Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.08.2003, Az.: L 9 U 275/02
Anspruch auf Feststellung von Berufskrankheiten; Schweres Heben während der Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 19.08.2003
- Aktenzeichen
- L 9 U 275/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21099
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0819.L9U275.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 71 U 35/99
Rechtsgrundlagen
- § 153 Abs. 2 SGG
- Nr. 2108 Anlage zur BKVO
- Nr. 2109 Anlage zur BKVO
Redaktioneller Leitsatz
Der Transport von Kranken mit dem Hubschrauber durch einen Hubschrauberpiloten entspricht nicht dem Maß an Belastungen, das arbeitstechnisch für die Verwirklichung der Voraussetzungen einer Berufskrankheit gefordert wird.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Berufungsklägers auf Feststellung von Berufskrankheiten an der Wirbelsäule.
Der 1944 geborene Berufungskläger ist Hubschrauberpilot. Nach länger Tätigkeit bei der Bundeswehr war er seit 1977 bei der Fa. D. beschäftigt. Auf Grund einer fliegerärztlichen Untersuchung am 05. Juli 1999 ist ihm durch den Internisten Dr. E. unter demselben Datum bescheinigt worden, er sei nicht mehr flugtauglich nach den einschlägigen Richtlinien des Bundesministeriums für Verkehr.
Auf Grund einer Regelung in seinem Arbeitsvertrag ist der Berufungskläger wegen seiner Fluguntauglichkeit arbeitslos geworden.
Bereits im Mai 1997 hatte der Berufungskläger selbst der Berufungsbeklagten angezeigt, er hege den Verdacht einer berufsbedingten Erkrankung seiner Wirbelsäule. Die Berufungsbeklagte hatte Ermittlungen eingeleitet und u.a. Auskünfte über die Tätigkeit des Berufungsklägers bei ihm selbst und seinem Arbeitgeber eingezogen. Weiter war ein Befundbericht des Orthopäden Dr. F. von Juli 1997 beigezogen worden. Dann hatte die Berufungsbeklagte ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD - hier Dipl.-Ing. G.) beteiligt. Dieser teilte unter dem 26. Mai 1998 mit, aus arbeitstechnischer Sicht komme weder das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 noch 2109 noch 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) in Betracht. Hinsichtlich der BKen 2108 und 2109 sei hierfür maßgeblich, dass der Berufungskläger während seiner Tätigkeit nicht häufig genug schwer gehoben habe. Hinsichtlich der BK 2110 und der dort vorausgesetzten, einwirkenden Vibrationen habe der Berufungskläger in aller Regel zu kurze Flugzeiten absolviert, um das maßgebliche Beurteilungsniveau erreichen zu können. Dieser Bewertung stimmte die Gewerbeärztin H. unter dem 10. August 1998 zu, woraufhin die Berufungsbeklagte es mit Bescheid vom 07. September 1998 ablehnte, bei dem Berufungskläger das Vorliegen einer BK festzustellen. Im daraufhin eingeleiteten Widerspruchsverfahren erging nach erneuter Beteiligung des TAD der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1999.
Am 12. Februar 1999 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte des Orthopäden Dr. F. und des Internisten Dr. E. sowie des Allgemeinmediziners Dr. I. beigezogen. Die Berufungsbeklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren diverse Stellungnahmen ihres TAD vorgelegt. Sodann hat das SG eine Zusammenhangsbegutachtung des Berufungsklägers durch den Chirurgen/Unfallchirurgen Priv.-Doz Dr. J. veranlasst. Dieser ist in seinem Gutachten vom 25. September 2000 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, auch aus medizinischer Sicht, seien die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK nicht erfüllt. Der Zustand der Wirbelsäule des Berufungsklägers deute nicht darauf hin, dass dieser auf Grund beruflicher Belastungen erkrankt sei.
Daraufhin hat das SG die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 25. April 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Priv.-Doz. Dr. J. gestützt und ausgeführt, das medizinische Erscheinungsbild der Wirbelsäule des Berufungsklägers deute nicht darauf hin, dass die Erkrankung von der beruflichen Belastung herrühre. Darüber hinaus hat es sich aber auch die Argumente des TAD zu Eigen gemacht, wonach auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Feststellung der streitgegenständli-chen Berufskrankheiten nicht vorgelegen haben.
