Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.04.2003, Az.: L 5/9 V 24/00

Erstattung von Heilbehandlungskosten durch das Versorgungsamt gegenüber der Krankenkasse; Voraussetzungen eines Erstattungsanspruches der Krankenkasse gegenüber dem Versorgungsamt; Behandlung einer anerkannter Schädigungsfolgen; Voraussetzungen der Anerkennung einer Schädigungsfolge

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.04.2003
Aktenzeichen
L 5/9 V 24/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20207
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0429.L5.9V24.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 26.11.1999 - AZ: S 23 V 112/95

Redaktioneller Leitsatz

Das Gesetz verlangt gemäß § 19 Abs. 1 BVG nach seinem klaren Wortlaut als Voraussetzung des Erstattungsanspruchs die Anerkennung der behandelten Erkrankung als Schädigungsfolge und gibt diesen Anspruch auch nur für Aufwendungen, die nach Wirksamwerden dieser Anerkennung entstanden sind. Ob zwischen der behandelnden Erkrankung und der anerkannten Schädigungsfolge ein ursächlichen Zusammenhang besteht, ist daher irrelevant.

Für die Feststellung einer Schädigungsfolge ist ein Anerkennungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben, das grundsätzlich nur der Versorgungsberechtigte (VB) einleiten kann. Denn es steht dem VB frei zu entscheiden, ob er einen Antrag nach § 1 BVG stellt bzw. für welche Schädigungsfolgen er versorgungsrechtliche Heilbehandlung in Anspruch nehmen will. Dies folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des VB.

§ 19 BVG a.F. regelt die Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen schädigungsbedingter Aufwendungen abschließend. Für einen allgemeinen öffentlich- rechtlichen Erstattungsanspruch ist daneben kein Raum.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. November wird 1999 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Heilbehandlungskosten.

2

Der am 17. Juni 1991 verstorbene Versorgungsberechtigte H. (VB) war zuletzt bei der Klägerin krankenversichert. Das Versorgungsamt (VA) Saarlouis hatte bei dem VB als Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. anerkannt: (Bescheid vom 13. Juli 1965):

  1. 1.

    Narben im Bereich der rechten Beckenkammgegend, im Oberbauch, in der linken Gesäßgegend und in der linken Leistengegend.

  2. 2.

    Narbe am linken Unterarm mit geringfügiger Schwäche des selben nach Unterarmbruch.

  3. 3.

    Entzündung der Vorsteherdrüse und Samenblase.

  4. 4.

    Leichter Leberzellschaden und mangelnde Salzsäureproduktion des Magens nach Dystrophie.

3

Im Zeitraum vom 4. April bis 30. April 1991 befand sich der VB wegen einer dekompensierten Leberzirrhose in stationärer Behandlung. Am 11. Juni 1991 wurde er mit den Anzeichen dieser Erkrankung erneut stationär aufgenommen, wo er am 17. Juni 1991 verstarb. Als Todesursache wurde ein Leberkoma als Folge einer Leberzirrhose festgestellt (Todesbescheinigung der I. vom 17. Juni 1991).

4

Am 12. Juli 1991 stellte die Witwe des VB bei dem Beklagten einen Antrag auf Bestattungs- und Sterbegeld. Das VA Saarland bewilligte Sterbegeld (Bescheid vom 19. Juli 1991). Das Bestattungsgeld wurde anteilsmäßig gekürzt, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der zum Tode führenden Leberzirrhose und dem anerkannten leichten Leberzellschaden nach Dystrophie nicht hinreichend wahrscheinlich sei (Bescheid vom 25. September 1992). Unter Vorlage der Kostennachweise Nr. 2 vom 6. Juni 1991 und Nr. 7 vom 12. März 1992 forderte die Klägerin von dem Beklagten die Erstattung der Kosten für die Krankenhausbehandlungen des VB im Zeitraum vom 4. April bis 30. April 1991 in Höhe von 8.448,30 DM, im Zeitraum vom 11. Juni bis 17. Juni 1991 in Höhe von 2.469,60 DM und für am 11. Juni 1997 entstandene Reise- und Transportkosten in Höhe von 507,00 DM, also einen Gesamtbetrag von 11.424,90 DM. Der Beklagte lehnte die Erstattung dieses Betrages ab.

