Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.04.2003, Az.: L 13 SB 17/02
Herabsetzung des festgestellten Grades der Behinderung (GdB) wegen einer Heilungsbewährung; Besserung der Funktionsbeeinträchtigung "Alkoholkrankheit" nach erfolgreicher Entziehungsbehandlung; Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP 1996); Voraussetzungen einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen; Bildung einer Gesamtbewertung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.04.2003
- Aktenzeichen
- L 13 SB 17/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0430.L13SB17.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 03.05.2002 - AZ: S 28 SB 274/01
Rechtsgrundlagen
- § 2 SGB IX
- § 69 SGB IX
- § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
Im Interesse der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen erfolgt die konkrete Festsetzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe der in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", ausgearbeitet 1996 (AHP 1996), niedergelegten Maßstäben. Diese sind zwar kein Gesetz und auch nicht auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Es handelt sich bei ihnen jedoch um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung. Sie engt das Ermessen von Verwaltung und Ärzten ein, führt zur Gleichbehandlung und ist deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zu Grunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich von diesen auszugehen.
Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Auszugehen ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 3. Mai 2002 wird zurück gewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht den bei dem Kläger festgestellten Grad der Behinderung (GdB) wegen einer Heilungsbewährung von 60 auf 40 herabgesetzt hat.
Mit Bescheid vom 11. Juli 1994 stellte das Versorgungsamt Oldenburg bei dem 1959 geborenen Kläger einen GdB von 60 fest. Dabei berücksichtigte sie als Funktionsstörungen eine Alkoholkrankheit (Einzel-GdB 50), eine Leber- und Speiseröhrenerkrankung (Einzel-GdB 20), eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule nach Rippenfrakturen (Einzel-GdB 20), eine Bronchialerkrankung (Einzel-GdB 10) sowie eine Gicht (Einzel-GdB 10).
Im Juni 1996 leitete das Versorgungsamt Oldenburg von Amts wegen eine Überprüfung ein. Es zog Befundberichte der behandelnden Ärzte bei, die es seinem versorgungsärztlichen Dienst zur Auswertung vorlegte. Dieser stellte hinsichtlich der Alkoholkrankheit nach durchgeführter Entziehungsbehandlung eine wesentliche Besserung fest. Als geänderte Leidensbezeichnung schlug er ein mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertendes hirnorganisches Psychosyndrom vor. Ferner sei die Behinderung "Leber- und Speiseröhrenerkrankung" entfallen, sodass nunmehr ein Gesamt-GdB von 40 vorliege. Einen darauf gestützten Neufeststellungsbescheid vom 21. Januar 1997 nahm die - auf Grund eines Wohnsitzwechsels zuständig gewordene - Beklagte im Klageverfahren wegen eines Verfahrensfehlers zurück.
In einem anschließenden neuen Verwaltungsverfahren zog die Beklagte Befundberichte des Hausarztes Dr. I. vom 1. Juni 2000 und der HNO-Ärzte Dres. J. pp. vom 6. Juni 2000 bei. Der Hausarzt teilte hinsichtlich der Alkoholkrankheit mit, dass der Kläger offensichtlich abstinent sei. Als fortbestehende Leiden gab er einen Leberparenchymschaden, einen inkompletten Rechtsschenkelblock, lumbale Rückenschmerzen bei Zustand nach Wirbelfraktur BWK 5/6/8, ein hyperreagibles Bronchialsystem, eine Reflux-Ösophagitis und eine Harnsäuregicht an. Ergänzend teilte er auf Anfrage der Beklagten mit, dass aktuelle Sonographie-, Gastroskopie- und Laborbefunde nicht vorlägen. Die HNO-Ärzte bezogen sich auf einen früheren Bericht vom 4. Juni 1997 und teilten mit, dass sich keine wesentlichen Veränderungen ergeben hätten. In einer gutachtlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2000 stellte der versorgungsärztliche Dienst folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest:
- 1.
Hirnorganisches Psychosyndrom (Einzel-GdB 30)
- 2.
Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule nach Rippenfrakturen (Einzel-GdB 20)
- 3.
Lebererkrankung, Speiseröhrenerkrankung (Einzel-GdB 20)
- 4.
Bronchialerkrankung (Einzel-GdB 10)
- 5.
