Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.04.2003, Az.: L 5 V 43/00

Feststellung von "Prothesenrandknötchen mit entzündlicher Aktivität" als mittelbare Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.04.2003
Aktenzeichen
L 5 V 43/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20209
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0429.L5V43.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 07.07.2000 - AZ: S 23 V 44/96

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Juli 2000 wird geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft den Umfang und die Bewertung von Schädigungsfolgen auf der Grundlage des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Bei dem am I. geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt (VA) Hannover zuletzt mit Bescheid vom 2. April 1967 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. fest auf Grund der Schädigungsfolgen:

3

Verlust des rechten Oberarmes im oberen Drittel und des rechten Oberschenkels zwischen oberem und mittlerem Drittel mit dadurch bedingter Fehlhaltung der Wirbelsäule. Verformung des linken Unterschenkels mit Fehlstellung und Bewegungseinschränkung des Fußes. Narben an der rechten Stirn- und linken Scheitelseite.

4

Mit Bescheid vom 12. Januar 1970 lehnte es die Feststellung einer Schuppenflechte als Schädigungsfolge ab.

5

Am 19. Juli 1993 beantragte der Kläger die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen. Zur Begründung gab er an, er leide an einem offenen linken Bein und an Bewegungseinschränkungen im linken Arm. Er stützte sich auf ein Attest der Allgemeinärzte Dres. J., Arztbriefe des Neurologen und Psychiaters Dr. K., des Unfallchirurgen Dr. L. sowie der internistisch/dermatologischen Abteilung der M ... Das VA holte ein Untersuchungsgutachten des Versorgungsamtsarztes N. vom 3. März 1994 ein und lehnte den Antrag ab, weil weitere Schädigungsfolgen nicht aufgetreten seien (Bescheid vom 6. Juli 1994). Mit dem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, seit ca. 20 Jahren beständen als mittelbare Schädigungsfolgen Abszesse, ausgehend von der rechten Leiste mit weiteren Folgen. Die Abszesse seien durch die Oberschenkelprothese hervorgerufen worden und hätten sich bis in die linke Achselhöhle hinaus verbreitet. Daraus sei es zu einer Fehlstellung der linken Hand gekommen, auch habe sich eine Verkrümmung der Großzehe links eingestellt. Nach dem hautfachärztlichen Untersuchungsgutachten durch Prof. Dres. O. vom 19. Dezember 1995, die einen Zusammenhang der Psoriasis vulgaris sowie der Schweißdrüsenabszesse mit den anerkannten Schädigungsfolgen ausschlossen, blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1996).

6

Gegen den am 25. Juni 1996 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 12. Juli 1996 Klage erhoben. Er hat das Vorbringen aus dem Vorverfahren vertieft und hierfür ein Attest der Ärzte Dres. J. vorgelegt. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat durch Urteil vom 7. Juli 2000 die angefochtenen Bescheide geändert und den Beklagten verurteilt, "Prothesenrandknötchen mit entzündlicher Aktivität" als mittelbare Schädigungsfolge festzustellen. Die weiter gehende Klage hat es abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, Fistelbildungen und Abszesse in der rechten Leistengegend/linken Achselhöhle sowie Psoriasis-Arthritis verbunden mit Beugekontrakturen des 4. und 5. Fingers der linken Hand, Schultersteife links sowie der Verkrümmung der großen linken Zehe seien nicht Schädigungsfolgen. Die Prothesenrandknötchen mit entzündlicher Aktivität seien dagegen als mittelbare Schädigungsfolge festzustellen. Dies ergebe sich aus den Einschätzungen des behandelnden Arztes Dr. P ... Es sei nachvollziehbar, dass solche Knötchen mit entzündlicher Aktivität durch das Tragen der Prothese entständen.

7

Gegen das am 22. August 2000 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit der am 30. August 2000 eingegangenen Berufung. Diese begründet er damit, es handele sich im beiderseitigen Leistenbereich um die Folgen der Schweißdrüsenabszesse. Mit dem Tragen der Prothese verbundene Prothesenrandknötchen seien nicht festzustellen und könnten insbesondere nicht Ursache der erfolgten Operationen zur Bekämpfung der Schweißdrüsenabszessbildung sein.

8

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Hannover vom 7. Juli 2000 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Der Kläger hält das angefochtene Urteil im Anschluss an die Äußerung seiner behandelnden Ärzte Dres. J. für richtig.

11

Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Schwerbehinderten-Akten (Q.) sowie die Beschädigtenakten (Grundlisten-Nr. R.) des VA Hannover vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

12

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG Prothesenrandknötchen als mittelbare Schädigungsfolge festgestellt.

13

Mittelbare Schädigungsfolgen sind Gesundheitsstörungen, die durch ein äußeres Ereignis herbeigeführt worden sind, das seine Ursache in einem schädigungsbedingten Leiden hat (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, AHP, Ausgabe 1996, S. 186). Eine solche mittelbare Schädigungsfolge besteht nicht:

14

Es steht rechtskräftig fest, dass Fistelbildungen und Abszesse in der rechten Leistengegend und linken Achselhöhe sowie Psoriasis-Artritis keine Schädigungsfolgen sind. Denn der Kläger hat gegen diese Feststellung in dem Urteil des SG vom 7. Juli 2000 ein Rechtsmittel nicht eingelegt. Dass Psoriasis keine Schädigungsfolge ist, ist bestandskräftig seit dem Bescheid vom 12. Januar 1970 festgestellt. Prothesenrandknötchen mit entzündlicher Aktivität können jedoch ebenfalls nicht als (mittelbare) Schädigungsfolge festgestellt werden. Solche Befunde hat weder der Versorgungsarzt N. anlässlich seines Gutachtens vom 3. März 1994 erhoben noch sind sie dem Untersuchungsgutachten der Prof. Dres. O. vom 19. Dezember 1995 zu entnehmen. Zwar kann dies dadurch erklärt werden, dass der Kläger nach seinen gegenüber Herrn N. gemachten Angaben seit etwa 1993 eine Prothese nicht getragen hat. Indes belegt der Arztbrief der Abteilung Hautkrankheiten des Zentrums der Inneren Medizin und Dermatologie der S. vom 28. Juli 1987, dass der Kläger nicht an - etwa selbstständig zu betrachtenden - Prothesenrandknötchen mit entzündlicher Aktivität litt und leidet. Damals trug er noch die Beinprothese. Gleichwohl hat die MHH ein von der Psoriasis, Aknetriade und Hidradenitis suppurativa (Schweißdrüsenabszesse) gesondertes, auf die Prothese zurückzuführendes dermatologisches Krankheitsbild weder befundet noch diagnostiziert. Vielmehr steht, bestätigt durch den weiteren Arztbrief der Abteilung vom 31. Oktober 1993 sowie durch das Gutachten vom 19. Dezember 1995 fest, dass die dermatologischen Beeinträchtigungen sämtlich durch Psoriasis und Schweißdrüsenabszesse verursacht sind, die als Schädigungsfolgen ausgeschlossen sind. Die dieser Beurteilung entgegenstehende Auffassung der Allgemeinärzte Dres. T. ist nicht nachvollziehbar.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

16

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.