Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.08.2003, Az.: L 3/9 U 2/01

Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen und Erhöhung der Verletztenrente ; Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage ; Anspruch auf Teilrente (sog. Stützrente) bei Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 von Hundert; Beweismaßstab für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und einer Gesundheitsstörung ; Medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilung des Kausalzusammenhangs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.08.2003
Aktenzeichen
L 3/9 U 2/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21043
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0813.L3.9U2.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - AZ: S 11 U 191/98

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine Verletztenrente wird nur gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge de Unfalls um wenigstens 1/5 oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle jeweils um mindestens 10 von Hundert gemindert ist und die Summe der durch die einzelnen Unfälle verursachte Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) wenigstens 20 von Hundert beträgt.

  2. 2.

    Beweismaßstab für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und einer Gesundheitsstörung ist dabei grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Das Vorliegen der bei der medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilung des Kausalzusammenhangs zu Grunde zu legenden Tatsachen muss dagegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Gewissheit) erwiesen sein.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung zusätzlicher Unfallfolgen und um die Höhe der dem Kläger gewährten Verletztenrente.

2

Am 6. Mai 1992 erlitt der Kläger bei seiner Tätigkeit als Betriebsarbeiter in einer Wellpappenfabrik einen Unfall, bei dem er zunächst mit dem rechten Fuß und - nachdem er zu Boden gestürzt war - mit dem ganzen Bein unter einen zurückfahrenden Gabelstapler geriet (Unfallanzeige der Firma E. Papierfabrik vom 21. Mai 1992). Er wurde vom 6. bis zum 21. Mai 1992 konservativ im Kreiskrankenhaus Herzberg behandelt. Der dortige Durchgangsarzt Dr. F. diagnostizierte eine große Riss-Quetschwunde des rechten Knies medial und großflächige Hautschürfungen des rechten Ober- und Unterschenkels (Durchgangsarztbericht vom 7. Mai 1992). Auch nach dem Ende der Krankenhausbehandlung klagte der Kläger über bleibende Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks.

3

Im Verlauf einer zu Lasten der Landesversicherungsanstalt Hannover durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme in Höchenschwand, in deren Verlauf u.a. die Diagnosen: Gonalgien beiderseits rechts mehr als links, LWS-Syndrom und Schulter-Arm-Syndrom rechts gestellt worden waren, erlitt der Kläger am 28. April 1994 beim Basketballspiel einen weiteren Unfall, bei dem er mit dem linken Knie-gelenk auf den Boden aufschlug und einen Riss des vorderen Kreuzbands davontrug. Nachdem die hierfür zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft für die im Bereich des linken Knies verbliebenen Folgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. festgestellt hatte, holte die Beklagte zu den Folgen des Unfalls vom 6. Mai 1992 ein Gutachten von Priv.-Doz. Dr. G. /Dr. H. , I. Göttingen, vom 9. Februar 1995 ein. Diese stellten fest, dass es bei dem Unfall auch zu einem Verdreh- bzw. Schertrauma am rechten Kniegelenk mit einer starken Distorsion bzw. Zerreißung des inneren Bandes und infolgedessen zu einer Verknöcherung des oberen Bandansatzes gekommen war. Es bestehe eine innere Seitenbandinstabilität (Wackelknie) im Seitenvergleich am rechten Kniegelenk mit objektiv nachzuvollziehendem Druck -, Aufklapp- und Belastungsschmerz. Die durch diese Unfallfolgen eingetretene MdE wurde auf 20 v.H. geschätzt.

4

Mit Bescheid vom 25. September 1995 stellte die Beklagte daraufhin als Folgen des Arbeitsunfalls fest:

"Nach Quetschung und Schertrauma des rechten Kniegelenks mit Schädigung des inneren Seitenbandes: Minderung der Oberschenkelmuskulatur, Bewegungseinschränkung im Kniegelenk, Seitenbandinstabilität des Kniegelenks, Gangbehinderung, Herabsetzung der groben Kraft des Beines, röntgenologisch erkennbare Veränderungen im Bereich des Kniegelenks, Belastungsbeschwerden".