Gicht (Einzel-GdB 10)
Er bewertete den Gesamt-GdB mit 40 und führte zur Begründung aus, ein Alkoholkonsum bestehe laut hausärztlichem Bericht nicht mehr, die psychischen Veränderungen seien mit einem GdB von 30 günstig bewertet. Das gelte auch für die Bronchialerkrankung und die Gicht. Der Gesamt-GdB von 40 sei ausreichend und zutreffend.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2000 hörte die Beklagte den Kläger hinsichtlich einer beabsichtigten Neufeststellung des GdB an. Sie gab an, die Auswertung des Befundberichtes des Dr. I. habe ergeben, dass sich die Funktionsbeeinträchtigung "Alkoholkrankheit" wesentlich gebessert habe. Ferner teilte sie dem Kläger die vom versorgungsärztlichen Dienst festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen und den vorgesehenen Gesamt-GdB von 40 mit. Nachdem eine Äußerung des Klägers nicht eingegangen war, hob die Beklagte den Bescheid vom 11. Juli 1994 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) auf und stellte ab dem 1. Dezember 2000 einen GdB von 40 fest (Bescheid vom 15. November 2000).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend, der Status der Alkoholkrankheit sei seit Jahren identisch. In der Gesamtschau sei schon bei den anerkannten Behinderungen, die nach ärztlicher Bestätigung erheblich seien und zur Verschlechterung tendierten, die Schwerbehinderteneigenschaft gegeben. Mit Schreiben vom 29. Juni 2001 übersandte die Beklagte Kopien der beigezogenen ärztlichen Befundunterlagen aus der Zeit seit Juli 1996. Ferner wies sie darauf hin, dass es bei der Herabsetzung des Gesamt-GdB von 40 verbleibe, und gab nochmals Gelegenheit zur Äußerung. Sodann wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2001 als unbegründet zurück.
Mit seiner am 31. August 2001 beim Sozialgericht (SG) Bremen erhobenen Klage hat der Kläger sein Widerspruchsvorbringen wiederholt.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. Mai 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, gegenüber den im Bescheid vom 11. Juli 1994 festgestellten Verhältnissen sei eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten. Nachdem der Kläger das akute Stadium der Alkoholkrankheit überwunden habe, habe der behandelnde Arzt Dr. I. als fortbestehendes Leiden psychische Störungen in Form eines hirnorganischen Psychosyndroms bestätigt. Der vom versorgungsärztlichen Dienst hierfür zu Grunde gelegten Einzel-GdB von 30 erscheine als gerechtfertigt. Hinsichtlich der weiteren anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB sei zu berücksichtigen, dass die früher mit einem Einzel-GdB von 50 bewertete Alkoholkrankheit in dieser Form nicht mehr bestehe. Das nun festgestellte hirnorganische Psychosyndrom, das möglicherweise als Restfolge der Alkoholkrankheit vorliege, sei das herausragende Leiden. Die übrigen mit einem Einzel-GdB von allenfalls 20 bewerteten Leiden wirkten sich nur gering verstärkend auf den Gesamtleidenszustand aus. Das Gericht folge daher dem Bewertungsvorschlag des versorgungsärztlichen Dienstes, wonach nun ein Gesamt-GdB von 40 vorliege.
Gegen den ihm am 27. Mai 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Juni 2002 Berufung eingelegt. Er macht geltend, bei der Betrachtung seines Gesamtleidenszustandes sei festzustellen, dass die Schwerbehinderung weiterhin vorliege. Im Übrigen habe sich das Wirbelsäulenleiden weiter verschlimmert. Trotz eines entsprechenden Hinweises im Widerspruchsverfahren seien keine weiteren Befundberichte angefordert worden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 3. Mai 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 19. August 2002. Darin heißt es, bei nicht bestrittener Alkoholabstinenz sei anzunehmen, dass sich auch der Leber- und Speiseröhrenschaden zurückgebildet habe. Diesbezügliche aktuelle Befunde hätten dem Hausarzt nicht vorgelegen. Eine wesentliche Änderung habe daher insoweit nicht nachgewiesen werden können. Da aber eine wesentliche Besserung bei Alkoholkarenz nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung anzunehmen sei, würden diese Leiden - wie im Übrigen auch bereits im Jahr 1994 - bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht berücksichtigt. Ferner sei eine wesentliche Funktionsstörung der Wirbelsäule, die über den schon anerkannten, sehr wohl wollenden GdB hinausgehe, nicht belegt.
