Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 30.04.2003, Az.: L 6 U 121/02
Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ; Rotatorenmanschettenschaden als Unfallfolge; Prellung der rechten Schulter als folgenlos abklingende Gesundheitsstörung; Arbeitsunfall als rechtlich unwesentliche Gelegenheitsursache bei vorhandenen krankhaften Anlagen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 121/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 21196
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L6U121.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 30.01.2002 - AZ: S 7 U 50/01
Rechtsgrundlage
- § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
Für den Fall, dass die kausale Bedeutung eines Arbeitsunfalls mit der einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedarf, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende, ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 30. Januar 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Verletztenrente. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Rotatorenmanschettenschaden Unfallfolge ist.
Die 1939 geborene Klägerin stürzte am 27. Mai 1999 auf dem Weg nach Hause mit dem Fahrrad auf die rechte Schulter und das rechte Knie. Der danach aufgesuchte Durchgangsarzt Dr. C. fand eine deutliche Schwellung über der rechten Schulter ohne Hautverletzungszeichen, die Beweglichkeit im Schultergelenk war frühgradig schmerzhaft eingeschränkt. Röntgenologisch ergab sich keine knöcherne Verletzung. Die Sonographie ergab keinen Anhalt für eine Rotatorenmanschettenruptur, keine Ergüsse, keine Muskelfaserrisse. Dr. C. diagnostizierte "Schultergelenkprellung rechts". Es erfolgte eine konservative Therapie. Im weiteren Verlauf zeigte sich eine deutliche Besserung der Beschwerden (Bericht Dr. C. vom 8. März 2000). Am 23. Juni 1999 nahm die Klägerin ihre Tätigkeit als Raumpflegerin wieder auf.
Am 18. August 1999 stellte sie sich wegen weiterhin anhaltender Schmerzen in der rechten Schulter und Einschränkung der Beweglichkeit des Armes erneut bei Dr. C. vor. Bei der am 2. September 1999 durchgeführten Kernspintomographie fand sich rechts eine ausgedehnte Ruptur der Rotatorenmanschette mit Hochstand des Oberarmkopfes und eine lediglich geringe Restkontinuität der Supraspinatussehne (Bericht Dr. D. vom 6. September 1999). Am 7. Januar 2000 erfolgte die operative Versorgung. Histologisch fanden sich "offenbar in Schüben abgelaufene, dementsprechend unterschiedlich alte Faserrupturen der rechtsseitigen Rotatorenmanschette auf dem Boden einer schon sehr ausgeprägt nachweisbaren chronischen (sog. degenerativen) Tendopathie ohne entzündliche Komponente oder Residuen einer primär-traumatischen Gewebsläsion" (Bericht Dr. E. vom 10. Januar 2000). Dr. C. ging in seinem Bericht vom 8. März 2000 davon aus, dass sich die Klägerin am 27. Mai 1999 bei einem adäquaten Trauma eine Verletzung der Rotatorenmanschette zugezogen habe. Nach der Auffassung des beratenden Arztes Dr. F. stellt der Unfall dagegen lediglich eine Gelegenheitsursache für die Entwicklung des Schadens an der Rotatorenmanschette dar (Stellungnahme vom 21. März 2000). Die Beklagte holte das Gutachten von Dres. G. vom 30. Juni 2000 nebst ergänzender Stellungnahme vom 1. August 2000 ein. Nach der Auffassung der Gutachter ist das Unfallereignis geeignet, eine Rotatorenmanschette zu beschädigen. Man komme an dem Ereignis nicht ohne weiteres vorbei, weil die Schmerzen und die Schwellung schon am Unfalltag ausgeprägt vorhanden gewesen seien. Trotz der arthrotischen Veränderungen im rechten Schultereckgelenk als Hinweis für einen degenerativen Rotatorenmanschettenschaden sei offensichtlich ein mittelbarer Zusammenhang mit dem Unfall gegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzten sie auf 20 v.H. Die Beklagte holte außerdem das Gutachten von Dr. H. vom 6. November 2000 ein. Nach den Ausführungen dieses Gutachters ist die Erkrankung des rechten Schultergelenkes in deutlich überwiegendem Ausmaß auf schicksalsmäßige Veränderungen zurückzuführen. Der Gutachter führte aus, eine Verletzung der Rotatorenmanschette sei bei einem Sturz mit dem Fahrrad unwahrscheinlich, ein unmittelbarer Anprall spreche gegen eine indirekte Verletzung des Schultergelenkes. Der primäre röntgenologische Befund deute auf eine schon lange vorbestehende Degeneration der Rotatorenmanschette hin. Bei der Kernspintomographie seien Veränderungen gefunden worden, die nicht unfalltypisch seien, es habe sich auch gezeigt, dass die Defekte zu unterschiedlichen Zeiträumen entstanden seien. Mit Bescheid vom 27. November 2000 erkannte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls eine folgenlos ausgeheilte Prellung der rechten Schulter an. Die Zahlung einer Rente lehnte sie mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2001).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Beklagte die Stellungnahme von Dr. I. vom 17. September 2001 vorgelegt. Dr. I. weist darauf hin, dass am Unfalltag bereits Verschleißzeichen bestanden haben.
Mit Urteil vom 30. Januar 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Prellung stelle kein geeignetes Unfallereignis dar. Der alterstypische Vorschaden bei der Klägerin sei als wesentliche Ursache für die Rotatorenmanschettenruptur anzusehen.