5

Sie gewährte ab 15. Juli 1992 eine Dauerrente nach einer MdE von 20 vH. Die Verwaltungs-BG gewährte für die Folgen des zweiten Arbeitsunfalls vom 28. April 1994 ("Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes bei eingeschränkter Streckfähigkeit, vermehrte vordere Schublade des linken Kniegelenks, Belastungsbeschwerden des linken Beines nach vorderem Kreuzbandriss links") zunächst eine vorläufige Rente in Höhe 10 v.H. der Vollrente (Bescheid vom 27. November 1995) und ab 1. Januar 1996 eine Dauerrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente (Bescheid vom 26. September 1996).

6

Erstmals im Juni 1994 hatte sich der Kläger bei dem Orthopäden Dr. J. , Northeim, mit Beschwerden im Bereich der rechten Schulter vorgestellt (Bericht vom 29. August 1996). In der Orthopädischen Klinik der Universität Göttingen wurde 1995 eine inkomplette Rotatorenmanschettenverletzung der rechten Schulter mit degenerativem Schaden des vorderen Labrums diagnostiziert (Bericht vom 27. März 1995). Mit Schreiben vom 4. Juli 1996 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung der Schultergelenksbeschwerden als weitere Unfallfolgeverletzung. Seit Herbst/Winter 1992 habe er laufend Schmerzen gehabt. Dies führte er darauf zurück, dass er bei seinem Betriebsunfall vom Gabelstabler erfasst worden und dabei mit seinem gesamten Körper zuerst auf die rechte Schulter gestürzt sei.

7

Die Beklagte holte einen Behandlungsbericht von Dr. J. (vom 29. August 1996) sowie eine Auskunft des Krankenhauses Herzberg (Dr. K. , vom 6. August 1996) ein, wonach während der gesamten dortigen stationären und ambulanten Behandlung nur von Seiten des rechten Kniegelenks Beschwerden angegeben worden seien; im Hinblick auf das rechte Schultergelenk seien Klagen nicht vorgetragen worden. Entsprechend habe sich auch kein klinischer Befund gefunden. Der beratende Arzt der Beklagten Dr. L. empfahl in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 1997, die Veränderungen an der rechten Schulter als unfallunabhängig einzustufen, weil primär keinerlei Verletzungsfolgen dokumentiert seien und jegliche Brückensymptomatik fehle. Hinsichtlich der anerkannten Unfallfolgen kamen Prof. Dr. M. /Dr. H. (Georg-August-Universität Göttingen) in ihrem Zweiten Rentengutachten vom 19. Januar 1997 zum Ergebnis, dass die MdE weiterhin auf 20 v.H. zu schätzen sei. Mit Bescheid vom 4. März 1997 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag auf Rentenerhöhung ab. Eine wesentliche Änderung liege auf der Grundlage des Gutachtens der Universität Göttingen sowie der Stellungnahme von Dr. L. nicht vor; insbesondere könne nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden, dass der Unfall vom 6. Mai 1992 auch zu einer Verletzung der rechten Schulter geführt habe.

