Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.08.2003, Az.: L 9 U 255/01

Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit ; Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet als Berufskrankheiten; Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Gesundheitsstörung; Voraussetzungen einer Asbeststaublungenerkrankungen (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura als Berufskrankheit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
15.08.2003
Aktenzeichen
L 9 U 255/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0815.L9U255.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - AZ: S 7 U 117/99

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Versicherte haben auch bei teilweisem Verlust der Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles Anspruch auf Verletztenrente.

  2. 2.

    Die Anerkennung als Berufskrankheit erfordert, dass kein Zweifel an einer derartigen Erkrankung besteht.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

2

Der 1950 geborene Berufungskläger hatte den Beruf des Starkstromelektrikers von 1966 bis 1969 erlernt und war sodann von 1969 bis 1971 auch in diesem Beruf tätig gewesen. Er war in dieser Zeit bei der Firma C. in Hamburg beschäftigt gewesen. Bei dieser Tätigkeit war er so wohl als "Bystander" als auch durch eigene Tätigkeit mit Asbeststaub belastet. Nach dieser Zeit war der Berufungskläger als Personalsachbearbeiter in einem Metall verarbeitenden Betrieb und als Angestellter einer Sparkasse tätig.

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Am 1. Oktober 1993 hatte der Berufungskläger einen Verkehrsunfall erlitten. Hierbei war es unter anderem auch zu einer Rippenserienfraktur gekommen.

4

Am 16. Januar 1997 wandten sich Prof. Dr. D. und Kollegen an die Berufungsbeklagte und zeigten ihren Verdacht über das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 4301 der Anlage zur BKVO an. Sie wiesen darauf hin, bei dem Berufungskläger seien computertomographisch pleurale Verdickungen nachgewiesen worden. Es handele sich allerdings nicht um typische Pleuraverdickungen im Sinne einer Asbestose. Daneben diagnostizierten sie bei dem Berufungskläger ein allergisches Asthma.

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Die Berufungsbeklagte leitete Ermittlungen ein und zog unter anderem Befundberichte der Fachärzte für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. E. (vom 23. Mai 1997) und Dr. F. ( vom 7. Oktober 1997) bei. Sodann ließ sie sich eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (Dipl.-Ing. G. unter dem 9. Januar 1998) erstatten. Sodann ließ die Berufungsbeklagte ein Zusammenhangsgutachten des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. H. vom 22. Juli 1998 erstatten. Dieser kam auf Grund einer Untersuchung des Berufungsklägers und der im Zeitverlauf erstellten Ergebnisse aller bildgebenden Verfahren zu dem Ergebnis, es lägen keine Hinweise auf Asbeststaubinhalationsfolgen vor. Die festzustellenden Veränderungen der Pleura seien eher als posttraumatische Veränderungen zu deuten. Daneben konnte Dr. H. kein typisches Knisterrasseln und keine typische restriktive Ventilationsstörung diagnostizieren. Diesem Gutachten schloss sich der Staatliche Gewerbearzt I. mit Stellungnahme vom 2. Oktober 1998 an. Daraufhin lehnte die Berufungsbeklagte mit Bescheid vom 25. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 die Anerkennung einer BK der Nr. 4301 der Anlage zur BKVO ab.

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Am 10. Juni 1999 ist Klage erhoben worden, zu deren Begründung auf einen Arztbrief des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. vom 17. November 1999 Bezug genommen worden ist.

7

Das Sozialgericht (SG) Stade hat auf Antrag des Berufungsklägers ein Gutachten des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. vom 8. Oktober 2000 beigezogen. Dieser hat geringste Asbestinhalationsfolgen diagnostiziert, die aber keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Umfang auslösten. Weiter hat das SG eine Stellungnahme des Röntgenologen Dr. J. vom 11. Januar 2001 zu dem von diesem im Jahr 2000 durchgeführten Computertomogramm des Brustkorbes des Berufungsklägers beigezogen. Dieser hat im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht sicher zu beweisen, dass die Veränderungen an der Pleura des Berufungsklägers auf Asbest zurückzuführen seien. Es läge aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit vor. Daraufhin hat das SG die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2001, der dem Bevollmächtigten des Berufungsklägers am 1. Juni 2001 zugestellt worden ist, abgewiesen.

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Am 28. Juni 2001 ist Berufung eingelegt worden. Zu deren Begründung bezieht sich der Berufungskläger nach wie vor auf die Äußerungen von Dr. F. und Dr. K. und ist - ihnen folgend - der Auffassung, die bei ihm vorliegenden Veränderungen an der Pleura seien als so genannte "Pleuraplaques" anzusehen. Daher lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung der streitigen BK vor.

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Der Berufungskläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 30. Mai 2001 sowie den Bescheid der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft vom 25. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, bei dem Berufungskläger eine BK der Nr. 4301 der Anlage zur BKVO festzustellen,

  3. 3.

    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, dem Berufungskläger eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zuzuerkennen.

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Die Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre Bescheide und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid sowie auf das Ergebnis der zweitinstanzlichen Sachverhaltsaufklärung.

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Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten nach Aktenlage der Arbeitsmedizinerin Prof. Dr. L. vom 25. April 2003 erstatten lassen. Diese hat sich eingehend mit der Erscheinungsform von "Pleuraplaques" auseinander gesetzt und ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, es fänden sich auf den vorliegenden Ergebnissen der bildgebenden Verfahren hinsichtlich der Lunge des Berufungsklägers keine typischen Hinweise auf die Folgen einer Asbestinhalation. Wegen weiterer Ergebnisse des Gutachtens wird Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Berufungsbeklagten (1 Band) zum Az.: BK 4.02033.978 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten in Anwendung von §§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung.

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

15

Das SG hat zu Recht erkannt, dass der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 25. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 rechtmäßig ist und den Berufungskläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Berufungskläger hat weder Anspruch auf Feststellung einer BK der Nr. 4301 der Anlage zur BKVO noch auf Zuerkennung einer Verletztenrente.

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Nach Maßgabe des § 56 des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) haben Versicherte auch bei teilweisem Verlust der Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles Anspruch auf Verletztenrente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründeten Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die hier allein streitige BK nach Nr. 4103 der Anlage zur BKVO vom 31. Oktober 1997 (BGBl.... I 2623) wird wie folgt definiert:

Asbeststaublungenerkrankungen (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura.

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Im Falle des Berufungsklägers hat sich wieder eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) noch eine Erkrankung der Pleura nachweisen lassen. Insoweit hat die Berufungsbeklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass eine derartige Erkrankung sicher nachgewiesen sein muss, um annehmen zu können, dass die BK vorliegt. Das bedeutet, dass kein Zweifel an einer derartigen Erkrankung besteht. Insoweit hat sich das vom Senat eingeholte Gutachten von Prof. Dr. L. eingehend mit der Abgrenzung der verschiedenen Veränderungen der Pleura voneinander befasst. Im Anschluss daran hat Prof. Dr. L. für das Gericht überzeugend dargetan, dass die an der Lunge des Berufungsklägers nachweisbaren Veränderungen gerade nicht als derartige, typische asbestinduzierte Veränderungen der Pleura (Pleuraplaques) angesehen werden können. Prof. Dr. L. hat sich mit diesem Gutachten der Auffassung des im Verwaltungsverfahrens gehörten Gutachters Dr. H. sowie der Auffassung der den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit anzeigenden Ärzte (Prof. Dr. D. u.a.) angeschlossen, die jeweils ebenfalls der Auffassung waren, die zu diagnostizierenden Veränderungen an der Pleura seien nicht typisch für eine Schädigung durch Asbest (so auch der beteiligte Gewerbearzt). Alle diese Ärzte haben auch aufgezeigt, dass die Veränderungen möglicherweise auch auf den Verkehrsunfall des Berufungsklägers am 1. Oktober 1993 zurückzuführen sind, der zu einer Rippenserienfraktur geführt hat und durch eine Läsion des Lungenflügels zur Entstehung dieser Veränderungen geführt haben kann. Die Veränderungen an der Pleura des Berufungsklägers sind auch nicht ursächlich für dessen Beschwerden seitens des Atmungssystems. Hierfür ist vielmehr das von allen beteiligten Fachärzte für Lungen- und Bronchialheilkunde diagnostizierte Asthma bronchiale verantwortlich, welches ebenfalls nach Auffassung aller beteiligten Ärzte eine allergische Genese hat. Angesichts dieser gutachtlichen und auf Befunden beruhenden Ergebnisse vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass die Auffassung des erstinstanzlich in Anwendung von § 109 SGG gehörten Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. zutrifft, wonach bei dem Berufungskläger geringste Asbestinhalationsfolgen festzustellen seien. Insoweit hat die Berufungsbeklagte in ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten von Dr. F. zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis auch vom Gutachten des Dr. F. nicht überzeugend getragen wird. Dieser gibt keine ins Einzelne gehende Begründung dafür, warum er die Veränderungen an der Pleura des Berufungsklägers letztlich als asbestinduziert ansieht. Vielmehr stellt er insoweit allein auf die Belastungen des Berufungsklägers mit Asbeststäuben anlässlich seiner Tätigkeit bei der C.-Werft ab. Dieser Schluss ist indessen unzulässig, wie sich aus den Ausführungen von Prof. Dr. L. ergibt, die im Einzelnen darlegt, dass zwar die Belastung mit Asbeststäuben zu Veränderungen an der Pleura führt. Dies führt indessen zu spezifischen Veränderungen, die gerade beim Berufungskläger nicht festgestellt werden können. Dr. F. kann sich für sein Ergebnis insbesondere nicht auf die Stellungnahme des Röntgenologen Dr. J. vom 11. Januar 2001 beziehen, der gerade ausgeführt hat, es sei nicht sicher zu beweisen, dass die Veränderungen auf die Belastungen mit Asbeststäuben zurückzuführen sind. Die von ihm angeführte "gewisse Wahrscheinlichkeit" reicht aber nach den zuvor dargestellten Beweisanforderungen nicht aus.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

19

Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.