Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 4 KR 127/00
Sachdienlichkeit einer Klageerweiterung; Anspruch auf Gewährung von Fahrkostenerstattung für ambulante Behandlungen; Kostenerstattung als Surrogat der Sachleistung; Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkassen und der Kostenentstehung; Rechtswidrige Ablehnung der Leistungserbringung; Verknüpfung zwischen den durchgeführten ambulanten Behandlungen und der Vermeidung oder Verkürzung einer an sich gebotenen stationären oder teilstationären Behandlung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2003
- Aktenzeichen
- L 4 KR 127/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20373
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L4KR127.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 17.05.2000 - AZ: S 6 KR 84/99
Rechtsgrundlagen
- § 99 Abs. 1 SGG
- § 96 SGG
- § 60 Abs. 1 SGB V
- § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V
- § 60 Abs. 2 SGB V
- § 133 SGB V
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Anspruch auf die Gewährung von Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen ist als Anspruch auf Sachleistung und nicht als eigenständiger Anspruch auf Kostenerstattung zu verstehen.
- 2.
Zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) muß ein Kausalzusammenhang bestehen.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. Mai 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 16. Dezember 1998 und 4. Januar 1999 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1999 sowie die Bescheide vom 10. Juni, vom 15. Juli, vom 19. Juli 1999 und vom 7. April 2000 werden geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Fahrkosten nach Bad Sobernheim für die Behandlungen am 26. November 1998, 5. und 25. Februar 1999, 20. Mai 1999, 22. März, 11. April und 31. August 2000 und nach Erlangen am 12. Juli 1999 zu erstatten. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Fahrkostenerstattung für Behandlun-gen in Aachen und Bad Sobernheim.
Die im März 1985 geborene Klägerin leidet an einer seltenen Erkrankung im Sinne einer Muskeldystrophie vom Gliedergürtel-Typ. Im November 1998 beantragte der Vater der Klägerin für diese die Erstattung von Fahrkosten für eine ambulante Behandlung der Klägerin bei dem Facharzt für Orthopädie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie und Physikalische Therapie Dr. D. in Bad Sobernheim. In einem Attest vom 26. November 1998 führte Dr. D. aus, dass die Untersuchung wegen der Spezialisierung des Praxisinhabers auf Wirbelsäulendeformitäten erfolgt sei. Das seltene Krankheitsbild der Klägerin erfordere eine sehr differenzierte Diagnostik und Therapie, die nicht mit gleicher Erfolgsaussicht am Wohnort oder an einem dem Wohnort näheren Behandlungsort durchgeführt werden könne. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1998 lehnte die Beklagte die beantragte Fahrkostenerstattung mit der Begründung ab, dass diese nur noch er-stattungsfähig seien, wenn es sich um die nächste Behandlungsmöglichkeit handele und wenn es sich um ambulante Operationen handele.
Mit weiterem Bescheid vom 4. Januar 1999 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die beantragten Fahrkosten für ihre ambulanten Behandlungen in der Orthopädischen Klinik der RWTH Aachen am 14. September und 27. November 1998 letztmals erstatte. Fahrkosten könnten von den Krankenkassen nur in Ausnahmefällen übernommen werden. Derartige Ausnahmefälle seien unter anderem gegeben, wenn es sich um eine ambulante Operation im nächstgelegenen Krankenhaus handele und wenn dadurch eine an sich gebotene Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt werde oder diese nicht ausführbar sei. Diese Voraussetzungen seien in ihrem Falle nicht gegeben, sodass eine Kostenerstattung künftig nicht mehr erfolgen könne.
