Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 4 KR 190/01

Anspruch auf Kostenübernahme für ein Notebook nebst Zubehör ; Versorgung mit Hilfsmitteln als Teil der Krankenbehandlung; Abgrenzung zwischen Gegenständen mit besondere behindertengerechter Sonderausstattung und allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.04.2003
Aktenzeichen
L 4 KR 190/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21797
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L4KR190.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - AZ: S 9 KR 139/00

Fundstellen

  • Breith. 2004, 181-182
  • NZS 2004, 146 (amtl. Leitsatz)
  • SGb 2003, 577 (amtl. Leitsatz)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Krankenversicherung sind nur für die medizinische Rehabilitation zuständig. Ihre Leistungen umfassen damit nur Mittel, die bestimmungsgemäß die Bekämpfung von Krankheiten und die Milderung ihrer Folgen zum Ziel haben. Das ist bei allgemeinen Gebrauchsgegenständen nicht der Fall.

  2. 2.

    Ein Notebook ist ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn es verfügt über keinerlei besondere Ausstattung in Bezug auf behinderte Nutzer. Das Gerät kann sowohl von "allgemeinen" Nutzern wie von "behinderten" Nutzern verwendet werden.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten wegen der Kostenübernahme für ein Notebook nebst Zubehör. Das Notebook inklusive Maus und Scanner sind inzwischen erworben worden, sodass Kostenerstattung in Höhe von 3.155,18 Euro begehrt wird.

2

Der 1988 geborene und bei der Beklagten familienversicherte Kläger leidet unter einer visuomotorischen Perzeptionsstörung mit ausgeprägter Dysgrafie/Dyspraxie sowie sekundär unter schreibmotorisch bedingter Rechtschreibstörung (vgl Arztbrief des Dr. E., Facharzt für Kinderheilkunde, vom 4. Februar 2000).

3

Die Eltern des Klägers beantragten im März 2000 bei der Beklagten unter Vorlage eines "sonderpädagogischen Beratungsgutachtens" der Bezirksregierung Lüneburg - Mobiler Dienst für Körperbehinderte und Sehbehinderte - vom 26. Januar 2000, zwei Arztbriefen des Dr. E. vom 4. Februar 2000 und vom 22. Mai 1998 sowie von einer Schriftprobe und zwei Diktaten ihres Sohnes die Kostenübernahme für die Unterstützung durch ein "Schreib- und Lernsystem in allen Fächern" (vgl Beratungsgutachten der Bezirksregierung) in Form eines Notebooks mit Zubehör (Schreib- und Lernprogramme der einzelnen Fächer, sowie Drucker und Scanner).

4

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für ein Notebook mit Zubehör mit Bescheid vom 4. April 2000 ab. Zur Begründung führte sie an, dass der Computer, auch wenn er auf Grund einer bestehenden Behinderung eingesetzt werden soll, nicht zum Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zähle, sondern vielmehr wegen seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten zu den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehöre. Auch die Tatsache, dass die Eltern des Klägers bereits einen PC im Hause hätten und das hier beantragte Notebook eine zusätzliche Anschaffung für die Schule sei ändere nichts an diesen Umständen. Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Vater des Klägers am 18. April 2000 Widerspruch ein. Er führte an, dass sich sein Sohn bis zum 7. Lebensjahr in Behandlung (Bobath) befunden habe und auch von verschiedener Seite untersucht worden sei. Er gehe davon aus, dass es sich in seinem Fall bei einem Notebook nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand, sondern um ein Hilfsmittel handele. Dies sei für seinen Sohn erforderlich, um es ihm zu ermöglichen, im Schulunterricht mitzukommen. Der Vater des Klägers überreichte weitere Schriftproben seines Sohnes aus dem Schulheft. Sein Sohn habe große Probleme, die schriftlichen Anforderungen im Unterricht zu bewältigen. Der zunehmende Zeit- und Leistungsdruck belaste ihn sehr. Er habe auch schon Ängste geäußert. Da die Zeit in der Orientierungsstufe eine sehr kurze und wichtige Zeit sei, bitte er um eine erneute Prüfung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2000 zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die gesetzliche Krankenversicherung nur solche Mittel zu bewilligen habe, die bestimmungsgemäß der Heilung bzw. Linderung von Krankheiten sowie dem Ausgleich von Behinderungen und der Milderung der Folgen dieser Zustände dienten. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens erfüllten nach dieser Rechtsprechung diese Zwecksetzung nicht und fielen daher nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen. Das BSG habe in seinem Urteil vom 23. August 1995 - 3 RK 17/95 - festgestellt, dass ein PC einschließlich der erforderlichen Zubehörteile (z.B.: Bildschirm, Maus, Tastatur usw.) zu den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehöre. Diese Rechtsprechung habe das BSG in einem weiteren Urteil bestätigt. Bei dem beantragten Notebook handele es sich um ein handelsübliches Standardgerät ohne behindertengerechte Sonderausstattung. Von daher müsse eine Kostenübernahme unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG ausscheiden.

