Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 24.04.2003, Az.: L 6 U 330/99
Zahlung von Verletztenrente wegen Erkrankung an einer Berufskrankheit; Beschäftigung als Maschinenschlosser und Verrichtung von wirbelsäulenbelastenden Arbeiten; Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (bandscheibenbedingte Erkrankung); Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV); Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und der beruflichen Tätigkeit; Ausschluss des Anscheinsbeweises bei bandscheibenbedingten Erkrankungen; Voraussetzungen eines Anspruchs auf Übergangsleistungen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 24.04.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 330/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21142
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0424.L6U330.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 05.08.1999 - AZ: S 7 U 175/98
Rechtsgrundlagen
- § 551 Abs. 1 RVO
- § 581 Abs. 1 RVO
- § 3 Abs. 2 BKV
Redaktioneller Leitsatz
Zwar findet der Anscheinsbeweis auch in der gesetzlichen Unfallversicherung Anwendung und ist klarstellend für das Berufskrankheitenrecht in § 9 Abs. 3 SGB VII formuliert. Seine Anwendung ist jedoch auf nach der Lebenserfahrung typische Geschehensabläufe beschränkt, bei denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes auf eine bestimmte Ursache hinweist. Der behauptete Vorgang muss schon "auf den ersten Blick" (prima facie) nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ablaufen. Es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 eine bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist. Der Grund hierfür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Dabei steht der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess im Vordergrund, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind. Daraus folgt, dass eine individuelle Kausalitätsbeurteilung erforderlich ist, die deutlich macht, inwieweit der berufsbedingt diagnostizierte Schaden von altersbedingten Verschleißerscheinungen abweicht.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. August 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt, seine Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Folgen der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen und damit verbunden die Zahlung von Verletztenrente. Außerdem begehrt er Übergangsleistungen.
Der im Mai 1951 geborene Kläger war seit August 1974 als Maschinenschlosser bei der C. beschäftigt. Im Januar 1995 erstattete die Arbeitgeberin die BK-Anzeige. Im selben Monat wechselte der Kläger innerhalb des Unternehmens seinen Arbeitsplatz und verrichtete seitdem keine wirbelsäulenbelastenden Arbeiten (seine eigenen Angaben vom 19. Februar 1995). 1996 wurde das Insolvenzverfahren eingeleitet. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ist der Kläger inzwischen als Sachverständiger für Feuerlöschgeräte tätig. Im Übrigen gab er an, Lasten mit einem Gewicht von 10 bis 60 kg, durchschnittlich 35 kg ca. 200 mal pro Tag an 150 Arbeitstagen und an 80 Arbeitstagen ca. 30 mal pro Tag getragen zu haben. Lasten auf der Schulter habe er zu 20 % seiner Arbeitszeit getragen. Die C. bestätigte die Angaben zum Tragen auf der Schulter und teilte im Übrigen mit, dass der Kläger die Lasten 200 mal pro Arbeitstag an 160 Arbeitstagen und bis zu 30 mal an den anderen 80 Tagen getragen habe.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten verneinte in der Stellungnahme vom 29. September 1995 die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BKen Nrn. 2108 und 2109. Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der BKK sowie den Befundbericht des Dr. D. bei, der nach lumbalen Computertomogrammen vom 27. Oktober 1989 und 2. Mai 1994 einen kräftigen medialen bis geringen mediolateralen Bandscheibenvorfall L5/S1 mitteilte. Auf die Stellungnahme des Landesgewerbearztes Dr. E. vom 15. Dezember 1995 überprüfte der TAD erneut die arbeitstechnischen Voraussetzungen und sah die erforderlichen Dosisrichtwerte als nur geringfügig unterschritten an (Stellungnahme vom 14. Februar 1996). Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Arzt für Arbeitsmedizin/Sozialmedizin Prof. Dr. F., Zentrum für Sozialpolitik der Universität G., vom 12. Juni 1996. Dieser bejahte die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108. Das beruflich bedingte Heben und Tragen schwerer Lasten sei Ursache für den medialen Bandscheibenvorfall L5/S1. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit Oktober 1989, dem Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls, 20 v.H. Der TAD der Beklagten blieb in seiner Stellungnahme vom 9. September 1996 bei seiner Einstellung zur geringfügigen Unterschreitung des Dosisrichtwertes für die BK Nr. 2108. Auf die Stellungnahme der Dr. H. vom 19. September 1996 holte die Beklagte das Gutachten des Orthopäden Dr. I. vom 4. Dezember 1997 ein. Dieser diagnostizierte nach Auswertung der Röntgenaufnahmen aus dem Zeitraum seit März 1983 eine Fehlstellung und dem Lebensalter vorauseilende degenerative Veränderungen der HWS ohne funktionelle Auswirkungen, leichte Rückstände einer abgelaufenen Scheuermann'schen Erkrankung an der Brustwirbelsäule (BWS), eine mäßige anlagebedingte Fehlstellung der LWS, einen alten Kompressionsbruch des 2. Lendenwirbelkörpers (LWK), Verschleißerscheinungen an den Zwischenwirbelgelenken der gesamten LWS sowie einen älteren Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulensegment L5/S1 ohne manifeste neurologische Störungen. Der Gutachter verneinte den Kausalzusammenhang zwischen diesen Gesundheitsstörungen mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Gegen den Zusammenhang spräche das erstmalige Auftreten von LWS-Beschwerden 1983, 9 Jahre nach Aufnahme der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit sowie die erheblichen, dem Lebensalter vorauseilenden Verschleißerscheinungen an der HWS, die keiner entsprechenden beruflichen Überlastung ausgesetzt gewesen sei sowie die Tatsache, dass abgesehen von dem Segment L5/S1 die übrigen Segmente der LWS nicht degenerativ verändert seien. Die Chirurgin Dr. H. bestätigte in ihrer Stellungnahme vom 28. Januar 1998 die Einschätzung des Dr. I ... Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 1998 die Anerkennung der BKen Nrn. 2108 und 2109 ab. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1998).
Hiergegen hat der Kläger am 28. August 1998 Klage erhoben. Er wandte sich vornehmlich gegen die Ermittlungen des TAD und legte im Einzelnen seine Arbeitsbedingungen dar. Die Beklagte überreichte eine Stellungnahme des TAD vom 4. Februar 1999. Das Sozialgericht (SG) Stade hat ein Gutachten des Orthopäden Dr. J. vom 27. Februar 1999 eingeholt. Gestützt auf das Ergebnis der Beweisaufnahme hat das SG Stade mit Gerichtsbescheid vom 5. August 1999 die Klage abgewiesen. Nach den übereinstimmenden Gutachten der Dres. K. spreche das Schadensbild an der HWS und an der unteren LWS eher für eine anlagebedingte als für eine berufsbedingte Entstehung. Abgesehen von dem Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 weise die übrige LWS einen altersentsprechenden Normalbefund ohne erkennbare Verschleißerscheinungen auf.
Gegen diesen ihm am 6. August 1999 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 3. September 1999 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass die Vernehmung zweier früherer Arbeitskollegen bestätigen werde, dass er die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 erfülle. Im Übrigen stütze er sich auf das Gutachten des Prof. Dr. F. und die Stellungnahmen des Landesgewerbearztes Dr. E ... Die Gutachten der Ärzte seines Vertrauens, Prof. Dr. L. und M., seien unbrauchbar, da sie sich nicht mit dem Umfang seiner beruflichen Belastungen auseinander setzten. Insbesondere habe der Gutachter Prof. Dr. L. unberücksichtigt gelassen, dass er - der Kläger - schon vor 1974 wirbelsäulenbelastend gearbeitet habe und daher den Zehnjahreszeitraum beim erstmaligen Auftreten seiner Wirbelsäulenbeschwerden 1983 längst erfüllt habe.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. August 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1998 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers im Bereich der Lendenwirbelsäule Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung sind,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen,
- 4.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen nach § 3 Berufskrankheiten-Verordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. August 1999 zurückzuweisen.
