Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 04.08.2003, Az.: L 6 U 231/02
Anspruch auf weiteres Verletztengeld; Anrechnung des Arbeitseinkommens eines Gesellschafters auf das Verletztengeld für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit; Keine Erforderlichkeit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise; Keine Einordnung der monatlichen Zahlungen als vorweggenommene Gewinnausschüttung; Verfassungsgemäßheit des § 52 SGB VII (Siebtes Sozialgesetzbuch); Keine Anwendbarkeit der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.08.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 231/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20986
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0804.L6U231.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 7 U 212/01
Rechtsgrundlage
- § 52 SGB VII
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höheres Verletztengeld. Er ist als Gesellschafter (Anteil: 50%) und Geschäftsführer der Firma C. GmbH bei der Beklagten mit einem Jahresarbeitsverdienst in Höhe von 120.000,00 DM freiwillig versichert. Am 5. Januar 2001 zog er sich bei seiner beruflichen Tätigkeit eine Fraktur im Bereich der rechten Schulter zu. Während der bis 17. Februar 2001 dauernden Arbeitsunfähigkeit zahlte die GmbH dem Kläger das volle Arbeitsentgelt weiter. Mit Bescheid vom 3. April 2001 bewilligte die Beklagte für 43 Tage unter Anrechnung der Gehaltsfortzahlung von kalendertäglich 256,66 DM gekürztes Verletztengeld in Höhe von insgesamt 430,43 DM. Im Widerspruchsverfahren wandte der Kläger ein, er sei zwar Geschäftsführer der GmbH, gleichzeitig aber auch sein eigener Arbeitgeber. Wie ein Einzelunternehmer spüre er durch den erlittenen Unfall unmittelbar die Folgen (weniger Umsatz, weniger Einnahmen, weniger Gewinn). Die Beklagte habe bei früheren Arbeitsunfällen auch jeweils das volle Verletztengeld gezahlt. In dem Merkblatt der Beklagten werde nicht darauf hingewiesen, dass Arbeitseinkommen auf das Verletztengeld angerechnet werde. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat der Kläger vorgetragen, in seinem Fall sei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise erforderlich. Sein Arbeitsausfall führe - wie bei einer Personengesellschaft - zu erheblichen Einbußen. Zudem habe er die Versicherung bei der Beklagten unter der Prämisse abgeschlossen, wie ein Selbstständiger versichert zu sein. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. April 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, es gehe nicht an, nur die Vorteile der gewählten Gesellschaftsgestaltung in Anspruch zu nehmen.
Gegen diesen am 25. April 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. Mai 2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, bei selbstständigen Unternehmern sei § 52 Sozialgesetzbuch (SGB) VII nicht anwendbar, weil diese kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielten, sondern vom Gewinn lebten. Er habe Beiträge gezahlt, ohne jemals eine Gegenleistung erhalten zu können.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. April 2002 aufzuheben,
- 2.
den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 zu ändern,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm höheres Verletztengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. April 2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des SG und ihre Bescheide für zutreffend.
Im vorbereitenden Verfahren hat der Senat die Auskünfte des Finanzamts Oldenburg vom 09. Januar und 22. Mai 2003 eingeholt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet, denn das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf höheres Verletztengeld verneint. Dem höheren Zahlungsanspruch steht entgegen, dass für die Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit die Bezüge als Geschäftsführer der GmbH weiter gezahlt wurden und auf das Verletztengeld anzurechnen waren.
Gemäß § 52 Nr. 1 SGB VII sind Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen auf das Verletztengeld anzurechnen. Der Kläger hatte einen Anspruch auf Verletztengeld in Höhe von kalendertäglich 266,67 DM. Im streitigen Zeitraum hat er Arbeitseinkommen auf Grund seiner selbstständigen Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 2 RU 41/94 = BSGE 77, 169 [BSG 14.12.1995 - 2 RU 41/94]) in Höhe von kalendertäglich 256,66 DM (monatliches Nettoentgelt 7.699,94: 30) erhalten, sodass lediglich ein Anspruch von 10,01 DM pro Tag bestand.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist in seinem Fall keine - von der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) abweichende - wirtschaftliche Betrachtungsweise erforderlich. Auch bei kleineren Kapitalgesellschaften, in denen die Geschäftsführer mitarbeiten, ist es nicht "egal, ob der Unternehmer seine Bezüge als Gewinnausschüttung oder als Gehalt erhält". Denn auch in diesen Unternehmen ist die Einsetzung eines Geschäftsführers (betriebs-)wirtschaftlich günstiger, weil die Zahlung eines Geschäftsführergehaltes zu einer Verringerung des Gewinns und somit der Steuerschuld führt. Nach den Auskünften des Finanzamts Oldenburg steht auch fest, dass es sich bei den monatlichen Zahlungen an den Kläger und seinen Partner tatsächlich um ein - vom Finanzamt auch als Betriebsausgaben anerkanntes - Geschäftsführergehalt gehandelt hat und nicht etwa um eine (im Rahmen des § 52 Nr. 1 SGB VII nicht zu berücksichtigende) vorweggenommene Gewinnausschüttung.
Auch unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 23. August 1973, BSGE 36, 133 ff., ergibt sich keine für den Kläger günstigere Beurteilung. In dieser Entscheidung hat das BSG klargestellt, dass ein Verletztengeldanspruch eines Unternehmers besteht, wenn sich dessen Arbeitsunfähigkeit für das Unternehmen nachteilig ausgewirkt hat und dieser Schaden zum Wegfall der aus der persönlichen Mitarbeit im Unternehmen sich ergebenden Einkünften des Unternehmers geführt hat. Einen solchen Fall hat die Beklagte hier angenommen, anderenfalls - etwa wenn der Kläger sich nur auf gelegentliche Eingriffe in den Betriebsablauf und/oder im Wesentlichen auf die Bereitstellung des erforderlichen Kapitals beschränkt hätte - hätte er überhaupt keinen Verletztengeldanspruch gehabt.
Der Senat teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen die in § 52 SGB VII normierte Anrechnung von Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen nicht. Insbesondere trifft es nicht zu, dass der Kläger niemals die Möglichkeit hat, in den Genuss der beitragsfinanzierten Leistungen zu kommen. Denn § 52 SGB VII sieht lediglich - zur Vermeidung von Doppelleistungen mit gleicher Zweckbestimmung - die Anrechnung von Arbeitseinkommen für einen beschränkten Zeitraum (hier: für 6 Wochen) vor.
Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kläger auch nicht nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu. Der Kläger weist zwar zu Recht darauf hin, dass er dem Merkblatt, das er von der Beklagten erhalten hat, nicht eindeutig hat entnehmen können, dass Verletztengeld in seinem Fall nur unter Anrechnung von Arbeitseinkommen gezahlt wird. Ein sozial-rechtlicher Herstellungsanspruch setzt aber voraus, dass er auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet ist, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger pflichtgemäß verfahren wäre (BSG, Urteil vom 25. März 1976 - 12/7 RAr 135/74 = BSGE 41, 260). Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu. Auch wenn die Beklagte ihm mitgeteilt hätte, dass Arbeitseinkommen bei der Zahlung von Verletztengeld angerechnet wird, käme ein höheres Verletztengeld, das der Kläger im vorliegenden Fall begehrt, nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.