Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 1 RA 98/02
Befreiung von der Versicherungspflicht arbeitnehmerähnlicher Selbständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten; Handelsvertreter als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Versäumung der Frist zur Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbständiger; Persönliche Gestaltungsfreiheit eines Handelsvertreters
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 98/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21195
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L1RA98.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 05.04.2002 - AZ: S 14 RA 325/01
Rechtsgrundlagen
- § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI
- § 7 Abs. 4 S. 2 SGB VI
- § 231 Abs. 5 S. 3 SGB VI
- § 7 Abs. 1 S. 1 SGB VI
- § 27 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 84 Abs. 1 HGB
Redaktioneller Leitsatz
Der Grundsatz von Treu und Glauben erlaubt für Arbeitnehmer ähnliche Selbständige eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Versäumung der Frist zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 5. April 2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2001 werden geändert. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für die Zeit ab dem 1. Januar 1999 von der Versicherungspflicht als Arbeitnehmer ähnlicher Selbstständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten zu befreien.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 3/4 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu übernehmen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Beklagte die Versicherungspflichtig des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten feststellen durfte, im Rahmen des Hilfsantrages darum, ob die Beklagte den Kläger von der Versicherungspflicht befreien musste.
Der 1946 geborene Kläger erlernte zunächst von 1961 bis 1964 den Beruf des Autoschlossers. Nach Jahren der abhängigen Beschäftigung machte er sich im Juni 1991 selbstständig. Er wurde Handelsvertreter für die I. in J ... Im Zuge dieses Eintritts in die Selbstständigkeit schloss der Kläger private Unfall-, Betriebshaftpflicht-, Krankenzusatz- sowie Lebensversicherungen ab. Mit der Lebensversicherung schützte sich der Kläger u.a. gegen das Risiko der Invalidität. Im Übrigen betrieb er Altersvorsorge durch den Kauf einer Eigentumswohnung. Bei der Beklagten versicherte er sich fortan freiwillig zum Mindestbeitrag.
Anlässlich eines Kontenklärungsantrages aus September 2000 teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13. Oktober 2000 mit, es sei zu prüfen, ob die seit Juni 1991 ausgeübte Tätigkeit des Handelsvertreters auf Grund der durch das so genannte Korrekturgesetz (Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998, Bundesgesetzblatt I Seite 3843; dazu Heller, DAngVers. 1999, Seite 14) geschaffenen Rechtslage nunmehr versicherungspflichtig geworden sei. Der Kläger teilte auf dem ihm übersandten Prüfbogen u.a. mit, seit seiner Selbstständigkeit den Kundenkreis eigenständig zu bestimmen nebst allem, was damit verbunden sei, etwa die Häufigkeit der Besuche, die Daten der Lieferungen und die Werbung von Neukunden. Er führe in Eigenregie Werbeaktionen, Hausmessen und Preisgestaltungen durch. Mit seinem Kapital statte er sein Büro aus und finanziere seinen dienstlich genutzten Pkw. Er erklärte, nach wie vor lediglich für die I. tätig zu sein und legte den diesbezüglichen Handelsvertretervertrag vom 31. Mai 1991 vor.
Die Beklagte unterrichtete den Kläger unter dem 8. Dezember 2000 zunächst davon, ein versicherungspflichtiger Selbstständiger habe den so genannten Regelbeitrag (in Höhe von z.Zt. 859,95 DM) zu zahlen. Die Möglichkeit einer Befreiung von der neu eingetretenen Versicherungspflicht habe lediglich bis zum 30. Juni 2000 bestanden. Eine Verlängerung über diesen Stichtag hinaus sei nicht möglich und im Gesetzgebungsverfahren auch nicht diskutiert worden.
Vor dem Hintergrund der weiteren Angaben des Klägers, als Handelsvertreter nur für einen Auftraggeber tätig zu sein und keinen Fremdangestellten zu beschäftigen, beurteilte die Beklagte, die gleichzeitig weiterhin die freiwilligen Beiträge entgegengenommen hatte, den Kläger nunmehr als Arbeitnehmer ähnlichen Selbstständigen und damit als versicherungspflichtig. Dieses stellte sie im Bescheid vom 23. Februar 2001 fest, beanstandete jetzt die für die Zeit von Januar 1999 bis Februar 2001 gezahlten freiwilligen Beiträge und kündigte an, diese zu Unrecht entrichteten Beiträge mit den nachzuzahlenden Pflichtbeiträgen aus der selbstständigen Tätigkeit zu verrechnen. Den dagegen unter Hinweis auf die getätigte Eigenvorsorge gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2001 zurück. Die Versicherungspflicht sei Kraft Gesetzes eingetreten. Die Frist zur Befreiung von der Versicherungspflicht, die als gesetzliche Ausschlussfrist konzipiert sei, habe der Kläger versäumt.
