Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.03.2003, Az.: L 6 U 98/02
Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall ; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 98/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20185
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0320.L6U98.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 08.01.2002 - AZ: S 7 U 164/99
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
- § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII
- § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
Fundstelle
- Breith. 2003, 498-500
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 8. Januar 2002 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall.
Der 1932 geborene Kläger hatte bis zu seiner Pensionierung am 1. August 1997 die Professur Mess- , Steuerungs- und Regelungstechnik an der Universität B. inne. Vor Eintritt in den Ruhestand hatte er noch die Betreuung eines Diplomanden aus dem Fachbereich Produktionstechnik übernommen. Deshalb nahm der Kläger am 18. Dezember 1997 an der Diplomprüfung teil. Auf dem Heimweg verletzte er sich den linken Fuß. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Juli 1998 Entschädigungsleistungen ab: Bei der Tätigkeit für den Prüfungsausschuss handele es sich weder um ein Beschäftigungsverhältnis noch um ein Ehrenamt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 26. August 1999). Die Beigeladene hatte bereits mit Bescheid vom 12. August 1998 beamtenrechtliche Unfallfürsorge abgelehnt, weil kein Dienstunfall vorliege.
Auf die am 27. September 1999 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade zunächst die Freie Hansestadt Bremen beigeladen (Beschluss vom 13. Juni 2000) und die Beklagte durch Urteil vom 8. Januar 2002 verurteilt, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen: Zwar habe sich der Kläger am Unfalltag nicht in einem Beschäftigungsverhältnis befunden und der Kläger sei auch nicht wie ein Beschäftigter tätig geworden. Er habe aber deshalb unter Versicherungsschutz gestanden, weil er für eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts ehrenamtlich tätig geworden sei.
Gegen das ihr am 29. Januar 2002 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass der Wegeunfall nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) falle. Denn der Kläger sei auch nicht ehrenamtlich tätig geworden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stade vom 8. Januar 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stade vom 8. Januar 2002 zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Denn die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall. Denn der Unfall fällt nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen UV.
Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII scheidet deshalb aus, weil der Kläger schon auf Grund der Pensionierung nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zur Universität stand. Des Weiteren wurde er auch nicht wie ein nach dieser Vorschrift kraft Gesetzes versicherter Beschäftigter tätig (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Davon geht auch der Kläger aus. Allerdings folgt diese Wertung - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht schon daraus, dass er wie ein beamteter Hochschullehrer, der gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherungsfrei ist, tätig geworden sei und aus diesem Grund ebenfalls nicht unter die gesetzliche UV falle. Denn versicherungsfrei sind Beamte nur insoweit, als für sie beamtenrechtliche Unfallfürsorgevorschriften gelten, d.h. es muss auf diese Fürsorge ein Anspruch bestehen (vgl Schlegel in: Schulin, Handbuch der Sozialversicherung, Band 2 Unfallversicherung, § 20 Rn 9, 12 ff). Diese Voraussetzung trifft auf den Kläger aber gerade nicht zu. Denn mit dem Eintritt in den Ruhestand gelten die Vorschriften über Unfallfürsorge nicht mehr, da sie einen Dienstunfall voraussetzen (§§ 30 ff Beamtenversorgungsgesetz, § 84 Abs. 1 Bremisches Beamtengesetz, vgl. auch den Bescheid der Beigeladenen vom 12. August 1998).