5

Das im Auftrage des Beklagten erstattete Gutachten des Dr. J. vom 23. Juli 1992 ging von einem Zusammenhang zwischen dem anerkannten Leberschaden und der Leberzirrhose aus. Eine Dystrophie (Mangelernährung) in Kombination mit einer Hepatitis A könne auch nach vielen Jahren zu einer Leberzirrhose führen, wenn andere leberschädigende Einflüsse wie etwa Alkohol hier nicht vorlägen. Auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung ging in seiner Stellungnahme vom 14. Oktober 1993 von einem solchen Zusammenhang aus. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20. August 1992 wurde hingegen ein solcher Zusammenhang verneint, weil Alkoholabusus immer noch die Hauptursache einer Leberzirrhose sei. Die bei dem VB diagnostizierte Hepatitis A heile regelmäßig folgenlos aus.

6

Die Klägerin hat am 22. Dezember 1995 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover auf Erstattung der Behandlungskosten für den VB erhoben und sich auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vom 14. Oktober 1993 berufen. Unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 4. April 1996 hat der Beklagte erwidert, dass das Gutachten Dr. J. überholt sei, weil eine Hepatitis A nach dem Ablauf von mehr als 3 Jahrzehnten nach neueren medizinischen Erkenntnissen nicht zu einer Leberzirrhose mit Dekompensation führen könne.

7

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 26. November 1999 verurteilt, an die Klägerin Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 11.424,90 DM zu erstatten. Im Ergebnis hat es sich dem Gutachten des Dr. J. angeschlossen, wonach ein Leberzellschaden durchaus zu einer Leberzirrhose führen könne. In der Regel verursachten zwar andere Einwirkungen eine Leberzirrhose, so lange diese aber nicht nachgewiesen seien, müsse von einer Schädigungsfolge ausgegangen werden.

8

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 18. Mai 2000 Berufung eingelegt. Nach seiner Auffassung entspricht das Gutachten des Dr. J. nicht mehr dem aktuellen Wissensstand über den Verlauf und die Prognose von Hepatiden.

9

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des SG Hannover vom 26. November 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten über den VB (K.) (L.), die Akte der Klägerin und die Gerichtsakte beider Rechtszüge Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

13

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

14

Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, der Klägerin die Kosten der Krankenhausbehandlung und der Transportkosten in Höhe von 11.424,90 DM zu erstatten. Die Heilbehandlung beruht nicht auf einer anerkannten Schädigungsfolge. Der Klägerin steht auch kein Recht zu, die Aufklärung der Zusammenhangsfrage zu verfolgen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

15

Mit der nach § 54 Abs. 5 SGG erhobenen Leistungsklage begehrt die Klägerin die Erstattung der Kosten für die Krankenhausbehandlung des VB für die Zeit vom 4. April bis 30. April 1991 und vom 11. Juni bis 17. Juni 1991 sowie für die am 11. Juni 1991 entstandenen Transportkosten. Am 1. Januar 1994 noch nicht gezahlte Erstattungen von Aufwendungen für Leistungen der Krankenkassen, die vor dem 1. Januar 1994 erbracht worden sind, werden nach den bis dahin geltenden Erstattungsregelungen abgerechnet (Artikel 5 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 21. Juli 1993 - BGBl. &61513; 1262 -).