8

Nachdem der Kläger gegen diese Entscheidung (mit Schreiben vom 24. März 1997) Widerspruch eingelegt hatte, zog die Beklagte die Krankenhausunterlagen über das stationäre Heilverfahren ab 6. Mai 1992 sowie u.a. weitere Behandlungsberichte von Dr. J. sowie des praktischen Arztes Dr N. , Katlenburg-Lindau, bei. Letzterer teilte der Beklagten mit, der Kläger habe sich erstmals am 18. August 1992 bei ihm wegen Schulterbeschwerden vorgestellt und als Ursache hierfür einen Sturz auf die rechte Schulter angegeben. Die Beklagte holte außerdem ein Zusammenhangsgutachten von Priv.-Doz. Dr G. /Dr. H. (vom 14. Juni 1998) ein, die zum Ergebnis kamen, dass der vom Kläger vorgetragene Unfallhergang geeignet gewesen sei, eine Verletzung der Rotatorenmanschette auszulösen. Die von außen einwirkende Gewalt habe so viel Gewalteinwirkung beinhaltet, dass die Rotatorenmanschette eingepresst zwischen Oberarmkopf und dem Schulterdach verletzt worden sei. Die als Folge hiervon bestehende schmerzhafte Funktionseinschränkung des rechten Oberarmes sei mit einer MdE von 10 v.H. einzuschätzen, sodass eine Gesamt-MdE von 30 v.H. bestehe. Demgegenüber vertrat Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 28. August 1998 die Auffassung, ein direkter Sturz auf die Schulter führe nicht zu einer Rotatorenmanschettenschädigung, sondern zu einer Prellung bzw. Kontusion des Schultergelenks mit dem umgebenden Weichteilmantel. Wenn es am Unfalltag tatsächlich zu einer erheblichen Gewalteinwirkung auf das rechte Schultergelenk gekommen wäre, sei nicht nach-vollziehbar, warum es zunächst bis 1994 keinerlei Hinweise auf eine Verletzung des rechten Schultergelenks gegeben habe. Außerdem betreibe der Kläger seit 1986 Handballsport; aus medizinischer Erfahrung seien vermehrte Verschleißerscheinungen im Schultergelenk mit degenerativer Rotatorenmanschettenläsion durch intensive sportliche Betätigung des Schultergelenkes bekannt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1998 - zur Post gegeben am 3. November 1998 - wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung berief sie sich auf die Stellungnahme von Dr. L ... Nach dem Verhalten des Klägers bis 1995 - insbesondere der Beklagten gegenüber - sei außerdem die Annahme einer Brückensymptomatik widerlegt.

9

Hiergegen hat der Kläger am 27. November 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte ein Zweites Rentengutachten zur Rentennachprüfung des Chirurgen Prof. Dr. O. , P. Northeim, vom 4. Februar 1999 eingeholt. Prof. Dr. O. ist zum Ergebnis gekommen, eine wesentliche Innenbandinstabilität am rechten Kniegelenk sei nunmehr nicht mehr nachzuweisen und der mögliche Innenbandschaden sei voll muskulär kompensiert; es liege noch eine MdE von 10 v.H. vor. Mit Bescheid vom 26. März 1999 hat die Beklagte daraufhin die Höhe der dem Kläger gezahlten Verletztenrente mit Wirkung vom 1. April 1999 auf 10 v.H. der Vollrente geändert.

10

Mit seiner Klage hat der Kläger weiterhin die Auffassung vertreten, Funktionsein-schränkungen seines rechten Schultergelenks seien als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 6. Mai 1992 anzuerkennen und bedingten eine MdE von mindestens 30 vH. Die mit der Behandlung seiner Unfallfolgen betrauten Ärzte hätten die von ihm geäußerten Klagen bezüglich des rechten Schultergelenks nicht dokumentiert. Gleichwohl habe er sich wegen Schmerzen in der rechten Schulter ab 19. Juni 1992 wiederholt bei seinem Hausarzt zur Untersuchung vorgestellt; hierzu hat er eine entsprechende Bescheinigung von Dr. N. vorgelegt. Der Kausalzusammenhang dieser Beschwerden mit dem Arbeitsunfall sei im unfallchirurgischen Gutachten von Dr. G. /Dr. H. zutreffend bejaht worden, wohingegen die Kritik von Dr. L. nicht überzeuge. Dieser habe insbesondere außer Acht gelassen, dass die Degeneration der Rotatorenmanschette bei unter 40-jährigen nicht vorkomme. Gegen die von diesem Sachverständigen angenommene erhebliche Beanspruchung des Schultergelenks durch Handballsport spreche, dass er diesen seit 1983 nicht mehr ausübe.