Mit ihrem am 8. Januar 1999 gegen beide Bescheide erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sich die Orthopädische Klinik der RWTH Aachen als einzige Klinik in Deutschland für die Behandlung muskelkranker Kinder mittels Kontrakthurlösender Eingriffe und die Asklepios-Klinik in Bad Sobernheim als Fachklinik für Skoliosen auch in Verbindung mit Muskeldystrophien als unbedingt notwendig und hilfreich erwiesen hätten. Nach dem stationären Aufenthalt in der Asklepios-Klinik in der Zeit vom 29. Juli bis 9. September 1998 sei eine vierteljährliche Kontrolle der Korsett-Passform durch den leitenden Arzt der Klinik, Dr. D., erforderlich.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. April 1999 zurück und führte zur Begründung aus, dass Fahrkosten in der gesetzlichen Krankenversicherung nur in engen Grenzen erstattungsfähig seien. Die im Gesetz genannten Voraussetzungen seien im Falle der Klägerin nicht gegeben, weil durch die ambulanten Behandlungen in Bad Sobernheim und Aachen keine stationäre Behandlung vermieden werde. In der Folgezeit lehnte die Beklagte mit weiteren Bescheiden die Übernahme von Fahrkosten nach Bad Sobernheim am 20. Mai 1999 und 22. März 2000 und nach Erlangen am 12. Juli 2000 ab.
Mit ihrer am 12. Mai 1999 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die ambulanten Untersuchungen bei Prof.. Dr. E. und Dr. D. seien in regelmäßigen Abständen erforderlich, weil es sich bei diesen Ärzten um Spezialisten für die bei ihr bestehende seltene Behandlung handele. Würden die Termine nicht regelmäßig wahrgenommen, seien stationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlungen in absehbarer Zeit erforderlich. Prof.. Dr. E. werde im Übrigen von Aachen nach Erlangen wechseln, sodass künftig Fahrten nach dort erforderlich würden. Zur Unterstützung ihres Vorbringens hat die Klägerin sich auf diverse ärztliche Bescheinigungen der behandelnden Ärzte bezogen.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 17. Mai 2000 abgewiesen. Die Voraussetzungen, unter denen Fahrkosten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden könnten, seien im Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) gegenüber den früheren Regelungen in der Reichsversicherungsordnung (RVO) weitgehend eingeschränkt worden. Von den in § 60 Abs. 2 SGB V abschließend genannten Ausnahmefällen werde der der Klägerin nicht erfasst. Dies gelte insbesondere unter dem Aspekt der Vermeidung einer ansonsten erforderlich werdenden stationären Behandlung. Aus den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen gehe lediglich hervor, dass eine stationäre Behandlung "auf Sicht" gesehen vermieden werde. Dies reiche nicht aus, vielmehr müsse eine akute Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden werden. Dafür gebe der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt.
Gegen dieses ihrer Bevollmächtigten am 17. Mai 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Juni 2000 Berufung eingelegt. Die Behandlungen und Kontrolluntersuchungen durch Prof.. Dr. E. und Dr. D. könnten dort jeweils ambulant ausgeführt werden, weil diese Einrichtungen speziell auf die bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen eingerichtet seien, was bei Krankenhäusern in dem näheren Umfeld der Klägerin nicht der Fall sei. In Oldenburg und Umgebung sei bei jeder Behandlung ein stationärer oder teilstationärer Krankenhausaufenthalt erforderlich. Im Übrigen sei den Akten eine Härtefallprüfung nach den §§ 61 und 62 SGB V nicht zu entnehmen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17.Mai 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 16. Dezember 1998 und 4. Januar 1999 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1999 sowie die Bescheide vom 10. Juni 1999, vom 15. Juli 1999, vom 19. Juli 1999 und vom 7. April 2000 zu ändern;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Fahrkosten nach Bad Sobernheim für die Behandlungen am 26. November 1998, 5. und 25. Februar 1999, 20. Mai 1999, 22. März, 11. April und 31. August 2000 und nach Erlangen am 12. Juli 1999 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Fahrkostenerstattung im Falle der Klägerin für keine der beantragten Fahrten gegeben gewesen seien. Insbesondere sei nicht zu Tage getreten, dass sich durch die ambulanten Behandlungen stationäre oder teilstationäre Behandlungen hätten vermeiden oder verkürzen lassen oder dass solche nach den medizinischen Befunden nicht ausführbar gewesen wären. Im Übrigen habe die Bezirkstelle Wilhelmshaven eine Überprüfung der Voraussetzungen für die Anwendung der Härtefallregelungen vorgenommen und diese verneint.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes ärztliche Bescheinigungen des Dr. D. vom 5. September 2002 und Prof.. Dr. E. vom 3. September 2002 und 29. Januar 2003 beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klägerin die Erstattung von Fahrkosten nach Bad Sobernheim am 31. August 2000 beansprucht, handelt es sich um eine Klageerweiterung, die der Senat gemäß § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für sachdienlich und zulässig hält. Er entscheidet darüber im Wege der Klage.
