Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.08.2003, Az.: L 9 U 33/01
Weitergeltung bereits aufgehobener Vorschriften des Sozialrechts ; Feststellung einer Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. Lendenwirbelkörper mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK, sowie eine Unterschenkelvenenthrombose rechts als Folgen eines Arbeitsunfalles ; Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 30 von Hundert der Vollrente; Innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten, sowie zwischen diesem und dem Unfall und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen; Beweis der Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 14.08.2003
- Aktenzeichen
- L 9 U 33/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21051
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0814.L9U33.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - AZ: S 11 U 92/99
Rechtsgrundlagen
- § 212 SGB VII
- § 547 RVO
- § 8 SGB VII
- § 109 SGG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Erforderlich für Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist, dass es infolge der versicherten Tätigkeit zu einem Arbeitsunfall kommt, d.h. zu einem plötzlich auf den Körper einwirkenden Ereignis, das seinerseits zu einem unmittelbaren Gesundheitsschaden, dem so genannten Primärschaden, führt (haftungsbegründende Kausalität).
- 2.
Sind die genannten Voraussetzungen für einen Versicherungsfall erfüllt, so sind unter den weiteren Erfordernissen der einzelnen Leistungsfälle als Folgeschäden auch solche Unfallfolgen zu entschädigen, die ihrerseits ursächlich auf die eingetretenen Primärschäden zurückzuführen sind (haftungsausfüllende Kausalität).
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Berufungskläger begehrt die Feststellung einer Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. Lendenwirbelkörpers - LWK - mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK sowie eine Unterschenkelvenenthrombose rechts als Folgen seines Arbeitsunfalles vom 01. November 1994 und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von mindestens 30 v.H. der Vollrente.
Der 1960 geborene Berufungskläger hat den Beruf eines Maurers erlernt. 1987 wurde er zum Kranführer umgeschult.
Am 01. November 1994 fiel dem Berufungskläger auf einer Baustelle seines Arbeitgebers, der Fa. D. in Hattorf bei Schalungsarbeiten ein Holzträger mit einem Gewicht von ca. 30 bis 40 kg in den Rücken. Er arbeitete zunächst weiter und suchte nach Arbeitsende gegen ca. 17.30 Uhr den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. auf. Dieser überwies ihn gegen 19.00 Uhr in das F. Duderstadt. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Chirurgen Dr. G., F., vom 02. November 1994 wurde als Befund eine umschriebene Klopf- und Druckempfindlichkeit im Bereich der LWS mit Muskelhartspann mit Ausstrahlung der Schmerzen in das linke Bein erhoben. Die Röntgenuntersuchung der LWS in zwei Ebenen ergab eine Steilstellung ohne Anhalt für eine knöcherne Verletzung. Diagnostiziert wurde eine Stauchung der LWS. Nach Verordnung von Analgetika und Schonung wurde der Berufungskläger in die ambulante Behandlung entlassen. Die Berufungsbeklagte führte eine medizinische Sachaufklärung durch. Insbesondere holte sie den Krankheitsbericht des Arztes für Orthopädie Dr. H. vom 12. Juli 1995, die spinalen Computertomographien der radiologischen Gemeinschaftspraxis Göttingen, Dr. I., vom 05. Januar 1995 und 17. März 1995 nebst Arztbriefe der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Zentrum Neurologische Medizin, der J. Göttingen vom 22. März und 08. Mai 1995, den Entlassungsbericht der Fachkliniken K. vom 31. August 1995 über die stationäre Behandlung des Berufungsklägers vom 20. Juni bis zum 18. Juli 1995, die MRT der LWS vom 15. Januar 1996 und vom 15./17. Juli 1996 ein. Darüber hinaus zog die Berufungsbeklagte Auskünfte betreffend die Krankheitszeiten des Berufungsklägers der Krankenkasse für Bau- und Holzberufe - HZK - und der AOK, die Arztbriefe der Klinik Dr. L. vom 03. Februar 1987, der Radiologen Dres. M. vom 27. September 1985, der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der J. Göttingen vom 29. Dezember 1986, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von der HZK N. und der AOK O., Geschäftsstelle P., den Bericht des behandelnden Arztes zum Antrag auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation, Dr. H., vom 18. Januar 1995 bei.
