Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.03.2003, Az.: L 8 KG 2/02
Anspruch auf weiteres Kindergeld; Steuerrechtliche Lösung bei der rückwirkenden Sicherstellung des Existenzminimums bei Kindesunterhalt; Kein Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlichen festgesetzten Einkommensteuer und der laut Einkommenssteuergesetz (EStG) zu zahlenden Einkommensteuer; Begrenzung einer rückwirkenden, nachträglichen Leistungserbringung auf maximal vier Jahre
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.03.2003
- Aktenzeichen
- L 8 KG 2/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21173
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0327.L8KG2.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 11.12.2001 - AZ: S 6 KG 9/01
Rechtsgrundlagen
- § 10 BKGG
- § 21 BKGG
- § 53 EStG
- § 70 EStG
- § 44 Abs. 4 SGB X
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Dezember 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen..
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Jahre 1986 bis 1993 höheres Kindergeld (Kg).
Im streitigen Zeitraum erhielt der Kläger für seine im Januar 1966 bzw. Oktober 1969 geborenen Kinder von der Beklagten Kg, und zwar in den Jahren 1986 bis 1990 sowie 1993 für ein Kind (davon 1989 für 7 Monate, 1990 für 10 Monate und 1993 für 1 Monat). In den Jahren 1991 und 1992 erhielt er Kg für zwei Kinder (1991 3 Monate, 1992 6 Monate, jeweils in Höhe des Sockelbetrages). Die Dauer der Kg-Zahlungen ergibt sich aus den jeweiligen Unterlagen und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 1990 beantragte der Kläger rückwirkend ab dem 1. Januar 1986 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) unter Hinweis auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) höheres Kg und bat bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bzw. bis zu einer weiteren Entscheidung des BVerfG um Aussetzung des Verfahrens. Mit Bescheid vom 13. November 2000 lehnte die Beklagte eine Nachbesserung gemäß § 21 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ab, weil die damaligen Kg-Bewilligungen vom Kläger nicht durch Rechtsbehelf angefochten und damit bindend geworden seien. Der (vom Kläger nicht begründete) Widerspruch blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2001 hat die Beklagte im Einzelnen dargelegt, warum ihres Erachtens die früheren Kg-Bewilligungen bindend geworden sind. Für Veranlagungszeiträume ab 1990 seien die einschlägigen Steuerfeststetzungen hinsichtlich der Kinderfreibeträge nur vorläufig ergangen, sodass die Prüfung, ob das Kindesexistenzminimum freigestellt war, von den Finanzämtern vorgenommen werde. Durch § 21 BKGG würden nur solche Personen begünstigt, die eine steuerliche Nachbesserung allein aus dem besonderen Grund nicht erhalten könnten, dass eine bereits ergangene Steuerfestsetzung wegen formeller Bestandskraft bzw. endgültiger Festsetzung der Kinderfreibeträge nicht mehr korrigiert werden könne.
Die am 12. Juni 2001 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim mit Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2001, zugestellt am 13. Dezember 2001, unter Hinweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 14. Januar 2002 (einem Montag) eingelegte Berufung, die der Kläger mit dem Hinweis auf zwei Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juli 2001 (VI R 78/98) sowie vom 15. Mai 2002 (VI R 30/01) zu begründen versucht. Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass un-abhängig von den bisherigen rechtlichen Überlegungen eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes für die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 21 BKGG erforderlich ist, hat der Kläger ein Schreiben des Finanzamtes G. vom 25. März 2003 vorgelegt, wonach sich für 1983 - 1985 nachträgliche Einkommenssteuererstattungen ergeben könnten; die Steuerbescheide seien jedoch formell bestandskräftig. Ab 1986 würden sich auf Grund der Sondervorschrift des § 53 Einkommenssteuergesetz (EStG) keine Steuererstattungen ergeben.
Nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt der Kläger sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Dezember 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verpflichten, ihm - dem Kläger - unter Änderung entgegenstehender Bescheide für die Zeit von Januar 1986 bis Januar 1993 höheres Kindergeld zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Außer der Gerichtsakte lag ein Band Kg-Akten der Beklagten, den Kläger betreffend, vor. Er war Gegenstand des Verfahrens. Wegen des Weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte und das SG haben im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger für die streitbefangene Zeit keinen Anspruch auf weiteres Kg hat.