Die Beklagte hat die Stellungnahme des TAD vom 10. Mai 2001 vorgelegt und sieht weiterhin die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BKen nicht für gegeben an.
Auf Antrag des Klägers ist das Gutachten des Prof. Dr. N., Orthopädische Klinik des O. vom 5. Dezember 2002 nebst nervenfachärztlichen Zusatzgutachten des Neurologen und Psychiaters M. vom 1. November 2002 eingeholt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG Stade hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass seine Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS als BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV anerkannt werden. Er hat deshalb auch keinen Anspruch auf Verletztenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 551, 581 Reichsversicherungsordnung (vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch - SGB - VII).
Bei der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV handelt es sich um bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dem Kläger angesichts der Tatsache, dass die Beklagte lediglich eine geringfügige Unterschreitung des Dosis-richtwertes annimmt (vgl. Stellungnahme des TAD vom 14. Februar 1996), die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK Nr. 2108 tatsächlich zu verneinen sind.
Weiterhin geht der Senat zu Gunsten des Klägers davon aus, dass bei ihm eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 der BKV besteht. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung ist, wie sich aus dem den Beteiligten übermittelten Aufsatz von Dr. Schröter (Der Orthopäde, 2-2001, S. 100 ff.) ergibt, durch die Höhenminderung des Bandscheibenraumes mit "Erweichung" der Bandscheiben (Diskose) sowie durch einen klinischen Segmentbefund (provozierbarer Schmerz) und einen vermehrten Muskeltonus (Verspannung) gekennzeichnet. Zweifel am Vorliegen dieser Erkrankung bestehen zwar angesichts des gegenwärtig lediglich geringen neurologischen Befundes (Gutachten des Neurologen M.). Da die weiteren Gutachter aber zumindest pseudoradikuläre Symptome beschrieben haben (vgl. Gutachten Dr. I.) und Dr. M. immerhin ein intermittierend auftretendes blandes (mild verlaufendes) und rein sensibles Wurzelreizsyndrom diagnostiziert hat, geht der Senat zu Gunsten des Klägers vom Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 aus.
Es lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass diese bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch die berufliche Tätigkeit des Klägers als Maschinenschlosser und durch seine vorausgegangenen Tätigkeiten verursacht worden ist. Allein auf Grund der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen seines Berufslebens körperlich schwer arbeitete, kann nicht automatisch auf einen wahrscheinlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang seiner Erkrankung mit diesem Arbeitsleben geschlossen werden. Zwar findet der Anscheinsbeweis auch in der gesetzlichen Unfallversicherung Anwendung (Schulz-Weidner, SGb 1992, S. 59; Anders/Anders SGb 2000, S. 454) und ist klarstellend für das Berufskrankheitenrecht in § 9 Abs. 3 SGB VII formuliert (s. dazu LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1998 S. 573 ff.; Hauck-Nehls SGB VII, Kommentar K § 9 Rz. 32; Brandenburg SGb 1996, S. 430 ff.). Seine Anwendung ist jedoch auf nach der Lebenserfahrung typische Geschehensabläufe beschränkt, bei denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes auf eine bestimmte Ursache hinweist. Der behauptete Vorgang muss schon "auf den ersten Blick" (prima facie) nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ablaufen. Es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 eine bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 -, SGb 1999, S. 39). Der Grund hierfür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Dabei steht der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess im Vordergrund, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind (vgl. dazu Urteil des Senats vom 20. Juli 2000 - L 6 U 328/99 -). Daraus folgt, dass eine individuelle Kausalitätsbeurteilung erforderlich ist, die deutlich macht, inwieweit der berufsbedingt diagnostizierte Schaden von altersbedingten Verschleißerscheinungen abweicht.
