Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.08.2003, Az.: L 6 B 19/03 U

Beschwerde gegen einen Kostenbschluss; Erledigung einer Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls durch Anerkenntnis; Erweiterung der Klagehinsichtlich der Feststellung der unfallbedingten Minderung der erwerbsfähigkeit (MdE); Unmöglichkeit der isolierten Feststellung einer nicht rentenberechtigenden Minderung der erwerbsfähigkeit (MdE); Auslegung der Klageerweiterung als Antrag auf Verurteilung der Beklagten auch zur Zahlung einer Verletztenrente

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.08.2003
Aktenzeichen
L 6 B 19/03 U
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21092
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0818.L6B19.03U.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 15.05.2003 - AZ: S 11 U 107/01

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I.

Der Kläger erstrebt die gerichtliche Feststellung, dass die Beklagte seine außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens nicht nur zur Hälfte, sondern in vollem Umfang zu tragen hat.

2

Der 1961 geborene Kläger verdrehte sich am 5. April 2000 bei seiner Arbeit als Schlosser das rechte Kniegelenk. Der Durchgangsarzt Dr. C. diagnostizierte eine mediale Kollateralbandzerrung des rechten Kniegelenks (Durchgangsarztbericht vom 7. April 2000). Gestützt auf ein Gutachten des Arztes für Chirurgie und Orthopädie Prof. Dr. D. vom 20. Dezember 2000 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie im Bescheid vom 10. Januar 2001 aus, die Veränderungen im Bereich der Menisken und des Kreuzbandes des rechten Knies seien nicht wesentlich durch den Hergang vom 5. April 2000 verursacht worden. Unter Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse sei das Unfallereignis nicht als Unfall im Sinne des § 8 Sozialgesetzbuch - SGB - VII anzusehen, sodass auch keine Anerkennung als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgen könne. Auf Grund dieser Ablehnung könnten auch die Kosten für einen Eigenanteil (255,00 DM) für 15 EAP-Behandlungen nicht übernommen werden. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2001 zurück.

3

Dagegen hat der Kläger am 27. Juni 2001 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Hildesheim erhoben mit dem Antrag, festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 5. April 2000 um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Das SG hat von Amts wegen das chirurgische Gutachten des Dr. E. vom 15. April 2002 eingeholt. Dieser Sachverständige hat zusammenfassend ausgeführt, am 5. April 2000 sei es zu einer Zerrung des inneren Seitenbandes (des rechten Knies) gekommen. Diese Verletzung sei mit Elongation des inneren Seitenbandes ausgeheilt. Auf Dauer sei eine geringfügige Bandlockerung verblieben, die problemlos und vollständig muskulär kompensiert werden könne. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - sei mit unter 10 v.H. einzuschätzen. Die Beklagte hat dem Ergebnis des Gutachtens zugestimmt und einen Arbeitsunfall anerkannt. Der Kläger hat dieses Anerkenntnis als "Teil-Anerkenntnis" angenommen und erklärt, dass der Prozess hinsichtlich der Höhe der MdE weitergeführt werde. Anschließend hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - das orthopädische Gutachten des Dr. F. vom 3. Januar 2003 eingeholt. Dieser Sachverständige hat im Bereich des rechten Kniegelenks einen "Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik mit sehr gutem funktionellen Ergebnis, degenerative Meniskusveränderungen und zweit- bis drittgradige Knorpelschäden des Femoropatellargelenks ohne relevante Schmerzsymptomatik" diagnostiziert. Er hat angenommen, das Ereignis vom 5. April 2000 habe diese Gesundheitsstörungen vorübergehend verschlimmert. Seit dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bestehe keine MdE mehr. Der Kläger hat daraufhin den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (Schriftsätze vom 13. April und 6. März 2003): Schon wegen der Nichtanerkennung des Arbeitsunfalls hätte Klage erhoben werden müssen. Daher habe die Beklagte auch die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Mit Beschluss vom 15. Mai 2003 hat das SG entschieden, dass die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt: Nach Annahme des Anerkenntnisses habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Verfahren weitergeführt und die Feststellung einer höheren MdE zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung begehrt. Insoweit liege eine Klageerweiterung vor, der die Beklagte nicht widersprochen habe. Mit diesem Ziel sei der Kläger nicht durchgedrungen, sodass eine hälftige Kostentragung sachgerecht sei.