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.
Klage und Berufung erweisen sich als begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist nicht nur die mit Bescheid vom 16. Dezember 1998 abgelehnte Fahrkostenerstattung nach Bad Sobernheim am 26. November 1998, sondern auch die mit Bescheiden vom 10. Juni und 15. Juli 1999 und 7. April 2000 abgelehnten Fahrkosten nach Bad Sobernheim für die Untersuchungen am 20. Mai 1999 und 22. März 2000 und die mit Bescheid vom 19. Juli 1999 abgelehnte Erstattung von Fahrkosten nach Erlangen für die ambulante Untersuchung durch Prof.. Dr. E. am 12. Juli 1999. Die diesbezüglichen Bescheide sind in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, weil die neuen Verwaltungsakte mit dem Streitstoff im Zusammenhang stehen und der Grundgedanke des § 96 SGG deren Einbeziehung rechtfertigt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 96 Rdnr. 4). Gegenstand des Rechtsstreits sind ferner die Kostenerstattungen für die Fahrten nach Bad Sobernheim für die Untersuchungen am 5. und 25. Februar 1999 sowie am 31. August 2000. Denn mit ihrem Bescheid vom 4. Januar 1999 hat die Beklagte die Erstattung von Fahrkosten grundsätzlich und auch für die Zukunft abgelehnt.
Der aus § 60 SGB V folgende Anspruch auf die Gewährung von Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen ist als Anspruch auf Sachleistung und nicht als eigenständiger Anspruch auf Kostenerstattung zu verstehen (BSG in SozR 3-2500 § 133 Nr. 1 Seiten 11 und 12). Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf die Erstattung von Fahrkosten ist demnach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Voraussetzung 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Voraussetzung 2) und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (bei Voraussetzung 1: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei Voraussetzung 2: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt sind (SozR 3-2500 § 13 Nr. 15, Seite 74). Das bedeutet einmal, dass die Krankenkassen nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Behandlung hätte gewähren müssen. Des Weiteren bedeutet es, dass Kosten für eine selbst-beschaffte Leistung, soweit diese nicht ausnahmsweise unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hat (BSG a.a.O).
Dieser Kausalzusammenhang ist vorliegend gegeben. Vor Antritt der geltend gemachten Fahrten hat die Beklagte die Übernahme der Fahrkosten abgelehnt. Die Ablehnung ist nach Auffassung des Senates zu Unrecht erfolgt. Nach § 60 Abs. 1 und 2 SGB V in der ab dem 1. Juli 1997 geltenden Fassung des Artikel 17 des Gesetzes vom 23. Juni 1997 (BGBl.. I, 1520) übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (Absatz 1). Die Krankenkasse übernimmt die Fahrkosten in Höhe des 25,00 DM je Fahrt übersteigenden Betrages
- 1.
bei Leistungen, die stationär erbracht werden,
- 2.
bei Rettungsfahrten zum Krankenhaus auch dann, wenn eine stationäre Behandlung nicht erforderlich ist,
- 3.
bei anderen Fahrten von Versicherten, die während der Fahrt einer fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtungen eines Krankenwagens bedürfen oder bei denen dies auf Grund ihres Zustandes zu erwarten ist (Krankentransport),
- 4.
bei Fahrten von Versicherten zu einer ambulanten Krankenbehandlung sowie zu einer Behandlung nach § 115a oder § 115b, wenn dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung (§ 39) vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist, wie bei einer stationären Krankenhausbehandlung (Absatz 2).
Die Voraussetzungen der einzig in Betracht zu ziehenden Alternative in § 60 Abs. 2 Ziffer 4 SGB V liegen vor. Die dafür erforderliche Verknüpfung zwischen den durchgeführten ambulanten Behandlungen und der Vermeidung oder Verkürzung einer an sich gebotenen stationären oder teilstationären Behandlung ist gegeben.