11

Das SG Hildesheim hat die Klage mit Urteil vom 29. November 2000 abgewiesen. Es sei nicht bewiesen, dass die beim Kläger festgestellte Rotatorenmanschetten-verletzung eine Folge des in Rede stehenden Arbeitsunfalls sei. So lasse sich insbesondere nicht der Nachweis erheblicher direkter oder indirekter Einwirkung auf die Schulter in Form von Schwellungen, Bluterguss im Gelenk und sofortiger schmerzhafter Funktionsbehinderung in zeitlichem Zusammenhang erbringen. Da ein für eine Verletzung der Rotatorenmanschette geeignetes Unfallereignis nicht bewiesen sei, könne auch dem Gutachten der Dres. Schmid/Schmidtmann nicht gefolgt werden. Schließlich ergebe sich aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Prof. Dr. O. , dass sich nunmehr eine wesentliche Änderung der zur Rentengewährung führenden tatsächlichen Verhältnisse ergeben habe, sodass dem Kläger ab 1. April 1999 auch nur eine Teilrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente zustehe.

12

Gegen das ihm am 7. Dezember 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Januar 2001 Berufung eingelegt. Er wendet sich weiterhin gegen die Stellungnahme von Dr. L. , die verkenne, dass eine Belastung der oberen Gliedmaßen durch intensive sportliche Betätigung nach der Aufgabe des Handballsports im Jahr 1983 nicht mehr vorgelegen habe. Im Hinblick auf die Brückensymptome verweist er erneut auf Atteste seines Hausarztes Dr. N ... Im Gutachten der Dres. G. und H. sei überzeugend dargelegt worden, dass degenerative Veränderungen im Supraspinatusbereich der Rotatorenmanschette bei einem zum Unfallzeitpunkt 31-jährigen mit völlig leerer Vorgeschichte ausgeschlossen werden müssten und der Unfallhergang geeignet gewesen sei, eine Verletzung der Rotatorenmanschette auszulösen. Das Folgegutachten von Prof. Dr. O. sei schließlich auch nicht schlüssig und nachvollziehbar - wie vom SG angenommen -, sondern oberflächlich, zumal dort auf röntgenologische Untersuchungen verzichtet worden und der Sachverständige voreingenommen gewesen sei.

13

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. November 2000 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 4. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 1998 sowie den Bescheid vom 26. März 1999 zu ändern,

  2. 2.

    als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 6. Mai 1992 eine "schmerzhafte Funktionseinschränkung des rechten Oberarmes" festzustellen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm seit dem 1. Juli 1996 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. zu gewähren.

14

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Sie bleibt bei ihrer Auffassung, der Schaden an der Rotatorenmanschette rechts sei nicht auf den Unfall vom 6. Mai 1992 zurückzuführen. Hierzu beruft sie sich auf die Gründe ihres Widerspruchsbescheids und des angefochtenen Urteils.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

17

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

18

Die Berufung, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des SG Hildesheim ist zutreffend.

19

Klagegegenstand (§ 95 SGG) ist zunächst der Bescheid vom 4. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 1998, mit dem die Beklagte die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und die Erhöhung der Verletztenrente abgelehnt hat. Gemäß § 96 Abs. 1 SGG ist auch der Bescheid vom 26. März 1999 Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit der Herabsetzung der Verletztenrente mit Wirkung vom 1. April 1999 wird zwar nicht der vorangegangene Bescheid vom 4. März 1997 abgeändert oder ersetzt, sondern der ursprüngliche Bescheid vom 25. September 1995 über die Gewährung einer Dauerrente. Die Frage, in welcher Höhe ab 1. April 1999 Verletztenrente gewährt wird, steht jedoch in Zusammenhang mit dem im Verwaltungsakt vom 4. März 1997 beschiedenen Erhöhungsbegehren des Klägers. In Übereinstimmung mit der hM, die aus Gründen der Prozessökonomie § 96 SGG weit auslegt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 96 Rdnr 4 m.w.N.), ist § 96 Abs. 1 SGG auf den vorliegenden Fall zumindest entsprechend anzuwenden.

20

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 5, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte entschieden, dass die geltend gemachten Beschwerden im Bereich des rechten Schultergelenks nicht als weitere Unfallfolgen anzuerkennen sind und sich die Höhe der Verletztenrente vom 1. Juli 1996 bis zum 31. März 1999 nach einer MdE von 20 v.H. und danach nach einer solchen von 10 v.H. bemisst.

21

Rechtsgrundlage der streitbefangenen Bescheide ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass der Kläger das Vorliegen einer zusätzlichen Unfallfolge geltend macht, die nach seinem Vorbringen bereits im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Dauerrentenbescheids vom 25. September 1995 vorgelegen haben dürfte, sodass auch der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X berührt sein könnte. Denn mit seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 4. Juli 1996 hat er sich ausdrücklich auf eine "Verschlechterung vom Grad der Behinderung" berufen. Damit macht er keine rückwirkende Korrektur des ursprünglichen Dauerrentenbescheids geltend, sondern eine Verschlimmerung des dort geregelten Unfallfolgezustands.

22

Grundlage der rechtlichen Beurteilung sind vorliegend noch die unfallversicherungsrechtlichen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der Arbeitsunfall des Klägers vom 6. Mai 1992 vor dem In-Kraft-Treten des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII; zum 1. Januar 1997) eingetreten ist (Artikel 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 212 SGB VII). § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII steht dem nicht entgegen, weil die Verletztenrente des Klägers bereits vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII erstmals festgesetzt worden ist.

23

Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird eine Verletzten-Teilrente gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 1/5 gemindert ist. Da der Kläger auch am 28. April 1994 einen Arbeitsunfall erlitten hat, der seine Erwerbsfähigkeit mindert, ist auf ihn § 581 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVO anzuwenden, wonach bereits eine MdE von 10 v.H. zum Anspruch auf Teilrente (sog. Stützrente) führen kann.

24

Entgegen der Auffassung des Klägers können bei der Bemessung der MdE nicht die von ihm vorgebrachten Beschwerden im Bereich des rechten Schultergelenks berücksichtigt werden. Denn es ist nicht erwiesen, dass die 1995 in der Orthopädischen Klinik der Universität Göttingen diagnostizierte inkomplette Rotatorenmanschettenverletzung der rechten Schulter mit degenerativem Schaden des vorderen Labrums durch den Arbeitsunfall vom 06. Mai 1992 verursacht worden ist.

25

Beweismaßstab für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und einer Gesundheitsstörung ist dabei grundsätzlich zwar die hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSGE 61, 127, 129). Das Vorliegen der bei der medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilung des Kausalzusammenhangs zu Grunde zu legenden Tatsachen muss dagegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Gewissheit) erwiesen sein. Hierzu gehören auch ein bestimmtes äußeres Ereignis und der Eintritt eines Körperschadens (Ricke in: Kasseler Kommentar, Sozial-versicherungsrecht, Lsbls. - Stand Mai 2003 -, § 8 SGB VII Rdnr 257). Der im Zusammenhangsgutachten der Dres. Schmid und Schmidtmann vertretenen Auffassung, die Rotatorenmanschettenverletzung sei dadurch verursacht worden, dass der Kläger bei dem Unfall vom 6. Mai 1992 direkt auf die rechte Schulter gefallen sei, könnte deshalb nur gefolgt werden, wenn ein derartiger Sturz mit Gewissheit nachgewiesen werden könnte. Dabei ist davon auszugehen, dass der Sturz nach der Auffassung der Sachverständigen eine derartige Gewalteinwirkung beinhaltet haben müsste, dass "die Rotatorenmanschette eingepresst zwischen Oberarmkopf und dem Schulterdach verletzt wird". Am Vorliegen eines derart schweren Sturzes bestehen jedoch gewichtige Zweifel.