Bei der konservativen Behandlung des Berufungsklägers nach seinem Unfall trat zunächst eine leichte Besserung der Rückenbeschwerden ein. Im März 1995 verschlechterte sich jedoch das Krankheitsbild des Berufungsklägers. Die spinale Computertomographie vom 05. Januar 1995 ergab noch eine lediglich ausgeprägte spondylotische Randkantenbildung nach dorsal und linkslateral in Höhe von L3/L4 mit konsekutiv knöchern eingeengtem Neuroforamen, zusätzliche geringe allseitige Bandscheibenprotrusion, ganz geringe Bandscheibenprotrusion nach dorsal und beidseits lateral, einen Zustand nach Bandscheiben-OP mit Bogendefekt L5 links und eine breitbasige knöcherne Konsolenbildung medio-dorsal mit einer Tiefe um 3,9 mm in Höhe von L5/S1. Die MRT der LWS vom 16. März 1995 ergab hingegen einen dringenden Verdacht auf nach caudal sequestrierten Discusprolaps in Höhe von L3/L4 mit deutlich narbiger Umgebungsreaktion und höhergradiger Stenosierung des Spinalkanals, einen schlaffen links medio-lateralen Discusprolaps in Höhe L4/L5 (deutliche Protrusion) und eine geringgradige medio-dorsale Discusprotrusion in Höhe von L2/L3 sowie L5/S1. Anlässlich des stationären Aufenthaltes des Berufungsklägers vom 23. März bis zum 08. Mai 1995 in der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der J. Göttingen wurde eine erweiterte interlaminäre Fensterung am 28. März 1995, eine Bandscheibenausräumung und eine Antithrombose-Therapie durchgeführt (Entlassungsbericht vom 08. Mai 1995). Im stationären Verlauf erlitt der Berufungskläger eine Unterschenkelvenenthrombose, die bis November 1995 medikamentös behandelt werden musste.
Die Berufungsbeklagte holte das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. Q./ Prof. Dr. R. vom 17. April 1996 ein. Dieser führte in seinem Gutachten u.a. aus, dass bei dem Berufungskläger bereits 1986 eine Bandscheibenoperation L4/L5 durchgeführt worden sei. Seit dieser Operation sei er mehrmals pro Jahr wegen Bandscheibenbeschwerden in Behandlung gewesen, habe Spritzen bekommen und sei deswegen auch mehrfach arbeitsunfähig gewesen. Nach dem Inhalt des Gutachtens kam es auf Grund des Unfalls vom 01. November 1994 zu einer schweren Prellung der LWS des Berufungsklägers. Als unfallfremde Erkrankungen stellte Prof. Dr. Q. ein chronisches Bandscheibenleiden der LWS mit Bandscheibenvorfall L 4/L5 und degenerative Veränderungen der LWS und geringgradige degenerative Veränderungen der Brustwirbelsäule - BWS - fest. Eine richtungsgebende Verschlimmerung des vorbestehenden Bandscheibenleidens sei möglich, diese Frage könne jedoch nur in Kenntnis des operativen Befundes und der histologischen Ergebnisse durch eine weitere neurochirurgische Begutachtung geklärt werden. Darauf holte die Berufungsbeklagte das neurochirurgische Zusatzgutachten des Dr. S.Dr. T. vom 09. Dezember 1996 ein. Diese führten aus:
Entscheidend für die Anerkennung eines Unfalls als Ursache eines Bandscheibensyndroms sei der Unfallhergang. Die von außen kommende erhebliche Gewalteinwirkung sei aus folgenden Gründen als auslösender Faktor des Bandscheibenvorfalls anzuerkennen:
Die Exazerbation der Beschwerdesymptomatik unmittelbar nach dem Unfall mit anhaltenden Schmerzen bis zur Operation, der kernspintomographische Befund, der einen erheblichen sequestrierten Bandscheibenvorfall in Höhe L3/4 mit Einengung des Spinalkanals gezeigt habe, und der intraoperative Befund mit Feststellung von multiplen freien, größeren und kleineren Bandscheibensequestern.
