Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.08.2003, Az.: L 6 B 24/03 U
Übernahme der Kosten eines Gutachtens auf die Staatskasse; Beitrag des Gutachtens zur Sachaufklärung als maßgebliches Kriterium für die Kostenentscheidung; Voraussetzungen für eine Neufeststellung der Rente; Wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Unfallfolgen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.08.2003
- Aktenzeichen
- L 6 B 24/03 U
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 21093
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0818.L6B24.03U.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 27.03.2003 - AZ: S 3 U 51/01
Rechtsgrundlagen
- § 109 SGG
- § 48 Abs. 1 SGB X
- § 76 Abs. 3 SGB VII
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 27. März 2003 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger erstrebt die Übernahme der Kosten eines Gutachtens auf die Staatskasse, das im Klageverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auf seinen Antrag eingeholt worden ist.
Der 1948 geborene Kläger stürzte am 19. Juli 1994 bei der Arbeit als Dachdecker vom Dach und zog sich eine Fraktur des 8. Brustwirbelkörpers - BWK - mit Hinterkantenbeteiligung zu (Durchgangsarztbericht des Dr. C. vom 20. Juli 1994). Gestützt auf chirurgische Gutachten des Prof. Dr. D. vom 1. Februar 1996 und des Dr. E. vom 13. September 1996 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 27. Juni 1995 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente und erkannte einen Stauchungsbruch des 8. BWK mit keilförmiger Verformung und Knickbildung als Folge des Arbeitsunfalls vom 19. Juli 1994 an (Bescheid vom 17. Januar 1997).
Am 8. Februar 1999 suchte der Kläger wegen heftiger Rückenschmerzen den Arzt für Orthopädie F. auf, der ein lokales Schmerzsyndrom nach Fraktur des 4., 5., 8. und 9. BWK diagnostizierte. Daraufhin veranlasste Dr. E. eine radiologische Zusatzbegutachtung durch die Ärzte für Radiologie Dr. G. (Zusatzgutachten vom 6. August 1999) und kam in seinem Gutachten vom 16. Juli 1999 zu dem Ergebnis, dass es unfallbedingt nur zu einer Frakturschädigung des 8. BWK gekommen und ein weder besserungs- noch verschlimmerungsfähiger Endzustand eingetreten sei. In einem weiteren Gutachten vom 24. Juli 2000 schätzten die Ärzte für Chirurgie Dr. H. die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unverändert auf 20 v.H. Daraufhin lehnte die Beklagte eine Rentenerhöhung ab (Bescheid vom 29. August 2000). Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2001).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht - SG - Aurich sind von Amts wegen das chirurgische Gutachten des Dr. I. vom 25. Mai 2002 und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. J. vom 10. Februar 2003 eingeholt worden. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. März 2003 abgewiesen: Eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen sei nicht eingetreten, sodass die Voraussetzungen für eine Neufeststellung der Rente i.S.d. § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - SGB - X nicht erfüllt seien. Das hätten die erneuten Begutachtungen ergeben. Abweichend hiervon beschreibe der Sachverständige Dr. J. eine deutlichere Funktionseinschränkung im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich. Diese von ihm angenommene Zunahme der Funktionseinbußung und Verschlimmerung des Schmerzbildes sei aber offensichtlich nicht auf die Unfallfolgen zurückzuführen, sondern auf einen Bandscheibenvorfall oberhalb des 4. BWK, der mit dem Unfall vom 19. Juli 1994 in keinen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden könne.
Das SG hat den Antrag des Klägers, die durch das Gutachten des Dr. J. verursachten Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen, durch Beschluss vom 27. März 2003 abgelehnt: Das SG hätte über den Anspruch bereits auf Grund des von Amts wegen eingeholten Gutachtens des Dr. I. entscheiden können. Die abweichende Beurteilung des Dr. J. entspreche nicht den im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein anerkannten Bewertungsrichtlinien und sei aus diesem Grunde nicht nachvollziehbar.
Gegen diesen ihm am 16. April 2003 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 16. Mai 2003 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, das Gutachten des Dr. J. habe zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts beigetragen. Der Gutachter habe eine Verschlimmerung des unfallbedingten Wirbelsäulenleidens sowohl hinsichtlich des Schmerzbildes als auch hinsichtlich des klinischen Bildes dargelegt und ausgeführt, dass die unfallbedingte MdE deshalb mit 30 v.H. zu bewerten sei.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die statthafte Beschwerde des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Übernahme der durch ein Gutachten nach § 109 SGG verursachten Kosten auf die Staatskasse ist geboten, wenn das Gutachten zur Sachaufklärung beigetragen hat. Dieses für die Kostenentscheidung maßgebende Kriterium ist für das Gutachten des Dr. J. nicht erfüllt.
Denn die entscheidungserhebliche Frage, ob sich die im Bescheid vom 17. Januar 1997 anerkannten Unfallfolgen wesentlich verschlimmert haben (§ 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 76 Abs. 3 SGB VII), war bereits vor Einholung des Gutachtens des Dr. J. geklärt. Dies hat das SG zutreffend herausgestellt. So hatte Dr. I. in Übereinstimmung mit den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten und insbesondere im Einklang mit dem Gutachten des Dr. E. vom 16. Juli 1999 ("Endzustand") herausgearbeitet, dass im Vergleich zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung (Januar 1997) weder in den radiologischen noch in den klinisch-funktionellen Untersuchungsbefunden irgend eine Veränderung eingetreten ist. Danach war und ist die Kompressionsfraktur des 8. BWK unter keilförmiger Deformierung mit einer 20 Grad betragenden Knickbildung knöchern fest verheilt und hat zu statischen Veränderungen der BWS und einer Verstärkung einer vorbestehenden Hyperkyphosierung der BWS und Beschwerden bei Belastungen und Bewegungen unter und zwischen den Schulterblättern geführt.
Demgegenüber hat das Gutachten des Dr. J. keine neuen Erkenntnisse erbracht. Dr. J. bejaht eine Verschlimmerung des Schmerzbildes und des klinischen Befundes und führt als mögliche Erklärung einen Bandscheibenvorfall oberhalb des BWK 4 an. Daraus lässt sich indessen keine Verschlimmerung der als unfallbedingt anerkannten Folgen der Fraktur des 8. BWK ableiten. Unabhängig davon lässt das Gutachten des Dr. J. eine schlüssige Begründung für die unfallbedingte Entstehung eines Bandscheibenvorfalls oberhalb des 4. BWK und für die von ihm ebenfalls angenommene unfallbedingte Fraktur dieses BWK vermissen. Außerdem ist die Bejahung der wesentlichen Verschlimmerung mit seinem Hinweis auf eine Befundkonstanz der kernspintomographischen Befunde schwer zu vereinbaren. Diese Gesichtspunkte sind jedoch nicht wesentlich, weil es, wie bereits ausgeführt, in dem vorliegenden Sozialgerichtsprozess allein darauf ankam, ob sich die anerkannten Unfallfolgen wesentlich verschlimmert haben.
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).