Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 1 RA 83/01
Rücknahme der Gewährung von Altersrente und Rückforderung des überschüssigen Betrages; Ausübung einer selbständigen Verwaltertätigkeit während des Rentenbezuges; Bewilligung der Altersrente unter Vorbehalt; Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze; Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 83/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20218
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L1RA83.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 14 RA 328/00
Rechtsgrundlagen
- § 237 SGB VI
- § 42 SGB VI
- § 45 Abs. 1 SGB X
- § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X
- § 32 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
Ein Rentenbezieher kann sich nicht auf Vertrauensschutz hinsichtlich der Richtigkeit eines Rentenbescheides und des Leistungsbezuges berufen, wenn im Rentenbescheid ausdrücklich nur unter Vorbehalt Rente bewilligt wird.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, einen Bescheid über die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Anrechnung von Hinzuverdienst mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger, der zuletzt Assessor im Landesarbeitsamt war, beantragte im September 1997 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig teilte er der Beklagten mit, dass er im Rahmen einer familienhaften Mitwirkung eine Verwaltertätigkeit ausübe, aus der er einen monatlichen Nebenverdienst von 575,69 DM erziele. Dieser Betrag verbleibe ihm nach Abzug aller Abzüge und Kosten von seinem monatlichen Honorar von 1.976,00 DM ohne Mehrwertsteuer. Der von dem Kläger vorgelegte Einkommenssteuerbescheid für 1995 wies Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 13.004,00 DM aus.
Mit Bescheid vom 8. Januar 1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger die begehrte Altersrente ab 1. September 1997. Darin wies sie den Kläger auf die gesetzliche Verpflichtung hin, ein Überschreiten der Verdienstgrenze, die ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (620,00 DM in den alten Bundesländern) betrage, unverzüglich anzuzeigen. Außerdem heißt es in der Anlage 10 des Bescheides, Seite 2: "Wir bitten Sie, zu gegebener Zeit um Einsendung der Einkommensteuerbescheide für 1996 und 1997. Wir weisen darauf hin, dass der Rentenbescheid insofern unter Vorbehalt steht".
Im Oktober 1998 legte der Kläger den Einkommenssteuerbescheid für 1996 vor, dem Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 14.375,00 DM zu entnehmen waren. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger unter dem 3. November 1998 mit, dass er erfahrungsgemäß den Steuerbescheid für 1997 erst im Herbst 1999 erhalten werde. Eine Bescheinigung des Steuerberaters könne er nicht vorlegen, da er seine Einkommenssteuererklärungen ohne Mitwirkung eines Steuerberaters erstelle. Da aber seine Betriebsausgaben für die Jahre 1997 und 1998 in etwa der gleichen Größenordnung wie im Jahre 1996 angefallen seien, müsse der Beklagten nunmehr eine vorbehaltslose Zahlung seiner Rente möglich sein.
Mit Bescheid vom 30. November 1998 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 8. Januar 1998 auf und stellte fest, dass der Kläger seit dem 1. September 1997 lediglich einen Anspruch auf Zahlung einer Teilrente in Höhe der Hälfte der Vollrente habe. Gleichzeitig stellte sie fest, dass sich für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Dezember 1998 eine Überzahlung in Höhe von 15.045,36 DM ergebe. Des Weiteren bat die Beklagte in dem Bescheid um die Übersendung der Einkommenssteuerbescheide für 1997 und 1998 und wies darauf hin, dass der Bescheid insofern unter Vorbehalt stehe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte hörte den Kläger zunächst dazu an, dass sie beabsichtige, die eingetretene Überzahlung in der Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Dezember 1998 in Höhe von 15.045,36 DM zurückzufordern, die sich daraus ergebe, dass er in diesem Zeitraum statt einer Vollrente nur eine Altersrente als Teilrente in Höhe der Hälfte der Vollrente habe beziehen dürfen. Mit weiterem Bescheid vom 9. Juni 1999 nahm sie den Bescheid vom 8. Januar 1998 mit Wirkung vom 1. September 1997 zurück und bewilligte dem Kläger nunmehr seit dem 1. September 1997 Altersrente als Teilrente in Höhe von 2/3 der Vollrente und stellte gleichzeitig nunmehr für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 30. Juni 1999 eine Überzahlung von 8.142,78 DM fest, die zu erstatten sei. Auch der Rentenbescheid vom 30. November 1998 werde zurückgenommen.
Nachdem der Kläger seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 1997 zu den Akten gereicht hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 2000 den Bescheid vom 9. Juni 1999 auf, soweit die Rückforderung der Überzahlung für die Zeit vom 1. September 1997 bis 30. Juni 1999 geltend gemacht worden war. Sie wies dann mit Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2000 den Widerspruch im Übrigen zurück und führte im Einzelnen aus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Altersrente als Vollrente habe. Denn mit dem Einkommen des Klägers in dem hier streitigen Zeitraum sei die für die Vollrente maßgebende Hinzuverdienstgrenze von 1/7 der monatlichen Bezugsgröße überschritten worden, nicht aber die Hinzuverdienstgrenze für die Altersrente in Höhe von 2/3 der Vollrente. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 8. Januar 1998 für die Zukunft seien erfüllt, weil an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein öffentliches Interesse bestehe und ein Vertrauen auf den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei. Denn der Kläger sei im Bescheid vom 8. Januar 1998 darauf hingewiesen worden, dass bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze sich die Altersrente mindere oder wegfallen könne. Aus den darin enthaltenen Hinweisen sei erkennbar gewesen, dass die Überprüfung der Einkommensgrenze noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, dass er alle leistungsrechtlich bedeutsamen Umstände bereits zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung dargelegt habe, insbesondere habe der Steuerbescheid der Beklagten aus dem Jahre 1995 bereits vorgelegen. Die Beklagte habe daher den fehlerhaften ersten Rentenbescheid zumindest mitverursacht. Bei dieser Sachlage könne sie sich insbesondere nicht auf den ausgesprochenen Vorbehalt berufen. Zudem habe er auf die Höhe der ihm gezahlten Vollrente vertraut. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig, sodass auch aus diesem Grunde eine Rücknahme nicht in Betracht komme. Die Beklagte ist diesem Vorbringen mit dem Hinweis entgegen getreten, dass aus dem Bescheid vom 8. Januar 1998 klar erkennbar gewesen sei, dass die Überprüfung der Hinzuverdienstgrenze noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, dass er im Vertrauen auf die Bestandskraft des Bescheides Vermögensdispositionen getroffen habe, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne.
Mit Urteil vom 2. März 2001 hat das Sozialgericht (SG) Hannover die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Einzelnen ausgeführt, dass der Bescheid vom 8. Januar 1998 von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, da der Kläger lediglich Anspruch auf eine Rente als Teilrente gehabt habe. Dieser sei auch innerhalb der Zwei-Jahres-Frist zu Recht zurückgenommen worden, da sich der Kläger auf Vertrauensschutz nicht habe berufen können. Ihm sei konkret bekannt gewesen, dass bezüglich der Berücksichtigung seines Einkommens für die Jahre 1996 und 1997 im angefochtenen Bescheid noch keine end-gültige Regelung habe getroffen werden können. Dies sei auch durch den Vorbehalt des Rentenbescheides deutlich zum Ausdruck gekommen. Wenn er dennoch darauf vertraut habe, dass eine endgültige Regelung vorliege, sei dies grob fahrlässig gewesen. Der Kläger könne sich daher, zumindest soweit es um die Rücknahme des Bescheides für die Zukunft gehe, nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Beklagte habe schließlich auch das ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt.
Gegen das ihm am 20. März 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. April 2001 eingelegte Berufung des Klägers, mit dem er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist nach wie vor der Auffassung, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt habe und sich auf Vertrauensschutz berufen könne. Denn zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung sei der Beklagten bekannt gewesen, dass er Einkommen aus einer Verwaltertätigkeit erzielte. Der Beklagten habe nicht nur der Steuerbescheid des Jahres 1995, der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 13.004,00 DM ausgewiesen habe, vorgelegen, sondern der Kläger selbst habe bereits im September 1997 darauf hingewiesen, dass er monatlich 575,69 DM verdiene. Er habe also davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte seine Ansicht teile, dass die Hinzuverdienstgrenze von ihm nicht überschritten werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. März 2001 und die Bescheide der Beklagten vom 30. November 1998 sowie vom 9. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und vertritt die Auffassung, dass der Kläger schon deshalb auf die Bestandskraft des Bescheides vom 8. Januar 1998 nicht habe vertrauen dürfen, weil die Hinzuverdienstgrenzen keine feste Größe seien, sondern der Anpassung unterlägen. Hinzu komme, dass er nicht in der Lage gewesen sei, aktuelle Einkommenssteuerbescheide oder zumindest eine geprüfte Gewinn- und Verlustrechnung für den jeweils maßgebenden Zeitraum vorzulegen. Auf keinen Fall könne dem Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts auch für die Zukunft zugebilligt werden, da er immer wieder darauf hingewiesen worden sei, dass weitere Prüfungen erfolgen müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Bescheid vom 8. Januar 1998 weiterhin Bestand hat. Das SG hat in seinem Urteil die hier maßgeblichen Rechtsgrundlagen geprüft und rechtsfehlerfrei angewendet. Es hat insbesondere im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass sich der Kläger auf Vertrauensschutz nicht berufen kann und weiter richtig ausgeführt, dass der Kläger, wenn er trotz des Vorbehaltes in dem Rentenbescheid darauf vertraut habe, dass eine endgültige Regelung vorliege, dies grob fahrlässig gewesen ist. Schließlich hat es auch in nicht zu beanstandender Weise geprüft, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen. Er nimmt des halb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 2. März 2001 Bezug.
Im Berufungsverfahren sind neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten. Der Kläger hat lediglich seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und die Auffassung vertreten, dass er alle erforderlichen Angaben gemacht habe und deshalb in seinem Vertrauen auf den Bestand des Bescheides vom 8. Januar 1998 schutzwürdig sei. Dieser Auffassung vermag der Senat aus den bereits vom SG dargelegten Gründen nicht beizutreten. Sie ist schon deshalb unzutreffend, weil der Kläger von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden aber auch bei sonstiger Gelegenheit darauf hingewiesen worden ist, dass endgültige Feststellungen erst nach Vorlage der jeweiligen Einkommenssteuerbescheide getroffen werden könnten. Zu Recht führt die Beklagte insoweit aus, dass bei dieser Sachlage ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes auch für die Zukunft nicht besteht.
Bei dieser Sachlage konnte der Senat dahinstehen lassen, ob die Rücknahme des Bescheides nicht bereits auf Grund eines Widerrufvorbehaltes gemäß § 32 SGB X hätte erfolgen können, wie er in den Bescheiden enthalten war. Denn da die Beklagte keine Rückforderung mehr geltend gemacht hat, käme § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X als weitere Rechtsgrundlage in Betracht (vgl. nur: Hauck/Haines, Kommentar zum SGB, § 32 SGB X, Rn. 9).
Die Berufung konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen.