Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.03.2003, Az.: L 6 U 178/02

Höhe der Verletztenrente ; Schätzung der Minderung der Erwerbsunfähigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.03.2003
Aktenzeichen
L 6 U 178/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0320.L6U178.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 15.03.2002 - AZ: S 3 U 159/98

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 15. März 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist höhere Verletztenrente.Die Beklagte hat die Wirbelsäulenerkrankung des 1948 geborenen Klägers, die er sich in seinem landwirtschaftlichen Unternehmen zugezogen habe (s. zu der beruflichen Belastung im Einzelnen die Arbeitsplatzanalyse vom 11. Juli 1996), als Berufskrankheit (BK) Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anerkannt und ihm Verletztenrente in Höhe von 20 vom Hundert (vH) der Vollrente bewilligt. Im Rentenbescheid vom 13. August 1997, der mit dem Bescheid vom 11. Februar 1998 zur Höhe des Jahresarbeitsverdienstes ergänzt worden ist, sind als Folgen der BK festgehalten: Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule (LWS), chronischer Reizzustand der Lendenwirbelsäulenweichteile mit Minderbelastung. Grundlage dieses Bescheides war das orthopädische Gutachten des Dr. C. vom 3. Juni 1997, nachdem zuvor Dr. D. im chirurgischen Gutachten vom 27. November 1996 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf lediglich 10 v.H. geschätzt hatte. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 30. September 1998), nachdem Dr. C. nach erneuter Prüfung an seiner Schätzung der MdE festgehalten hatte (orthopädische Stellungnahme vom 17. Juni 1998).Gegen den am 2. Oktober 1998 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 3. November 1998 vor dem Sozialgericht (SG) Aurich Klage erhoben. Das SG hat zunächst das chirurgische Gutachten des Dr. E. vom 2. August 1999 eingeholt, in dem der Sachverständige der Schätzung der MdE durch Dr. D. auf 10 v.H. zugestimmt hat. Anschließend ist auf Antrag des Klägers Dr. F. gehört worden, der im orthopädischen Gutachten vom 23. Juli 2001 die MdE auf 20 v.H. geschätzt hat. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 15. März 2002 abgewiesen.Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 12. April 2002 eingelegten Berufung. Er hat den ärztlichen Entlassungsbericht der Klinik G., vom 6. November 2002 vorgelegt und hervorgehoben, auf Grund der Folgen der anerkannten BK Arbeiten von wirtschaftlichem Wert nicht mehr ausüben zu können. Deshalb stehe ihm höhere Verletztenrente zu, zumal eine depressive Entwicklung hinzugetreten sei.Der Kläger beantragt sinngemäß,1. den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 15. März 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 13. August 1997 in der Fassung des Bescheides vom 11. Februar 1998 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998 zu ändern,2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 30 v.H. der Vollrente zu zahlen.Die Beklagte beantragt,die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 15. März 2002 zurückzuweisen.Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

2

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hat jedenfalls keinen Anspruch auf Zahlung höherer Verletztenrente. Dieses hat das SG im Einzelnen zutreffend ausgeführt. Darauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist zusammenfassend auf Folgendes hinzuweisen: Entscheidend ist, dass kein Arzt die MdE höher als 20 v.H. geschätzt hat. Dabei haben sie den Gesundheitszustand des Klägers sorgfältig erhoben und gewürdigt. Die Anregung des Klägers, "zur Unterscheidung zwischen Neuralgien und Kausalgien" eine "fachmedizinische Untersuchung" zu veranlassen, ist nicht verständlich. Jedenfalls besteht dafür deshalb kein Anlass, weil die von den Sach-verständigen durchgeführten orientierenden neurologischen Untersuchungen im Wesentlichen unauffällige Befunde ergaben. Es bestand lediglich eine Hypästhesie, d. h. eine herabgesetzte Empfindung von Sinnesreizen in einem kleinen Bereich des linken Oberschenkels. Dass - entgegen dem Vortrag des Klägers - keine erheblichen, jedenfalls eine MdE um mehr als 20 v.H. rechtfertigenden Funktionsstörungen vorliegen, bestätigt auch der im Berufungsverfahren vorgelegte ärztliche Entlassungsbericht vom 6. November 2002. Danach bestehen keine Gangstörungen. Das Hinsetzen und Aufstehen war problemlos. Beim Aus- und Ankleiden musste der Kläger keine wesentliche Schonhaltung einnehmen. Insgesamt fiel eine Einschränkung der Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht auf. Provokationsbewegungen ergaben keinen Anhalt für ein radikuläres Reizsyndrom. Lumbalgien und Ischialgien konnten nicht provoziert werden. Motorische Ausfallerscheinungen lagen nicht vor. Nach den anamnestischen Angaben des Klägers besteht ein pseudoradikulärer lumbaler Dauerschmerz, der sich jedoch bei Husten, Niesen und Pressen nicht verstärkt. Im Verlauf der Exploration war in der Psychomotorik keine schmerzbedingte Äußerung festzustellen. Vor dem Hintergrund dieser Befunde überzeugt auch die sozialmedizinische Stellungnahme aus orthopädischer Sicht im ärztlichen Entlassungsbericht, der Kläger könne ohne Schädigung der Gesundheit leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten. Selbst wenn Heben und Tragen von Lasten anfielen, könne mit Hilfe der Rückenschule ein schädigender Einfluss der Wirbelsäule vermieden werden. Deshalb kann jedenfalls eine höhere MdE als 20 v.H. nicht begründet werden. Dieses stimmt auch mit den in der unfallmedizinischen Literatur empfohlenen Werten überein, auch wenn sie nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als allgemeine Erfahrungssätze zu bewerten sind. Jedenfalls ist ihnen übereinstimmend zu entnehmen, dass nur funktionell bedeutsame motorische und/oder neurologische Ausfälle eine MdE um 30 v.H. rechtfertigen (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8 mit Nachweisen der Schätzungsvorschläge), die hier jedoch - wie ausgeführt - nicht vorliegen.Schließlich kann die depressive Entwicklung des Klägers, auf die der Kläger im Berufungsverfahren aufmerksam gemacht hat und die die Erwerbsfähigkeit des Klägers über die orthopädischen Gesundheitsstörungen hinaus wohl weiter einschränkt, bei der Schätzung der MdE nicht berücksichtigt werden. Denn diese Entwicklung ist ausweislich des oben genannten ärztlichen Entlassungsberichts nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit wesentlich auf die Folgen der anerkannten BK zurückzuführen. Dafür fehlt schon ein erheblicher orthopädischer Anknüpfungsbefund. Vielmehr geht aus dem ärztlichen Entlassungsbericht hervor, dass die Ursachen dieser Gesundheitsstörung im persönlichen Bereich des Klägers (Schwierigkeiten des Klägers mit der Vermietung von Ferienwohnungen und der Hofaufgabe) liegen. Deshalb hat für den Senat kein Anlass bestanden, der Anregung des Klägers nachzugehen und ein psychiatrisches Gutachten einzuholen.Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.