Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 13 SB 16/02

Anerkennung des Nachteilausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung); Zustand nach Calcaneusresektion (Entfernung des Fersenbeins); Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung); Gleichstellung mit den in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwer behinderten Menschen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.04.2003
Aktenzeichen
L 13 SB 16/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L13SB16.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 15.02.2002 - AZ: S 28 SB 8/01

Redaktioneller Leitsatz

Eine Gleichstellung mit den in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwer behinderten Menschen hat zu erfolgen, wenn die Gehfähigkeit des Betroffenen in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe bewegen kann. Der Begriff der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" setzt nicht den vollständigen Verlust der Gehfähigkeit voraus, sondern er lässt ein - ggf. erst durch orthopädische Versorgung ermöglichtes - Restgehvermögen zu. Die Gehfähigkeit muss nur so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 15. Februar 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist, ob die Klägerin außergewöhnlich gehbehindert ist.

2

Die 1961 geborene Klägerin stellte im März 2000 erstmals einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und machte als Gesundheitsstörungen eine schwere depressive Neurose, ein Polytrauma nach Suizidversuch sowie eine Gehbehinderung nach Calcaneusresektion (Entfernung des Fersenbeins) und multiplen Frakturen geltend. Die Beklagte zog diverse ärztliche Unterlagen bei, u. a. einen Befundbericht der Hausärztinnen I./J. vom 2. Mai 2000. Darin heißt es, die Patientin sei eingeschränkt gehfähig mit Maßschuhen, für längere Strecken würden Unterarmgehstützen benutzt. Es bestünden ein ca. 2 cm großer Ulcus im plantaren Fersenbeinbereich, ausgeprägte Fuß- und Sprunggelenksdeformierungen rechts und eine deutliche Muskelatrophie. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Juli 2000 stellte die Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie den Nachteilsausgleich "G" (erhebliche Gehbehinderung) fest. Dieser Feststellung lagen eine psychische Störung sowie eine Funktionsminderung besonders des rechten Beines durch Polytrauma nach Sturz zu Grunde.

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Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie die Anerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) begehrte. Die Hausärztinnen I./J. teilten auf Anfrage der Beklagten mit, der Klägerin sei in der Wohnung eine Fortbewegung ohne Hilfsmittel möglich. Außerhalb der Wohnung betrage die Gehstrecke 100 bis 300 m zu ebener Erde mit Unterarmgehstützen, danach müsse zunächst eine Erholungspause eingelegt werden. Rollstuhlbedürftigkeit bestehe zurzeit nicht (Bericht vom 20. November 2000). In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28. November 2000 heißt es, hinsichtlich des Gehvermögens sei insbesondere auf das für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erstattete chirurgische Gutachten der Frau Dr. K. vom 14. Mai 1999 hinzuweisen. Danach werde vorliegend das Gehvermögen nicht wie bei einem Doppeloberschenkelamputierten, Hüftexartikulierten oder einem einseitig Oberschenkelamputierten, der dauernd außer Stande sei, ein Kunstbein zu tragen, eingeschränkt. Nach dem aktuellen hausärztlichen Bericht sei die Klägerin in der Lage, kurze Wegstrecken selbstständig ohne Rollstuhlbenutzung zurückzulegen. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "aG" seien nicht erfüllt. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2000 als unbegründet zurück.

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Die Klägerin hat am 9. Januar 2001 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben. Sie hat sich auf eine zur Vorlage beim Amt für Straßen und Verkehr ausgestellte Bescheinigung des Chirurgen Dr. L. vom 30. August 2000 berufen, wonach sie wegen eines schwer wiegenden Traumas des rechten Beines mit Calcaneusverlust am Fuß sowie zu Rezidivgeschwüren neigender Lappendeckung an der Ferse höchstens eine Strecke von 20 m allein und ohne Hilfsmittel (Rollstuhl) zurücklegen könne. Ferner hat die Klägerin ein für die BfA erstattetes chirurgisches Gutachten des Dr. M. vom 28. Juni 2001 vorgelegt. Darin heißt es, die Gehstrecke betrage auf "ebener Unterlage" mit zwei Gehhilfen maximal 30 bis 40 m, je nach Befinden. Treppensteigen sei nur bis zu zehn Stufen und unter Aufbietung aller Energie möglich.

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Die Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 7. November 2001 zu den Akten gereicht. Darin wird ausgeführt, das Gehvermögen werde vor allem durch den weit gehenden Verlust der rechten Ferse mit Narben an der Achillessehne, eine Funktionseinschränkung des rechten Sprunggelenkes, eine Muskelminderung des rechten Unterschenkels sowie eine Deformierung der Mittelfußknochen III, IV und V links beeinträchtigt. Aus der Vorgeschichte gehe außerdem ein wiederkehrendes Geschwür im Bereich des rechten Fußes hervor, das bei der Untersuchung durch Dr. M. offensichtlich nicht vorgelegen habe bzw. von diesem nicht beschrieben werde. Die Klägerin könne an zwei Unterarmgehstützen gehen, sei nicht auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen und könne - wenn auch sehr mühsam - bis zu 10 Stufen einer Treppe besteigen. Auch wenn Dr. M. nur eine sehr kurze Wegstrecke angebe, könne das Gehvermögen aus versorgungsärztlicher Sicht nach den objektivierbaren Befunden nicht mit dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten, Hüftexartikulierten oder einseitig Oberschenkelamputierten, der dauernd außer Stande sei, eine Prothese zu tragen, verglichen werden.

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Mit Urteil vom 15. Februar 2002 hat das SG die angefochtenen Bescheide teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ab Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, zwar ließen die vorliegenden medizinischen Unterlagen gewisse Zweifel daran aufkommen, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" nach Ablauf der Heilungs- und Rehabilitationsphase aktuell noch vorlägen. So gehe die Klägerin drei Mal wöchentlich ins "Sport-Hep" Bremen. Nach dem Gutachten der Frau Dr. K. vom 14. Mai 1999 müsse sie dabei längere Wegstrecken vom Parkplatz bis zur Sportanlage zurücklegen. Ausweislich des Befundberichts des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost vom 15. September 1998 sei es der Klägerin möglich gewesen, eine längere Gehstrecke auch ohne die Hilfe von Unterarmgehhilfen zu bewältigen. Nach dem Befundbericht der Allgemeinmedizinerin I. vom 20. November 2000 sei der Klägerin in der Wohnung eine Fortbewegung ohne Hilfsmittel möglich. Außerhalb der Wohnung habe sie eine Gehstrecke von 100 bis 300 m zu ebener Erde mit Unterarmgehstützen zurücklegen können. Rollstuhlbedürftigkeit habe nicht bestanden. Insgesamt sei die Kammer jedoch der Ansicht, dass das Gehvermögen der Klägerin demjenigen eines Doppeloberschenkelamputierten gleichzuachten sei.

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Gegen das ihr am 28. Mai 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Juni 2002 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, in der angefochtenen Entscheidung werde nicht schlüssig dargelegt, aus welchen Gründen vorliegend von der praktischen Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beines ausgegangen werden müsse. Dieses sei indes der einzige Grund, die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung zu bejahen. Die vorliegenden Unfallfolgen ließen jedoch allenfalls eine Gleichstellung mit einem Unterschenkelverlust zu. Das ergebe sich eindeutig aus den fachärztlichen Begutachtungen durch Frau Dr. K. und Herrn Dr. M ... Auch die hausärztlicherseits mitgeteilte Gehstrecke zwischen 100 und 300 m widerspreche eindeutig den Kriterien des Nachteilsausgleichs "aG".

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Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 15. Februar 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

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Das Gericht hat ein Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. N. vom 19. Oktober 2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 11. Februar 2003 eingeholt. Der Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet einen Zustand nach Polytrauma diagnostiziert, mit komplexer Beckenringfraktur, Kreuzdarmbeinfugensprengung und Kreuzbeinfraktur, proximaler Oberschenkelfraktur und Patellafraktur rechts sowie beidseits offener Mittelfuß- und Fußwurzelluxationsfraktur mit nachfolgender rechtsseitiger vollständiger Fersenbeinnekrose und erforderlicher Defektdeckung im rechten Fersenbereich mittels faszio-cutanem Radialislappen. Im Rahmen der aktuellen Begutachtung hat der Sachverständige eine erhebliche Funktions- und Belastungsminderung beider Füße mit erheblich gestörtem Gehvermögen und Ausbildung einer instabilen Narbe im Bereich der rechten Fußsohle am Übergang des transplantierten Lappens zum ortsständigen Fußsohlengewebe festgestellt. Den GdB für die Unfallfolgen im Bereich des Beckens und der unteren Extremitäten hat er auf 60 v. H. geschätzt. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "aG" seien erfüllt. Im Rahmen der klinischen Untersuchung stelle sich eine erhebliche Einschränkung der Gehfähigkeit mit einer praktischen Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beins und zusätzlichen Gebrauchsminderungen des linken Beines dar. Der Barfußgang sei der Klägerin überhaupt nicht möglich. Nach Anlegen des orthopädischen Schuhwerks zeige sich ohne Unterarmgehstützen ein erheblich rechtsgestörtes Gangbild im Sinne eines ausgeprägten Schonhinkens. Darüber hinaus sei auch ein erheblich gestörtes Geh- und Stehvermögen auf dem linken Bein auffällig, wobei ein "vernünftiges" Gangbild im Sinne einer Abrollbewegung überhaupt nicht erkennbar sei. Dieser Befund lasse sich zwar mit den klinisch festzustellenden, nur geringgradigen Funktionseinschränkungen im oberen und unteren Sprunggelenk links nicht erklären, wobei diese Befunde indes im Liegen erhoben worden seien. Allerdings zeigten sich röntgenologisch erhebliche Unfallfolgen mit posttraumatischen degenerativen Veränderungen im Bereich der gesamten Fußwurzel- und Mittelfußregion. Das freie Durchqueren des Untersuchungszimmers ohne Unterarmgehstützen sei der Klägerin ohne zusätzliches Festhalten an verschiedenen Einrichtungsgegenständen überhaupt nicht möglich gewesen. Ein solches Gangbild sei durchaus mit der Situation eines Doppeloberschenkelamputierten vergleichbar.

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Hinsichtlich des Gehvermögens mit Unterarmgehstützen hat der Sachverständige festgestellt, dass das Gangbild ausreichend sicher sei, wobei das rechte Bein eigentlich nicht benutzt werde. Auch unter Zuhilfenahme zweier Unterarmgehstützen bestehe nur eine erheblich eingeschränkte Bewegungsfähigkeit mit einem beschränkten Gehvermögen. Beim Zurücklegen längerer Gehstrecken, d. h. Wegen von mehr als fünf bis zehn Minuten bzw. 50 bis 70 m, werde ein Rollstuhl benutzt.

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Dieser Beurteilung hat sich der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten nicht angeschlossen (Stellungnahmen vom 29. November 2002 und 25. Februar 2003). Dieser hat geltend gemacht, die Einschätzung des Sachverständigen stimme nicht mit den Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1996 (AHP 1996), überein. Der Sachverständige bewerte die Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet insgesamt mit einem GdB von 60. Dieses entspreche dem Verlust eines Beines im Unterschenkel mit ungünstigen Stumpfverhältnissen, bei dem das Merkzeichen "aG" indes nicht zustehe. Die von dem Sachverständigen angenommene Gebrauchsunfähigkeit eines Beines wäre mit einem GdB von 80 zu bewerten gewesen. Der Umstand, dass die Klägerin ohne Unterarmgehstützen nicht frei den Raum durchqueren könne, führe nicht dazu, dass ihr Gehvermögen demjenigen eines Doppeloberschenkelamputierten gleichzuachten sei. Das demonstrierte Gangbild erfülle die Kriterien der AHP 1996 Nr. 31 Abs. 3 und 4 nicht.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schwerbehindertenakte (Antr.List.Nr. 61-122 738) und die Prozessakte (Az. L 13 SB 16/02, S 28 SB 8/01) verwiesen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, ab Antragstellung die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen.

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Hinsichtlich der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" wird zunächst zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffende Darstellung in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Da die Klägerin nicht zu einer der in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwer behinderten Menschen gehört, kann sie nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23) hat eine solche Gleichstellung zu erfolgen, wenn die Gehfähigkeit des Betroffenen in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe bewegen kann. In diesem Zusammenhang hat das BSG in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (Az. B 9 SB 7/01 R) klargestellt, dass der Begriff der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" nicht den vollständigen Verlust der Gehfähigkeit voraussetzt, sondern ein - ggf. erst durch orthopädische Versorgung ermöglichtes - Restgehvermögen zulässt. Die Gehfähigkeit müsse nur so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Dabei tauge eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke als Beurteilungsmaßstab nicht. Denn die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellten nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwer behinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfülle, qualifiziere sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklege.

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Davon ausgehend kommt es vorliegend nicht auf die in den ärztlichen Berichten bzw. Gutachten abgegebenen, teilweise voneinander abweichenden Einschätzungen hinsichtlich der der Klägerin zumutbaren bzw. möglichen Wegstrecken an. Vielmehr gehört die Klägerin dann zum berechtigten Personenkreis, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen. Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Gerichts seit Antragstellung erfüllt. Wie der Sachverständige Dr. N. anschaulich geschildert hat, kann die Klägerin sich selbst mit orthopädischem Schuhwerk praktisch überhaupt nicht fortbewegen, solange nicht Unterarmgehstützen zu Hilfe genommen werden. Aber auch bei Benutzung zweier Unterarmgehstützen besteht nach den auf einer eigenen ambulanten Untersuchung beruhenden Feststellungen des Sachverständigen eine erheblich eingeschränkte Bewegungsfähigkeit mit beschränktem Gehvermögen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige von einer praktischen Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beines und - zusätzlich - einer erheblichen Gebrauchsminderung des linken Beines gesprochen. Dieses ist für das Gericht angesichts der erhobenen Befunde nachvollziehbar. Danach findet sich im Bereich der rechten Fußsohle eine ausgeprägt hyperkeratotisch narbig veränderte Region, die dem ehemaligen Ulcus entspricht. Die Narbe ist instabil, nicht belastbar und gegen die Unterlage nicht verschieblich. Linksseitig bestehen schwere Deformierungen im Mittelfußbereich und erhebliche Verschleißerscheinungen im Bereich der gesamten Fußwurzelregion. Eine normale Abrollbewegung des linken Fußes findet nicht statt. Bei dieser Befundkonstellation ist die Gehfähigkeit der Klägerin in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt.

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Das Gericht ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Klägerin nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in der genannten Verwaltungsvorschrift aufgeführten Personen. Bei der Prüfung dieser Frage kann zunächst davon ausgegangen werden, dass in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkte schwerbehinderte Menschen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen (BSG a. a. O.). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass nach den gutachterlichen Feststellungen bei ungünstigen Wundverhältnissen eine Belastung des rechten Beins kaum möglich ist und gleichzeitig das linke Bein trotz schwerer Deformierungen im Mittelfußbereich und erheblicher Verschleißerscheinungen im Bereich der gesamten Fußwurzelregion in der Stand- und Belastungsphase voll eingesetzt werden muss. Es ist nachvollziehbar, dass die Kläger sich - wie auch dem BfA-Gutachten des Dr. M. und der Bescheinigung des Dr. L. zu entnehmen ist - unter diesen Bedingungen nur mit großen Anstrengungen fortbewegen kann und ihr nicht zuzumuten ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Soweit demgegenüber in dem hausärztlichen Befundbericht vom 20. November 2000 eine Gehstrecke von 100 bis 300 m angeben wird, spricht dieses - auch wenn es nach den obigen Ausführungen auf die Länge der Wegstrecke nicht ankommt - zwar eher gegen die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Es ist aber zu berücksichtigen, dass das Gehvermögen der Klägerin je nach Befinden Schwankungen unterworfen sein dürfte und danach kein Widerspruch zu den Einschätzungen der Dres. L. und M. und des gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. bestehen muss.

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Soweit versorgungsärztlich eingewandt worden ist, der von dem Sachverständigen angenommene GdB von 60 entspreche lediglich dem Verlust eines Beines im Unterschenkel mit ungünstigen Stumpfverhältnissen, bei dem das Merkzeichen "aG" nicht zustehe, kommt es hierauf nicht entscheidend an. Selbst wenn das Gutachten in diesem Punkt unschlüssig ist, erlaubt es doch zuverlässige Feststellungen hinsichtlich des hier streitigen Merkzeichens "aG", da insoweit die oben aufgeführten Kriterien maßgeblich sind. Ferner ist das Merkzeichen "B" nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Soweit der Sach-verständige dieses Merkzeichen - nicht zuletzt auch mangels entsprechender Fragestellung - in seinem Gutachten nicht erwähnt hat, lässt sich daraus kein Widerspruch zu seinen übrigen Feststellungen herleiten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

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Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.