Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.03.2003, Az.: L 10 RI 373/01
Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Fähigkeit zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.03.2003
- Aktenzeichen
- L 10 RI 373/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 14693
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0305.L10RI373.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 12.11.2001 - AZ: S 5 RI 206/00
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 2 SGB VI a.F.
- § 44 Abs. 2 SGB VI a.F.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 12. November 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1956 geborene Klägerin absolvierte nach der Schulausbildung von April 1972 bis März 1975 eine Berufsausbildung zur Konditorin und arbeitete anschließend bis 1977 in diesem Beruf. Danach widmete sie sich der Kindererziehung. Nach der Geburt ihres dritten Kindes arbeitete sie seit Juli 1986 in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen im Regal- bzw. Warenservice, zuletzt von Januar 1996 bis zu einer Arbeitsunfähigkeit im Mai 1999 in einem Supermarkt in Braunschweig.
Auf den Rentenantrag der Klägerin vom September 1999 holte die Beklagte neben einem Befundbericht des behandelnden Orthopäden Weiß vom 3. November 1999 ein Gutachten der Anästhesiologin H. vom 17. Dezember 1999 ein. Darin gelangte die Gutachterin zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verfüge, soweit dabei Überkopfarbeiten, schwere Hebe- und Tragebelastungen sowie häufiges Bücken vermieden würden. Die Beklagte schloss sich dieser Leistungsbeurteilung im Wesentlichen an und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 7. Januar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2000 ab. Die Klägerin sei nach den medizinischen Feststellungen jedenfalls noch in der Lage, vollschichtig eine leichte Arbeit zu verrichten und müsse sich dazu auf alle leidensgerechten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen.
Vom 5. bis 26. April 2000 befand sich die Klägerin in stationärer medizinischer Rehabilitations(Reha)-Behandlung zu Lasten der Beklagten in der I.-Klinik J ... Ausweislich des dortigen Entlassungsberichtes vom 5. Mai 2000 wurde sie als arbeitsunfähig und mit einem nur noch unterhalbschichtigen Leistungsvermögen für ihre zuletzt verrichtete Tätigkeit entlassen. Für sonstige mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und unter Berücksichtigung bestimmter Einschränkungen für den Bewegungs- und Haltungsapparat wurde demgegenüber ein vollschichtiges Leistungsvermögen festgestellt.
Auf die gegen die Rentenablehnung beim Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobene Klage hat das SG zunächst einen Befundbericht von dem behandelnden Hausarzt und Allgemeinmediziner Dr. K. vom 21. Oktober 2000 eingeholt und die Klägerin dann durch den Orthopäden Dr. L. begutachten lassen. Dieser hat in seinem Gutachten vom 20. Februar 2001 festgestellt, dass sie vor allem unter umbauenden Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule (HWS/LWS) mit wiederkehrenden arthrotischen Nerven- und Muskelreizerscheinungen ohne neurologisches Defizit, umformenden Veränderungen der Rotatorenhaube des rechten Schultergelenkes sowie einer eingeschränkten Hüftgelenksbeweglichkeit rechts ohne Relevanz für eine zumutbare Wegstrecke leide. Die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung oder auch nur im Sitzen, in geschlossenen Räumen, ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken oder Knien und ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel vollschichtig zu verrichten. Von der Klägerin sollten ferner keine Arbeiten verlangt werden, die eine volle Gebrauchsfähigkeit der Hände erforderten, weil eine grobe Lasteinleitung über die Arme in die HWS dort zu wiederkehrenden Schmerzerscheinungen führen könne. Darüber hinaus sollten Tätigkeiten unter Kälte- und Hitzeeinwirkungen, starken Temperaturschwankungen, Zugluft- und Nässeeinwirkungen sowie unter besonderer Exposition von Staub, Gas, Dampf oder Rauch nicht erfolgen.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2001 hat sich das SG dieser Beurteilung angeschlossen und die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei die Klägerin weder erwerbsunfähig noch, da sie sich als zuletzt ungelernte Arbeitnehmerin auf alle leidensgerechten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen müsse, berufsunfähig. Der Arbeitsmarkt sei für die Klägerin auch nicht als verschlossen anzusehen. Die festgestellten Leistungseinschränkungen an den Händen ließen lediglich Tätigkeiten, die eine volle Gebrauchsfähigkeit der Hände erforderten, nicht mehr zu. Derartige Belastungen seien bei den der Klägerin zumutbaren Tätigkeiten - etwa leichten Sortier- und Verpackungsarbeiten - jedoch nicht zu erwarten. Auch die nicht sehr ausgeprägte Osteoporose und die lediglich angekündigte Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung führten nicht zu einer anderen Beurteilung.
