Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.08.2003, Az.: L 9 U 157/01

Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit und Entschädigung; Weitergeltung bereits aufgehobener Vorschriften des Sozialrechts; Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze als Berufskrankheiten ; Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren ; Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Gesundheitsstörung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.08.2003
Aktenzeichen
L 9 U 157/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21050
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0814.L9U157.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - AZ: S 6 U 138/98

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes, sowie der Sehnen- oder Muskelansätze können als Berufskrankheiten anerkannt werden, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren.

  2. 2.

    Als wesentliche Ursache oder Mitursache für einen Körperschaden kannein Arbeitsunfall auch in der Gestalt einer Berufskrankheit nur dann anerkannt werden, wenn anhand der geltenden naturwissenschaftlichen Lehrmeinung im individuellen Einzelfall ein konkreter Wirkungsmechanismus nachvollzogen werden kann, auf Grund dessen der Arbeitsunfall den Körperschaden mit Wahrscheinlichkeit herbeigeführt hat.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob linksseitige Armbeschwerden der Berufungsklägerin als Folge einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) anzuerkennen und zu entschädigen sind.

2

Die im Februar 1939 geborene Berufungsklägerin war seit dem 02. April 1970 bei der Fa. C. als angelernte "Abnehmerin" in der Produktion von Papiersäcken beschäftigt. Dabei wurde sie weit überwiegend an verschiedenen "Papiersackbodenlegern" eingesetzt. Sie hatte dabei die Aufgabe, maschinell produzierte Papiersäcke aus einem abgeschrägten Auffangtisch gestapelt auf einen angrenzenden Packtisch herüber zu ziehen, die Stapel auf deren Kante gewendet bündig zu stoßen, auf schadhafte Papiersäcke hin durchzublättern, den Stapel sodann auf eine seitlich stehende Bündelmaschine zu heben, den Bündelungsvorgang durch Pedaldruck auszulösen und schließlich das gebündelte Sackpaket in einem ca. 2 m entfernten Hubschacht auf einer Euro-Palette in 10 bis 20 Lagen abzulegen. Diese Arbeiten waren stehend in Bauchhöhe auszuführen. In welcher Frequenz und unter Bewegung welcher Gewichte sie durchgeführt wurden, ist zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig. Während der Technische Aufsichtsdienst - TAD - der Berufungsbeklagten insoweit auf der Grundlage der von der Arbeitgeberin gemachten Angaben ermittelt hat, dass durchschnittlich drei Papiersackstapel pro Minute mit einem Gewicht zwischen 1,93 und 10,625 kg von zwei "Abnehmerinnen" im Wechsel zu bewegen gewesen sind, geht die Berufungsklägerin davon aus, während einer Arbeitsschicht bis zu 40 Paletten mit Papiersack-Stapeln von 10 bis 20 kg Gewicht in 10 bis 20 Lagen gefüllt zu haben.

3

Mitte Juni 1995 begab sich die Berufungsklägerin mit starken Schmerzen im Bereich des linken Ellenbogengelenks in ärztliche Behandlung. Während der zunächst konsultierte Chirurg Dr. D. kein klinisches Korrelat für die angegebenen Beschwerden fand (Befundbericht vom 14. Oktober 1996), diagnostizierte der anschließend aufgesuchte Chirurg Dr. E. eine Epicondylitis humeri radialis et ulnaris links ohne einen von der Berufungsklägerin vermuteten beruflichen Zusammenhang (Befundbericht vom 14. Oktober 1996). Auch unter der eingeleiteten Therapie blieb die Berufungsklägerin in der Folgezeit ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt (Mitteilung der Fa. C. vom 07. Oktober 1996). Unterdessen bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