Die Kg-Bewilligungen der Beklagten waren bei ihrem Erlass rechtmäßig. Nach den seinerzeitigen gesetzlichen Regelungen stand dem Kläger Kg für das erste Kind in Höhe von 50,00 DM bzw. ab 1992 in Höhe von 70,00 DM zu, für das zweite Kind durchgehend 70,00 DM in Höhe des Sockelbetrages (vgl § 10 BKGG in den jeweils maßgebenden Fassungen).
Nach den Entscheidungen des BVerfG vom 10. November 1998 zum Familienlastenausgleich bei Kindesunterhalt reagierte der Gesetzgeber durch die Berücksichtigung höherer Freibeträge in § 53 EStG und durch Einfügung des § 21 BKGG als kindergeldrechtliche Sondervorschrift zur Steuerfreistellung des Existenzminimums eines Kindes in den Veranlagungszeiträumen 1983 bis 1995. § 21 BKGG lautet:
"In Fällen, in denen die Entscheidung über die Höhe des Kindergeldanspruches für Monate in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1983 und dem 31. Dezember 1995 noch nicht bestandskräftig geworden ist, kommt eine von den §§ 10 und 11 in der jeweils geltenden Fassung abweichende Bewilligung von Kindergeld nur in Betracht, wenn die Einkommenssteuer formell bestandskräftig und hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge nicht vorläufig festgesetzt sowie das Existenzminimum des Kindes nicht unter der Maßgabe des § 53 des Einkommenssteuergesetzes steuerfrei belassen worden ist. Dies ist vom Kindergeldberechtigten durch eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes nachzuweisen. Nach Vorlage diese Bescheinigung hat die Familienkasse den vom Finanzamt ermittelten Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Einkommenssteuer und der Einkommenssteuer, die nach § 53 Satz 6 des Einkommenssteuergesetzes festzusetzen gewesen wäre, wenn die Voraussetzungen nach § 53 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes vorgelegen hätten, als zusätzliches Kindergeld zu zahlen."
Der Gesetzgeber hat sich also bei der rückwirkenden Sicherstellung des Existenzminimums bei Kindesunterhalt für eine steuerrechtliche Lösung entschieden. Das ist sachgerecht, weil in der Regel für jedes Jahr ein Einkommenssteuerbescheid vorliegt und zumindest ab 1990 diese Bescheide einheitlich unter Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Kinderfreibeträge ergangen sind. Lediglich wenn eine steuerrechtliche Nachbesserung nicht möglich ist, ist die Kg-Kasse der Beklagten in den Fällen, in denen über Kg-Ansprüche noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist, verpflichtet, nach Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes den Unterschiedsbetrag zu der festgesetzten Einkommenssteuer als zusätzliches Kg zu zahlen.
Im Falle des Klägers sind die Voraussetzungen des § 21 BKGG bereits nicht erfüllt, weil sich aus der nunmehr vorliegenden Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes ergibt, dass für die streitige Zeit ab 1986 kein Unterschiedsbetrag zwischen der tatsächlichen festgesetzten Einkommensteuer und der Einkommensteuer, die nach § 53 Satz 6 EStG unter den Voraussetzungen des § 53 Satz 1, 2 EStG festzusetzen gewesen wäre, ermittelt werden konnte. Eine Nachzahlung für die hier nicht streitige Zeit vor 1986 würde bereits daran scheitern, dass § 44 Abs. 4 SGB X eine nachträgliche Leistungserbringung nur für maximal vier Jahre rückwirkend ermöglicht.
Die vom Kläger herangezogenen Entscheidungen des BFH sind hier nicht einschlägig. Das Urteil vom 15. Mai 2002 (zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des BFH vorgesehen, bei JURIS in Volltext) ist möglicherweise bei der vom zuständigen Finanzamt auszustellenden Bescheinigung nach § 21 BKGG von Belang, soweit es um die Anwendung des § 53 Satz 3 EStG geht. Aus dem Urteil vom 25. Juli 2002 (BFHE 196, 253) ergibt sich, insoweit allenfalls zu Ungunsten des Klägers, dass Kg-Festsetzungen nach § 70 EStG eine Bindungswirkung zukommt und lediglich sog "Null-Festsetzungen" dazu führen, dass erneut Kg (allerdings auch nur bis zu dem Monat nach Bekanntgabe des Null-Festsetzungsbescheides) beantragt werden kann. Mit dem Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens hat dies nichts zu tun.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.