Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 04.08.2003, Az.: L 6 U 363/99
Anspruch auf Feststellung und Entschädigung einer Berufskrankheit ; Anspruch auf Änderung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes; Weitergeltung bereits aufgehobener Vorschriften des Sozialrechts; Hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Verursachung der Gesundheitsstörung durch die versicherte Tätigkeit; Beweislast des Anspruchstellers in Form des Vollbeweises
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.08.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 363/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0804.L6U363.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - AZ: S 7 U 261/98
Rechtsgrundlagen
- § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 548 RVO
- § 551 RVO
- § 581 RVO
- § 212 SGB VII
- § 214 Abs. 3 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine Infektionskrankheit ist als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherte im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße
besonders ausgesetzt ist. - 2.
Die hinreichende Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 20. August 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 (Infektionskrankheiten, wenn die Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Streitig ist, ob sie sich bei ihrer beruflichen Tätigkeit mit Staphylokokkus aureus infiziert hat.
Die im August 1949 geborene Klägerin war von 1990 bis 28. Februar 1995 als Objektleiterin im Reinigungsdienst des Diakoniekrankenhauses C. tätig. Sie war hierbei zuständig für die Einteilung des Reinigungspersonals, hat aber selbst auch körperliche Arbeiten verrichtet (Angaben der Klägerin im stationären Reha-Verfahren, Entlassungsbericht der Parkklinik D. vom 16. Juli 1999, Bl 68 Schweb-Akte). Seit Mai 1994 war sie durchgehend arbeitsunfähig wegen der Folgen einer Staphylokokken-Infektion.
1967 unterzog sie sich einer Operation an der Lendenwirbelsäule (LWS) wegen einer spezifischen Spondylitis im Segment LWK5/S1. Im Oktober 1993 war sie bei dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. wegen Schmerzen in den Kreuzdarmbeingelenken und im LWS-Bereich in Behandlung, die sich nach wiederholter intramusculärer Injektionen in den Gesäßmuskel besserten. Am 24. März und 25. April 1994 behandelte Dr. E. die erneuten Beschwerden wiederum mit zwei bzw. vier Injektionen. Am 5. Mai 1994 nahm die Orthopädin Dr. F. die Behandlung auf und verordnete gleichfalls Injektionen am selben Tag. Am 9. Mai 1994 kam es zu einer Verschlimmerung des Beschwerdebildes, die Blutsenkung war erhöht (Bericht der Dr. F. vom 9. Juni 1995; des Dr. E. vom 17. Juni 1995). Am 16. Mai 1994 wurde sie wegen des Verdachts einer Broncho-Pneumonie mit ausgeprägter Exsikkose (Austrocknung, Abnahme des Gesamtkörperwassers) und hochfieberhafter Temperatur in das Diakoniekrankenhaus G. eingewiesen. Dort gab die Klägerin an, sich seit 4 Tagen schwach und müde zu fühlen, seit 2 Tagen habe sie bis 40 Grad Fieber mit Schüttelfrost und Auswurf. Im Rahmen der stationären Behandlung bis zum 26. Juli 1994 wurde eine Spondylodiszitis LWK 4/5, ein Psoasabszess (am Psoasmuskel (12. Brust- u. 1. - 4. Lendenwirbelkörper) entlang absinkender, unter dem Poupart-Band nach außen tretender Abszess), eine ausgedehnte Abszedierung der Beckenmuskulatur, eine Staphylococcen-Sepsis mit pulmonaler und kardialer Beteiligung und ein Zustand nach operativer Sanierung einer tuberkulösen Spondylitis LWK5/S1 im Oktober 1967 diagnostiziert. Am 1. Juni 1994 erfolgte die Operation. Bereits zuvor wurde in mehreren Blutuntersuchungen der Nachweis einer Infektion mit Staphylokokkus aureus erbracht (Entlassungsbericht vom 2. August 1994). Im März 2000 erfolgte die Operation eines Glutealabszessrezidivs links (Bericht des Diakoniekrankenhauses G. vom 3. April 2000, Bl 79 Schweb-Akte).