Im vorliegenden Fall überwiegen unter Berücksichtigung der in den Gutachten der Dres. P. formulierten Kriterien die Gesichtspunkte, die gegen eine berufliche Verursachung der LWS-Veränderungen des Klägers sprechen. So steht bereits der altersentsprechende Befund an der LWS, der von allen Gutachtern (Dres. Q.) übereinstimmend beschrieben wird, dem Kausalzusammenhang entgegen, worauf diese Gutachter zutreffend hingewiesen haben. Denn die BK Nr. 2108 erfordert ein altersvorauseilendes Krankheitsbild.
Nach dem allgemeinen medizinischen Erkenntnisstand, der der Einführung der BKen Nrn. 2108 bis 2110 zu Grunde liegt, führt das Heben und Tragen schwerer Lasten zu einer sog. "Linksverschiebung" der altersbezogenen Verteilung der Befunde, d.h. zu einer erheblichen zeitlichen Vorverlagerung der degenerativen Veränderungen (um ca. 10 Jahre) in die jüngeren Altersgruppen (vgl. hierzu das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) herausgegebene Merkblatt zur BK Nr. 2108, abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, BKV M 2108, S. 13). Dieses stimmt mit der Mitteilung von Bolm-Audorff, der als Berichterstatter im die Bundesregierung beratenden ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion BKen - beim BMA maßgeblich an der Aufnahme bandscheibenbedingter Erkrankungen in die Liste der BKen beteiligt war, auf der Tagung über Verhütung und Erkennung von LWS-Schäden am 28. November 1998 in Bad Nauheim überein, dass es bei der BK Nr. 2108 "um fortgeschrittene und schwere Osteochondrose, Spondylose, Spondylarthrose und Prolaps und dadurch hervorgerufene Syndrome geht" (S. 109 des vom Hessischen Sozialministerium - Referat Öffentlichkeitsarbeit - herausgegebenen Tagungsbandes - Brennpunkt Arbeitsschutz Band 3, 2. Auflage Juni 1999). Ein derartiger altersvorauseilender Befund liegt beim Kläger nach übereinstimmender Einschätzung aller Gutachter aber nicht vor. Sogar für den Bandscheibenvorfall in dem Segment L5/S1 hat Dr. H. darauf hingewiesen, dass dieser nicht altersvorauseilend ist. Dies erweist sich vor dem Hintergrund, dass Bandscheibenvorfälle auch in der Allgemeinbevölkerung - ohne entsprechende berufliche Belastung - sehr häufig sind und 90 % aller, auch schicksalhaft erworbener Bandscheibenvorfälle, in diesem Segment L5/S1 auftreten (Gutachten der Dr. H., Gutachten des Prof. Dr. L.), nachvollziehbar und plausibel.
Weiter fehlen bei dem Kläger die sog. belastungsadaptiven Reaktionen. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den auch im Gutachten des Prof. Dr. L. und der im Aufsatz des Dr. Schröter formulierten Kriterien davon aus, dass eine berufsbedingte Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung dem Lebensalter vorauseilende belastungsadaptive Reaktionen in Gestalt von osteochondrotischen und spondylotischen Veränderungen im Bereich der BWS und LWS erfordert und dass weiterhin relevante schicksalhafte Ursachen fehlen. Diese osteochondrotischen und spondylotischen Veränderungen haben an sich keinen "Krankheitswert", stellen aber körpereigene Reparationsvorgänge dar, die darauf hinweisen, dass eine körperliche Belastung die Grenze der individuellen Belastbarkeit erreicht oder gar überschritten hat. Dabei treten spondylotische Veränderungen vor allem im unteren Bereich der BWS und osteochondrotische Reaktionen vornehmlich im Bereich der LWS, von oben nach unten zunehmend, auf (Urteil des Senats vom 20. Juli 2000 - L 6 U 342/99 ZVW - , Schröter, Der Orthopäde 2001, S. 100 ff). Für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs ist daher der röntgenologische Befund der Wirbelsäule die maßgebliche Beurteilungsgrundlage.
