Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.04.2003, Az.: L 6/3 U 242/02

Anspruch auf Verletztengeld und anschließender Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung; Verletzung an der linken Schulter durch Ausrutschen auf Glatteis; Funktionseinschränkung der linken Schulter in der Folgezeit; Voraussetzungen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit, des Verletztengeldes und der Verletztenrente

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.04.2003
Aktenzeichen
L 6/3 U 242/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 20162
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0410.L6.3U242.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 13.03.2002 - AZ: S 14 U 42/98

Redaktioneller Leitsatz

Für einen Anspruch auf Verletztenrente muß eine Mininderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grad von 20 v.H. festgestellt werden.

Zwischen Gesundheitsschädigung und Arbeitsunfall muß ein Kausalzusammenhang bestehen, der nachzuweisen ist.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 13. März 2002 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren darüber, ob dem Kläger auch für die Zeit vom 11. August 1997 bis 31. Mai 1998 Verletztengeld und anschließend Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen ist.

2

Der 1941 geborene Kläger rutschte am 10. Februar 1996, als er nach seiner Arbeit als Kraftfahrer zu seinem Auto ging, auf Glatteis aus und stürzte auf die linke Körperseite (vgl. die Unfallanzeige der Firma C. vom 18. Februar 1996). Der Durchgangsarzt Dr. D. stellte am folgenden Tag eine endgradig schmerzhafte linke Schulter fest und diagnostizierte Prellungen der linken Schulter und des linken Gesäßes.

3

Nachdem die Beschwerden des Klägers zunächst vollständig abgeklungen waren, klagte er am 4. März 1996 gegenüber dem Durchgangsarzt über persistierende Beschwerden an der Vorderseite der linken Schulter, insbesondere bei der Außenrotation; der Durchgangsarzt stellte eine "Zerrung der Schultergelenkkapsel mit drohender Schultereinsteifung" fest und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bis zum 24. März 1996 (vgl. die Berichte vom 27. Februar und 5. März 1996 sowie die durchgangsärztliche Mitteilung vom 20. März 1996). Der Kläger bezog daraufhin bis zum 24. März 1996 Verletztengeld.

4

Am 19. August 1996 unterzog sich der Kläger wegen eines "Impingementsyndroms" einer von der Ärztin für Chirurgie Dr. E. durchgeführten ambulanten Arthroskopie der linken Schulter (vgl. den Arztbrief der Frau Dr. E. vom 19. August 1996). Am 9. Juli 1997 erfolgte eine weitere Arthroskopie unter der Diagnose "Ruptur der Rotatorenmanschette linke Schulter" (vgl. dazu den Bericht der Unfallchirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses F. vom 14. August 1997).

5

Die Beklagte veranlasste das nach ambulanter Untersuchung erstattete chirurgische Gutachten des Prof. Dr. G. vom 21. Mai 1997. Die Gutachter führten die Beschwerdesymptomatik im linken Schultergelenk auf unfallunabhängige degenerative Verschleißerscheinungen zurück und erachteten den Unfall lediglich als eine hierfür eher unerhebliche Teilursache.

6

Mit Bescheid vom 7. August 1997 lehnte die Beklagte daraufhin einen Rentenanspruch ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte sie eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 15. Dezember 1997 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1998 zurück.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig vor dem Sozialgericht - SG - Braunschweig Klage erhoben. Das SG hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - das Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. H. vom 10. Oktober 1999 eingeholt. Dieser Sachverständige hat eine Arthrose des linken Acromioclaviculargelenks (AC-Gelenks) als Folge des Unfalls vom 10. Februar 1996 angesehen. Dieser Beurteilung ist die Beklagte entgegengetreten und hat ein Gutachten des Prof. Dr. I. vom 3. Mai 2000 vorgelegt.

8

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. März 2002 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

9

Gegen dieses ihm am 9. April 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Mai 2002 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, seine Beschwerden im Bereich der linken Schulter seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 10. Februar 1996 zurückzuführen. Er habe bis zu diesem "Glatteisunfall" keinerlei Beschwerden an der linken Schulter gehabt und bis zu diesem Zeitpunkt schwere Mehlsäcke auf beiden Schultern bewegt. Das SG und die Gutachter hätten nicht berücksichtigt, dass er in einer festgefrorenen Reifenspur mit dem vollen Gewicht von ca. 80 kg auf die linke Schulter gefallen sei. So habe auch der Gutachter Dr. H. zutreffend und nachvollziehbar die Ursächlichkeit zwischen Unfall und der danach eintretenden Beschwerden bejaht, und die behandelnden Ärzte des Klinikums F. hätten eine unfallbedingte Ruptur der Rotatorenmanschette für möglich gehalten.

10

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Braunschweig vom 13. März 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 7. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1998 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 11. August 1997 bis zum 31. Mai 1998 Verletztengeld und anschließend Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 13. März 2002 zurückzuweisen.

12

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

13

Im vorbereitenden Verfahren ist von Amts wegen das nach ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. J. vom 17. September 2002 nebst ergänzender Stellungnahme vom 23. Dezember 2002 eingeholt worden. Dieser hat eine "ganz endgradige schmerzhafte Bewegungseinschränkung (der linken Schulter) und raschere Ermüdbarkeit bei Tätigkeiten oberhalb der Schulterhöhe" als Folge des Unfalls vom 10. Februar 1996 angesehen und die hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - für die Zeit von 4 Wochen nach der "Zweitoperation" (9. Juli 1997) mit 20 v.H., für die Zeit danach bis zur Untersuchung mit 10 v.H. und danach mit "unter 10 v.H." bewertet.

14

Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. K., Oberarzt der Unfallchirurgischen Klinik des L., vom 26. November 2002 vorgelegt und sich bereit erklärt, wegen der Folgen des Unfalls vom 10. Februar 1996 eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 10. August 1997 anzuerkennen. Im Übrigen ist sie der Auffassung, dass kein Anspruch auf Verletztenrente bestehe.

15

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis der Beklagten (unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 10. August 1997) angenommen.

16

Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung vom 26. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

17

Dem Senat hat außer den Prozessakten die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

18

II.

Die statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG).

19

Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztengeld auch für die Zeit vom 25. März 1996 bis 10. August 1997 anerkannt hat, ist der Rechtsstreit durch das angenommene Anerkenntnis in der Hauptsache erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG).

20

Die weiter gehende, auf Zahlung von Verletztengeld bis 31. Mai 1998 und auf anschließende Zahlung von Verletztenrente gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, nicht begründet. Die hierfür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen, die sich für den vorliegenden Sachverhalt noch nach § 560 Reichsversicherungsordnung - RVO - (Verletztengeld) und nach §§ 580, 581 RVO (Verletztenrente) richten (§§ 212, 214 Sozialgesetzbuch - SGB - VII), sind nicht erfüllt. Weder lässt sich seit dem 11. August 1997 - d.h. für die Zeit nach der zweiten Arthroskopie der linken Schulter - bis zum 31. Mai 1998 noch eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit - sie ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztengeld - noch seit dem 1. Juni 1998 eine MdE in rentenberechtigendem Grad von 20 v.H. (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO) feststellen. Das gilt auch dann, wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass die seit dem 11. August 1997 noch bestehende Funktionseinschränkung der linken Schulter auf die unfallbedingte Prellung und Zerrung des linken Schultergelenks zurückzuführen ist, obwohl hieran Zweifel bestehen. Denn Dr. K. hat in seiner zusammenfassenden Würdigung der widersprüchlich argumentierenden Sachverständigen überzeugend ausgeführt, dass sich auf Grund der Röntgenuntersuchungen keine unfallbedingten Veränderungen im Schultereckgelenk und auf Grund der Arthroskopie vom 19. August 1996 auch keine unfallbedingten Veränderungen der Rotatorenmanschette nachweisen lassen.

21

Wie vor allem dem Gutachten des Dr. J. zu entnehmen ist, ist jedenfalls die aktive Beweglichkeit des linken Schultergelenks nur endgradig eingeschränkt und nur das ausdauernde Heben des Armes über die Horizontale mit Schmerzen und rascher Ermüdbarkeit verbunden. Die hinreichende Gebrauchsfähigkeit des linken Armes ergibt sich aus dem im Gutachten des Dr. Harms beschriebenen seitengleichen Muskelzustandes im Bereich des Ober- und Unterarmes und der uneingeschränkten groben Kraft des linken Armes.

22

Daraus folgt, dass der Kläger jedenfalls seit dem 11. August 1997 - einen Monat nach der zweiten Arthroskopie der linken Schulter - auf Grund seines Unfalls vom 10. Februar 1996 nicht mehr daran gehindert ist, seinen Beruf als Kraftfahrer wieder auszuüben, er also nicht mehr unfallbedingt arbeitsunfähig im Sinne des § 560 RVO ist. Die Annahme einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bis 10. August 1997 steht im Einklang damit, dass die zweite Arthroskopie der linken Schulter zu einer deutlichen Befundverbesserung geführt hatte (Bericht des M. vom 14. August 1997) und dass die N. auf Grund ärztlicher Feststellung bis zu diesem Tag Arbeitsunfähigkeit angenommen hatte (Mitteilung vom 9. September 1997). Weiterhin steht damit fest, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr in rentenberechtigendem Grad um 20 v.H. gemindert ist. Das folgt aus den vom Gericht zu beachtenden allgemein anerkannten unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätzen, die in erster Linie die unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigung berücksichtigen. Danach wird (erst) die Einschätzung der Beweglichkeit des Schultergelenks bezüglich der Vorhebung auf 0 Grad bis 90 Grad - die Vorhebefähigkeit ist bei Schulterverletzungen das funktionelle Hauptkriterium - mit einer MdE um 20 v.H. bewertet (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998 S. 561). Eine so gravierende Funktionseinschränkung ist im vorliegenden Fall, wie bereits ausgeführt, nicht vorhanden.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

24

Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) ist nicht gegeben.