4

Auf Veranlassung der Berufungsklägerin unterrichtete die Arbeitgeberin die Berufungsbeklagte im Oktober 1996 über den Vorgang. Soweit die Berufungsklägerin dabei zunächst geltend gemacht hatte, dass es sich bei dem Auftreten der Beschwerden um einen durch Anstoßen mit dem Ellenbogen verursachten Arbeitsunfall gehandelt habe, verzichtete sie mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 12. Mai 1997 auf eine diesbezügliche Fortsetzung des Verfahrens. Indessen begehrte sie, die aufgetretenen linksseitigen Armbeschwerden als Folge einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO anzuerkennen und durch Zahlung einer Verletztenrente zu entschädigen. Zur Begründung bezog sie sich auf ein Attest ihres behandelnden Arztes Dr. F. vom 22. April 1997, in dem dieser das Vorliegen eines Cervicobrachial-Syndroms beiderseits mit Epicondylitis radialis links und nachgewiesenen degenerativen HWS-Veränderungen mitteilte und einen Ursachenzusammenhang mit den körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz für möglich hielt. Die Berufungsbeklagte holte zur weiteren medizinischen Sachaufklärung das chirurgisch-arbeitsmedizinische Fachgutachten des Dr. G. vom 24. November 1997 ein, der darauf hinwies, dass bei der Berufungsklägerin irgendwelche Erkrankungen der Sehnen oder Sehnengleitlager bisher nicht objektiviert seien. Demgegenüber bestehe kein Zweifel, dass bei der Berufungsklägerin ein HWS- und Schulter-Arm-Syndrom vorliege. Diese körpereigene Erkrankung bilde die alleinige Ursache für die im Bereich von Schultern und Armen auftretenden Beschwerden, die im Übrigen auch psychisch überlagert seien. Bei den von der Berufungsklägerin am Arbeitsplatz ausgeübten Tätigkeiten handele es sich um übliche, nicht besonders beanspruchende Frauenarbeiten. Auch der Faktor mangelnder Gewöhnung könne insoweit nicht herangezogen werden, als die Beschwerden erst nach jahrelanger Ausübung der beruflichen Tätigkeit aufgetreten seien.

5

Mit Bescheid vom 28. Januar 1998 lehnte daraufhin die Berufungsbeklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen für eine Anerkennung als BK erfüllt seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1998 zurück.

6

Zur Begründung ihrer am 29. Juli 1998 erhobenen Klage hat die Berufungsklägerin unter Schilderung weiterer Einzelheiten ihres Arbeitsplatzes im Wesentlichen geltend gemacht, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO im Gegensatz zur Auffassung der Berufungsbeklagten erfüllt seien. Mit seinem klagabweisenden Urteil vom 20. März 2001 ist indessen das Sozialgericht dieser Auffassung nicht gefolgt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die medizinischen Voraussetzungen der BK vorlägen. Die Berufungsklägerin habe nämlich nicht unter Arbeitsbedingungen gearbeitet, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein könnten. Solche Arbeitsbedingungen könnten ausschließlich einseitig belastende und ungewohnte Tätigkeiten sein. Auch nach ihrer eigenen Beschreibung habe die Berufungsklägerin jedoch solche Tätigkeiten nicht ausgeübt. So habe sie danach zum Teil schwere Tätigkeiten verrichtet, bei denen aber keine länger andauernden einseitigen Belastungen aufgetreten seien.

7

Mit ihrer am 20. April 2001 eingelegten Berufung verfolgt die Berufungsklägerin ihr Begehren weiter. Sie vertieft ihr Vorbringen zu den für ihren Arbeitsplatz kennzeichnenden Arbeitsvorgängen und beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichtes Braunschweig vom 20. März 2001 sowie den Bescheid der Berufungsbeklagten vom 28. Januar 1998 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1998 aufzuheben,

  2. 2.

    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, eine linksseitige Epicondylitis als Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihr vom frühest möglichen Zeitpunkt Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

8

Die Berufungsbeklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie tritt der Sachdarstellung der Berufungsklägerin hinsichtlich der an ihrem Arbeitsplatz vorherrschenden Arbeitsbedingungen entgegen und hält ihre angefochtenen Entscheidungen sowie das erstinstanzliche Urteil für rechtmäßig.