5

Hiergegen hat der Kläger am 8. September 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger u.a. ausgeführt: Er bezweifle, dass es sich bei einem Notebook um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand handele, der üblicherweise heutzutage in allen Haushalten geführt werde. Das hier in Rede stehende Notebook mit entsprechender Software, Drucker und Scanner sei auch ganz speziell auf den Kläger zugeschnitten. Der Kläger werde durch den Mobilen Dienst für Körperbehinderte und Sehbehinderte im Auftrag der Bezirksregierung Lüneburg betreut. Insoweit sei auf das sonderpädagogische Beratungsgutachten der Bezirksregierung vom 26. Januar 2000 sowie auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Stellungnahmen des Dr. E. zur kinderneurologischen Untersuchung des Klägers zu verweisen. Der Kläger legt weitere Stellungnahmen des Dar E. vom 4. September 2000 und vom 25. Januar 2001 vor. Er überreicht ferner Fotokopien der Rech-nungen über ein Notebook (Typ: "ACER Extensa 522 TX") sowie über einen Scanner (Typ: "PLUSTEK Pro U 24"), und eine Maus (Typ: "Wheel") und über weiteres Zubehör (vgl Rechnungen vom 31. August 2000 und vom 24. Januar 2001).

6

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. Juni 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des BSG sei zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen sei. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden seien, und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt würden, seien nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gelte selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet seien (zB: Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt sei ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht sei. Unter Anlegung dieser Maßstäbe sei das Notebook ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Er sei nicht für Kranke oder Behinderte konzipiert, sondern für einen allgemeinen Kundenkreis.

7

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 10. Juli 2001 zugestellte Urteil am 7. August 2001 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

8

Der Kläger bezieht sich auf sein bisheriges Vorbringen und weist darauf hin, dass er auf Grund der großen Blockaden und Verkrampfungen nicht in der Lage sei, schriftliche Arbeiten in angemessener Zeit und Form zu erledigen. Es gehe um seine Grundbedürfnisse, wobei ihm das Hilfsmittel erst eine angemessene normale Beschulung ermögliche. Das Notebook sei für ihn als Verständigungshilfe im Rahmen des Schulunterrichts als Kontaktmittel zu seiner Umwelt unverzichtbar. Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung sei auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der objektiven Sicht der Hersteller, andererseits aber auch aus der subjektiven Sicht des tatsächlichen Benutzers zu bestimmen sei.

9

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. Juni 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für das Notebook nebst Zubehör in Höhe von 3.155,18 Euro zu erstatten.

10

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges und auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Die gem § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gem § 143 f SGG statthafte Berufung ist zulässig.

13

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

14

Das SG hat mit zutreffendem Ergebnis entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Kostenübernahme für ein Notebook nebst Zubehör hat. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

15

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte haben gem § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 24 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

16

Das SG hat hier zutreffend unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG angenommen, dass im vorliegenden Fall die Versorgung des Klägers mit einem Notebook einschließlich Zubehör nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fällt. Es handelt sich bei dem Notebook einschließlich des erworbenen Zubehörs nicht um eine besondere behindertengerechte Sonderaus-stattung, sodass es sich hier um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Der Grund für diesen Ausschluss liegt darin, dass die Krankenversicherung nur für die medizinische Rehabilitation zuständig ist, ihre Leistungen damit nur Mittel umfassen, die bestimmungsgemäß die Bekämpfung von Krankheiten und die Milderung ihrer Folgen zum Ziel haben. Das ist bei all-gemeinen Gebrauchsgegenständen nicht der Fall (so zum Notebook bereits Urteil des Senats vom 17. März 1999 - L 4 KR 139/97 ; vgl. auch Urteil des BSG vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 10/00 R - = SozR 3-2500 § 33 Nr. 40 = Breithaupt 2001, 592-595).

17

Für die Beurteilung der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. So sind Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie, wie beispielsweise Brillen oder Hörgeräte sehr weit verbreitet sind. Andererseits kann jedoch ein Gegenstand als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen sein, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist.

18

Das hier im Streit stehende Notebook ist ein solcher Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn es verfügt über keinerlei besondere Ausstattung in Bezug auf behinderte Nutzer. Das Gerät kann sowohl von "allgemeinen" Nutzern wie von "behinderten" Nutzern verwendet werden. Das Notebook ist in dieser Form nicht speziell für Kranke und Behinderte konzipiert und hergestellt, sondern für einen allgemeinen Verbraucherkreis. Damit fällt es nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen und daher nicht von der Beklagten zu übernehmen.

19

Soweit der Kläger vorträgt, das streitige Notebook sei speziell für seine Behinderung das einzig mögliche und unerlässliche Hilfsmittel, führt dies nicht zu einer Veränderung der Eigenschaft des Hilfsmittels. Denn maßgeblich ist - wie oben ausgeführt - nicht das spezielle Bedürfnis des Behinderten, sondern die Konzeption und der Anwendungsbereich für Kranke und Behinderte. Im Übrigen ergeben sich aus den vorgelegten Rechnungen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine besondere spezielle behindertengerechte Ausstattung der Gesamtanlage handelt.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

21

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision hat nicht vorgelegen § 160 Nrn 1 und 2 SGG).