Gegen das ihr am 3. Dezember 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Dezember 2001 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie insbesondere noch einmal auf die bei ihr diagnostizierte Osteoporose hingewiesen und dazu einen Arztbrief der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. M. vom 5. November 2001 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 12. November 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 12. November 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend auf berufsfördernde Maßnahmen hingewiesen, die zu Gunsten der Klägerin bereits vorgeschlagen worden seien.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren Befundberichte des Orthopäden N. vom 16. August 2002, des Neurologen und Psychiaters Dr. Dr. O. vom 18. September 2002, des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 22. September 2002 und des Schmerztherapeuten Dr. P. vom 29. Oktober 2002 eingeholt. Wegen deren Ergebnisse sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegt Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht auch nach Auffassung des Senats kein Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.
Das SG hat zunächst zutreffend die der Beurteilung des Rentenanspruchs zugrunde zu legenden Rechtsvorschriften der §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden und gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI noch anwendbaren Fassung (SGB VI a.F.) dargelegt und ist nach der von ihm durchgeführten Beweiserhebung zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin der geltend gemachte Rentenanspruch nicht zusteht. Insbesondere dem vom SG eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. L. vom 20. Februar 2001 ist auch nach Auffassung des Senats schlüssig und überzeugend zu entnehmen, dass der Klägerin trotz ihrer Gesundheitsbeschwerden auf orthopädischem Gebiet nicht jede vollschichtige Erwerbstätigkeit unmöglich ist. Die krankhaften Veränderungen vor allem im Bereich der HWS und der LWS lassen allerdings nur noch körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung als zumutbar erscheinen, bei denen die von dem Sachverständigen aufgezeigten Einschränkungen Berücksichtigung finden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist die Klägerin jedoch nach den Ausführungen von Dr. L. noch zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit mit den arbeitsüblichen Pausen ohne weitere Gefährdung ihrer Gesundheit in der Lage. Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine im rentenrechtlich erheblichen Umfang eingeschränkte Wegefähigkeit ergeben sich nicht. Danach ist die Klägerin nicht erwerbsunfähig i.S.v. § 44 Abs. 2 SGb VI a.F.
Zutreffend hat das SG aber auch eine Berufsunfähigkeit der Klägerin i.S.v. § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. verneint. Zwar hatte die Klägerin eine Berufsausbildung als Konditorin absolviert und damit zunächst den Facharbeiterstatus erreicht. Jedoch hat sie sich von dieser Tätigkeit nach 1986 gelöst, ohne dass dafür gesundheitliche Gründe maßgeblich waren. Mit ihrer zuletzt seit Januar 1996 versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit im Warenservice eines Supermarktes ist die Klägerin vom SG zutreffend als (nunmehr) ungelernte oder allenfalls einfach angelernte Arbeitnehmerin beurteilt worden. Damit muss sie sich auch zur Beurteilung etwaigen Berufsunfähigkeit auf alle leidensgerechten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen.
