Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.03.2003, Az.: L 1 RA 10/03
Höhere Altersrente durch Berücksichtigung weiterer persönlicher Entgeltpunkte ; Ausnahmetatbestände zur Berücksichtigung persönlicher Entgeltpunkte (EP) - Fortgeltung des alten Rechts ; Voraussetzungen an eine Zusicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.03.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 10/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 15104
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0320.L1RA10.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 01.01.1000 - AZ: S 4 RA 244/01
Rechtsgrundlagen
- § 300 Abs. 1 SGB VI
- § 70 SGB VI
- § 71 SGB VI
- § 72 SGB VI
- § 74 SGB VI
- § 88 SGB VI
- § 34 SGB X
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Altersrente durch Berücksichtigung weiterer persönlicher Entgeltpunkte (EP).
Der im Februar 1938 geborene Kläger hat sein Berufsleben - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - in der Seeschifffahrt verbracht, nach einer Fachschulausbildung zuletzt als Nautischer Offizier und Kapitän.
Nach seiner letzten Beschäftigung in der Seeschifffahrt (bis zum 31. März 1993) und dem anschließenden Bezug von Arbeitslosengeld (ALG, bis zum November 1995) hatte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag Überbrückungsgeld gezahlt (gekürzt wegen ALG-Bezug bis zum 30. November 1995; ungekürzt seit dem 1. Dezember 1995). In dem zugrunde liegenden Bewilligungsbescheid vom 15. Februar 1996 hatte die Beklagte den Rentenzahlbetrag dabei auf der Basis von 59,7413 EP errechnet. Der Bescheid war bestandskräftig geworden.
Während dieses Bezuges von Überbrückungsgeld hatte der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 28. Februar 2001 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt. Hieraus hatten sich nach der maßgeblichen Rentenberechnung 3,0782 EP ergeben.
Nach Vollendung seines 63. Lebensjahres im Februar 2001 stellte der Kläger den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Altersrente für langjährig Versicherte (AR), dem die Beklagte entsprach. In dem zugrunde liegenden Rentenbescheid vom 15. März 2001 errechnete die Beklagte den Rentenzahlbetrag auf der Grundlage von 59,8101 EP.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, dass die von der Beklagten bei der AR-Berechnung zugrunde zu legende EP-Zahl mindestens 62,8195 betragen müsse, nämlich 59,7413 EP, wie sie bereits dem Überbrückungsgeld zugrunde gelegt worden seien, zuzüglich 3,0782 EP aus den während des Überbrückungsgeld-Bezuges gezahlten freiwilligen Rentenversicherungsbeiträgen. Ergänzend machte der Kläger geltend, dass ihm von der Beklagten eine entsprechende Zusicherung auf Vertrauensschutz gegeben worden sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26. Oktober 2001 zurück und führte zur Begründung im Einzelnen aus:
Die Rentenhöhe und damit die Anzahl der zu berücksichtigenden EP richte sich nach dem maßgeblichen Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach dem Zeitpunkt des Leistungsbeginns der jeweiligen Rente, vorliegend also bezüglich der AR des Klägers nach der im Jahre 2001 geltenden Rechtslage. Diese Rechtslage enthalte gegenüber früheren Rechtslagen ungünstigere Regelungen u.a. auch zur EP-Zahl. Zwar sehe zum Ausgleich § 88 Abs. 1 SGB VI eine Besitzschutzregelung dahingehend vor, dass die bei einem Leistungsbezug zugrunde liegenden EP auch einer nachfolgend gezahlten AR zugrunde zulegen seien. Jedoch müsse es sich bei der früheren Leistung bereits um einen Rentenbezug gehandelt haben (Altersrente oder Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit), was im Fall des Klägers nicht zutreffe. Denn der Kläger habe vor dem Bezug der AR keine Rente bezogen, sondern Überbrückungsgeld. Überbrückungsgeld stelle aber gerade keine Rentenleistung dar.