Das Gericht hat Befundberichte des Facharztes für Orthopädie Dr. K. vom 4. November 2002 und des Hausarztes Dr. I. vom 8. November 2002 beigezogen. Dr. K. hat sich auf seinen letzten Befund vom 7. Mai 1999 bezogen und mitgeteilt, der Kläger habe sich danach im Juni 1999 zur Durchführung einer balneophysikalischen Therapieserie in seiner ambulanten Behandlung befunden. Eine neuerliche Vorstellung sei erst am 24. September 2001 erfolgt mit den gleichen Beschwerden wie zuvor, zudem seien Kribbelgefühle im Bereich der Brustwirbelsäule ausstrahlend in die Schulterblätter beidseits geklagt worden. Wesentliche Einschränkungen der körperlichen Beweglichkeit hätten sich nicht gefunden. Subjektiv gebe der Kläger schlimmere Schmerzen an. Der Hausarzt hat als Diagnosen eine Harnsäuregicht, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom und eine erektile Impotenz mitgeteilt. Die Frage, ob neue Leiden hinzugekommen oder alte weggefallen seien, hat er verneint. Ferner hat er angegeben, dass die Leberwerte normal seien, eine Gastroskopie oder Sonographie sei nicht durchgeführt worden.
Die Beklagte hat zu den Befundberichten eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 20. November 2002 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, aus dem orthopädischen Bericht ergebe sich keine wesentliche Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens. Hausärztlich würden - nach Alkoholabstinenz - normale Leberwerte mitgeteilt, sodass insofern eine wesentliche Änderung im Sinne einer Ausheilung vorliege. Von einer Speiseröhrenerkrankung werde gar nicht mehr gesprochen. Auch hier sei davon auszugehen, dass sich auf Grund der Alkoholabstinenz die durch eine Entzündung der Speiseröhre bei Reflux und eine beginnende Erweiterung der Krampfadern bedingten Beschwerden zurückgebildet hätten. Ein Ausheilen der Leber- und Speiseröhrenerkrankung werde daher angenommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Prozessakte sowie die Schwerbehindertenakte Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsstörungen in der Zeit seit dem 1. Dezember 2000 nur noch einen GdB von 40 bedingen.
Die Behinderung und der dadurch bedingte GdB sind im vorliegenden Fall nach den zum 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) festzusetzen. Für die vorliegende reine Anfechtungsklage ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen. Diese liegt in dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001. Im Interesse der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen erfolgt die konkrete Festsetzung nach Maßgabe der in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", ausgearbeitet 1996 (AHP 1996), niedergelegten Maßstäben. Diese sind zwar kein Gesetz und auch nicht auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Es handelt sich bei ihnen jedoch um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung. Sie engt das Ermessen von Verwaltung und Ärzten ein, führt zur Gleichbehandlung und ist deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zu Grunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich von diesen auszugehen (BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 m.w.N.). Deshalb stützt sich auch der erkennende Senat in seiner ständigen Rechtsprechung auf die genannten Anhaltspunkte. An der bisherigen Feststellungspraxis hat sich im Übrigen durch den Umstand nichts geändert, dass mit Wirkung vom 1. Juli 2001 das SGB IX in Kraft getreten ist und die Feststellung der Behinderung nunmehr nach §§ 2, 69 SGB IX erfolgt (BSG, Urteil vom 07.11.2001 - Az. B 9 SB 1/01 R, veröffentlicht in der JURIS-Datenbank).
Der angefochtene Bescheid vom 15. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001 ist formell und materiell rechtmäßig. Er ist verfahrensfehlerfrei ergangen. Insbesondere hat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 13. Oktober 2000 ordnungsgemäß angehört (§ 24 SGB X). Sie hat ihm die für die beabsichtigte Entscheidung erheblichen Tatsache (Besserung der Alkoholkrankheit) und den zu Grunde liegenden Befundbericht mitgeteilt. Im anschließenden Widerspruchsverfahren sind dem Kläger darüber hinaus alle seit Juli 1996 beigezogenen Befundunterlagen in Kopie übersandt worden.
Der angefochtene Herabsetzungsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist die Beklagte berechtigt gewesen, den GdB unter Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 11. Juli 1994 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2000 auf 40 festzusetzen, denn gegenüber der Feststellung von 1994 hatte sich eine wesentliche Änderung ergeben.