Dagegen hat der Kläger am 18. Juni 2001 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, angesichts der von ihm privat vorgenommenen Absicherungen des Schutzes durch die gesetzliche Rentenversicherung nicht zu bedürfen. Vor dem Hintergrund einer 1991 erfolgten Beratung bei der Beklagten habe er sich von der im Vorfeld des Korrekturgesetzes geführten öffentlichen Diskussion über das Problem der Scheinselbstständigkeit nicht angesprochen gefühlt. Der Stichtag 30. Juni 2000 beziehe sich nicht auf die Befreiungsmöglichkeit, vielmehr allein darauf, dass bis zu diesem Zeitpunkt private Vorsorgeverträge abgeschlossen sein müssten, um den Eintritt der Versicherungspflicht zu verhindern. Das Eingreifen der Versicherungspflicht würde ihn finanziell ruinieren.
Das SG hat die Klage durch sein Urteil vom 5. April 2002 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Beklagte habe die Versicherungspflicht des Klägers für die Zeit ab Januar 1999 zu Recht festgestellt. Der Kläger sei nämlich lediglich für einen einzigen Auftraggeber tätig und beschäftige keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer. Ihn von der Versicherungspflicht zu befreien, komme deshalb nicht in Betracht, weil die dafür gesetzlich vorgesehene Frist am 30. Juni 2000 abgelaufen sei. Aber auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne der Kläger nicht verlangen, so behandelt zu werden, als sei sein Befreiungsantrag rechtzeitig eingegangen. Denn er habe kein konkretes Beratungsbegehren an die Beklagte gerichtet. Auf die Vorsprache im Jahre 1991 könne nicht abgestellt werden, da der selbstständige Handelsvertreter nach damaligem und bis Ende 1998 geltendem Recht nicht versicherungspflichtig gewesen sei.
Gegen das ihm am 12. April 2002 zugestellte Urteil richtet sich der Kläger mit seiner am 10. Mai 2002 eingegangenen Berufung. Diese begründet er weiter gehend damit, ihm sei weder das Erfordernis, einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu stellen, noch die dafür eingeräumte Frist bekannt gewesen. Allein an das Überschreiten der Frist könnten keine Nachteile geknüpft werden, zumal die Gesetzeslage unklar sei. Auch werde er im Verhältnis zu Berufsgruppen, die ihre bisher schon bestehende Versicherungspflicht nicht gekannt hätten und denen nun ein weiter gehendes Befreiungsrecht eingeräumt werde, ungleich behandelt. Der Anspruch auf Befreiung müsse jedenfalls deshalb im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durchgreifen, weil in einer Broschüre des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) die Formulierung enthalten sei, die Antragsfrist laufe "frühestens am 30. Juni 2000" ab.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 5. April 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2001 aufzuheben, hilfsweise, ihn für die Zeit ab dem 1. Januar 1999 von der Versicherungspflicht als Arbeitnehmer ähnlicher Selbstständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten sowie die Rentenakten der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen. Die Akten sind Gegenstand von mündlicher Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig und teilweise begründet.
Das Urteil des SG Hannover war im Sinne des Hilfsantrages zu ändern und die Beklagte zu verpflichtet, den Kläger von der Versicherungspflicht als Arbeitnehmer ähnlicher Selbstständiger in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Dagegen war zunächst die Feststellung der Beklagten in dem Bescheid vom 23. Februar 2001 zu bestätigen, wonach der Kläger durch die Vorgaben des Korrekturgesetzes ab dem 1. Januar 1999 als Arbeitnehmer ähnlicher Selbstständiger versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten geworden ist.
Die Versicherungspflicht des Klägers beruht auf § 2 Nr. 9 Sozialgesetzbuch (SGB) VI i.d.F. des Korrekturgesetzes. Danach sind versicherungspflichtig selbstständig tätige Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 325,00 EURO im Monat übersteigt und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Diese Voraussetzungen lieben beim Kläger vor.