Mit seiner hiergegen am 20. November 2001 vor dem Sozialgericht (SG) G. erhobenen Klage hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgetragen, dass er von der Beklagten mehrfach Zusagen dahingehend erhalten habe, dass seine (spätere) Altersrente höher sein werde als das Überbrückungsgeld. Er könne daher Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. November 2002 abgewiesen und sich der Begründung der Beklagten im Widerspruchsbescheid angeschlossen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf eine höhere Altersrente auch nicht aus den behaupteten Auskünften der Beklagten herleiten könne, da seine diesbezüglichen Angaben zu vage seien und im Übrigen die Rentenversicherungsträger bei Auskünften nur die jeweils aktuell geltende, nicht aber eine zukünftige Rechtslage zugrunde legen könnten, die noch nicht bekannt sei. Schließlich seien Anhaltspunkte für eine etwaige Verfassungswidrigkeit der die EP-Berechnung betreffenden neueren Gesetzesregelungen vom Kläger nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Gegen das ihm am 17. Dezember 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Januar 2003 eingegangene Berufung, mit der der Kläger wiederholt, dass der Rentenberechnung der AR mindestens 62,8195 EP zugrunde zu legen seien.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts G. vom 28. November 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2001 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger gezahlte Altersrente für langjährig Versicherte auf der Grundlage von 62,8195 persönlichen Entgeltpunkten neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beteiligten und des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.
Die gemäß § 143 f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuberechnung seiner AR, und zwar auch nicht auf der Grundlage von 62,8195 EP.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet und ist nach alledem zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass der Kläger bei der ihm von der Beklagten gezahlten AR die Berücksichtigung einer höheren EP-Zahl nicht verlangen kann. Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG. Im Berufungsverfahren hat sich nichts Abweichendes ergeben.
Zusammenfassend und ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
Zutreffend hat die Beklagte der Rentenberechnung der AR des Klägers dasjenige Recht zugrunde gelegt, dass zum Zeitpunkt des Beginns der AR-Zahlung an den Kläger maßgeblich war, also das Recht im Jahre 2001. Dies folgt aus dem sogenannten Leistungsbeginnprinzip, wie es mit dem Rentenreformgesetz von 1992 (RRG 92) zum 1. Januar 1992 eingeführt worden ist und seinen Niederschlag vor allem in § 300 Abs. 1 SGB VI gefunden hat (Nachweise bei: BSG, Urteil vom 2. August 2000, B 4 RA 54/99, S. 7-9; Lilge in Gesamtkommentar, § 300 SGB VI, Anm. 3; Hauck in Hauck/Haines, Kommentar zum SGB VI, § 300 Rn. 1; Kasseler-Kommentar-Niesel, § 300 SGB VI, Rn. 2; jeweils m.z.w.N.). Aufgrund dieses Leistungsbeginnprinzips hat die Beklagte daher zutreffend die AR nicht dergestalt berechnet, dass sie - so das Begehren des Klägers - die zur Zeit der Übergangsgeld-Zahlung errechneten EP um die aus den während des Leistungsbezuges durch freiwillige Beiträge erreichten weiteren EP "schlicht" erhöht hat (Addition); vielmehr hat sie zutreffend alle bis zum Jahre 2001 insgesamt angefallenen EP anlässlich des Leistungsbeginns der AR nach der aktuellen Rechtslage neu berechnet.
Zwar hat der Kläger zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass sich durch die aufgezeigte Neuberechnung im Jahre 2001 die von ihm bereits zu Beginn der Übergangsgeld-Zahlung erzielten EP (zwar nicht absolut, so doch aber) relativ vermindert haben. Diese relative Minderung ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, da sie auf die seit dem Beginn der Übergangsgeld-Zahlung (Ende 1995) bis zum Beginn der AR (Anfang 2001) in Kraft getretenen Gesetzesänderungen zurückzuführen ist, namentlich auf das sogenannte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl.. I, S. 1461), das im Wesentlichen zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist. Das WFG brachte mehrere Neuregelungen auch zum Recht der EP-Berechnung, und zwar maßgeblich in den §§ 70, 71, 72 und 74 SGB VI. Dieses neue Recht hat die Beklagte im Jahr 2001 aber zutreffend angewendet, Einwendungen hiergegen hat der Kläger zu Recht nicht erhoben und die Regelungen sind - so bereits das SG zutreffend - auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. nur: Kasseler-Kommentar-Niesel, § 70 SGB VI, Rn. 1, 2, 3 ff.; § 71 SGB VI, Rn. 1, 2, 3 ff.; § 72, Rn. 1, 2, 3 ff.; § 74 Rn. 1, 2, 3 ff., jeweils m.w.N.).
