Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.04.2003, Az.: L 6 U 366/02
Anspruch eines Maurers auf Zahlung von Verletztenrente; Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge Berufskrankheiten; Unwahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs der bandscheibenbedingten Erkrankung mit der Berufstätigkeit; Keine Zulässigkeit des Anscheinsbeweises; Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.04.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 366/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20978
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0402.L6U366.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 25.07.2002 - AZ: S 2 U 98/01
Rechtsgrundlage
- § 153 Abs. 2 SGG
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 25. Juli 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Berufskrankheiten (BKen) Nrn. 2108 und 2109 der Anlage (Anl.) zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - LWS - durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung und bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule - HWS - durch langjähri-ges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter).
Der 1948 geborene Kläger arbeitete als Maurer jahrzehntelang körperlich schwer (siehe zu der Belastung im Einzelnen die Stellungnahmen des Dipl.-Ing. C. vom 5. November 1999 mit der Dokumentation des Belastungsumfangs Maurer im Hochbau der Arbeitsgemeinschaft der Bau-Berufsgenossenschaften und vom 27. Juli und 13. Dezember 2000 mit Berechnungen nach dem "Mainz-Dortmunder Dosismodell" sowie die Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 12. Februar 2003 - S. 3). Die Beklagte holte zunächst das orthopädische Gutachten des Dr. D. vom 17. Mai 2000 ein, der die Anerkennung der BKen vorschlug und die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 20 vom Hundert (vH) schätzte. Demgegen-über gelangte der Facharzt für Orthopädie Dr. E. in der beratungsärztlichen Stel-lungnahme vom 29. Juni 2000 zu dem Ergebnis, dass die BK Nr. 2109 in keiner Weise diskutiert werden müsse. Denn es liege weder eine berufliche Exposition vor noch bestünden an der HWS auffällige röntgenologische Veränderungen. Vielmehr handele es sich um ein funktionelles Syndrom der HWS mit endgradiger Bewegungseinschränkung. Im Bereich der LWS liege zwar eine bandscheiben-bedingte Erkrankung vor. Ein Zusammenhang mit der Berufstätigkeit sei aber nicht wahrscheinlich. Der röntgenologische Vergleich mit der Altersgruppe zeige keinen vorauseilenden Verschleiß. Die fehlende Mitbeteiligung der oberen Seg-mente der LWS sei ein weiteres Indiz gegen den ursächlichen Zusammenhang. Darüber hinaus bestehe eine konkurrierende Ursache in Form eines asymmetri-schen Übergangswirbels. Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistun-gen ab (Bescheid vom 23. August 2000). Im Widerspruchsverfahren ließ die Be-klagte den Kläger erneut untersuchen. Im Gutachten vom 21. Januar 2001 führte der Facharzt für Orthopädie Dr. F. aus, bei dem Kläger bestehe eine angeborene lumbosacrale Übergangsstörung mit unvollständiger Lumbalisation des 1. Kreuzbeinwirbels. Bereits im Alter von 28 Jahren sei ein Bandscheibenvorfall operiert worden. Im Krankenbericht vom 14. Januar 1977 sei festgehalten, dass der Kläger seit 1969 unter rezidivierenden Rückenschmerzen leide. 1972 sei die erste Arbeitsunfähigkeit wegen Ischialgie nachgewiesen. Des Weiteren liege eine Torsionsskoliose im Bereich der Brustwirbelsäule mit einer hyperostetotischen Spondylose im unteren Bereich vor. Diese Gesundheitsstörungen seien die wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit beruflicher Belastung bestehe nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2001).
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die noch im selben Monat erhobene Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 25. Juli 2002 abgewiesen.
Gegen den ihm 12. August 2002 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 22. August 2002 eingelegten Berufung. Er hebt die körperlich schwere Arbeit als Maurer hervor und hält daran fest, dass diese eine wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung ist.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 25. Juli 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2001 aufzuheben,
- 2.
die BKen Nrn. 2108 und 2109 der Anl. zur BKV festzustellen,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 25. Juli 2002 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung allein durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrages gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - zu-lässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§ 56 Sozialgesetzbuch VII). Denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht infolge von BKen gemindert.
Die Feststellung der BK Nr. 2109 scheitert schon daran, dass sowohl das Krankheitsbild dieser BK nicht vorliegt als auch die Tätigkeit eines Maurer von dieser BK nicht erfasst wird. Auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid (S. 6) nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die BK Nr. 2108 kann nicht festgestellt werden, weil ein Zusammenhang der bandscheibenbedingten Erkrankung mit der Berufstätigkeit des Klägers nicht wahrscheinlich ist.
Allein das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit noch nicht die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Verursachung (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39 mit Anm. von Ricke). Deshalb kann ein Anspruch des Klägers nicht allein mit dem Hinweis auf eine körperlich schwere Berufstätigkeit (S. 3 des Schriftsatzes vom 12. Februar 2003) begründet werden. Denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist. Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen ("multifaktorielles Geschehen") beruhen und unabhängig von beruflicher Belastung in der Bevölkerung verbreitet sind. Aus der Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nicht im Wege des Anscheinsbeweises, sondern nur anhand medizinischer Argumente begründen lässt, die das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid (S. 7) genannt hat. Entscheidend ist hier, dass ein Ursachenzusammenhang medizinisch nicht überzeugend begründet werden kann. Dres. F. und E. haben vielmehr herausgearbeitet, dass wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der unteren LWS des Klägers eine berufsunabhängige Skoliose und insbesondere die berufsunabhängige lumbosacrale Übergangsstörung ist, die bereits im 3. Lebensjahrzehnt zu der Bandscheibenoperation führte. Demgegenüber kann ein wesentlicher Verursachungsanteil der beruflichen Belastung schon deshalb nicht wahrscheinlich gemacht werden, weil die röntgenologischen Veränderungen seit 1976 nur gering fortgeschritten und die oberen Seg-mente der LWS, die zwangsläufig bei der körperlichen Tätigkeit des Klägers ebenfalls beansprucht worden sind, nicht verändert sind (S. 5 der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. E.). Damit fehlt schon ein Anknüpfungsbefund, der darauf hindeuten könnte, dass sich die berufliche Arbeit auf die LWS des Klägers ausgewirkt hat. Mit diesen entscheidenden Gesichtspunkten hat sich Dr. D. nicht auseinander gesetzt. Deshalb ist sein Gutachten - darauf hat bereits Dr. E. hingewiesen - nicht brauchbar.