Der die Klägerin behandelnde Arzt Dr. D. hat in zahlreichen Stellungnahmen, zuletzt in der Stellungnahme vom 5. Februar 2003, ausgeführt, dass bei der Klägerin neben der hochgradigen Skoliose eine neurologische Grunderkrankung bestehe, welche die Prognose der Wirbelsäulenverkrümmung nochmals verschlimmere. Nach den gängigen Lehrbüchern sei die operative Versteifung mit all ihren Risiken die einzige Behandlungsmöglichkeit bei neuromuskulärer Skoliose. Wegen der Gefährdung der Mobilität werde nach Hopf (Lobinus-Kliniken, Kiel) bei neuromuskulärer Skoliose bereits bei Krümmungswinkeln von weniger als 30 Grad zur Operation geraten. Die Klägerin habe durch die konsequente Behandlung in seiner Spezialeinrichtung vor einer eigentlich indizierten Operation bewahrt werden können. Mittlerweile stehe sie am Ende der knöchernen Ausreifung, sodass eine schnelle Krümmungszunahme jetzt nicht mehr erwartet werden müsse. Dementsprechend sei der Nachweis erbracht, dass durch die engmaschige ambulante Kontrolle und die Versorgung mit einem Korsett die ansonsten notwendige operative Versteifung der Wirbelsäule und damit auch eine stationäre Behandlung vermieden worden seien.
Prof.. Dr. E. hat in seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2003 darüber hinaus ausgeführt, dass die Erkrankung der Klägerin ein äußerst seltenes Krankheitsbild darstelle, bei dem statistisch gesehen auf eine Million Einwohner etwa 275 Erkrankte kämen, wobei insgesamt ca. 250 unterschiedliche Muskelerkrankungen bekannt seien. Das Wissen um diese Erkrankungen sowie deren Therapie seien dementsprechend nicht weit verbreitet. Ein niedergelassener Orthopäde behandele durchschnittlich in fünf Jahren einen Patienten mit einer Muskelerkrankung. Die spezifischen Probleme, die mit diesen Krankheitsbildern verbunden seien (Vorbereitung operativer Maßnahmen, spezielle Orthopädie - technische Versorgungen, Durchführung und Planung operativer Maßnahmen) seien so selten, dass nur wenige Kliniken in Deutschland eine Behandlung dieser Patienten im stationären Bereich oder aber ambulante Sprechstunden speziell für diese Patientengruppe anböten. Es bleibe orthopädischerseits anzumerken, dass gerade bei dem Krankheitsbild, das bei der Klägerin zu Grunde liege, keine Voraussagen über deren Verlauf möglich seien. Die Gliedergürtelmuskeldystrophien ständen unter dem Vorbehalt, dass die genauere diagnostische Zuordnung in die bis jetzt bekannten acht Unterformen erst seit wenigen Jahren überhaupt möglich sei und entsprechende Erfahrungswerte von klinischen Verläufen nicht vorliegen. Generell sei jedoch davon auszugehen, dass bei Muskelerkrankungen spezifische orthopädie-technische bzw. operative Behandlungen indiziert werden müssten. Es sei daher absolut unerlässlich, dass eine regelmäßige klinische Kontrolle direkt mit diesen Krankheitsbildern vertrauter Ärzte durchgeführt werde, damit der optimale Zeitpunkt zur Durchführung entsprechender Behandlungsmaßnahmen gefunden werden könne. Dies sei aus medizinischer Sicht nur dann aussagekräftig möglich, wenn eine entsprechende Verlaufsbeurteilung durch regelmäßige klinische Untersuchungen möglich sei.
Unter Berücksichtigung dieser ärztlichen Stellungnahmen geht der Senat davon aus, dass durch die Behandlung der Klägerin bei Dr. D. und bei Prof.. Dr. E. eine eigentlich indizierte operative Versteifung der Wirbelsäule (möglicherweise in mehreren Schritten mit mehreren stationären Aufenthalten) vermieden wurde. Die Beklagte war deshalb verpflichtet, nicht nur die Kosten für die ambulanten Behandlungen als Sachleistungen zu übernehmen, sondern auch die in diesem Zusammenhang anfallenden Fahrkosten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.