Danach bestehe ihres Erachtens eine richtungsgebende Verschlimmerung eines degenerativen Vorschadens. Durch das äußere Ereignis seien nachweisbare Bandscheibensequester entstanden, die zu den erwähnten Beschwerden und klinischen Symptomen geführt und vermehrte Beschwerden hervorgerufen hätten. Daraufhin holte die Berufungsbeklagte die Stellungnahmen ihres beratenden Arztes Dr. U. vom 05. Februar 1997, die zusammenfassende Stellungnahme zum unfallchirurgischen Gutachten vom 17. April 1996 durch Prof. Dr. R., J. Göttingen, Klinik für Unfallchirurgie, plastische und Wiederherstellungschirurgie, vom 23. März 1997 und die weitere Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. U. vom 23. April 1997 ein. Mit Bescheid vom 16. Juni 1997 lehnte die Berufungsbeklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass ein Zusammenhang zwischen dem angegebenen Unfall und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Als Unfallfolge werde anerkannt eine Stauchung der Lendenwirbelsäule. Die festgestellten Gesundheitsstörungen "Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. LWK mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK, Unterschenkelvenenthrombose rechts" könnten nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 01. November 1994 anerkannt werden. Es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang im Rechtssinne zwischen dem Arbeitsunfall vom 01. November 1994 und der Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. LWK mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK sowie der Unterschenkelvenenthrombose rechts. Dieser Schaden beruhe im Wesentlichen auf einer bereits zuvor vorhanden gewesenen Schädigung bzw. Erkrankung in dem betroffenen Bereich. Das Ereignis sei nicht geeignet gewesen, einen Schaden dieser Art und dieses Umfanges herbeizuführen. Hierbei handele es sich lediglich um eine Gelegenheitsursache, die den Schaden lediglich ausgelöst habe. Der Schaden hätte in gleicher Weise durch alltägliche Verrichtungen ausgelöst werden können. Ein solcher Schaden sei nicht dem Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen. Bereits vor dem Unfall habe der Berufungskläger seit Jahren Bandscheibenerkrankungen gehabt. Ein Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK hätte bereits 1986 operiert werden müssen. Die belanglose Prellung am 01. November 1994 sei nicht geeignet gewesen, die erwähnten Bandscheibenerkrankungen zu verursachen oder zu verschlimmern. Der Unfall habe Folgen von Krankheitswert nicht hinterlassen.
Hiergegen legte der Berufungskläger Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Aus dem neurochirurgischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. V. ergebe sich, dass das Ereignis vom 01. November 1994, bei dem eine von außen kommende erhebliche Gewalt (Holzträger von ca. 30 bis 40 kg Gewicht, der in den Rücken gefallen sei), auf den Berufungskläger eingewirkt habe, als auslösender Faktor des Bandscheibenvorfalls anzuerkennen sei. Dafür sprächen das unmittelbare Wiederauftreten der Beschwerdesymptomatik unmittelbar nach dem Unfall mit anhaltenden Schmerzen bis zur Operation und die sowohl mittels Kernspintomographie als auch im Rahmen der Operation festgestellten abgestorbenen Bandscheibenbruchstücke mit Einengung des Rückenmarkkanals. Nach Meinung von Prof. Dr. V. habe das Ereignis vom 01. November 1994 zu einem nachweisbaren Bandscheibenschaden mit seinen klinischen Symptomen im Sinne einer richtungsgebenden Verschlimmerung eines degenerativen Vorschadens geführt. Prof. Dr. Q. habe in seiner zusammenfassenden Stellungnahme die Auffassung des Prof. Dr. V. bestätigt. Nach dessen Meinung sei zusätzlich die im Rahmen des stationären Aufenthaltes wegen der Bandscheibenoperation aufgetretene Beinvenenthrombose rechts und deren Folgen als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls anzusehen.
Die Berufungsbeklagte holte das unfallchirurgische Gutachten des Dr. W. vom 10. Mai 1998 ein. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Unfallereignis nicht geeignet gewesen sei, den vorbestehenden Bandscheibenschaden richtungsgebend zu verschlimmern. Bei dem damals 25-jährigen Berufungskläger seien bereits 1985, also 9 Jahre vor dem angeschuldigten Ereignis, Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L3/4 und L4/5 sowie eine Protrusion im Segment L5/S1 computertomographisch nachgewiesen worden. Bei dem Berufungskläger sei somit von einer anlagebedingten vorauseilenden Bandscheibenerkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule auszugehen. Bei dem Unfall vom 01. November 1994 sei es allenfalls zu einer Prellung der LWS gekommen, die allerdings nicht erheblich gewesen sei, weil die Arbeit zunächst habe weitergeführt werden können. Nach dem im Durchgangsarztbericht erhobenen Befund könne eine erhebliche Gewalteinwirkung auf den Rücken im Sinne einer Prellung nicht wahrscheinlich gemacht werden. Es habe sich nicht die Spur einer Schwellung oder einer Blutergussverfärbung gefunden. Die kernspin- und computertomographischen Befunde aus den Jahren 1985, 1986 und 1995 mit den Nachweisen zunehmender Bandscheibenschäden in den Segmenten L2/3 bis L5/S1 würden zweifelsfrei belegen, dass zum Unfallzeitpunkt ein degenerativer Bandscheibenvorfall in dem Segment L3/4 bestanden habe. In diesem Sinne könne das Ereignis vom 01. November 1994 auch als austauschbar mit anderen Lebenssituationen gelten und werde dadurch zu einer Gelegenheitsursache, in deren Folge sich dann erneut zunehmende ischialgiforme Reizsymptome eingestellt hätten. Das Unfallereignis könne das Grundleiden "degenerative Bandscheibenerkrankung" somit allenfalls vorübergehend, keineswegs jedoch richtungsweisend verschlimmert haben. Die LWS-Prellung sei folgenlos ausgeheilt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 1999 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Berufungskläger am 06. Juli 1999 Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der ursächliche Zusammenhang zwischen seinem Rückenleiden und dem Arbeitsunfall ergebe sich insbesondere aus dem Gutachten des Dr. X. vom 09. Dezember 1996. Dieser habe in seinem für die Nürnberger Versicherungs-AG erstellten Gutachten vom 13. Oktober 1998 eine MdE auf Dauer von 40 v.H. angenommen. Abzüglich einer Vorschädigung von 10 v.H. sei wegen des gesamten Unfallschadens eine MdE von 30 v.H. anzusetzen.
Das SG hat zur weiteren medizinischen Sachaufklärung sechs Röntgenaufnahmen von Dr. H. beigezogen und das Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. Y. vom 30. August 2000 nach einer ambulanten und röntgenologischen Untersuchung des Berufungsklägers eingeholt. Dr. Y. kam gutachterlich zu dem Ergebnis, dass eine Verursachung oder eine wesentliche Mitverursachung der Bandscheibenerkrankung des Berufungsklägers im Bereich der LWS durch den Unfall vom 01. November 1994 ausscheide, weil es sich um ein bereits seit 1984 chronisches Krankheitsbild handele. Die chronische Lumboischialgie beidseits bei Osteochondrose der LWS und Zustand nach mehrfacher Nucleotomie mit sensibler und motorischer Residualsymptomatik L5 links sei als Vorschaden anzusehen. Eine dauerhafte Verschlimmerung durch das Unfallgeschehen könne nicht festgestellt werden, was mit dem fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Feststellung des Bandscheibenvorfalls L3/L4 zu begründen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2000 hat das SG Hildesheim, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.
Gegen den ihm am 02. Januar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Berufungskläger am 25. Januar 2001 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Durch das Unfallereignis mit einem Stoß durch den Holzträger auf die Lendenwirbelsäule sei ein Bandscheibenschaden verursacht worden, der schließlich habe operiert werden müssen. Das im Auftrag der Berufungsbeklagten erstellte neurochirurgische Zusatzgutachten des Dr. X. vom 09. Dezember 1996 bestätige, dass das Unfallereignis eine richtunggebende Verschlimmerung eines bestehenden Vorschadens ausgelöst habe und der Bandscheibenvorfall LWK 3/4 als Unfallfolge festzustellen sei. Seine Beschwerden hätten mit dem Unfallereignis eingesetzt und seien trotz intensiver ambulanter Behandlung auch nicht wieder abgeklungen.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hildesheim vom 15. Dezember 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 1999 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 01. November 1994 die bestehende Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. LWK mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK sowie eine Unterschenkelvenenthrombose rechts festzustellen,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 01. November 1994 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von wenigstens 30 v.H. der Vollrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Berufungsbeklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes auf Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 SGG das fachchirurgische Gutachten des Dr. Z. vom 06. September 2001 und das neurologische Gutachten des Privatdozenten (PD) Dr. AB. vom 28. Dezember 2001 - jeweils nach ambulanter Untersuchung des Berufungsklägers - eingeholt. Sowohl Dr. Z. als auch der PD Dr. AB. führen aus, dass das Unfallgeschehen vom 01. November 1994 die degenerativen Veränderungen der LWS mit Bandscheibenerkrankungen im Bereich des 2. bis 5. LWK sowie insbesondere einen Bandscheibenvorfall in Höhe L3 und L4 und eine Unterschenkelvenenthrombose rechts weder ursächlich ausgelöst noch richtungweisend verschlimmert hat. Durch den Unfall vom 01. November 1994 habe der Berufungskläger lediglich eine Prellung im Bereich der LWS erlitten. Eine unfallbedingte MdE infolge des Unfalls vom 01. November 1994 ergebe sich nicht. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 31. Dezember 1994 bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf die Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges, auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Berufungsbeklagten Bde. 1 - 3 und auf den Inhalt der beigezogenen Prozessakten LSG Nds.-Bremen zu dem Az.: L 9 U 567/02, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Gem. §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 i.Vm. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ist der Rechtsstreit im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden/Berichterstatter als Einzelrichter entschieden worden.