10

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das orthopädische Fachgutachten des Dr. H. erstatten lassen, dessen schriftliche Fassung vom 8. September 2002 datiert. Auch dieser Sachverständige hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Berufungsklägerin und den geklagten Armbeschwerden verworfen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Unfallakten der Berufungsbeklagten Bezug genommen, die beigezogen worden und Gegenstand der Entscheidung des Senats wesen sind.

Entscheidungsgründe

11

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

12

Auf den Anspruch der Berufungsklägerin sind gem. § 212 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch (SGB VII) noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) weiterhin anzuwenden, da der geltend gemachte Versicherungsfall nur vor Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten sein kann. Allerdings kann der Versicherungsfall einer in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) unter einer zugehörigen Ordnungsziffer aufgeführten Erkrankung (Listenerkrankung) keinesfalls vor Erfüllung aller tatbestandlichen Merkmale dieser BK eintreten. Zu ihnen gehört bei der streitbefangenen BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO auch die Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten, die ihrerseits das endgültige und vollständige Verlassen des gefährdenden Arbeitsplatzes voraussetzt. Löst sich jedoch ein Versicherter, wie vorliegend die Berufungsklägerin, im Verlauf ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit vom bisherigen Arbeitplatz, so tritt die Tätigkeitsaufgabe bereits mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ein (BSG, Urt. v. 22. August 2000, AZ.: B 2 U 34/99 R, SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2, unter Hinweis auf BSGE 50, 187, 189). Der Versicherungsfall einer BK 2101 ist deshalb, soweit seine sonstigen Voraussetzungen vorliegen, im Falle der Berufungsklägerin nicht später als am 15. Juni 1995 eingetreten.

13

Anspruchsgrundlage für die begehrte Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKVO sind demgemäß §§ 547, 551 Abs. 1 RVO. Leistungen an Versicherte, insbesondere auch Verletztenrente, gewährt der Träger der Unfallversicherung hiernach bei Eintritt eines Arbeitsunfalls, der auch in einer Berufskrankheit bestehen kann. Berufskrankheiten sind dabei nach § 551 Abs. 1 Satz 2 und 3 RVO solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Bereits unter Geltung der RVO hat diese Verordnungsermächtigung nach deren § 551 Abs. 1 Satz 3 die Befugnis umfasst, die Anerkennung einer Listenerkrankung als Berufskrankheit auch davon abhängig zu machen, dass der Versicherte wegen der Berufskrankheit gezwungen gewesen ist, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben, und er diesem Unterlassungszwang auch tatsächlich nachgekommen ist (vgl. jetzt insoweit ohne sachliche Änderung § 9 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz SGB VII). Soweit nach Ziff. 2101 der Anlage zur BKVO Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze als Berufskrankheiten anerkannt werden können, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, begegnet die Rechtmäßigkeit der tatbestandlichen Anforderungen an die Anerkennungsfähigkeit als BK hiernach insgesamt keinen Bedenken.

14

Anders als das SG geht der Senat hinsichtlich dieser tatbestandlichen Merkmale der BK davon aus, dass die Voraussetzungen ihrer Anerkennung und Entschädigung im Fall der Berufungsklägerin erfüllt sind. Nach den gutachtlichen Feststellungen des im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. H. besteht bei der Berufungsklägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein chronischer Reizzustand am Ansatz der Unterarmstrecker; eine Erkrankung der Sehnen- oder Muskelansätze im Sinne der Nr. 2101 der Anlage zur BKVO liegt insoweit nachweislich vor. Des Weiteren hat die Berufungsklägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK, wie ausgeführt, auch insoweit erfüllt, als sie ihre Tätigkeit bei der Fa. C. nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ab 15. Juni 1995 nicht wieder aufgenommen und dadurch dem geforderten Unterlassungszwang genügt hat.