Im Mai 1995 machte die Klägerin bei der Beklagten die Staphylococcen-Sepsis als beruflich verursacht geltend. Sie habe sich die Erkrankung im Krankenhaus zugezogen, da es nur dort diese Bakterien gäbe. Da sie nicht wisse, ob ihre Arbeitgeberin den Fall gemeldet habe, wende sie sich nun selbst an die Beklagte (Schreiben vom 26. April 1995). Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin mit, sie führe die Erkrankung auf Verletzungen durch die Spritzen (gebrauchte Injektionskanülen) zurück. Diese hätten sich in den schmutzigen Wischbezügen befunden, die zur Reinigung in die Waschmaschinen gegeben worden waren. Genaue Daten könne sie nicht nennen, da die Stichverletzungen zwar immer geblutet hätten, aber doch gering gewesen seien. Die Verletzungen seien immer der Hygiene-Fachkraft (H.), dem auch die Spritzen übergeben worden seien, sowie bei den Besprechungen immer dem Bereichsleiter mitgeteilt worden (Schreiben vom 22. Mai 1995). Die Beklagte zog die Unterlagen der behandelnden Ärzte Dres. I. sowie des Diakoniekrankenhauses G. bei. Der Oberarzt Dr. J. teilte mit, die Klägerin habe während des stationären Aufenthaltes keine Angaben zur Infektion mit Spritzen während ihrer beruflichen Tätigkeit gemacht. Es sei nicht mit Sicherheit zu klären, ob die Staphylococcensepsis nach den intraglutealen Spritzen wegen der Lumboischialgien oder durch Spritzenverletzungen während der beruflichen Tätigkeit aufgetreten seien. In Kenntnis der Klinik und der stationären Behandlung wurde dort jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Sepsis ausgehend von Verletzungen durch Kanülenstichen ohne entsprechende lokale Entzündungszeichen an den Fingern für sehr unwahrscheinlich gehalten (Auskunft vom 14. Juni 1995). Die Arbeitgeberin der Klägerin, die K., teilte mit, dass aus ihren Unterlagen nicht hervorgehe, wie häufig und wann sich die Klägerin an gebrauchten Spritzen verletzt habe. Sie verwies auf eine schriftliche Erklärung der Klägerin vom 10. Juni 1995. Hierin gab die Klägerin an, sich ca. 6 bis 8 mal an gebrauchten Spritzen verletzt zu haben, so genau seien ihr die Vorgänge aber nicht mehr im Gedächtnis. Sie könne auch nicht die gesamten Daten mitteilen, da sie ihre alten Bücher nicht alle aufbewahrt habe. Beim Durchsehen ihrer Unterlagen habe sie noch ein Buch mit L.-Eintragungen aus dem Jahre 1992 gefunden, dass zwei Eintragungen vom 9. April 1992 und 18. Juni 1992 von so einem Vorfall enthalte. (Auskunft der M. vom 23. Juni 1995; Schreiben der Klägerin vom 10. Juni 1995). Der Arbeitsmediziner Dr. N. hielt den von der Klägerin vermuteten Krankheitsverlauf für so unwahrscheinlich, dass er keinen Verdacht für eine BK Nr. 3101 äußerte. Zwar könne theoretisch durch eine Stichverletzung mit einer entsprechend kontaminierten Kanüle ein Staphylokokken-Abszess entstehen. Dieser bleibe aber in der Regel nicht unbemerkt, insbesondere dann nicht, wenn sich der Sepsisherd im Bereich der Hand oder Finger entwickele. Hervorzuheben sei, dass in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten des Krankheits-bildes eine intramuskuläre Injektionsbehandlung durchgeführt worden sei. Eine Keimverschleppung durch Injektionen nach unzureichender Hautdesinfektion sei nicht selten Ausgangspunkt eines septischen Krankheitsbildes, diese Genese sei hier sehr viel wahrscheinlicher (Stellungnahme vom 21. Juli 1995). Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 1995 die Anerkennung einer BK Nr. 3101 ab. Zwar sei die Klägerin als Reinigungskraft in einem Krankenhaus in ähnlichem Maße wie Versicherte im Gesundheitsdienst einer Infektionsgefahr ausgesetzt und zähle deshalb zum geschützten Personenkreis. Die 1994 aufgetretene Sepsis sei jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die am 9. April oder 18. Juni 1992 erlittenen Stichverletzungen zurückzuführen.
Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin daraufhin, dass sie als Objektleiterin Zugang auch zu anderen Räumen als die Putzfrauen erhalten habe und in OP-Räumen mit der Reinigung und Desinfektion befasst gewesen sei. Da sie die Spritzenverletzungen entsprechend der Vorschriften sofort desinfiziert habe, habe auch kein Spritzenabszess - wie von Dr. N. gefordert - entstehen können. Dr. O., Chefarzt vom Diakoniekrankenhaus G. teilte mit, dass es bei der Entsorgung ver-schmutzter Wischbezüge möglich sei, sich mit Kanülen zu verletzen. Trotz wiederholter Information und Belehrung sei es in einem Krankenhaus dieser Größenordnung nicht möglich, das Risiko, dass bei der Stationsreinigung unbemerkt eine verlorene Kanüle mit aufgewischt werde, auf Null zu reduzieren. Zur Klägerin sei eine tatsächliche Verletzung weder erinnerlich noch nachweisbar. Zumal durch Herrn P. seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen werde, jegliche Verletzung schriftlich zu dokumentieren. Als Chirurg könne er die von der Klägerin angegebene Verletzung durch eine Kanüle nicht als Ursache ausschließen, er halte diese aber für höchst unwahrscheinlich. Nach seiner langjährigen Erfahrung seien eher die mehrfachen Injektionen als Ursache zu vermuten. Es sei vorstellbar, dass der Staphylokokkus aureus mit einer Injektion in tiefere Fett- oder Muskelschichten eingebracht werden könne, ohne dass es subcutan zu einem Spritzenabszess komme (Auskunft vom 20. März 1996). Im Rahmen der von der Beklagten veranlassten Begutachtung gab die Klägerin gegenüber Prof. Dr. Q., dass die letzte ihr erinnerliche Verletzung vor Weihnachten 1992 - am Tag der Mitarbeiter-Weihnachtsfeier - mit einer besonders großen Nadel erfolgt sei. Der Gut-achter schloss einen Zusammenhang zwischen der schweren Sepsis und einer Kanülenstichverletzung wegen des Fehlens einer eitrigen Entzündung im Fingerbereich wie auch des großen Zeitintervalls zwischen der letzten Verletzung im Dezember 1992 und der im Frühjahr 1994 diagnostizierten Sepsis aus, die Wahr-scheinlichkeit eines solchen Zusammenhangs sei mit weniger als 1 % zu bewerten. Dagegen sei der Zusammenhang zwischen den intramuskulären Injektionen mit den die Immunität deutlich herabsetzenden Medikamenten wie z.B. nichtsteroidale Antirheumatika ausgesprochen wahrscheinlich und mit über 50 % zu bewerten. Hierfür spräche der zeitliche Zusammenhang dieser in die Gesäßmuskeln erfolgten Injektionen im Oktober 1993 und März, April und Mai 1994 sowie des Nachweises der Staphylokokken Aureus im Mai 1994 und das Auftreten der Sepsis im Bereich der Psoasmuskeln und der Beckenbodenmuskulatur. Eine BK sei zu verneinen (internistisches Gutachten vom 4. August 1997). Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1997 zurück. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Im April 1998 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Bescheide. Ihr derzeit behandelnder Schmerztherapeut Dr. R. halte eine Infektion durch nicht sichtbare Verletzungen bei Reinigungsarbeiten auch nach Dezember 1992 durchaus für möglich. Zudem seien in den letzten Jahren vermehrt Fälle von Entzündungen mit Staphylokokkus aureus auch nach länger zurückliegenden Verletzungen bekannt geworden. Seiner Einschätzung nach sei entgegen der Auffassung von Prof. Dr. S. nicht mit so großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die Infektion mit den Kanülen zu einer Entzündung im Bereich der LWS geführt habe, die in der Folge erst mit den Injektionen behandelt worden sei (Stellungnahme Dr. R. vom 29. Juli 1998). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 1998 die Rücknahme des Bescheides vom 24. November 1995 ab. Es seien keine neuen Tatsachen vorgebracht worden, die eine andere Beurteilung des Sachverhaltes nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) rechtfertigen würde.
