Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 13.08.2003, Az.: L 5 B 2/03 SF
Mögliche Befangenheit eines ehrenamtlichen Richters am Sozialgericht; Voraussetzungen für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit; Gründe für die Entlassung eines ehrenamtlichen Richters aus dem Amt
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 13.08.2003
- Aktenzeichen
- L 5 B 2/03 SF
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 21044
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0813.L5B2.03SF.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 19.05.2003 - AZ: S 1 SF 8/02
Rechtsgrundlagen
- § 18 Abs. 3 SGG
- § 60 Abs. 1 SGG
- § 42 Abs. 2 ZPO
Tenor:
Das gegen Direktor des Sozialgerichts E. gerichtete Befangenheitsgesuch vom 19. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der als ehrenamtlicher Richter an das Sozialgericht (SG) Aurich berufene F. (Antragsteller) hatte mit Schriftsatz vom 25. November 2002 um Entbindung von seinem Amt gebeten. Er sei im Jahre 2002 lediglich zwei Mal zu Sitzungen bei dem SG Aurich herangezogen worden, dies offenbar deshalb, weil er wegen der langen Sitzungen vom Kammervorsitzenden eine Mittagspause zur Einnahme einer Mahlzeit verlangt habe. Nach dem 11. Juli 2002 sei er nicht mehr zu Sitzungen eingeladen worden, sodass dass er davon ausgehe, dass das SG kein Interesse mehr an seiner Mitwirkung habe.
Im weiteren Schriftsatz vom 5. Februar 2003 revidierte der Antragsteller seine Vermutung, er werde absichtlich nicht mehr zu Sitzungen herangezogen. Er hielt den Antrag auf Entbindung vom Amt des ehrenamtlichen Richters aber weiterhin aufrecht mit der Begründung, seit Monaten wieder an einer akuten Nebenhöhlenentzündung zu leiden, die medikamentös nicht behandelbar sei. Er verwies auf den Grad seiner Behinderung (GdB) von 100. Die Nebenhöhlenerkrankung behindere ihn abgesehen von seinem sonstigen Gesundheitszustand so sehr, dass er sich außer Stande sehe, an weiteren Sitzungen teilzunehmen.
Der Vorsitzende der 1. Kammer des SG Aurich, Direktor des Sozialgerichts E., teilte dem Antragsteller mit, es solle ein Befundbericht des behandelnden Arztes eingeholt werden, um ein genaueres Bild von seiner Erkrankung erhalten zu können. Der ehrenamtliche Richter wurde gebeten, den behandelnden Arzt Dr. G. schriftlich von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Der Antragsteller gab die Entbindungserklärung ab, Dr. G. (Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde) erstattete den Befundbericht vom 26. Februar 2003.
Am 25. April 2003 widerrief der Antragsteller die Entbindungserklärung. Zu beabsichtigt gewesenen weiteren medizinischen Ermittlungen kam es nicht. Der Kammervorsitzende teilte dem Antragsteller mit Verfügung vom 5. Mai 2003 mit, für eine Entlassung aus dem Amt nach § 18 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könnten nur nachträglich eingetretene Gründe maßgeblich sein. Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen ergäben sich keine nachträglich eingetretenen Krankheiten. Die jetzt geltend gemachten schwer wiegenden Erkrankungen hätten allesamt bereits bei Amtsübernahme vorgelegen.
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2003 hat der Antragsteller erklärt, das schikanöse Verhalten des SG Aurich nicht mehr hinzunehmen. Um seinen Gesundheitszustand gerade im psychischen Bereich nicht weiter zu verschlechtern, wünsche er keinen Schriftverkehr mehr mit Direktor des SG E ... Dieser habe die ärztlichen Unterlagen entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.
Direktor des SG E. hat den Schriftsatz vom 19. Mai 2003 als Befangenheitsantrag gewertet und ihn dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt. Dienstlich hat er unter dem 27. Mai 2003 erklärt, sich in dem Verfahren S 1 SF 8/02 nicht für befangen zu halten.
II.
Das gegen Direktor des SG E. gerichtete Ablehnungsgesuch ist nicht begründet.
Gemäß § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss - vom Standpunkt der Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet - vorliegen. Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit kann gerechtfertigt sein, wenn sein prozessuales Vorgehen ausreichender gesetzlicher Grundlagen entbehrt; dabei lassen Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich noch nicht den Schluss auf eine unsachliche Einstellung des Richters zu (Bay. ObLG, Beschluss vom 12. Mai 1977, 1 Z 29/77 in DriZ, August 1977, 244).
Ein Grund für Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden bei der Entscheidung über den Antrag auf Entlassung aus dem Amt des ehrenamtlichen Richters besteht nicht. Der Richter hat das Verfahren sachlich betrieben und den Antragsteller jeweils rechtzeitig über die von ihm für erforderlich gehaltenen Ermittlungen informiert. Er hat den Antragsteller vor allen Dingen nicht darüber im Unklaren gelassen, dass nach seiner Rechtsansicht eine Amtsentlassung nur dann in Betracht kommen könne, wenn nach der Berufung weitere Erkrankungen zu dem im Zeitpunkt der Berufung bereits vorhandenen Gesundheitszustand hinzugetreten wären. Der Antragsteller hatte zunächst auch die für medizinische Ermittlungen erforderliche Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erteilt.
Die Tatsache allein, dass der Richter eine sich für den Beteiligten nachteilig auswirkende Rechtsansicht vertritt, lässt eine Befangenheit zu Lasten jenes Beteiligten nicht besorgen. Allenfalls könnte anderes gelten, wenn es sich um eine abwegige, völlig unvertretbare, willkürliche Rechtsansicht handelt. Um einen solchen äußersten Fall geht es hier jedoch nicht. Selbstverständlich ist es unter den hier maßgebenden Umständen gut vertretbar, den Antrag auf Entlassung aus dem Amt des ehrenamtlichen Richters, der aus Krankheitsgründen gestellt ist, zu prüfen, ob es sich um bei der Berufung schon vorhandene oder tatsächlich erst hinzugetretene Erkrankungen handelt. Dies gilt hier um so mehr, als der Antragsteller seinen Entlassungsantrag zunächst mit anderen Gründen versehen hatte. Die Entlassung aus dem Amt eines ehrenamtlichen Richters richtet sich nach den Vorschriften des SGG und nicht danach, ob der ehrenamtliche Richter sein Amt weiter ausüben will oder nicht. Liegen persönliche Gründe für die Entlassung tatsächlich vor, hat der ehrenamtliche Richter allerdings einen Anspruch auf Entlassung. Die Gründe zu prüfen ist Pflicht der für die Amtsentlassung oder Amtsenthebung zuständigen Kammer. Nichts anderes hat Direktor des SG E. als Vorsitzender der zuständigen Kammer des SG Aurich getan. Sein Verhalten ist weder schikanös noch parteilich.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).