Nach Auswertung der umfangreichen medizinischen Unterlagen und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Prof. Dr. L. lässt sich ein derartiges belastungsadaptives und altersvorauseilendes Verteilungsmuster der radiologischen Veränderungen beim Kläger nicht feststellen. In beiden CT-Befunden aus den Jahren 1989 und 1994 werden keine spondylotischen und osteochondrotischen Veränderungen mitgeteilt. Auch die den Kläger begutachtenden Ärzte - Dres. Q. - haben nach Auswertung der umfangreichen Röntgenaufnahmen eine Osteochondrose lediglich im Segment L5/S1 festgestellt. Die übrigen Segmente der LWS sind unauffällig und weisen keine degenerativen Veränderungen auf. Insoweit stimmen alle Gutachter - abgesehen von Prof. Dr. F. - überein.
Weiterhin spricht nach der übereinstimmenden Einschätzung der Dres. Q. die Tatsache, dass die HWS und BWS des Klägers wesentlich deutlichere degenerative Veränderungen, insbesondere ein altersvorauseilendes Krankheitsbild, aufweist als die LWS, gegen den Zusammenhang der Gesundheitsstörungen des Klägers im Bereich der LWS mit seiner beruflichen Tätigkeit. Denn das Heben und Tragen schwerer Lasten wirkt sich typischerweise am stärksten in der LWS aus, sodass hier auch die größten degenerativen Veränderungen zu erwarten wären, wenn die beruflichen Belastungen die körperliche individuelle Belastbarkeit der LWS überschritten hätte.
Der abweichenden Einschätzung des Prof. Dr. F. vermochte sich der Senat demgegenüber nicht anzuschließen. Dieser Gutachter hat den Kausalzusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Maschinenschlosser allein auf Grund der damit verbundenen Belastungen bejaht, eine weitere Begründung für die Annahme des Ursachenzusammenhangs hat er nicht gegeben. Damit geht er in seiner Argumentation von einem Anscheinsbeweis aus, der bei dieser BK Nr. 2108 - wie bereits zuvor ausgeführt - gerade nicht besteht. Zudem hat dieser Gutachter auch die röntgenologischen Befunde nicht ausgewertet, was aber für die Beurteilung sowohl des Krankheitsbildes wie auch für die des ursächlichen Zusammenhanges von entscheidender Bedeutung ist.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind Ermittlungen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erforderlich. Prof. Dr. L. hat - wie Dres. R. - die medizinischen Voraussetzungen und den Kausalzusammenhang unabhängig vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen verneint. Die Sachverständigen wären selbst bei Annahme der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht zu einem für den Kläger positiven Ergebnis gekommen, da der röntgenologische Befund an der gesamten Wirbelsäule gegen den Zusammenhang der Gesundheitsstörungen mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers spricht.
Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV. Dieser setzt voraus, dass bei Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit die Gefahr besteht, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert (§ 3 Abs. 1 BKV). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, da - wie ausgeführt - es nicht wahrscheinlich ist, dass die jahrzehntelange Arbeit als Maschinenschlosser die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS wesentlich (mit-)verursacht hat oder sich demnächst - nach Einstellung der jahrzehntelangen wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit im Jahre 1995 und Verrichtung leichterer, die Wirbelsäule nicht belastender Arbeiten seitdem - eine bandscheibenbedingte Erkrankung entwickeln wird. Deshalb konnte dahingestellt bleiben, ob angesichts der Arbeitslosigkeit des Klägers im Jahre 1996 wegen der Insolvenz der S. überhaupt eine Kausalität zwischen dem möglicherweise in dieser Zeit eingetretenen Minderverdienst und seiner Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).