Soweit der Kläger hinsichtlich der seinerzeit im Vordergrund stehenden Alkoholkrankheit geltend macht, es läge ein unveränderter Zustand vor, trifft dies nicht zu. Zum Zeitpunkt des Bescheides vom 11. Juli 1994 litt er ausweislich der vorliegenden medizinischen Unterlagen unter einem chronischen Alkoholmissbrauch, verbunden mit einer Reflux-Ösophagitis wegen einer alkoholtoxischen Fettleberhepatitis und beginnenden Ösophagusvarizen (Krampfadern der Speiseröhre). Bereits in seinem Bericht vom 14. Juli 1996 an das Versorgungsamt teilte der Hausarzt Dr. I. mit, dass der Kläger keinen Alkohol mehr trinke. Diese Alkoholkarenz hat er in seinen weiteren Berichten fortlaufend bestätigt. Es ist vor diesem Hindergrund ganz offensichtlich zu einer Besserung der Alkoholkrankheit gekommen. Hinsichtlich der verbliebenen Beeinträchtigungen teilte der Hausarzt mit, dass im Anschluss an die Entziehungsbehandlung noch psychische Störungen in Form eines hirnorganischen Psychosyndroms mit einer gewissen Kritiklosigkeit hinsichtlich des eigenen Gesundheitszustandes vorlägen. Diese Behinderung hat der versorgungsärztliche Dienst der Beklagten nachvollziehbar mit einem GdB von 30 bewertet. Denn es handelt sich um eine leichte hirnorganische Persönlichkeitsveränderung, die lediglich mit einer Einschränkung des Kritikvermögens einhergeht und sich im Alltag nur gering auswirkt. Für eine solche Störung sehen die AHP 1996 (Nr. 26.3 S. 53) einen GdB von 30-40 vor. Die von der Beklagten vorgenommene Neubewertung des Leidens und Herabsetzung des Einzel-GdB auf 30 erweist sich nach alledem als zutreffend.
Angesichts der bestehenden Alkoholabstinenz ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass versorgungsärztlicherseits auch von einem Ausheilen der Folgeerkrankungen, nämlich der alkoholbedingten Leber- und Speiseröhrenerkrankung, ausgegangen wird. Auf eine insoweit eingetretene wesentliche Änderung lassen sich die angefochtenen Bescheide indes nicht stützen, da der Kläger im Verwaltungsverfahren nur im Hinblick auf eine Besserung seiner Alkoholkrankheit angehört worden ist. Die Leber- und Speiseröhrenerkrankung ist in dem Anhörungsschreiben vom 13. Oktober 2000 demgegenüber als fortbestehende Funktionsbeeinträchtigung aufgeführt worden.
Soweit der Kläger eine Verschlechterung seines mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Wirbelsäulenleidens geltend gemacht hat, ist eine solche in dem beigezogenen Befundbericht des Dr. K. vom 4. November 2002 nicht bestätigt worden. Danach bedürfen die Beschwerden lediglich einer sporadischen fachärztlichen Behandlung, eine wesentliche Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit besteht nicht. Die bisherige Bewertung entspricht danach weiterhin den Vorgaben der AHP 1996 (Nr. 26.18, S. 140).
Die vom Hausarzt im Berufungsverfahren erstmals mitgeteilte erektile Impotenz kann unabhängig von der Frage, ob sie einen GdB bedingt, im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden, da es bei einer Anfechtungsklage gegen die Herabsetzung des GdB auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.
Liegen wie im vorliegenden Fall mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Dabei dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Auszugehen ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. zum Ganzen: AHP 1996 Nr. 19, S. 33 ff).
Davon ausgehend ist vorliegend der vom versorgungsärztlichen Dienst für die Zeit ab Dezember 2000 gebildete Gesamt-GdB von 40 nicht zu beanstanden. Die Festsetzung des GdB beruht auf einer wertenden Zusammenschau von unterschiedlichen Faktoren und ist somit ein Akt der ärztlichen Bewertung, der nicht in vollem Umfang nachprüfbar ist. Die Herabsetzung des Gesamt-GdB von 60 auf 40 erscheint dem Gericht angesichts des Umstandes nachvollziehbar, dass die bisher mit einem Einzel-GdB von 50 bewertete Alkoholkrankheit in dieser Form nicht mehr besteht und ein hirnorganisches Psychosyndrom mit einem Einzel-GdB von lediglich 30 verblieben ist. Dieses mit dem höchsten Einzel-GdB versehene Leiden wird durch das Wirbelsäulenleiden und die Leber- und Speiseröhrenerkrankung (Einzel-GdB jeweils 20) verstärkt. Die weiteren, lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Leiden (Bronchialerkrankung, Gicht) rechtfertigen indes keine weitere Erhöhung. Ein Gesamt-GdB von 50 (Schwerbehinderung) ist keinesfalls gerechtfertigt. Ein solcher GdB kann nach den AHP 1996 (Nr. 19, S. 34) beispielsweise nur angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich ist wie etwa bei Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung. Ein solcher Gesamtzustand der Behinderung liegt bei dem Kläger nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.