26

Überzeugend hat bereits der beratende Arzt Dr. L. und ihm folgend die Beklagte darauf hingewiesen, dass bei massiver Gewalteinwirkung auf das rechte Schultergelenk zumindest eine Hautabschürfung oder ein Bluterguss bzw. insbesondere Beschwerden am Schultergelenk zu erwarten gewesen wären. Dies steht in Übereinstimmung mit dem unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum, wonach bei einer traumatischen Rotatorenmanschettenschädigung ein sofortiges Schmerzmaximum zu erwarten wäre, das in den folgenden Wochen abklingt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 509). Schon die unmittelbar nach dem Unfall erhobenen ärztlichen Befunde enthalten jedoch keinen Hinweis auf derartige Symptome der rechten Schulter. Der Bericht des Notarztes vom Unfalltag enthält nur Angaben über die Knieverletzung und im Übrigen die Mitteilung, sonst seien keine Verletzungszeichen ersichtlich. Im Rahmen des Aufnahmeberichts im Kreiskrankenhaus Herzberg, den das Krankenhaus im Verwaltungsverfahren an die Beklagte übersandt hat, ist zu den Extremitäten angegeben, diese seien - bis auf den (Kniebezogenen) Lokalstatus - ohne Befund. Schließlich werden auch im Durchgangsarztbericht vom 7. Mai 1992 nur die Verletzung im Bereich des Kniegelenks und großflächige Hautschürfungen am rechten Ober- und Unterschenkel angegeben.

27

Weder die angegebenen Berichte noch die weiteren Krankenhausunterlagen und insbesondere auch nicht der Zwischenbericht des Kreiskrankenhauses Herzberg vom 11. Juni 1992 enthalten Hinweise darauf, dass der Kläger in der ersten Zeit nach dem Arbeitsunfall über Beschwerden im Bereich des rechten Schultergelenks geklagt hätte. Die Behauptung des Klägers, entsprechende Klagen seien im Krankenhaus nicht zur Kenntnis genommen worden, hält der Senat nicht für glaubhaft. Dagegen spricht bereits, dass er ausweislich des Berichts vom 11. Juni 1992 sogar mit Unterarmgehstützen mobilisiert worden ist, was bei tatsächlich bestehenden erheblicheren Schulterbeschwerden kaum möglich gewesen wäre. Überdies hat der Kläger selbst in seinen ersten Schreiben an die Beklagte (vom 24. August 1992 und vom Juli 1993) zwar über weiter bestehende Beschwerden geklagt, sich dabei jedoch nur auf das rechte Bein bzw. eine Gehbehinderung bezogen. Auch die von Dr. N. erstellten Atteste, nach denen der Kläger bereits am 19. Juni 1992 über Schmerzen in der rechten Schulter geklagt habe, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien, ändern hieran nichts. Wie sich aus seinem Bericht vom 18. August 1998 ergibt, wusste Dr. N. , dass die Behandlung von Unfallfolgen nur durch das Krankenhaus Q. erfolgen sollte. Demnach wäre zu erwarten gewesen, dass er den Kläger an dieses Krankenhaus verwiesen hätte, wenn er seinerzeit einen Zusammenhang der Schulterbeschwerden mit dem Vorfall vom 6. Mai 1992 angenommen hätte.

28

Fehlt es demgemäß schon am erforderlichen Nachweis der im Gutachten der Dres. R. vorausgesetzten Tatsachen, ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass der von diesen bejahte Ursachenzusammenhang zwischen Sturz und Manschettenruptur auch nicht in Übereinstimmung mit der im unfallversicherungs-rechtlichen Schrifttum (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 507) vertretenen Auffassung steht, wonach eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter gerade nicht geeignet wäre, den Riss der Rotatorenmanschette (mit) zu verursachen, weil die Rotatorenmanschette durch Schulterhöhe und Delta-Muskel gut geschützt ist.

29

Auch im Hinblick auf die anerkannten Unfallfolgen ist eine wesentliche Verschlechterung gegenüber dem Zustand, der dem Dauerrentenbescheid vom 25. September 1995 zu Grunde lag, nicht festzustellen. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vergleich der Gutachten der Dres. S. vom 9. Februar 1995 einerseits und von Prof. Dr. M. und Dr. H. vom 19. Januar 1997 andererseits. Nach beiden Gutachten stand die innere Seitenbandinstabilität im Sinne eines Wackelknies am rechten Kniegelenk, die zu belastungsabhängigen Schmerzen führte, im Vordergrund der unfallbedingten Einschränkungen. Eine Verschlimmerung dieser Instabilität lässt sich dem Zweiten Rentengutachten vom 19. Januar 1997 - bei dem diese nur noch als subjektiv bei starker Belastung bestehend angegeben wird - aber nicht entnehmen. Auch die als Folge der Minderbelastbarkeit bestehende Verschmächtigung der Muskulatur des rechten Beines hat sich nicht verschlimmert; sie betrug bei der Untersuchung am 6. Januar 1997 vielmehr nur noch 1 cm, gemessen 10 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspalts, während im Gutachten vom 9. Februar 1995 auch eine entsprechende Umfangsverminderung 20 cm oberhalb des inneren Kniegelenkspalts und 5 cm unterhalb des inneren Gelenkspalts festgestellt worden war. Schließlich waren auch das Streckdefizit (um 10 Grad) und die Gangstörungen (in beiden Untersuchungen festgestellter leicht hinkender Gang) unverändert. Wenn Prof. Dr. M. und Dr. H. die Unfallfolgen im Zweiten Rentengutachten vom 19. Januar 1997 unverändert mit einer MdE von 20 v.H. bewertet haben, entspricht dies den im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Erfahrungswerten. Diese sehen bei Unfallfolgen des Kniegelenks bei endgradiger Behinderung der Beugung/Streckung mit muskulär nicht kompensierbarer Seitenbandinstabilität eine MdE von 20 v.H. vor (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Lsbls. - Stand Juli 2003 -, Anhang 12, J 033).

30

Eine Verbesserung des anerkannten Unfallfolgezustandes ist dagegen durch das Zweite Rentengutachten zur Rentennachprüfung von Prof. Dr. O. bewiesen. Diese ist auch wesentlich, weil sie die MdE um mehr als 5 v.H. senkt (vgl. § 73 Abs. 3 SGB VII, der gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII auch schon für den vorliegenden Fall anwendbar ist). Die im Bescheid vom 26. März 1999 geregelte Herabsetzung der Teilrente auf 10 v.H. der Vollrente (gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 RVO) mit Wirkung ab 1. April 1999 erfolgte daher zu Recht.

31

Prof. Dr. O. hat in seinem Gutachten vom 4. Februar 1999 festgestellt, dass nunmehr eine Seitenbandinsuffizienz nicht mehr bestehe. Das Gangbild des Klägers sei im Grunde flüssig und erscheine lediglich etwas unbeholfen. Eine Umfangsminderung des rechten Beines war nicht mehr festzustellen. Insbesondere hat Prof. Dr. O. nicht mehr eine - für die Bemessung von Einschränkungen im Erwerbsleben besonders relevante (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 675) - Streckbehinderung im rechten Kniegelenk in dem im Gutachten vom 09. Februar 1995 verzeichneten Ausmaß vorgefunden. Der Unfallfolgezustand kann nunmehr allenfalls einer endgradigen Kniegelenksbehinderung mit muskulär kompensierten instabilen Bandverhältnissen gleichgesetzt werden, die nach den o.a. Erfahrungswerten (Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O.) mit einer MdE von 10 v.H. einzuschätzen ist.

32

Die gegen dieses Gutachten vom Kläger erhobenen Einwände gehen fehl. So konnte Prof. Dr. O. auf röntgenologische Untersuchungen verzichten, weil die im Streit stehenden verbliebenen Unfallfolgen nicht im Skelettbereich, sondern als Folgen von Störungen der Kniegelenksbänder bestehen. Für die vom Kläger behauptete Voreingenommenheit des Arztes sind angesichts der in sich schlüssigen und objektiv nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten vom 4. Februar 1999 keine Anhaltspunkte ersichtlich. Auch dem sonstigen Vorbringen des Klägers ist nichts zu entnehmen, das die Überzeugungskraft des Gutachtens einschränken könnte. Der Senat hat daher keine Veranlassung gesehen, dem im Schriftsatz vom 13. August 2003 enthaltenen Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nachzugehen.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

34

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.