Hiergegen hat die Klägerin am 21. Dezember 1998 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, die Stichverletzungen mit einem neuen Beweismittel, den Kopien ihrer handschriftlichen Eintragungen vom 7. Juli 1993 bis 8. Oktober 1993 in ihrem Arbeitsbuch belegen zu können. Auch Dr. R. halte in seiner Stellungnahme vom 5. Januar 1999 auf Grund dieser belegten Spritzenverletzungen vom 8. Juli, 17. August und 20. Dezember 1993 das Gutachten von Prof. Dr. S. für widerlegt. Außerdem habe Dr. R. die Spritzenverletzung vom 20. Dezember 1993 in seiner vorgelegten Bescheinigung ohne Datum bestätigt. Die Beklagte hielt die Vorlage dieser Unterlagen für unverständlich, nachdem die Klägerin im Verwaltungsverfahren mitgeteilt habe, dass sie ihre alten Bücher nicht aufbewahrt und lediglich noch ein Buch aus dem Jahre 1992 gefunden habe. Das Sozialgericht (SG) Stade hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. August 1999 abgewiesen. Es spreche mehr gegen als für den Kausalzusammenhang. Dieser werde nicht nur von Prof. Dr. S., sondern auch von Dr. O., dem Chefarzt des Diakoniekrankenhauses C. verneint. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich die Klägerin 1992 und nun auch 1993 wiederholt bei ihrer beruflichen Tätigkeit verletzt habe. Der Zusammenhang mit der erst im Mai 1994 nachgewiesenen Staphylokokken-Infektion sei auch angesichts der Lokalisation des Infektionsherdes nicht wahrscheinlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 21. September 1999 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, auf Grund des von ihr erbrachten Nachweises einer Verletzung auch im Dezember 1993 könne der Kausalzusammenhang nicht mehr mit dem zeitlichen Abstand von 16 Monaten zwischen der Verletzung und der Infektion verneint werden. Auch das Fehlen von Abszessen sei hierzu nicht geeignet, da diese auch bei den intramuskulären Injektionen nicht aufgetreten seien. Das von ihr im Original vorgelegte Arbeitsbuch sei nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses in ihrem häuslichen Büro unbemerkt hinter eine Schrankwand gerutscht und erst bei einer Renovierung des Zimmers 1998 wieder entdeckt worden. Die in diesem Buch enthaltenen Einzelheiten könnten nur unmittelbar nach dem Geschehen festgehalten worden sein, es gäbe daher keinen Grund, diese Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen. Die Eintragungen mit verschiedenen Kugelschreibern sei zu erklären: Es sei vorgekommen, dass kurz vor Feierabend die Waschmaschinen noch einmal gefüllt worden seien. Hierbei habe sie sich die Verletzungen zugezogen. Sie habe daraufhin die bereits gefertigten Tagesaufzeichnungen ergänzt und nicht auf eine Eintragung mit demselben Kugelschreiber geachtet. Den Vermerk über die Verletzung am 20. Dezember 1993 habe sie vergessen, aber dem Betriebsleiter im Rahmen eines nach Feierabend am 21. Dezember 1993 von ihrer Wohnung geführten Telefongesprächs gemeldet. Auf seine Empfehlung hin habe sie den Eintrag dann am nächsten Morgen nachträglich vorgenommen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 20. August 1999 und die Bescheid der Beklagten vom 22. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 1998 aufzuheben,
- 2.
den Bescheid der Beklagten vom 24. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1997 aufzuheben,
- 3.
festzustellen, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung besteht,
- 4.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Folgen dieser Berufskrankheit Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 20. August 1999 zurückzuweisen.
Sie macht erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Eintragungen im Arbeitsbuch geltend und hält die Hinzuziehung eines Schriftsachverständigen zur Bestimmung des Alters der Eintragungen für erforderlich. So findet sie es bemerkenswert, dass die Eintragungen vom 8. Juli, 17. August und 20. Dezember 1993 mit einem nicht dem vorherigen Farb- und Schriftbild entsprechenden Kugelschreiber erstellt worden sind. Die Eintragungen vom 8. Juli und 17. August stünden zudem am Schluss eines Absatzes, was auf eine nachträgliche Hinzufügung hindeute. Auch der Hinweis vom 30. Dezember 1993, der so wirke, als ob er in eine in einen laufenden Absatz bestehende Leerzeile eingefügt sei, scheine nicht mit der Kugelschreiberfarbe davor und danach überein zu stimmen.
Der Senat hat eine Auskunft der T. vom 6. August 2001, des Dr. R. vom 24. August 2001, den Befundbericht des Dr. E. vom 26. August 2001 und die Schwerbehinderten-Akte des Versorgungsamtes U. beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG Stade hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Es lässt sich nicht feststellen, dass der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 24. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1997 rechtswidrig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung dieses bestandskräftigen Verwaltungsaktes.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Zutreffend haben das SG und die Beklagte entschieden, dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin nicht erfüllt sind. Deshalb hat die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, dass die Staphylokokkeninfektion und die darauf beruhenden Gesundheitsstörungen als Folge der BK Nr. 3101 der Anlage zur BKV anerkannt werden. Aus diesem Grunde hat sie auch keinen Anspruch auf Verletztenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 548, 551 581 Reichsversicherungsordnung (RVO, vgl. Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII).
Nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ist eine Infektionskrankheit als BK anzuerkennen, wenn die Versicherte im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war. Voraussetzung für die Anerkennung dieser BK ist daher, dass die Klägerin zu dem von dieser BK Nr. 3101 erfassten Personenkreis zählt, sie an einer Infektionskrankheit leidet und sie dieser Ansteckungsgefahr bei ihrer beruflichen Tätigkeit als Objektleiterin eines Reinigungsunternehmens in einem Krankenhaus besonders, über das normale Maß hinausgehend ausgesetzt war. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Zwar steht fest, dass die Klägerin an einer Staphylococcen-Infektion leidet, die nach Einschätzung der sie behandelnden Ärzte auch zu weiteren Folgeerkrankungen im Bereich des Herz-Kreislaufsystems geführt hat, und die grundsätzlich zu den von der BK Nr. 3101 erfassten Krankheiten zählt.
Weiterhin ist die Klägerin als Objektleiterin eines Reinigungsdienstes zu dem von der BK Nr. 3101 geschützten Personenkreis zu zählen, auch wenn sie im Gegensatz zu den unmittelbar im Gesundheitsdienst tätigen Versicherten - wie z.B. Ärztinnen, Krankenschwestern, Altenpflegerinnen - keinen direkten Patientenkontakt hatte. Denn sie kam bei den auch von ihr verrichteten Reinigungsarbeiten mit den Körperflüssigkeiten von Patienten oder medizinischen Arbeitsmitteln wie z.B. Injektionskanülen in Berührung.
Es kann aber nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die im Mai 1994 diagnostizierte Staphylococcen-Infektion durch eine beruflich bedingte Verletzung an einer benutzten Kanüle und nicht etwa auf die intramuskulären Injektionen von März bis Anfang Mai 1994 zurückzuführen ist. Der Senat stützt sich hierbei auf die übereinstimmenden Äußerungen der die Klägerin behandelnden Ärzte Dres. V. sowie Dres. W ... Auch der ehemalige Hausarzt Dr. E. bestätigt die Ausführungen des Prof. Dr. S. und hält die Ursache der Sepsis für nicht aufklärbar (Arztbrief vom 25. Oktober 1997, Bl 52 Schweb-Akte). Die hinreichende Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Beim vernünftigen Abwägen aller Umstände müssen die auf eine berufskrankheitenbedingte Verursachung hinweisenden Faktoren so stark überwiegen, dass hierauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, S. 117). Nicht ausreichend ist die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin mit der Vorlage ihres Arbeitsbuches im Original über Vorgänge aus den Jahren 1993 bis 1994 im Berufungsverfahren tatsächlich eine Spritzenverletzung zuletzt im Dezember 1993 belegt hat. Erhebliche Zweifel bestehen hier insoweit, als sich die Klägerin selbst bis zum Berufungsverfahren wiederholt lediglich an Spritzenverletzungen bis Ende 1992 erinnerte. Zudem ist auffällig, dass die nunmehr im Berufungsverfahren behaupteten vier Spritzenverletzungen vom 8. Juli, 17. August, 8. Oktober und 20. Dezember 1993 von der Klägerin mit dem Arbeitsbuch belegt werden, wobei die entsprechenden Eintragungen in allen vier Fällen wie nachträglich eingefügt wirken. Denn sie sind alle vier mit demselben Kugelschreiber und demselben Schriftbild vorgenommen worden, die Eintragungen davor und danach jeweils mit einem anderen Kugelschreiber und unterschiedlichen Handschriften. Auch die von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegte Bescheinigung des Dr. R. belegt keine Spritzenverletzung vom 20. Dezember 1993. Denn Dr. R. hat auf Nachfrage des Senats ausdrücklich erklärt, dass seine entsprechende Äußerung nicht auf eigener Wahrnehmung, sondern auf den Angaben der Klägerin beruht, die diese ihm im Rahmen der seit 1997 erfolgten Behandlung gemacht hat (Auskunft vom 24. August 2001). Der Senat brauchte aber dem Vorwurf der Beklagten, die Frage einer Urkundenfälschung durch Einholung eines graphologischen Gutachtens zur Bestimmung des Zeitpunktes der Eintragungen in dem Arbeitsbuch zu klären, nicht nachzugehen. Denn selbst wenn zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie sich zuletzt am 20. Dezember 1993 eine Spritzenverletzung zugezogen hat, ist damit nicht hinreichend wahrscheinlich belegt, dass diese die Ursache für die im Mai 1994 eingetretene Staphylococcensepsis ist. Denn die im Frühjahr 1994 zeitnah zum Auftreten der Infektion erfolgten Injektionen wegen der WS-Beschwerden der Klägerin kommen ebenfalls als Ursache für die Infektion in Betracht, und es sprechen mehr Gründe für diesen Kausalzusammenhang als für den zwischen der Kanülenstichverletzung und der Infektion. Hiergegen spricht nicht nur das Fehlen von Entzündungszeichen an den Fingern, an denen eine Kanülenstichverletzung erfolgt sein soll, sondern auch die Lokalisation der Staphylococcen-Infektion und der zeitliche Abstand von fünf Monaten zwischen dem 20. Dezember 1993 und dem Auftreten der ersten, auf eine Infektion hinweisenden Anzeichen am 9. Mai 1994. Einer Staphylococcensepsis durch eine Stichverletzung an den Fingern geht regelmäßig eine lokale Entzündung in dem verletzten Finger voraus, die hier nicht vorliegt und von der Klägerin nicht beschrieben wird (Arztbrief des Dr. J. vom 14. Juni 1995; Stellungnahme des Dr. N. vom 21. Juli 1995; Gutachten Dr. S.). Dass bei den Injektionen im April bis Mai 1994 keine entsprechenden Entzündungszeichen aufgetreten sind, spricht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen den Kausalzusammenhang der Infektion mit diesen therapeutischen Injektionen. Denn diese Spritzen gehen - entgegen der Stichverletzungen - tiefer in das Fett- und Muskelgewebe hinein, sodass es nicht zu einem subcutanen Spritzenabszess kommen muss (Arztbrief des Dr. O. vom 20. März 1996).
Dafür, dass den im Oktober 1993 aufgetretenen LWS-Beschwerden der Klägerin eine bereits zu diesem Zeitpunkt bestehende Staphylococcen-Infektion zu Grunde liegt, deren Ursache eine vorausgegangene Kanülenstichverletzung ist und die Injektionen vom März, April und Mai 1994 nicht Ursache, sondern Folge der Staphylococcen-Infektion sind, gibt es keine Anhaltspunkte. Abgesehen davon, dass die Gutachter Prof. Dr. X. eine derartige Möglichkeit nicht in Betracht gezogen haben, haben auch die die Klägerin behandelnden Ärzte diesen Zusammenhang nicht hergestellt. Die ersten Anzeichen für eine entzündliche Infektion wie eine erhöhte Blutsenkung, Fieber und Gefühle der Abgeschlagenheit fanden sich erst Anfang Mai 1994. Auch der die Klägerin seit zwanzig Jahren behandelnde Hausarzt Dr. E. hat die im Oktober 1993 beschriebenen Beschwerden als die bei der Klägerin typische und häufige, wohl jährlich auftretende akute Schmerzsymptomatik als Lumbago oder Lumboischialgie eingeordnet (Bericht vom 17. Juni 1995).
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Dr. R. vom 29. Juli 1998. Er zeigt lediglich die Möglichkeit auf, dass sich eine Sepsis auch nach nicht sichtbaren Verletzungen einstellen könne und zudem auch länger zurückliegende Verletzungen noch Jahre später zu septischen Erkrankungen führen können. Abgesehen davon, dass diese Ausführungen im Widerspruch zu den Ausführungen des Dr. S. stehen, lässt sich hieraus nicht mit hinreichen-der Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang mit einer Kanülenstichverletzung herstellen, da die Injektionen das Auftreten der Infektion wegen des zeitlichen Zusammenhangs immer noch hinreichend erklären. Zudem könnte bei Annahme eines größeren zeitlichen Zusammenhanges auch jede beliebige, länger zurückliegende Verletzung Ursache der Sepsis sein. Einen konkreten Zusammenhang mit einer beruflich bedingten Spritzenverletzung lässt sich hiermit nicht herstellen, da die Staphylococcen-Aureus-Erreger weit verbreitet sind und überall vorkommen. Ihr Vorkommen ist nicht lediglich auf den Bereich des Krankenhauses beschränkt. Vor diesem Hintergrund bedurfte es keiner weiteren medizinischen Aufklärung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).