Gegen dieses am 12. Februar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. März 2002 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, da die Schulterbeschwerden erst mit dem Unfall aufgetreten seien, sei der Unfall das auslösende Ereignis für den Einriss der Rotatorenmanschette gewesen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des SG Oldenburg vom 30. Januar 2002 aufzuheben,
- 2.
den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2001 zu ändern,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 30. Januar 2002 zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit Verfügung der Berichterstatterin vom 12. März 2003 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.
II.
Der Senat konnte über die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässige Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 153 Abs. 4 SGG).
Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente verneint.
Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII nur gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin hat bei dem anerkannten Arbeitsunfall am 27. Mai 1999 eine Prellung der rechten Schulter erlitten. Dabei handelt es sich um eine ihrer Natur nach folgenlos abklingenden Gesundheitsstörung. Dagegen vermag der Senat nicht festzustellen, dass die erst am 2. September 1999 diagnostizierte Rotatorenmanschettenruptur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist.
1.
Es ist nicht nachgewiesen, dass die Rotatorenmanschettenruptur tatsächlich bei dem Fahrradunfall am 27. Mai 1999 eingetreten ist, weil eine derartige Verletzung bei der am Unfalltag durchgeführten Sonographie nicht festgestellt worden ist. In diesem Zusammenhang hat Dr. H. auch darauf aufmerksam gemacht, dass der Unfallmechanismus bei einem Sturz mit dem Fahrrad ein Zerreißen der Rotatorenmanschette eher unwahrscheinlich erscheinen lässt. Gegen einen am 27. Mai 1999 eingetretenen Riss der Rotatorenmanschette spricht außerdem, dass sich im Verlauf der konservativen Behandlung eine deutliche Besserung der Beschwerden mit einer fast freien Beweglichkeit des Armes zeigte (Bericht Dr. C. vom 8. März 2000) und die Klägerin nach Beendigung der Behandlung ihre Tätigkeit als Raumpflegerin fast zwei Monate lang wieder ausübte.
2.
Selbst wenn man jedoch - entgegen der Ansicht des Senats - davon ausginge, dass es am 27. Mai 1999 bei dem Sturz mit dem Fahrrad zu einem Riss der Rotatorenmanschette gekommen ist, wäre der Sturz nicht als rechtlich wesentliche Mitursache, sondern nur als - rechtlich unwesentliche - Gelegenheitsursache zu werten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 6. Dezember 1989 - 2 RU 7/89 - Meso B 240/123) ist für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit der hiergegen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende, ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Im vorliegenden Fall lag nach den übereinstimmenden Ausführungen in sämtlichen medizinischen Stellungnahmen bereits am Unfalltag ein ausgeprägter Rotatorenmanschettenschaden vor (a). Dieser war nach den überzeugenden Erläuterungen von Dr. H. und Dr. I. deutlich überwiegend ursächlich für den am 2. September 1999 festgestellten Gesundheitsschaden im rechten Schultergelenk (b).
a)
Bereits zum Zeitpunkt des Unfalls war die Rotatorenmanschette erheblich vorgeschädigt. - Röntgenologisch ließen sich ein Hochstand des Oberarmkopfes mit Enge unter dem Schulterdach und eine deutliche Sklerosierung der Unterfläche des Acromions nachweisen, die eine Engpassstörung (Impingment-Krankheit) belegen. - Bei der am 2. September 1999 durchgeführten Kernspintomographie wurde u.a. eine Retraktion des Supraspinatusmuskels festgestellt. Dies spricht nach den Erläuterungen von Dr. H. für einen älteren Defekt und für lange bestehende degenerative Veränderungen. - Der histologischen Untersuchung vom 7. Januar 2000 sind unterschiedliche Stadien der Gewebezerrüttung (offenbar in Schüben abgelaufene, dementsprechend unterschiedlich alte Faserrupturen) zu entnehmen.
b)
Dr. H. hat unter sorgfältiger Würdigung dieser Vorschädigungen plausibel begründet, dass die Rotatorenmanschette am Unfalltag schon wenigstens teilweise getrennt gewesen sein muss, sodass die vollständige Durchtrennung etwa zur selben Zeit auch bei einem banalen Ereignis hätte eintreten können. Seine Beurteilung steht in Übereinstimmung mit der Wertung durch Dr. I.
Eine für die Klägerin günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dres. G.. Dieses Gutachten überzeugt nicht. Die Gutachter halten einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Rotatorenmanschettenschaden für gegeben, weil die Klägerin vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei, während am Unfalltag Schmerzen und eine Schwellung im Bereich des rechten Schultergelenkes bestanden hätten. Sie erläutern aber nicht, wieso diese auch mit einer Prellung der Schulter in Einklang zu bringenden Beschwerden beweisen, dass der am 2. September 1999 (3 Monate nach dem Unfall und 2 Monate nach Wiederaufnahme der Arbeit) diagnostizierte Riss der Rotatorenmanschette bereits am 27. Mai 1999 erfolgt sein soll. Außerdem diskutieren die Gutachter nicht ausreichend, ob die auch von ihnen hervorgehobenen degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette ursächlich für die Ruptur waren.
Entgegen der von der Klägerin im Schriftsatz vom 7. April 2003 vertretenen Ansicht ist im vorliegenden Fall kein weiteres Gutachten einzuholen, auch wenn Dres. G. und Dr. H. sowie Dr. I. zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Denn der Senat war ohne weitere Ermittlungen in der Lage, die unterschiedlichen Beurteilungen der Sachverständigen zu würdigen und hält aus den oben dargestellten Gründen allein die Gutachten von Dr. H. und Dr. I. für überzeugend.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.