Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 1 RA 75/02

Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Beschäftigung eines Diplom-Ingenieurs als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen; Hypertensive Herzkrankheit, chronische Niereninsuffizienz, Stoffwechselstörungen, Ulcuserkrankung, Leberleiden, Gelenkbeschwerden, Polyneuropathie; Möglichkeit der vollschichtigen Verrichtung körperlich leichter Tätigkeiten mit Einschränkungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.04.2003
Aktenzeichen
L 1 RA 75/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20217
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L1RA75.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 04.03.2002 - AZ: S 1 RA 464/01

Redaktioneller Leitsatz

Wer noch vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten mit Einschränkungen verrichten kann, ist weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

2

Der im Jahre 1940 geborene Kläger ist - nach einer Lehre zum technischen Zeichner/Bauzeichner und anschließendem Studium - Diplom-Ingenieur und war als Ingenieur im Hochbau sowie als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen tätig, u.a. der H. Städtebau, der I. sowie der J. GmbH, wo er im Sommer 1999 ausschied. Aus dem letzten Beschäftigungsverhältnis besteht eine Anwartschaft in Form einer lebenslangen Rentenzahlung. Im Herbst 1999 hat sich der Kläger als Diplom-Ingenieur selbstständig gemacht (Firma K. - Ingenieurgesellschaft für Projektentwicklung, Projektsteuerung und Bauplanungen mbH). Die Gesellschaft besteht fort. Im Jahre 2001 wurde die Ehe des Klägers geschieden mit Übertragung von Versorgungsanwartschaften des Klägers auf das Versicherungskonto der geschiedenen Ehefrau.

3

In gesundheitlicher Hinsicht hat der Kläger u.a. folgende Beschwerden geltend gemacht und sind u.a. folgende Diagnosen gestellt worden:

4

- arterielle Hypertonie - hypertensive Herzerkrankung - toxische Fettleber bei Alkoholabusus - kompensierte Niereninsuffizienz bei Nephrosklerose - beginnende alkoholbedingte Polyneuropathie - Gastritis - Refluxösophagitis - orthostatische Dysregulation - Wirbelsäulenbeschwerden bei Wurzelkompressionssyndrom der LWS - Sensibilitätsstörungen der Haut - Kopfschmerzen - teilweiser Verlust des Geruchssinns

5

Im Jahre 2000 erlitt der Kläger einen Schwächeanfall mit eintägiger stationärer Aufnahme, im Jahre 2001 eine Magenblutung. Seit 1999 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.

6

Im September 1999 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw. Berufsunfähigkeit (BU) stellen. Die Beklagte ermittelte zum medizinischen Sachverhalt, zog zahlreiche Befundunterlagen bei und ließ den Kläger internistisch und neurologisch-psychiatrisch untersuchen und begutachten. Dabei kamen der Arzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. L. (Gutachten vom 30. November 2000) und der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (Gutachten vom 11. Juni 2001) zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass der Kläger noch vollschichtig bzw. mehr als 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten könne. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 14. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001 ab.

7

Die hiergegen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobene Klage wurde trotz Erinnerung des SG nicht begründet, da sich der Kläger - so der Prozessbevollmächtigte - nicht bei ihm melde. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2002 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass eine Rechtswidrigkeit der Bescheide der Beklagten nicht zu erkennen und im Klagverfahren mangels Klagebegründung und Erteilung einer Schweigepflichtentbindungserklärung keine abweichenden Feststellungen möglich gewesen seien.

8

Die hiergegen am 2. April 2002 vom Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegte Berufung hat dieser damit begründet, dass der Kläger - neben Gelenkbeschwerden - vor allem unter Bluthochdruck leide, der auch zu Erschöpfungszuständen, Schwindelerscheinungen und Vergesslichkeit führe.

9

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 4. März 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu zahlen.

10

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf den Gerichtsbescheid des SG.

12

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren den Kläger untersuchen und begutachten lassen durch den Arzt für Innere Medizin Dr. N., der in seinem Gutachten vom 13. Januar 2003 im Einzelnen ausführte, dass der Kläger noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten könne. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

13

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

16

Die gem. §§ 143f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.

17

Weder der Gerichtsbescheid des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Leistungsfähigkeit, und zwar weder auf Rente wegen EU/BU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.) noch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§§ 43, 240 SGB VI n.F.).

18

Nach dem von der Beklagten im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ermittelten und vom SG im Klagverfahren mangels Mitwirkung des Klägers zutreffend zugrundegelegten Sachverhalt ist der Kläger nicht berufsunfähig, weil er mit dem in den übereinstimmenden Gutachten von Dr. L. und Dr. M. festgestellten medizinischen Leistungsvermögen den Beruf des Geschäftsführers (in einem Ingenieurunternehmen) weiterhin vollschichtig ausüben kann. Im Berufungsverfahren hat sich hierzu nichts Abweichendes ergeben. Das Gutachten des Dr. N. enthält im Wesentlichen die gleichen Feststellungen wie in den Vorgutachten. Danach kann der Kläger noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten, die mit der Tätigkeit eines Geschäftsführers vereinbar sind (vgl. nur: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. April 2002, L 1 RA 121/00). Dies gilt auch, soweit der Sachverständige Arbeiten mit (nur) mittleren geistigen Anforderungen und ohne Absturzgefahr oder an gefährdenden Maschinen, unter besonderem Zeitdruck oder Stress sowie ohne Witterungsexposition für zumutbar hält. Denn dass diese Einschränkungen die Fortsetzung der Berufstätigkeit des Klägers nicht hindern, folgt bereits aus seiner tatsächlichen Berufsausübung, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Regelfall ein höherer Beweiswert zukommt als medizinischen Leistungseinschätzungen (Nachweise bei: Kasseler-Kommentar-Niesel, § 43 SGB VI, Rn. 28, 29). Nach eigenen Angaben des Klägers wurde die Tätigkeit als Geschäftsführer der Allplan GmbH im Sommer 1999 auf Grund von Umstrukturierungsmaßnahmen des Unternehmens beendet, und er betreibt seit Herbst 1999 als alleinverantwortlicher Inhaber eine eigene GmbH als Ingenieurgesellschaft.

19

Die vorgenannte, vom Sachverständigen Dr. N. festgestellten Leistungseinschränkungen sind nach den zu Grunde liegenden Befunderhebungen zwar notwendig, aber auch ausreichend. Auf internistischem Gebiet hat die bekannte hypertensive Herzkrankheit nicht zu einer Herzinsuffizienz geführt. Der Hypertonus erfordert zwar eine intensive Mehrfach-Medikation, die mit orthostatischen Reaktionen einhergeht, denen jedoch durch die qualitativen Leistungseinschränkungen Rechnung getragen wird (etwa: ohne Arbeit an gefährdenden Maschinen). Dies gilt auch für die chronische Niereninsuffizienz im Stadium der Retention. Die weiteren internistischen Erkrankungen führen nicht zu einer Leistungseinschränkung, namentlich nicht die Stoffwechselstörungen, die Ulcuserkrankung oder das Leberleiden. Hierzu ist strenge Alkoholkarenz erforderlich, aber auch zumutbar. Die orthopädischen Beschwerden standen bereits nach den eigenen Angaben des Klägers nicht im Vordergrund und haben auch keine manifesten Befunde zur Folge. Dies gilt auch für das neurologische Fachgebiet. Die festgestellte Polyneuropathie befindet sich erst im Anfangsstadium, insbesondere Muskelatrophien oder Gangstörungen sind bislang nicht feststellbar.

20

War der Kläger daher nicht berufsunfähig nach § 43 SGB VI a.F., so war er erst recht nicht erwerbsunfähig nach § 44 SGB VI a.F., da hierfür noch weiter gehende Leistungseinschränkungen erforderlich wären. Der Kläger ist schließlich auch nicht erwerbsgemindert im Sinne von §§ 43, 240 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung, weil insbesondere eine zeitliche Leistungsbegrenzung unter 6 Stunden/täglich nicht feststellbar ist.

21

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

23

Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.