose und Femoropatellararthrose sowie einer chronischen Dorsolumbalgie bei Osteochondrose der Wirbelsäule noch vollschichtig mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Sitzen und Gehen ohne Zwangshaltungen verrichten könne, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juni 1998 den Rentenantrag ab.
Auf Grund eines am 22. April 1999 gestellten Antrags bewilligte die Beklagte dem Kläger ein stationäres Heilverfahren in der E. Klinik F. in der Zeit vom 6. Juli bis 3. August 1999. In dem Entlassungsbericht vom 16. August 1999 wurden als Diagnose eine Pango-narthrose beiderseits, ein Zustand nach Motorradunfall 1965 oder 1966 mit Oberschenkelfraktur rechts und seitdem eingeschränkte Beugung des rechten Kniegelenks (90 Grad), ein Zustand nach Innenmeniskusoperation links 1988, rezidivierende Lumbalgien und Übergewicht mitgeteilt. Zum Leistungsvermögen führten die Ärzte aus, dass der Kläger seine Tätigkeit als Marktschreier auf verschiedenen Märkten nur noch zwei Stunden bis unterhalbschichtig ausführen könne. Leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung könne er dagegen vollschichtig verrichten. Mit Bescheid vom 12. Oktober 1999 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer Rente erneut ab. Unter Vorlage einer Bescheinigung seines behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 11. April 2000 erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte ließ ihn durch den Internisten Dr. H. untersuchen und begutachten. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 26. April 2000 die Diagnose einer Hyperlipidämie, eines Verdachts auf Hypertonie und einer Versteifung des Kniegelenks. Zum Leistungsvermögen führte er aus, dass der Kläger sowohl als Fruchtverkäufer vollschichtig tätig sein könne als auch bei anderen Arbeiten einsetzbar sei, wenn sie überwiegend im Sitzen unter Schutz vor Nässe und Kälte und ohne häufiges Bücken und Heben von schweren Gegenständen ausgeführt werden könnten. Eine weitere Begutachtung wurde durch den Neurologen I. durchgeführt. Dieser Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 4. Mai 2000 zu dem Ergebnis, dass eine Erkrankung auf neurologischem Fachgebiet nicht vorliege, auch für eine Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Fachgebiet gebe es keinen Hinweis. Vielmehr sei das Krankheitsbild des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet zu beurteilen. Nachdem eine weitere Untersuchung und Begutachtung durch den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. J. vom 30. Mai 2000 lediglich eine gering gradige Schallempfindungsschwerhörigkeit, eine Hausstaubmilbenallergie und eine chronische Kieferhöhlenentzündung links ergeben und der Sachverständige festgestellt hatte, dass von seinem Fachgebiet aus keine Einschränkungen des Leistungsvermögens bestünden, wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 10. August 2000 zurück.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben mit der Begründung, dass er als Kaufmann im Einzelhandel nicht mehr einsetzbar sei, da der Kläger die körperlichen Anforderungen dieses Berufes nicht mehr erfüllen könne. Im Übrigen seien die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen nicht vollständig festgestellt und in ihrem Ausmaß nicht zutreffend gewürdigt worden. Das Sozialgericht (SG) Aurich hat einen Befundbericht des Hausarztes Dr. K. vom 31. Januar 2001 beigezogen und die Klage dann mit Urteil vom 25. Oktober 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Einzelnen ausgeführt, dass der nunmehr nur noch geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Berufs-unfähigkeit, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht bestehe. Zwar werde das Leistungsvermögen des Klägers in erster Linie durch Veränderungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates beeinträchtigt. Dennoch seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltung vollschichtig möglich. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht durch die Hausstaubmilbenallergie, da insoweit lediglich Arbeiten mit erheblicher Staubeinwirkung zu meiden seien und im Übrigen eine Behandlung dieses Leidens möglich sei. Dann aber sei der Kläger nicht berufs-unfähig. Auch wenn er nicht mehr als Einzelhandelskaufmann tätig sein könne, müsse er sich auf eine Tätigkeit als Kaufmann im kaufmännisch-verwaltenden Bereich von Handels- und Wirtschaftsunternehmen verweisen lassen. Auch eine Tätigkeit als kaufmännischer Sachbearbeiter komme in Betracht.
Gegen das ihm am 13. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. Dezember 2001 eingegangene Berufung des Klägers mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung bezieht er sich auf ein Gutachten des Chirurgen Dr. L. vom 16. April 2002, das im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens über den Kläger erstattet worden ist. Er vertritt die Auffassung, dass die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet nicht hinreichend abgeklärt seien und er insbesondere die vom SG genannten Verweisungstätigkeiten nicht mehr ausüben könne.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 25. Oktober 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und verweist ergänzend auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Orthopädie Dr. M. vom 9. Februar 2003. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das vorgenannte Gutachten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil des Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf die Prozess- und Beiakten verwiesen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß §§ 155 Abs. 3, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil des Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.
Die gemäß §3 143 ff SGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht (§ 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -SGB VI- a.F.) noch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§ 240 SGB VI n.F.). Das SG hat in seinem Urteil die hier maßgeblichen Rechtsgrundlagen des alten Rechts geprüft und rechtsfehlerfrei angewendet und auch den medizinischen Sachverhalt nachvollziehbar gewürdigt. Nach allem ist es zu der richtigen Entscheidung gekommen, dass dem Kläger die begehrte Versichertenrente nicht zugesprochen werden kann. Es wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 25. Oktober 2001 Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Im Berufungsverfahren sind neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten. Insbesondere haben sich in medizinischer Hinsicht keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das dem Kläger verbliebene Leistungsvermögen durch die im Verlaufe des Verfahrens eingeholten Gutachten nicht richtig beurteilt worden ist. Vielmehr sind die vom SG seiner Entscheidung zur Grunde gelegten Gesundheitsstörungen und die dadurch bedingten Auswirkungen auf das Leistungsvermögen des Klägers durch das vom Senat eingeholte Gutachten Dr. M. bestätigt worden. Dieser Sachverständige hat die Diagnose einer schweren Kniegelenksarthrose beiderseits, eines rezidivierenden schmerzhaften Hals- und Lendenwirbelsäulensyndroms bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und einer beginnenden Hüftgelenksarthrose beiderseits gestellt. Entsprechend den erhobenen Befunden hat er in Übereinstimmung mit den schon gehörten Sachverständigen überzeugend ausgeführt, dass der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Wechsel der Haltungsarten unter Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft leisten kann. Diese Einschätzung des Leistungsvermögens hält der Senat für überzeugend und legt sie seiner Entscheidung zu Grunde. Dann aber besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht. Eine Berufsunfähigkeit des Klägers nach neuem Recht legt schon deshalb nicht vor, weil von einem vollschichtigen Leistungsvermögen auszugehen ist. Aber auch nach altem Recht ist der Kläger nicht berufsunfähig. Es mag dahinstehen, ob dem Kläger Berufsschutz zuzubilligen ist, obwohl er den erlernten und anschließend kurzfristig ausgeübten Beruf in abhängiger Beschäftigung vor Erfüllung der Wartezeit aufgegeben hat (vgl. hierzu Kasseler Kommentar-Niesel, § 240 SGB VI, Rdnr. 16). Selbst wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, ist der geltend gemachte Anspruch nicht begründet. Denn der Kläger muss sich auf die vom SG genannten Tätigkeiten verweisen lassen. Der Senat bezieht sich auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Urteils.
Die Berufung konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen.