Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.03.2003, Az.: L 6/3 U 512/02
Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls; Weitere Zahlung von Verletztengeld wegen Funktionseinschränkung der Hand; Aufgabe eines Lehrberufes aufgrund Arbeitsunfalles
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- L 6/3 U 512/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 21106
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0320.L6.3U512.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 29.10.2002 - AZ: S 6 U 104/99
Rechtsgrundlagen
- § 45 SGB VII
- § 56 Abs. 1 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
Eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Nachteile kommt nur in Betracht, wenn der Verletzte bereits einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich ausgeübt hat, nicht aber schon dann, wenn die Aufgabe eines Lehrberufs durch den Unfall erzwungen wird.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 29. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen eines Arbeitsunfalls Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 11. November 1996 (Ende der Verletztengeldzahlung) hinaus hat.
Der 1964 geborene Kläger erlitt als Auszubildender zum Beruf des Orthopädieschuhmachers am 26. April 1996 einen Unfall: Er schnitt sich beim Schuhebeschneiden in den linken Daumen und zog sich eine 2 cm lange Wunde zu. Deshalb wurde er zunächst von seinem Hausarzt Dr. C. behandelt, der eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 3. Mai 1996 bescheinigte. Am 19. Juni 1996 suchte er den Durchgangsarzt Dr. D. auf. Dieser diagnostizierte einen "Zustand nach Schnittwunde linker Daumen jetzt mit Sehnenscheidenhygrom" (Durchgangsarztbericht vom 20. Juni 1996). Wegen ständiger Schmerzen im linken Daumen - besonders bei Belastung - stellte sich der Kläger am 2. September 1996 dem Durchgangsarzt Prof. Dr. E. vor. Dieser äußerte den Verdacht auf eine Fremdkörperreaktion im linken Daumengrundgelenk und empfahl eine Revision mit Narbenexcision (Durchgangsarztbericht vom 5. September 1996). Die Beklagte holte anschließend die handchirurgischen Stellungnahmen der Frau Dr. F. vom 1. Oktober 1996 sowie der Frau Prof. Dr. G. vom 22. Oktober 1996 sowie die Berichte des Prof. Dr. H. vom 12. September 1996 und des Dr. I. vom 23. Dezember 1996 ein, der den Kläger für arbeitsfähig hielt und eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - verneinte.
Mit Schreiben vom 6. Januar 1997 verlangte der Kläger, ihm zumindest bis zum 23. Dezember 1996 Verletztengeld zu zahlen und darüber einen Bescheid zu erteilen. Die Beklagte zog einen weiteren Bericht des Dr. J. vom 7. Januar 1997 bei und veranlasste das handchirurgische Gutachten des Dr. K. vom 16. September 1997. Die Gutachter führten aus, Grobgriff, Hakengriff, Schlüsselgriff und Spitzgriff seien mit der linken Hand sicher durchführbar. Im Bereich des Daumengrundgelenks radial-streckseitig finde sich eine ca. 1 cm lange, schräg verlaufende reizlose Narbe, die gegenüber der Unterlage gut verschieblich sei. Außer dem Druckschmerz über der Narbe des radialen Daumengrundgelenks ließen sich keine weiteren Schmerzpunkte lokalisieren. Die Gutachter führten zusammenfassend aus, nach den vorliegenden Unterlagen sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger für den Zeitraum vom 12. November 1996 bis 6. Januar 1997 arbeitsunfähig gewesen sei. Nach dem Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei die Erwerbsfähigkeit zu 0 % gemindert. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab, soweit Ansprüche über den 11. November 1996 hinaus geltend gemacht würden (Bescheid vom 7. April 1999). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1999).
Dagegen hat der Kläger am 2. August 1999 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Braunschweig erhoben. Das SG hat ein handchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. L. vom 3. November 2000 eingeholt. Diese Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen habe über den 11. November 1996 hinaus nicht vorgelegen, und eine MdE sei nicht eingetreten. Mit Urteil vom 29. Oktober 2002 hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Kläger nach dem 11. November 1996 nicht mehr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. April 1996 arbeitsunfähig gewesen sei. Auch eine MdE habe nicht mehr vorgelegen. Die insoweit gegenteilige Einschätzung des arbeitsamtsärztlichen Gutachters M. vom 26. Februar 1997, wonach der Unfallfolgezustand eine Fortsetzung der Ausbildung als Orthopädie-Schuhtechniker unmöglich mache, sei durch nichts belegt. Keine der Gutachter habe eine nennenswerte Funktionseinschränkung feststellen können. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 12. November 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. November 2002 Berufung eingelegt. Er bezieht sich zur Begründung auf die ärztliche Bescheinigung des Dr. C. vom 21. Juni 2001, wonach zumindest ein Schmerzzustand auch in Ruhe im Bereich des Daumengrundgelenks links verblieben sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Daumenverletzung letztlich dazu geführt habe, dass er die Umschulung zum Orthopädieschuhmacher nicht erfolgreich habe abschließen können, da dieser Beruf eine volle Gebrauchsfähigkeit der Hände, also auch des linken Daumens, voraussetze. So könnten Haltefunktionen mit dem linken Daumen nicht vollzogen werden, da nach wie vor eine Schmerzsymptomatik bestehe. Bei den handchirurgischen Begutachtungen sei eine aktive Beugung des linken Daumens nur sehr eingeschränkt möglich gewesen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des SG Braunschweig vom 29. Oktober 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 7. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1999 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 11. November 1996 hinaus Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 29. Oktober 2002 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Vorsitzenden vom 6. Februar 2003 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Das SG hat zutreffend entschieden und einleuchtend begründet, dass die Folgen der Schnittverletzung, die sich der Kläger bei seinem Arbeitsunfall am 26. April 1996 zugezogen hat, auch unter Berücksichtigung des komplizierten Heilungsverlaufs jedenfalls über den 11. November 1996 hinaus die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr mindern. Daraus folgt, dass der Kläger seit diesem Zeitpunkt auch keinen Anspruch mehr auf Verletztengeld (§ 45 Sozialgesetzbuch - SGB - VII) hat, der unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit voraussetzt, und ebenso wenig einen Anspruch auf Verletztenrente, der eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. verlangt (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG entsprechend).
Entscheidend ist danach, dass die handchirurgischen Untersuchungen keine Funktionseinschränkungen der linken Hand ergeben haben, die sich durch die Unfallfolge - eine Schnittwunde ohne Sehnen- und Kapselbeteiligung - erklären lassen. Prof. Dr. N. haben in diesem Zusammenhang lediglich die Narbe am linken Daumen erwähnt und die vom Kläger angegebene Schwäche der Daumenbeugung links nicht objektivieren und nachvollziehen können (ähnlich die Gutachter Dr. K. im Gutachten vom 16. September 1997, Verwaltungsakten Bl. 138 ff., 141 unten). Die Bewertung der unfallbedingten MdE mit 0 v.H. durch die Gutachter wird überdies auch dadurch gestützt, dass sich gegenüber der rechten unverletzten Hand keine herabgesetzten Arbeitsspuren fanden (vgl. das vorgenannte Gutachten des Dr. K.).
Auch die vom Kläger angegebene Schmerzsymptomatik im Bereich des linken Daumens ließ sich nicht objektivieren. Denn außer dem - erklärlichen - Schmerz über der durch die Schnittverletzung verursachten Narbe des radialen Grundgelenks des Daumens ließen sich keine weiteren Schmerzpunkte lokalisieren (vgl. das Gutachten des Dr. K.).
Im Übrigen ist der Umstand, dass der Kläger seine Umschulung zum Orthopädieschuhmacher nicht abgeschlossen hat, ein Umstand, der aus hiervon unabhängigen Rechtsgründen für die Bemessung der MdE bedeutungslos ist. Denn eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Nachteile kommt nur in Betracht, wenn der Verletzte bereits einen sehr spezifischen Beruf mit einem relativ engen Bereich ausgeübt hat, nicht aber schon dann, wenn die Aufgabe eines Lehrberufs durch den Unfall erzwungen wird (Bundessozialgericht - BSGE 31 S. 185, 187).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.