Die gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gem. §§ 143 f SGG statthafte Berufung ist zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Mit dem von dem Berufungskläger angefochtenen Gerichtsbescheid hat das SG Hildesheim zutreffend die Klage abgewiesen; denn die von dem Berufungskläger angefochtenen Bescheide der Berufungsbeklagten sind rechtmäßig. Zu Recht hat die Berufungsbeklagte den Antrag des Berufungsklägers auf Feststellung weiterer Folgen seines Arbeitsunfalles vom 01. November 1994 und auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung abgelehnt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 01. November 1994 und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen, nämlich die Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. LWK mit Bandscheibenvorfall im Bereich des 3. und 4. LWK sowie eine Unterschenkelvenenthrombose, nicht wahrscheinlich gemacht werden kann.
Gem. § 212 Sozialgesetzbuch (SGB) - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII - sind vorliegend die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterhin anzuwenden; denn der vom Berufungskläger geltend gemachte Versicherungsfall datiert vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997.
Nach § 547 RVO besteht ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere auf Heilbehandlung und/oder Verletztenrente, nur nach Eintritt eines Versicherungsfalles. Dessen Eintritt setzt in der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine bestimmte Abfolge ursächlich miteinander verknüpfter Umstände und Ereignisse voraus (vgl. ohne sachliche Änderungen gegenüber § 548 RVO jetzt § 8 SGB VII). Erforderlich ist insoweit, dass es infolge der versicherten Tätigkeit zu einem Arbeitsunfall kommt, d.h. zu einem plötzlich auf den Körper einwirkenden Ereignis, das seinerseits zu einem unmittelbaren Gesundheitsschaden, dem so genannten Primärschaden, führt (haftungsbegründende Kausalität). Bleibt das Ereignis im Rechtssinne folgenlos, so liegt schon kein Unfall vor (vgl. im Einzelnen Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII Rdnr. 19 ff.). Sind hingegen die genannten Voraussetzungen für einen Versicherungsfall erfüllt, so sind unter den weiteren Erfordernissen der einzelnen Leistungsfälle als Folgeschäden auch solche Unfallfolgen zu entschädigen, die ihrerseits ursächlich auf die eingetretenen Primärschäden zurückzuführen sind (haftungsausfüllende Kausalität) (vgl. Ricke, a.a.O., § 26 Rdnr. 3). Um einen Versicherungsfall feststellen und dem Versicherten darüber hinaus bestimmte Leistungen zusprechen zu können, muss das Gericht die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse zur vollen Überzeugung, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, als zutreffend betrachten. Dies setzt eine so hohe Wahrscheinlichkeit voraus, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überblickender Mensch noch Zweifel hat (vgl. BSGE 80, 83; 6, 144; 7, 141; 32, 203; 45, 286). Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich des Unfallereignisses und seine für die Beurteilung der Schadensursächlichkeit bedeutsamen Einzelheiten. Es bedarf insoweit des Vollbeweises, bei dem der Versicherte die materielle Beweislast trägt. Lediglich für die Bejahung der jeweiligen Ursächlichkeit eines bewiesenen Umstandes, nämlich für die Ursachenzusammenhänge zwischen versicherter Tätigkeit, Unfall und Unfallfolgen, genügt der Maßstab hinreichender Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 32, 203; 207 ff; 61, 127). Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit erlaubt ein größeres Maß an Zweifeln, solange das deutliche Übergewicht für die zu beweisende Tatsache spricht: Ein Ursachenzusammenhang ist dann wahrscheinlich, wenn nach Feststellung, Prüfung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - im sozialmedizinischen Bereich auch unter Berücksichtigung (nur) der gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse - insgesamt deutlich mehr für als gegen das Bestehen des Ursachenzusammenhanges spricht (Erlenkämper/Fichte SozR 5. Aufl. 2003, S. 90). Die bloße Möglichkeit einer Tatsache einschließlich des Ursachenzusammenhangs reicht jedoch nicht aus.
Das SG hat in seinem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2000 im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass der Berufungskläger am 01. November 1994 lediglich eine Prellung der LWS erlitten habe und die darüber hinaus festgestellte Bandscheibenerkrankung sowie die Unterschenkelvenenthrombose rechts nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Y. vom 30. August 2001 nicht rechtlich wesentlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf diesen Arbeitsunfall zurückgeführt werden könnten - weder im Sinne der Entstehung dieses Leidens noch im Sinne einer richtungsgebenden Verschlimmerung. Das Unfallgeschehen, der Direktanprall eines Holzträgers von hinten auf die LWS, ist nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen des SG kein typischer Auslöser einer Bandscheibenmassenverlagerung. Zwar schließt danach der Unfallhergang eine Einflussnahme auf das Krankheitsgeschehen nicht aus, jedoch ist auf Grund der Einwirkung mit dem Direktanprall von hinten ein Zusammenhang unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass das Krankheitsbild bereits 1984 zum Ausbruch gekommen ist und mit einem typisch primär-chronischen Verlauf einhergegangen ist. Im Übrigen fehlt es an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Feststellung des Bandscheibenvorfalls im Segment L3/L4. Die am 05. Januar 1995, also fünf Wochen nach dem Unfall, durchgeführte Computertomographie hat noch einen Bandscheibenvorfall in L3/L4 ausgeschlossen.
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug.
Neue Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung führen könnten, sind im Berufungsverfahren nicht zu Tage getreten.
Soweit der Berufungskläger weiterhin geltend macht, dass durch das Unfallereignis mit einem Stoß durch den Holträger auf die Lendenwirbelsäule ein Bandscheibenschaden mit anschließender Operation verursacht worden sei und dies durch das neurochirurgische Zusatzgutachten des Dr. X. vom 09. Dezember 1996 und durch die zusammenfassende Stellungnahme des Prof. Dr. R. vom 23. März 1997 in dem Sinne bestätigt werde, dass das Unfallereignis eine richtungsgebende Verschlimmerung eines bestehenden Vorschadens ausgelöst habe, vermag der Senat dem im Ergebnis nicht zu folgen.
Im Berufungsverfahren ist auf Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 SGG weitere medizinische Sachaufklärung durchgeführt worden durch Einholung der Gutachten des Dr. Z. vom 06. September 2001 und des PD Dr. AB. vom 28. Dezember 2001 jeweils nach ambulanter Untersuchung des Berufungsklägers. Sowohl Dr. Z. als auch Dr. AB. kommen im Rahmen ihrer gutachterlichen Äußerung eindeutig und unzweifelhaft zu dem Ergebnis, dass als Primärschaden nur eine Flankenprellung eingetreten ist und dass das Unfallgeschehen nicht die degenerativen Veränderungen des Berufungsklägers im Bereich der LWS mit Bandscheibenerkrankung im Bereich des 2. bis 5. LWK sowie den Bandscheibenvorfall in Höhe L3/L4 nebst Unterschenkelvenenthrombose ausgelöst noch richtungweisend verschlimmert.
Auch nach der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweiserhebung steht danach zur Überzeugung des erkennenden Gerichtes fest, dass der Berufungskläger am 01. November 1994 bei versicherter Tätigkeit einen Arbeitsunfall erlitten hat, indem anlässlich von Ausschäumungsarbeiten ein Holzträger sich löste und ihm gegen den Rücken schlug, wodurch er unzweifelhaft eine Stauchung der LWS erlitten hatte. Anlässlich dieses Unfalls vom 01. November 1994 hat der Berufungskläger, wie auch von Dr. Z. und Dr. AB. in ihren Gutachten schlüssig dargelegt worden ist, unfallbedingt lediglich eine LWS-Prellung, allerdings ohne weiter gehende unfallbedingte Schädigung der Bandscheibe oder der lumbalen Nervenwurzeln erlitten. Beide Gutachter weisen ausdrücklich in ihren Gutachten auf die Vorschädigung der Wirbelsäule des Berufungsklägers im LWS-Bereich hin, sodass die von dem Berufungskläger geltend gemachten und streitigen weiteren Gesundheitsschäden im Bereich der LWS mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht der unfallbedingten LWS-Prellung, sondern vielmehr dem unfallunabhängigen degenerativen Wirbelsäulenleiden des Berufungskläger anzulasten sind.
Den Ausführungen des Dr. X. in dessen neurochirurgischem Zusatzgutachten vom 09. Dezember 1996 und der zusammenfassenden Stellungnahme zum unfallchirurgischen Gutachten vom 17. April 1996 durch Prof. Dr. R. kann nach Überzeugung des Senates nicht gefolgt werden. Hiergegen spricht bereits zum Einen, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung des Berufungsklägers im Bereich seiner LWS bereits 1984 erstmals ärztlich dokumentiert worden ist und mit einem typisch primär-chronischen Verlauf sich fortentwickelte. Bereits 1986 ist der Berufungskläger im Bereich der LWK L4/5 operiert worden und Bandscheibenmaterial entfernt worden. Auch Dr. Y. hat - wie auch Dr. Z. und Dr. AB. - gutachtlich ausgeführt, dass das Unfallgeschehen weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne einer Verschlimmerung geeignet war, eine Bandscheibenmassenverlagerung herbeizuführen. Die chronische Lumboischialgie beidseits bei Osteochondrose der LWS und Zustand nach mehrfacher Nucleotomie mit sensibler und motorischer Residualsymptomatik L5 links ist danach als Vorschaden anzusehen. Eine dauerhafte Verschlimmerung durch das Unfallgeschehen kann nach dem Inhalt dieses Gutachtens nicht festgestellt werden, was insbesondere durch den fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Feststellung des Bandscheibenvorfalls L3/L4 erst im März 1995 nachgewiesen ist, obgleich eine bilddarstellende Untersuchung im Januar 1995 noch keinen Nachweis einer solchen Erkrankung erbracht hatte. Dies spricht eindeutig gegen die Ausführungen des Dr. X. und des Dr. R.; denn die am 05. Januar 1995 durchgeführte Computertomographie hatte einen Bandscheibenvorfall im Bereich L3/L4 ausgeschlossen. Dies bedeutet unzweifelhaft, dass der bildtechnisch nachgewiesene Bandscheibenvorfall erst nach dem 05. Januar 1995 eingetreten sein kann. Der Direktanprall eines Trägers - wie vorliegend geschehen - auf den Bereich der LWS ist im Übrigen auch kein typischer Auslöser einer Bandscheibenmassenverlagerung, zu deren Auslösung nach dem Gutachten des Dr. Y. eine axiale, d.h. in Richtung der Körperlängsachse einwirkende Kraft zu fordern ist. Der Unfallhergang als solcher macht jedoch auf Grund der Einwirkung mit dem Direktanprall von hinten den Zusammenhang zwischen dem Unfall und der degenerativen Bandscheibenerkrankung des Berufungsklägers unwahrscheinlich.
Nach Auswertung insbesondere der im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten der Dres. Y., Z. und AB. ist dem Berufungskläger der Nachweis nicht gelungen, dass seine Bandscheibenerkrankung im Bereich der LWS sowie die Unterschenkelvenenthrombose Folgen des Arbeitsunfalles vom 01. November 1994 sind. Vielmehr ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Bandscheibenerkrankung schicksalsmäßig entstanden ist und durch den Arbeitsunfall lediglich kurzfristig verschlimmert worden ist. Eine dauerhafte richtunggebende Verschlimmerung des Vorschadens des Berufungsklägers im Bereich seiner LWS hat sich nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachweisen lassen können.
Die im Rahmen des Unfalles vom 01. November 1994 erlittene Prellung im Bereich der LWS des Berufungsklägers bedingt keine unfallbedingte MdE, sondern hat nur zu einer kurzfristigen Arbeitsunfähigkeit geführt und ist folgenlos abgeklungen. Insoweit wird auf die im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten übereinstimmenden Gutachten der Dres. Y., Z. und AB. Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Von der Auferlegung von Verschuldenskosten ist aus formellen Gründen gem. § 192 Abs. 1 Ziff. 2 SGG abgesehen worden.
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.