Die Selbstständigkeit des Klägers ist dabei - im Gegensatz zu den übrigen Selbstständigen - nicht nach der Vermutungsregel in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB IV zu beurteilen, vielmehr nach Satz 2 der genannten Vorschriften i.V.m. § 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB). Als Handelsvertreter ist danach selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Das HGB stellt damit auf die persönliche Freiheit im Gegensatz zur wirtschaftlichen Freiheit ab. Die Beurteilung der persönlichen Freiheit des Handelsvertreters ist - in verfahrensmäßiger Hinsicht ähnlich wie diejenige der selbstständig Tätigen allgemein - in einer wertenden Gesamtbetrachtung des konkreten Falles anhand von für und gegen die persönliche Freiheit sprechenden Kriterien vorzunehmen (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band I, § 2 SGB VI Rdnr. 36; vgl. im Übrigen Geisler, Versicherungspflicht von Scheinselbstständigen und Arbeitnehmer ähnlichen Selbstständigen, DAngVers 1999, Seite 68, 71; Schmidt, Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 5 SGB VI in: DAngVers 1999, Seite 158, 159).
Der Kläger war und ist selbstständig im Sinne des HGB, weil er - so seine ausdrückliche Erklärung vom 29. November 2000 - den Inhalt seiner Tätigkeit und seine Arbeitszeit selbst bestimmen kann. In seiner Erklärung führte der Kläger aus, die Werbung der Kunden und die Kundenbesuche, die Preisverhandlungen und Belieferungen selbst zu bestimmen. Der durch den Handelsvertretervertrag vom 31. Mai 1991 seitens der I. vorgegebene Rahmen - Wahrnehmung der Interessen der Firma, Unterstützung seitens der Firma durch Preislisten, Werbedrucksachen und Marktinformationen, Festlegung der Provisionssätze, Vertretungsregelung und Bestimmungen zur Kündigung des Vertrages - treten dabei in den Hintergrund. Die ihm eingeräumte persönliche Freiheit in der Tätigkeit des Handelsvertreters brachte der Kläger in bezeichnender Weise dadurch zum Ausdruck, dass er sie in den Gegensatz zu der zuvor in abhängiger Beschäftigung ausgeübten Vertretertätigkeit stellte. Damals habe er vorgeschriebene Arbeitszeiten in der Firma ableisten sowie vorgegebene Touren zu vorbestimmten Kunden bei festgelegten Besuchszeiten einhalten müssen. Wesentliches Indiz für die Selbstständigkeit des Klägers ist bei alledem die Provisionsregelung, der zu Folge der Kläger ungeachtet der Abhängigkeit von einem einzigen Auftraggeber ein nicht unerhebliches Unternehmerrisiko trägt. Entsprechend dem Erscheinungsbild eines Unternehmers ist der Kläger in der Lage, die Höhe seines monatlich erzielten Entgelts durch persönlichen Einsatz selbst zu bestimmen.
Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung der Beklagten nach § 2 Nr. 9 SGB VI sind erfüllt. Der Kläger ist seiner eigenen Angabe zufolge allein bzw. nahezu ausschließlich für die K. L. GmbH tätig. Auch beschäftigt er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Handelsvertreter keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit mehr als geringfügigem Arbeitsentgelt.
Die Berufung hat dagegen im Hilfsantrag Erfolg. Die Beklagte hat den Kläger unabhängig davon, dass er die gesetzlich bestimmte Antragsfrist versäumt hat, von der Versicherungspflicht als Selbstständiger zu befreien. Grundlage dafür ist § 231 Abs. 5 SGB VI.
Die gesetzliche Befreiungsregelung in § 231 Abs. 5 SGB VI ist eingeführt worden, um diejenigen nicht mit Beitragsleistungen zu belasten, die entweder ein bestimmtes Lebensalter bereits überschritten haben, nämlich vor dem 2. Januar 1949 geboren sind, dabei unabhängig davon, welchen Versicherungsschutz sie bislang erworben haben und unabhängig davon, wann die versicherungspflichtige Tätigkeit begann, oder die - unabhängig von ihren Lebensalter - einen ausreichenden privaten Versicherungsschutz nachweisen (vgl. Geisler a.a.O., Seite 72; Eicher-Haase-Rauschenbach, Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, § 231 SGB VI Anm. 18; Gürtner a.a.O. § 231 SGB VI Rdnrn. 14 bis 17). Von diesen somit nur alternativ geforderten Befreiungsvoraussetzungen (a. Lebensalter, b. Vorsorge) erfüllt der Kläger jedenfalls die erste Alternative mit seinem Geburtsdatum 2. Juli 1946, also vor dem 2. Januar 1949. Dahin stehen kann angesichts dessen, ob er auch - entsprechend seinem diesbezüglichen Vortrag - die zweite Alternative einer ausreichenden Vorsorge - u.a. Aufwendungen für private Absicherung in Höhe der für die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge - erfüllt.