Das Vorbringen der Klägerin und das Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren haben den Senat nicht von einer anderen Beurteilung überzeugen können. Die von der Klägerin zur Begründung der Berufung zunächst in den Vordergrund gerückte und im Arztbrief der Gemeinschaftspraxis Dres. M. vom 5. November 2001 ausgewiesene Osteoporose ist bereits im Gutachten von Dr. L. berücksichtigt worden. Ausweislich Seite 6 des Gutachtens vom 20. Februar 2001 lag Dr. L. das Ergebnis der Knochendichtemessung vom 19. Dezember 2000 von Dres. Q. vor, nach der bei der Klägerin lediglich 77 Prozent der Altersnorm festgestellt wurden. Auch bei der von Dr. L. selbst vorgenommenen Röntgendiagnostik aus Anlass der Begutachtung am 14. Februar 2001 bestätigte sich ausweislich Seite 20/21 des Gutachtens die vorbekannte Minderung der Knochendichte, ohne dass Einbrüche der Wirbelkörper festgestellt werden konnten. Im Rahmen der Leistungsbeurteilung ist der eingeschränkten Belastbarkeit der Wirbelsäule durch den Ausschluss von Zwangshaltungen, häufigem Bücken oder Knien und häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel hinreichend Rechnung getragen worden. Soweit der Sachverständige auch Tätigkeiten, die eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, als unzumutbar bewertet hat, ist darauf hinzuweisen, dass auch diese Leistungseinschränkung nicht wegen krankhafter Veränderungen im Bereich der Hände oder Unterarme erfolgte, sondern um eine grobe Lasteinleitung über die Arme in die HWS zu vermeiden und die dortige Beschwerdesituation nicht zu verschlimmern.
Insbesondere lassen aber die vom Senat im Verlaufe des Berufungsverfahrens ergänzend eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte die Leistungsbeurteilung von Dr. L. auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht als unzutreffend erscheinen. Der Senat hatte daher keinen Anlass, den medizinischen Sachverhalt etwa durch die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens weiter aufzuklären. Der Orthopäde N. hat die Klägerin ausweislich des Befundberichtes vom 16. August 2002 nach der Begutachtung durch Dr. L. lediglich ein Mal am 1. November 2001 gesehen. Dabei zeigte sich zwar eine gewisse Zunahme der bereits vorbekannten Beschwerdesymptomatik im Bereich der linken Schulter. Nach dem Arztbrief des Orthopäden R. an den Orthopäden N. vom 23. November 2001 waren diese jedoch bereits am 19. November 2001 wieder abgeklungen und es fand sich nun eine schmerzfreie Beweglichkeit. Eine erhebliche Verschlechterung im Vergleich zu den Vorbefunden ist auch nach den Angaben des Orthopäden N. nicht eingetreten. Die auch von dem Hausarzt Dr. K. im Befundbericht vom 22. September 2002 mitgeteilten, zumindest kurzfristigen Befundverschlechterungen haben somit offensichtlich nicht dazu geführt, dass die Klägerin erneut eine gezielte orthopädische Intervention in Anspruch nehmen musste. Über die Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates hinaus teilt Dr. K. im Wesentlichen normgerechte Befunde mit. Bei dem Schmerztherapeuten Dr. P. befand sich die Klägerin ausweislich des Befundberichtes vom 29. Oktober 2002 zuletzt im November 2000 in Behandlung. Auch dort fanden sich im Wesentlichen die vorbekannten Beschwerden und Funktionsstörungen, die sich jedoch im Zusammenhang mit der dortigen Behandlung nach Angaben von Dr. P. gebessert haben. Darüber hinaus wurde der Klägerin dort ausdrücklich die therapeutische Empfehlung zu sinnvollem Bewegungstraining mit Steigerung der körperlichen Aktivität gegeben. In neurologischer Hinsicht zeigen sich schließlich ausweislich des Befundberichtes von Dr. Dr. O. vom 18. September 2002 keine auffälligen Befunde. Der psychiatrische Befund hat sich nach Angabe dieses Arztes ebenfalls leicht gebessert. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass den Gesundheitsbeschwerden der Klägerin durch die bereits von Dr. L. dargestellten Leistungseinschränkungen nicht mehr angemessen Rechnung getragen wird.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin mit dem bereits vom SG festgestellten Leistungsvermögen auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (SGB VI n.F.) hat. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI n.F. ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Da die Klägerin einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann, fehlen bereits aus diesem Grunde die Voraussetzungen für die Annahme einer relevanten Erwerbsminderung.
Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).