16

Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 BVG in der zurzeit der Entstehung des Anspruches geltenden Fassung vom 26. Juni 1990 (BGBl. &61513; 1211) werden den Krankenkassen, die nicht nur nach dem BVG verpflichtet sind, Heilbehandlung zu gewähren, u.a. die Aufwendungen für voll- oder teilstationäre Behandlung in einem Krankenhaus erstattet. Die Krankenhauspflege ist eine Heilbehandlung, die von der Krankenkasse sowohl nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung als auch nach dem BVG zu erbringen ist (vgl. BSG SozR 3100 § 19 Nr. 6). Die Erstattung wird gewährt, wenn die Aufwendungen durch Behandlung anerkannter Schädigungsfolgen entstanden sind (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BVG a.F.). Die Erstattung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BVG a.F. wird erst nach der Anerkennung gewährt, wenn die Gesundheitsstörung bei Beginn der Behandlung noch nicht als Schädigungsfolge anerkannt war (§ 19 Abs. 5 Satz 1 BVG a.F.). An einer - auch nachträglichen - Anerkennung der Leberzirrhose bzw. des Leberkomas als Folge einer Schädigung durch den Beklagten fehlt es hier.

17

Als Schädigungsfolgen waren bei dem VB u.a. ein leichter Leberzellschaden mit mangelnder Salzsäureproduktion des Magens nach Dystrophie anerkannt. Der maßgebliche Grund für die Krankenhausbehandlungen war hingegen eine dekompensierte Leberzirrhose, die schließlich zu einem Leberkoma und zum Tode des VB geführt hat. Weder diese Erkrankungen, noch der Tod des VB waren als Folgen einer Schädigung anerkannt.

18

Über die Frage, ob die dekompensierte Leberzirrhose und das Leberkoma in einem ursächlichen Zusammenhang mit der anerkannten Schädigungsfolge stehen, ist hier nicht zu entscheiden. Das Gesetz verlangt nach seinem klaren Wortlaut als Voraussetzung des Erstattungsanspruchs die Anerkennung der behandelten Erkrankung als Schädigungsfolge und gibt diesen Anspruch auch nur für Aufwendungen, die nach Wirksamwerden dieser Anerkennung entstanden sind. Für diese Feststellung ist ein Anerkennungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben, das grundsätzlich nur der VB einleiten kann (vgl. BSG SozR 3100 § 19 Nr. 7). Denn es steht dem VB frei zu entscheiden, ob er einen Antrag nach § 1 BVG stellt bzw. für welche Schädigungsfolgen er versorgungsrechtliche Heilbehandlung in Anspruch nehmen will. Dies folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des VB (vgl. BSGE 63, 204; 61,180).

19

Der VB hat einen solchen Antrag auf Anerkennung der Leberzirrhose bzw. auf Verschlimmerung seines anerkannten Leberschadens zu Lebzeiten nicht gestellt. Obwohl die Leberzirrhose im Zeitpunkt der Krankenhausbehandlungen bereits seit vielen Jahren bekannt war, hat der VB ein solches Verfahren bei dem Beklagten nicht beantragt.

20

Die Witwe des VB - der ein Recht auf Sachverhaltsaufklärung zusteht (vgl. BSG SozR 3100 § 19 Nr. 19) - hat einen solchen Antrag auch nicht gestellt. Ein Antrag auf Hinterbliebenenrente liegt nicht vor. Die Witwe hat Anträge auf Bestattungs- und Sterbegeld gestellt, die der Beklagte auch bewilligt hat. Im Bescheid über die Bewilligung des Bestattungsgeldes vom 25. September 1992 hat der Beklagte aber zugleich festgestellt, dass der Tod des VB nicht Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG ist und deshalb das Bestattungsgeld anteilsmäßig gekürzt. Dieser Bescheid ist bindend geworden, ohne dass sich die Witwe gegen diese Feststellungen gewandt hätte. Auf Grund des fehlenden Antrages auf Aufklärung des Sachverhaltes ist es der Klägerin verwehrt, den hier geltend gemachten Erstattungsanspruch zu verfolgen (vgl. BSGE 61, 180; 68, 248 m.w.N. und auch BSG, Urteil vom 26. November 1991, Az.: 9a RV 8/90, USK 91148).

21

§ 19 BVG a.F. regelt die Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen schädigungsbedingter Aufwendungen abschließend. Für einen allgemeinen öffentlich- rechtlichen Erstattungsanspruch ist daneben kein Raum (BSG SozR 2200 § 205 Nr. 55).

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

23

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.