Mit seinem Befreiungsantrag scheitert der Kläger jedoch zunächst an der in § 231 Abs. 5 Satz 3 SGBVI bestimmten Frist. Die Befreiung ist danach binnen eines Jahres nach Eintritt der Versicherungspflicht zu beantragen; die Frist läuft nicht vor dem 30. Juni 2000 ab (die ursprüngliche Fassung des Korrekturgesetzes hatte die Befreiungsmöglichkeit nur bis zum 30. Juni 1999 eröffnet; die Verlängerung erfolgte durch das Gesetz vom 20. Dezember 1999, Bundesgesetzblatt I Seite 2000). Da die selbstständige Tätigkeit des Klägers mit dem Korrekturgesetz bereits ab dem 1. Januar 1999 versicherungspflichtig geworden und das Jahr nach Eintritt der Versicherungspflicht somit Ende 1999 abgelaufen war, hätte der Kläger entsprechend der Erweiterung mit dem Gesetz vom 20. Dezember 1999 seinen Antrag bis zum 30. Juni 2000 bei der Beklagten einreichen müssen. Da dies nicht geschehen ist, war der (am 13. September 2000 eingegangene) Antrag verfristet. In diesem Zusammenhang spielte es keine Rolle, dass der Kläger - nach seinem Vortrag - weder die Einzelheiten des Befreiungsrechts kannte noch wusste, wann die Frist für den Befreiungsantrag abläuft. Nicht zutreffend ist die Ansicht, die Frist beziehe sich auf den Abschluss privater Vorsorgeverträge. Es existiert zwar - ebenfalls in § 231 Abs. 5 SGB VI - eine Stichtagsregelung für den Abschluss derartiger Verträge, diese Regelung hat aber mit der Frist für die Stellung des Befreiungsantrags nichts zu tun. Die Gesetzeslage ist auch nicht im Sinne des klägerischen Vorbringens "unklar". Die Erweiterung auf den 30. Juni 2000 bezieht sich auf diejenigen Fälle, in denen die Versicherungspflicht - wie beim Kläger - vor dem 1. Juli 1999 eingetreten ist, also die Jahresfrist nach Beginn der Versicherungspflicht ansonsten schon abgelaufen wäre.
Die Berufung hat jedoch im Ergebnis deshalb im Sinne des Hilfsantrages Erfolg, weil die Beklagte dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren hat. Wiedereinsetzung ist nach dem Sozialverfahrensrecht dann zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Verschulden liegt dann nicht vor, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt beachtet hat, die einem im Verwaltungsverfahren gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen des jeweiligen Falles zuzumuten ist. Überspitzte Anforderungen dürfen nicht gestellt werden. Die Beachtung aller Umstände gestattet und erfordert es dabei, das Handeln rechtsunkundiger Personen anders als das rechtskundiger und ggf. sogar beruflich mit der Materie verbundener Personen zu bewerten (vgl. Krasney in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band II, § 27 SGB X Rdnr. 5). Die Wiedereinsetzung ist zunächst dann ausgeschlossen, wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt, § 27 Abs. 5 SGB X. Darüber hinaus ist nach Auffassung der Rechtsprechung die Wiedereinsetzung auch dann nicht möglich, wenn sich dies durch Auslegung entsprechend dem Zweck der jeweiligen materiell-rechtlichen Fristbestimmung unter Abwägung der zu Grunde liegenden Interessen ergibt (BSG-Urteil vom 25. Oktober 1988, Az: 12 RK 22/87). Im vorliegenden Fall existiert weder eine Vorschrift i.S. des § 27 Abs. 5 SGB X noch ergibt sich ein Ausschluss der Wiedereinsetzung aus Sinn und Zweck des § 231 Abs. 5 SGB VI. Letzteres folgt daraus, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Frist geringer zu bewerten ist als das individuelle Interesse des Klägers an der nachträglichen Wiedereröffnung der Befreiungsmöglichkeit. Denn es fallen Beiträge lediglich für einen begrenzten Zeitraum aus. Leistungen bei Invalidität, Alter und Tod müssten auf Grund der freiwilligen Beiträge des Klägers (Weiterversicherung) ohnehin erbracht werden. Das Interesse des Klägers an der Wiedereinsetzung ist dem gegenüber erheblich. Zwar dürfte die Möglichkeit eines "finanziellen Ruins" in Anbetracht jährlicher Einkünfte von über 100.000,00 DM (Telefonat vom 9. Januar 2001) fern liegen, jedoch hat der Kläger nicht zuletzt durch Vorlage entsprechender Belege nachgewiesen, ausreichend gegen die in § 231 Abs. 5 SGB VI angesprochenen Risiken abgesichert zu sein. Die zusätzlichen Aufwendungen würden sich für ihn insoweit als nutzlos erweisen.