15

Der Senat hat schließlich in diesem Zusammenhang auch keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die Berufungsklägerin während ihrer langjährigen Tätigkeit bei der Fa. C. unter Arbeitsbedingungen gearbeitet hat, die generell geeignet gewesen sind, eine BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO hervorzurufen, sodass auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten BK gegeben sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige Dr. H. - insoweit in Übereinstimmung mit dem Vorgutachten des Dr. G. vom 24. November 1997 - im Ergebnis die Möglichkeit verworfen hat, dass es bei der Berufungsklägerin über den langjährigen Zeitraum ihrer Berufsausübung als "Abnehmerin" hinweg durch eine andauernde Wiederholung monotoner, einseitig beanspruchender Handreichungen zu der festgestellten Epicondylopathie habe kommen können, weil die Berufungsklägerin insoweit spezifisch gefährdenden Bewegungsabläufen nicht unterworfen gewesen sei (vgl. zu den einzelnen Ausprägungen solcher Tätigkeiten auch Merkblatt des BMA v. 18. Februar 1963, BarbBl Fachteil Arbeitsschutz 1963, 24, abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheitenverordnung, M 2101, Seite 4. Randnummer 4.1). Dr. H. hat nämlich zugleich darauf hingewiesen, dass auch im Falle der vorliegenden Epicondylopathie als weiterer Entstehungsmechanismus eine schon kurzfristig wirksame, gleichsam "unfallartige" Beanspruchung durch ungewohnte, übermäßig belastende Arbeiten zu einer chronischen Erkrankung der Sehnen- oder Muskelansätze und damit zugleich zu einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO führen könne (vgl. hiermit übereinstimmend zur Entstehung das Merkblatt d. BMA, a.a.O., S. 1 unter I, zweite Alternative unter Hinweis auf "ungewohnte Arbeiten aller Art"). Auch wenn hiernach vor allem sich rasch wiederholende, feinmotorische oder mit einer besonderen Auslenkung oder Drehbewegung des Handgelenks verbundene manuelle Tätigkeiten im Mittelpunkt der arbeitsmedizinischen Betrachtung stehen mögen (vgl. nochmals das Merkblatt d. BMA, a.a.O., Rdnr. 4.1), lässt gleichwohl die tatbestandlich offene Definition der BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO eine Beschränkung der rechtlichen Betrachtung auf solche Entstehungsweisen nicht zu. Dies gilt umso mehr, als nach den einleuchtenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. berufsbedingte Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze in etwa 2/3 aller anerkannten Fälle einer Berufserkrankung auf einer akuten Überlastungsreaktion durch ungewohnte und überlastend schwere Arbeiten allgemeiner Art beruhen. Auch der Tätigkeit der Berufungsklägerin ist aber unter diesem Gesichtspunkt in Anbetracht der zu bewegenden Gewichte von wenigstens bis zu 10 kg die Eignung zur Entstehung einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO kaum generell abzusprechen.

16

Die geltend gemachte BK ist indessen im Falle der Berufungsklägerin gleichwohl deshalb nicht anzuerkennen und zu entschädigen, weil sich - über die Erfüllung der allgemeinen arbeitstechnischen Voraussetzungen hinaus - nicht feststellen lässt, dass die Berufungsklägerin tatsächlich auf Grund ihrer versicherten Tätigkeit erkrankt ist (§§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO, 1 BKVO). Als wesentliche Ursache oder Mitursache für einen Körperschaden kann nämlich ein Arbeitsunfall auch in der Gestalt einer BK nur dann anerkannt werden, wenn anhand der geltenden naturwissenschaftlichen Lehrmeinung im individuellen Einzelfall ein konkreter Wirkungsmechanismus nachvollzogen werden kann, auf Grund dessen der Arbeitsunfall den Körperschaden mit Wahrscheinlichkeit herbeigeführt hat. Hierzu müssen aus naturwissenschaftlicher, insbesondere medizinischer Sicht die Gründe, die für den Ablauf einer solchen Ursachenkette sprechen, gegenüber denjenigen Gründen, die gegen eine Verursachung durch Arbeitsunfall (Berufkrankheit) sprechen, überwiegen (Bereiter-Hahn/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr. 10.1 m.w.N.; Kasseler Kommentar, SGB VII, § 9 Rdnr. 27 i.V.m. § 8 Rdnrn. 257 ff m.w.N.). Die Feststellung, dass die Epicondylopathie der Berufungsklägerin mit Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz als "Abnehmerin" zurückzuführen ist, vermag jedoch der Senat auf Grund der im Ergebnis übereinstimmenden Begutachtungen durch die Sachverständigen Dr. H. und Dr. G. nicht zu treffen.

17

Soweit hiernach für die Entstehung einer BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO zunächst eine chronische Überlastung durch repetitive feinmotorische Handbewegungen oder Handbewegungen mit außergewöhnlicher Flexion des Handgelenks in Betracht zu ziehen ist, haben beide Sachverständigen das Vorliegen entsprechend belastender Tätigkeitsmerkmale nachvollziehbar verneint. Zwar ist die berufliche Tätigkeit der Berufungsklägerin in dem Sinne von sich wiederholenden Handreichungen geprägt gewesen, dass sie im regelmäßigen Rhythmus Stapel von Papiersäcken hat anheben und tragen müssen. Ungeachtet der insoweit zwischen den Verfahrensbeteiligten bestehenden Differenzen sind hierbei auch die zu bewegenden Gewichte mit wenigstens bis zu 10, wenn nicht 20 kg erheblich gewesen. Die dabei durchgeführten Arbeitsschritte erlauben hingegen allenfalls den Schluss, dass die Berufungsklägerin bei ihrer Tätigkeit als "Abnehmerin" schwer gehoben und getragen hat. Soweit aber eine Epicondylitis durch die ständige Wiederholung gleich bleibend monotoner feinmotorischer Handbewegungen oder durch Handbewegungen mit ungewöhnlicher Flexion des Handgelenks entstehen kann, haben der Tätigkeit der Berufungsklägerin nach der von beiden Verfahrensbeteiligten abgegebenen Sachdarstellung die hierfür wesentlichen Merkmale hochfrequenter, feinmotorischer Handbewegungen oder einer ständigen, ungewöhnlichen Beugung des Handgelenks eindeutig gefehlt.

18

Auch insoweit, als insbesondere der Sachverständige Dr. H. daneben die Möglichkeit einer gleichsam "unfallartigen" Entstehung der BK nach Nr. 2101 der Anlage zur BKVO durch ungewohnte und übermäßig belastende Arbeiten aller Art hervorgehoben hat, lässt sich eine entsprechende Wahrscheinlichkeit der Verursachung im Falle der Berufungsklägerin nicht begründen. Auch wenn, wie ausgeführt, davon auszugehen ist, dass die von der Berufungsklägerin bewegten Gewichte zur Entstehung einer solchen akuten Überlastungsreaktion auf ungewohnte und übermäßig schwere Arbeit generell geeignet gewesen sein mögen, kann nach den zutreffenden Ausführungen des Dr. H. die epicondylitische Erkrankung der Berufungsklägerin im Bereich des Ansatzes der Unterarmstrecker bereits deshalb nicht mehr als Reaktion auf eine ungewohnte, übermäßig schwere Arbeitsbelastung bei noch fehlender Anpassung verstanden werden, weil die Berufungsklägerin ihre Tätigkeit als "Abnehmerin" zwischen April 1970 und Juni 1995 über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren hat ausüben können, bevor es - nach gelegentlichem Auftreten von Armschmerzen - zu einer dauerhaften Chronifizierung epicondylopathischer Beschwerden und einem Zwang zur Aufgabe dieser Tätigkeit gekommen ist.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

20

Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.