Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 04.03.2003, Az.: L 6 U 468/02

Zahlung von Verletztenrente; Vorliegen eines Arbeitsunfalls

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
04.03.2003
Aktenzeichen
L 6 U 468/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 10082
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0304.L6U468.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - AZ: S 36 U 235/99

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. September 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Streitig ist, ob eine intracerebrale Blutung durch ein Aneurysma Folge eines Sturzes ist oder ob diese Gesundheitsstörung einen Sturz des Klägers verursachte. Der 1966 geborene Kläger wurde am 17. Januar 1997 vor Beginn der Arbeitszeit von einem Arbeitskollegen in Bauchhalbseitlage auf dem Firmenparkplatz gefunden. Der Arbeitskollege hatte nicht den Eindruck, dass der Kläger ausgerutscht war, sondern dass es sich um eine Ohnmacht handelte (Vernehmungs-Niederschrift vom 10. Februar 1998). Die Mutter des Klägers gab gegenüber der Beklagten an, dass ihr Sohn vor dem 17. Januar 1997 keine Krankheiten oder neurologischen Ausfälle gehabt habe, die im Zusammenhang mit dem Ereignis am 17. Januar 1997 stehen könnten. Sie habe ihren Sohn ungefähr 1 1/2 Stunden später im Krankenhaus gesehen. Verletzungen seien im Bereich beider Handrücken und im Gesichtsbereich vorhanden gewesen. Ihr Sohn sei nicht ansprechbar gewesen. Er erinnere sich nun nur noch daran, am Morgen des 17. Januar die Stempelkarte genommen, seinen Wagen abgeschlossen und sich auf den Weg zur Arbeitsstelle begeben zu haben (Vernehmungsniederschrift vom 10. Februar 1998, vgl. auch den Aktenvermerk vom 11. Februar 1998 zu dem mit dem Kläger am 10. Februar 1998 geführten Gespräch). Im Aktenvermerk vom 20. Februar 1998 hielt der mit den Ermittlungen betraute Mitarbeiter der Beklagten fest, dass die Stelle, an der sich der Sturz ereignete, flächendeckend mit Split abgestreut gewesen sei. Er vermute, dass der Kläger auf Grund einer Ohnmacht bzw. Bewusstlosigkeit gestürzt sei. Dafür sprächen die Lage des Klägers, die nicht für einen Sturz infolge Ausrutschens auf Glatteis hinweise, und die Verletzungsbereiche, die nicht auf eine Reaktion des Klägers auf Grund des Sturzes hinwiesen. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, in denen die Angaben der Eltern des Klägers festgehalten sind, der Kläger sei auf dem Weg zur Arbeit "plötzlich kollabiert" und habe "wohl auch einen Krampfanfall erlitten" (Operationsbericht vom 18. Januar 1997, Krankenbericht vom 3. Februar 1997). Nach Auswertung der Unterlagen gelangte der Chefarzt der Neurologischen Klinik des Friederikenstifts C. Dr. D. zu dem Ergebnis, es sei nicht davon auszugehen, dass ein äußeres Ereignis die Ruptur des Aneurysma hervorgerufen habe. Vielmehr sei auf Grund der ärztlichen Berichte und der zur Verfügung gestellten bildgebenden Diagnostik davon auszugehen, dass der Kläger am 17. Januar 1997 aus innerer Ursache bei einem vorbestehenden Aneurysma die Blutung erlitten habe (Stellungnahme vom 22. Juni 1998). Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab (Bescheid vom 15. Dezember 1998) und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1999).Gegen den am 14. Juni 1999 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 13. Juli 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Das SG hat medizinische Unterlagen der privaten Unfallversicherung des Klägers, insbesondere das Schreiben des den Kläger behandelnden Arztes Prof. Dr. E. an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 2. Juli 1997 beigezogen. Die Klage ist durch Urteil vom 26. September 2002 abgewiesen worden: Es könne nicht festgestellt werden, dass die Hirnblutung Folge eines Arbeitsunfalls sei.Gegen das ihm am 4. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. November 2002 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, dass der Beweis des ersten Anscheins für einen Glatteisunfall und nicht für einen krankheitsbedingten Sturz spreche. Da auch leichtere Gewalteinwirkungen auf den Kopf bei vorliegenden Gefäßmissbildungen zu Blutungen führen könnten, sei allein entscheidend, ob ein unfallbedingter Sturz vorliege.Der Kläger beantragt,1. das Urteil des SG Hannover vom 26. September 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 1999 aufzuheben,2. festzustellen, dass die Hirnblutung Folge des Arbeitsunfalls vom 17. Januar 1997 ist,3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.Die Beklagte beantragt,die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 26. September 2002 zurückzuweisen.Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 20. Januar 2003 auf die Beschreibung des medizinischen Befundes durch Prof. Dr. E. hingewiesen, der "nicht typisch für eine unfallbedingte Hirnblutung" sei, sondern "alle klassischen Zeichen einer primären spontanen Hirnblutung" zeige. Der Senat beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