Ohne Verschulden im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X war der Kläger an der Einhaltung der Frist gehindert, weil er laufend in einem freiwilligen Versicherungsverhältnis zur Beklagten stand und erwarten konnte, dass sich die Beklagte bei Eintritt der Versicherungspflicht an ihn wenden würde. Der Senat unterstellt dabei den Vortrag des Klägers als zutreffend, wonach er davon ausgegangen ist, dass die Beklagte Kenntnis über die der freiwilligen Versicherung zu Grunde liegende Tätigkeit hatte. Der Kläger hat sich insoweit auf das im Jahre 1991 in einer Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten geführte Gespräch bezogen, in dem ihm empfohlen wurde, sich als selbstständiger Handelsvertreter in Höhe des Mindestbeitrages freiwillig weiter zu versichern und ansonsten eine Absicherung für das Alter privat vorzunehmen. Angesichts dieser auf die Beratung aus dem Jahre 1991 zurückgehenden Vorgeschichte war es der Beklagten versagt, allein auf die über die Massenmedien verbreitete Erweiterung des Kreises der Pflichtversicherten durch § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI abzustellen. Aus seiner laienhaften Sicht durfte der Kläger in der Tat die öffentliche Diskussion als in seinem Fall nicht einschlägig ansehen. Vorrangig war für ihn die durch das freiwillige Versicherungsverhältnis individualisierte Rechtsbeziehung. Er durfte annehmen, die Beklagte werde die freiwilligen Beiträge auch über den 31. Dezember 1998 hinaus nur rechtmäßig entgegennehmen, wofür aber der Fortbestand der Versicherungsberechtigung und gerade keine - das freiwillige Versicherungsverhältnis verdrängende - Pflichtversicherung vorausgesetzt werden müsste. Da die Verschuldensfrage ausschließlich aus der Sicht des - juristisch nicht vorgebildeten - Klägers zu beurteilen war, kam es nicht darauf an, ob die Beklagte tatsächlich Kenntnis von der Tätigkeit des Klägers als selbstständiger Handelsvertreter hatte. Das jedenfalls war dafür, die freiwillige Versicherung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB VI als fortbestehend zu behandeln, nicht erforderlich. Immerhin musste der Rentenversicherungsträger - aus berechtigter Sichtweise des Klägers - sicher gehen, dass der freiwillig Versicherte nicht vorrangig pflichtversichert war (§ 7 Abs. 1 Satz 1: "Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, können sich ... freiwillig versichern.").
Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Falle des Klägers entspricht dem auch im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Selbst wenn die Beklagte die freiwilligen Beiträge unwissentlich über den 31. Dezember 1998 hinaus als rechtmäßig entrichtet entgegen nahm, war es ihr im Hinblick auf den Fristablauf verwehrt, sich auf eine etwaige Kenntnis des Klägers von der neuen Gesetzeslage zu berufen. Sie musste den Kläger gerade wegen der weiteren Entgegennahme der freiwillige Beiträge so behandeln, als sei er tatsächlich davon abgehalten worden, sich wegen seiner Tätigkeit als Handelsvertreter bei ihr - mit dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht - zu melden (vgl. zur Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben im Sozialrecht - Fälle rechtsmissbräuchlicher Berufung auf die Einrede der Verjährung - BSG SozR 3-2400 § 25 SGB IV Nr. 6 sowie BSG SozR 3-1200 § 45 SGB I Nr. 6).
Der Senat brauchte angesichts des bereits erfolgreichen Befreiungsantrages nicht mehr darüber zu entscheiden, ob sich der vom Kläger am 10. Juli 2002 abgeschlossene - zusätzliche - Handelsvertretervertrag mit der M. auf die Beziehung zur Beklagten auswirkt. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits als Handelsvertreter versicherungsfrei.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Kläger sein Klageziel überwiegend erreicht hat.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil der Fall des Klägers Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Vor allem ist das Problem, ob die Maßgaben des Korrekturgesetzes zulassen, die in § 231 Abs. 5 Satz 3 bestimmte Frist als so genannte uneigentliche Ausschlussfrist anzusehen, also als solche mit der - hier befürworteten - Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Die Entscheidung darüber hat Bedeutung für eine Vielzahl von versicherungspflichtig gewordenen Selbstständigen mit verspätetem Befreiungsantrag.