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kann er sich auch nicht auf Ausnahmetatbestände zur EP-Fortgeltung alten Rechts berufen, und zwar weder auf (abstrakte) gesetzliche Regelungen noch auf (individuelle) Auskunftserteilungen.
Als gesetzliche Ausnahmeregelung kommt allein der - auch von der Beklagten und dem SG geprüfte - Besitzschutz-Tatbestand des § 88 SGB VI in Betracht. Danach werden zwar die einer früheren Sozialleistung zugrunde liegenden EP auch einer späteren AR zugrunde gelegt, ggf. erhöht um - wie vorliegend - zwischenzeitlich erworbene weitere EP. Dies gilt nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 88 Abs. 1 SGB VI aber ausschließlich für solche früheren Sozialleistungen, bei denen es sich um Renten handelte, und zwar - so der Gesetzestext - entweder um "Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" oder um "Rente wegen Alters" (vgl. die weiteren Nachweise bei: Kasseler-Kommentar-Niesel, § 88 SGB VI, Rn. 3). Im Fall des Klägers war die frühere Sozialleistung aber gerade keine Rente, sondern eine Leistung eigener Art (sui generis), nämlich das als Sonderleistung ausschließlich von der Seemannskasse nach § 11 von deren Satzung gezahlte Übergangsgeld. Das Übergangsgeld ist - entgegen dem zeitweilig anzutreffenden Sprachgebrauch - keine "Seemannsrente", sondern eine Übergangsleistung zwischen der Aufgabe einer Tätigkeit in der Seeschifffahrt (ab Vollendung des 55. Lebensjahres) und dem Beginn der Rente. Die Verschiedenheit zwischen Rente und Übergangsgeld wird u.a. auch daraus deutlich, dass die Rente grundsätzlich solidarisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert wird, während das Übergangsgeld nahezu ausschließlich von den Arbeitgebern finanziert ist. Das Übergangsgeld der Seemannskasse ist deshalb keine Rente im Sinne von § 88 SGB VI (vgl. nur: BSG, Urteil vom 25.07.2001, B 5 RJ 22/00R; BSG, Urteil vom 09.11.1983, 7 RAr 58/82; zur politischen Entstehungsgeschichte: Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, § 891a RVO, 3. Aufl., Anm. 1 - Entstehungsgeschichte).
Schließlich kann der Kläger eine Ausnahme für die EP-Berechnung in seinem Fall auch nicht mit den von ihm behaupteten Auskünften der Beklagten begründen. Die Voraussetzungen einer Zusicherung gemäß § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sind ebenso wenig erfüllt wie diejenigen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Für eine Zusicherung fehlt es bereits an der Schriftlichkeit der vom Kläger behaupteten Erklärungen der Beklagten, und für einen Herstellungsanspruch sind die Behauptungen des Klägers - hierauf hat bereits das SG zutreffend hingewiesen - zu unbestimmt (unsubstantiiert; "insbesondere wurde mir zugesagt, dass meine Rente höher sein würde, als das Überbrückungsgeld. Wann und von wem diese Zusagen gemacht worden sind, kann ich heute nicht mehr sagen. In der Zeit von 1998 bis 2001 habe ich keine Rentenauskünfte mehr eingeholt)." Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Zusicherung und ein Herstellungsanspruch nur solche Rechtsfolgen entfalten können, die in der Rechtsordnung grundsätzlich vorgesehen sind (vgl. nur: Kasseler-Kommentar-Krasney, § 34 SGB X, Rn. 2 ff. zur Zusicherung, a.a.O.-Seewald, vor §§ 38 ff. Rn. 48, 49 zum Herstellungsanspruch). Dies ist bei dem Begehren des Kläger aber nicht der Fall, da er nicht eine Rentenhöhe der AR zugesprochen erhalten kann, für die es keine gesetzliche Regelung gibt ("Addition von EP auf frühere Übergangsgeldzahlung").
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die vom Kläger während des Übergangsgeld-Bezuges durch freiwillige Beiträge erworbenen EP nicht "verloren", sondern in die ihm gezahlte AR eingeflossen sind. Dies hat der Kläger allerdings zutreffend auch nicht in Abrede genommen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.