2

II.

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG).Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 3 SGG - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Denn der Kläger erlitt am 17. Januar 1997 schon keinen Arbeitsunfall (Wegeunfall - § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Ziffer 1 Sozialgesetzbuch - SGB - VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Entgegen der Auffassung der Berufung spricht der "erste Anschein" nicht für einen "Glatteisunfall". Auf Grund der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren steht zwar fest, dass an der Stelle, an der der Kläger stürzte, Glatteis vorhanden war, das mit Split abgestreut war (Niederschrift über die Vernehmung des Arbeitskollegen F. vom 10. Februar 1998, Aktenvermerk vom 20. Februar 1998), und dass der Kläger sich bei dem Sturz oberflächliche Schürfwunden im Bereich beider Handrücken und im Gesichtsbereich zugezogen hatte (Niederschrift über die Vernehmung der Mutter des Klägers vom 10. Februar 1998). Deshalb musste der Senat den - auf die Aufklärung dieses Sachverhalts gerichteten -Beweisanregungen der Berufung (S. 3 des Schriftsatzes vom 4. November 2002) nicht nachgehen. Allerdings weisen schon die Angaben der Eltern des Klägers im Krankenhaus und der Eindruck des Arbeitskollegen, der den Kläger fand, auf einen Sturz aus "innerer Ursache" hin. Entscheidend ist der von dem Chefarzt der Neurochirurgischen Abteilung des Bathildiskrankenhauses G. Prof. Dr. E. im Schreiben an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 2. Juli 1997 mitgeteilte Befund: Die Tatsache, dass angiographisch und histologisch eine angeborene Gefäßfehlbildung vorgelegen habe, spreche nach medizinischer Erfahrung dafür, dass zunächst die Hirnblutung aufgetreten und es erst im Rahmen einer fehlenden Kontrollfunktion des Gehirns zu dem Sturzereignis gekommen sei. Computertomographische Bilder und Operationsbefund zeigten keine Hinweise für eine unfallbedingte Blutung, sondern vielmehr die typischen Zeichen einer spontan aufgetretenen Aneurysma-Blutung aus einer angeborenen Gefäßfehlbildung. Deshalb bedarf es - entgegen der Anregung der Berufung - keiner weiteren Ermittlungen, insbesondere nicht der Einholung eines Gutachtens.Der Hinweis der Berufung auf das Schreiben des Dr. H. vom 2. Juni 1997 führt zu keinem anderen, für den Kläger günstigen Ergebnis. In ihm diskutiert Dr. H. die theoretische Möglichkeit einer durch "einen Sturz auf den Kopf" verursachten Hirnblutung "bei vorbestehender Gefäßmissbildung". Eine ausgeprägte Schädel-Hirnverletzung, die zu einer Blutung hätte führen können, lag nach der Mitteilung des Prof. Dr. E. tatsächlich jedoch nicht vor, und die Hirnblutung zeigte - wie ausgeführt - auch keine Zeichen, die auf ihre Entstehung durch ein äußeres Ereignis hinweisen würden. Somit bleibt es dabei, dass der Sturz nur als Folge dieser Blutung erklärt werden kann, also auf "innerer Ursache" beruhte. Demgegenüber ist eine Verursachung der Blutung durch einen Sturz "äußerst spekulativ und durch die Befunde nicht zu belegen" (Prof. Dr. E., S. 4 des o.g. Schreibens). Deshalb liegt - wie ausgeführt - ein Arbeitsunfall nicht vor.