Gegen das am 08. Mai 2002 zugestellte Urteil ist am 31. Mai 2002 Berufung eingelegt worden. Zu deren Begründung weist der Berufungskläger erneut auf seine Arbeitsbedingungen hin. Insbesondere macht er geltend, er habe teilweise sehr viel mehr Stunden geflogen, als dies zu Grunde gelegt worden sei. Dabei sei insbesondere weiter zu berücksichtigen, dass er während seiner Flugzeiten in einer ergonomisch äußerst ungünstigen Haltung gesessen habe. Darüber hinaus nimmt er ergänzend erneut Bezug auf die Äußerungen der ihn behandelnden Ärzte I., F. und E ...
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichtes Oldenburg vom 25. April 2002 sowie den Bescheid der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 07. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1999 aufzuheben,
- 2.
die Berufungsbeklagte zu verurteilen, festzustellen, dass die bei dem Berufungskläger bestehende Wirbelsäulenerkrankung Folge einer BK nach den Nrn. 2108, 2109, 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ist,
- 3.
die Berufungsbeklagte zu verurteilen, dem Berufungskläger Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu zahlen.
Die Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtenen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Berufungsbeklagten (1 Bd. zum Az. K.) Bezug genommen. Darüber hinaus sind vom SG die medizinischen Unterlagen betreffend den Berufungskläger aus dessen Bundeswehrzeit beigezogen worden. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten in Anwendung von §§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend erkannt, dass der Berufungskläger keinen Anspruch auf Feststellung einer BK gegen die Berufungsbeklagte hat. Es ist hierbei von den richtigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren Erwägungen und zutreffend seine Entscheidung begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 25. April 2002 Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.
Im Berufungsverfahren sind wesentliche neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sieht sich das Gericht lediglich zu folgenden Hinweisen veranlasst:
Soweit der Berufungskläger im Hinblick auf die BK der Nr. 2108 der Anlage zur BKVO geltend macht, er habe sehrwohl während seiner Tätigkeit schwer gehoben, und dies auch in der geforderten extremen Rumpfbeugehaltung getan, so stehen dem schon seine eigenen Äußerungen zu Beginn des BK-Verfahrens entgegen. In dem von ihm ausgefüllten Formular "Kurzerhebungsbogen zu den Berufskrankheiten Nr. 2108/2109 der BKVO" hat er noch selbst angegeben, er habe nie in extremer Rumpfbeugehaltung (Neigung des Oberkörpers mehr als 90 ° aus der aufrecht stehenden Haltung nach vorn) gearbeitet. Hinsichtlich der Häufigkeit von Tragevorgängen hatte er angegeben, er habe bis zu 3- bis 4-mal am Tag 50 kg heben müssen. Hieraus kann das Gericht nur entnehmen, dass dies die Obergrenze dessen darstellt, was an Hebebelastungen vorgekommen ist. Aus den Darstellungen des Berufungsklägers hinsichtlich seiner beruflichen Praxis entnimmt das Gericht auch, dass damit der Transport von Kranken mit dem Hubschrauber gemeint war. Eben dies ist aber ein Maß an Belastungen, das - worauf das SG zu Recht hingewiesen hat - nicht dem entspricht, was arbeitstechnisch für die Verwirklichung der Voraussetzungen der BK 2108 gefordert wird.
Im Hinblick auf die vom Berufungskläger nach wie vor geltend gemachte BK der Nr. 2109 ist erneut auf das von ihm ausgefüllte Formular vom 20. Juni 1997 hinzuweisen. Darin hatte er angegeben, die von ihm gehobenen Gegenstände seien nicht auf der Schulter gehoben oder getragen worden. Voraussetzung dieser BK ist indessen langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter. Daher kommt auch die Feststellung dieser BK unter arbeitstechnischen Gesichtspunkten nicht in Betracht.
Im Hinblick auf alle drei geltend gemachten Berufskrankheiten (2108 - 2110) hält das Gericht auch die Ausführungen von Priv.-Doz. Dr. J. im Gutachten vom 25. September 2000 für überzeugend. Dieser hat im Wesentlichen festgestellt, dass der Röntgenbefund der Lendenwirbelsäule des Berufungsklägers einem regel-rechten, altersentsprechenden Befund zuzuordnen ist. Maßgeblich ist insoweit, dass keine wesentliche Verringerung der Zwischenwirbelräume an der Lenden-Wirbelsäule des Berufungsklägers festgestellt worden ist. Auch sind keine Belastungsanpassenden Veränderungen an den Wirbelkörpern der Lendenwirbelsäule des Berufungsklägers festgestellt worden. Die insoweit von Priv.-Doz. Dr. J. zu Grunde gelegten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse werden durch die Ausarbeitung von Prof. Dr. L. über die wissenschaftlichen Grundlagen, das radiologische Erscheinungsbild und die Begutachtungskriterien der BK 2110, die vom Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist, bestätigt. Sie entsprechen auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.