4

Gegen diesen ihm am 22. Mai 2003 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 27. Mai 2003 Beschwerde eingelegt. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe die gesamten außergerichtlichen Kosten zu tragen. Sein Klageziel, das Ereignis vom 5. April 2000 als Arbeitsunfall zu qualifizieren, habe er erreicht. Auf Grund der vorhandenen Beschwerden habe er einen Beweisantrag nach § 109 SGG stellen dürfen. Die Feststellung der MdE folge zwingend aus der Feststellung eines Arbeitsunfalls. Darin liege keine Klageerweiterung, sondern eine Vervollständigung des Ergebnisses.

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Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

6

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

7

II.

Die statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Kostenentscheidung des SG, die dieses nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hatte, ist nicht zu beanstanden. Endet das Verfahren - wie hier - anders als durch Urteil und entscheidet das Gericht demgemäß durch Kostenbeschluss (§ 193 Abs. 1 S. 3 SGG), so ist für die Kostenentscheidung das Veranlassungsprinzip und der summarisch zu beurteilende voraussichtliche Verfahrensausgang auf Grund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens maßgebend (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 193 Rdn. 13; LSG Hessen, Breithaupt 2003, 470 f. m.w.N.). Das SG hat diesen Beurteilungsmaßstab bei seiner Ermessensentscheidung über die Kosten Rechnung getragen und sachgerecht entschieden, dass die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat.

8

Die nach dem eindeutigen Klageantrag zunächst nur anhängige Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls - sie ist entsprechend § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, Kap. IV Rdn. 89 m.w.N.) - ist durch das dem Beweisergebnis Rechnung tragende angenommene Anerkenntnis erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG), sodass der insoweit unterlegenen Beklagten Kosten aufzuerlegen waren. Andererseits war auch der Kläger teilweise unterlegen: Er hatte seine Klage hinsichtlich der Feststellung der unfallbedingten MdE in zulässiger Weise gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG erweitert und war insoweit nicht erfolgreich. Entgegen seiner Auffassung handelte es sich nicht nur um eine "Vervollständigung" der ursprünglichen Feststellungsklage. Denn die auf Feststellung eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII gerichtete Klage hat nichts mit der Feststellung der Höhe der MdE zu tun. Sie setzt lediglich ein Rechtsschutzbedürfnis voraus, das jedoch - abgesehen von unbedeutenden Bagatellverletzungen - regelmäßig gegeben ist. Die MdE ist hingegen für die Frage von Bedeutung, ob der Verletzte auf Grund des Arbeitsunfalls einen Anspruch auf Verletztenrente hat (vgl. § 56 SGB VII). Die isolierte Feststellung einer nicht rentenberechtigenden MdE ist demgemäß nicht möglich. Anspruch auf eine verbindliche Feststellung einer MdE besteht nur in Verbindung mit einer Rentengewährung (vgl. BSGE 55, 32, 35 = SozR 2200 § 581 Nr. 17). Somit ist die Klageerweiterung als Antrag auf Verurteilung der Beklagten auch zur Zahlung einer Verletztenrente aufzufassen. Diese Auslegung trägt dem Sach- und Streitstand Rechnung. Danach wollte sich der Kläger nicht mit der von Dr. E. angenommenen und anerkannten Feststellung einer geringfügigen, die Erwerbsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigenden unfallbedingten Bandlockerung zufrieden geben (vgl. den Schriftsatz vom 20. Juni 2002). Aus den vorliegenden Gutachten geht indessen übereinstimmend hervor, dass es sich bei den außerdem vorliegenden vergleichsweise erheblicheren Knieschäden des Klägers (Kreuzband, Menisken und Knorpel) nicht um unfallbedingte Gesundheitsstörungen handelt. Folglich ist es angemessen, dass die Beklagte dem Kläger nur die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten hat.

9

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).