Entscheidend ist indessen, dass § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Versicherungsschutz in den Fällen gewährleistet, denen zwar kein Rechtsverhältnis zu Grunde liegt, in denen aber eine Tätigkeit ausgeübt wird, die ihrer Art nach von "echten Beschäftigten" ausgeübt werden könnte (vgl Schlegel, a.a.O., § 14 Rn 3). Meist handelt es sich um kurzfristige Hilfeleistungen oder Gefälligkeitshandlungen im Familien-, Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis (vgl Benz, Die BG 1987, 323; Keller, SozVers 1994, 323, 324 f). Maßgebend ist, ob jemand tatsächlich "wie ein Beschäftigter" tätig wird, oder ob die Handlung von anderen Merkmalen geprägt wird (vgl Krasney in: Schulin, a.a.O., § 8 Rn 11). Denn eine "allgemeine Volksversicherung" soll über § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII (§ 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO) nicht begründet werden (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 66). Entscheidend ist deshalb, dass der Kläger mit der Wahrnehmung seines Rechts, auch nach Eintritt in den Ruhestand am Prüfungsverfahren mitzuwirken (§ 16 Abs. 6 Bremisches Hochschulgesetz - BremHG), nicht wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter, sondern in einem rechtlich geregelten Prüfungsverfahren als Professor tätig geworden ist. Demgemäß scheidet Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII aus.
Entgegen der Auffassung des SG und des Klägers besteht aber auch kein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII. Diese Regelung hat den Versicherungsschutz aus § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVOübernommen, der mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl. I S 241) begründet wurde. Danach sind Personen, die für Körperschaften des Öffentlichen Rechts ehrenamtlich tätig sind, kraft Gesetzes versichert. Mit dieser Vorschrift soll die Tätigkeit von Privatpersonen, die dem öffentlichen Interesse und Wohl dient, geschützt werden (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 95, S 260; vgl. auch die Begründung zu § 539 Abs. 1 Nr. 13 - BT-Drs IV/120 S 52). Entscheidend ist hier, dass die Abnahme der Diplomprüfung (§ 3 Abs. 2 Diplomprüfungsordnung der Universität Bremen für den Studiengang Produktionstechnik) durch hauptberuflich tätige Professoren (§ 43 Abs. 1 Satz 2 Hochschulrahmengesetz, § 16 Abs. 2 Satz 3 BremHG) erfolgt und damit nicht - wie beispielsweise die Abnahme der Abschlussprüfung im Rahmen der beruflichen Ausbildung (§ 37 Abs. 4 Satz 1 Berufsbildungsgesetz) - ehrenamtlich geregelt ist. Dass der Kläger nach Eintritt in den Ruhestand sein Recht wahrnahm, am Prüfungsverfahren mitzuwirken (§ 16 Abs. 6 BremHG) und unentgeltlich als Prüfer tätig wurde, ändert - entgegen der Auffassung des SG - an dieser Wertung nichts. Zwar setzt der Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII Unentgeltlichkeit voraus; allein dieses Merkmal genügt jedoch nicht. Vielmehr muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die üblicherweise ehrenamtlich ausgeübt wird (vgl Schlegel, a.a.O., § 14 Rn 107; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche UV, Kommentar, § 2 SGB VII Anm 20.5 b). Entscheidend ist - wie ausgeführt - deshalb, dass die Abnahme der Diplomprüfung zu den hauptberuflichen Aufgaben der Professoren gehört.
Somit fällt die Entschädigung des Unfalls, den der Kläger auf dem Heimweg von der Diplomprüfung erlitt, nicht in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen UV, der zwar ständig ausgeweitet worden, aber nicht umfassend ist. Dieses ist dem Gesetzgeber auch bekannt, ohne dass er einen Regelungsbedarf sieht (Schriftsatz der Beigeladenen vom 16. August 2000). Geschützt war danach nur der wegen der Teilnahme an der Diplomprüfung erforderliche Aufenthalt in der Universität nach § 3 Abs. 1 Ziffer 2 SGB VII i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Buchst a der Satzung der Beklagten. Dieses ist auch unter sozialen Schutzgesichtspunkten, die für die Einbeziehung des Wegerisikos in die gesetzliche UV maßgeblich sind (siehe hierzu ausführlich Schulin, in: ders, a.a.O., § 33 Rn 1 ff), nicht zu beanstanden. Denn der Kläger bestimmt das Risiko mit der Wahrnehmung des Rechts, an Prüfungen teilzunehmen, selbst.
Aus diesen Gründen ist das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.