Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.03.2003, Az.: L 10 RI 144/02
Anrechnung des für denselben Zeitraum geleistete Arbeitslosengeld auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Kenntnis der Rechtsfolgen der Durchführung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.03.2003
- Aktenzeichen
- L 10 RI 144/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 16045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0327.L10RI144.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 19.04.2002- AZ: S 81 RI 160/00
Rechtsgrundlagen
- § 95 S. 2 Nr. 2 SGB VI
- § 313a S. 2 Nr. 2 SGB VI
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob auf die dem Kläger gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) das in der Zeit von Dezember 1996 bis zum 1. Januar 1999 gewährte Arbeitslosengeld anzurechnen ist.
Der 1945 geborene Kläger war zuletzt seit dem 3. April 1995 durchgängig arbeitsunfähig. Seit dem 15. Mai 1995 bezog er Krankengeld. In der Zeit vom 13. Juni bis 4. Juli 1996 absolvierte der Kläger ein stationäres Heilverfahren auf Kosten der Beklagten. Nach Auslaufen des Krankengeldanspruchs am 3. November 1996 bezog er in der Zeit vom 4. November 1996 bis 1. Januar 1999 Arbeitslosengeld, im Anschluss daran Arbeitslosenhilfe.
Nachdem die Beklagte zunächst den Rentenantrag des Klägers vom 23. Mai 1995 abgelehnt hatte, erkannte sie mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1999 bei ihm BU seit dem 3. April 1995 an, lehnte die Feststellung von Erwerbsunfähigkeit jedoch ab.
Mit Bescheid vom 28. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Rente wegen BU seit dem 5. Juli 1996 (Tag nach dem Ende der medizinischen Rehabilitations-Maßnahme). In der Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 1. Januar 1999 ergebe sich jedoch kein Zahlbetrag, weil in dieser Zeit die Rente mit dem Arbeitslosengeldbezug zusammentreffe und der Betrag des Arbeitslosengeldes den der Rente übersteige.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und sinngemäß die Gewährung von Rente auch für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 1. Januar 1999 begehrt. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente seien bereits am 3. April 1995 erfüllt gewesen. Nach diesem Zeitpunkt habe er wegen des Bezuges von Krankengeld eine Anwartschaftszeit für Arbeitslosengeld erfüllt, so dass das Arbeitslosengeld auf die Rente nicht anzurechnen sei. Die Folgen der im Sommer 1996 absolvierten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation seien ihm nicht bekannt gewesen. Die Berücksichtigung nur der nach dem Ende der Rehabilitationsmaßnahme zurückgelegten Anwartschaftszeit führe für ihn zu einer unangemessenen Benachteiligung.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. April 2002 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf den Widerspruchsbescheid bezogen und ergänzend ausgeführt, die von dem Kläger vertretene Ansicht, es sei nicht auf den tatsächlichen, sondern auf den fiktiven Rentenbeginn am 3. April 1995 abzustellen, sei zwar früher zu der im wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift des § 95 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) vertreten worden. Diese Auffassung müsse jedoch inzwischen als überholt bezeichnet werden und werde von keiner aktuellen Kommentierung mehr vertreten. Das sei im Hinblick auf § 313 a SGB VI auch gerechtfertigt.
Gegen den ihm am 25. April 2002 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die am 6. Mai 2002 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er sinngemäß weiterhin die Auszahlung der Rente für den Zeitraum von Dezember 1996 bis 1. Januar 1999 begehrt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. April 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2000 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm die bewilligte Rente wegen Berufsunfähigkeit auch in der Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 1. Januar 1999 ohne Anrechnung von Arbeitslosengeld auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 19. April 2002 zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die mit ihm überprüften Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht auf die BU-Rente des Klägers in der Zeit vom 1. Dezember 1996 bis 1. Januar 1999 das ihm für dieselbe Zeit gewährte Arbeitslosengeld angerechnet. Hierzu ist die Beklagte gemäß § 95 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung, die gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI für den Rentenanspruch des Klägers bis Ende 1998 weiter anzuwenden ist, und für den 1. Januar 1999 gemäß § 313 a SGB VI in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung berechtigt.
Die genannten Vorschriften schreiben nahezu wortidentisch vor, dass auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit das für denselben Zeitraum geleistete Arbeitslosengeld anzurechnen ist. Die Beklagte hat insoweit fehlerfrei ermittelt, dass die Anrechnung des betragsmäßig höheren Arbeitslosengeldes einen auszahlbaren Rest des Rentenanspruches nicht belässt.
Die Anrechnung des Arbeitslosengeldes entfällt nicht ausnahmsweise gemäß § 95 Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung, § 313 a Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung, weil das Arbeitslosengeld aufgrund einer Anwartschaftszeit gewährt worden wäre, die insgesamt nach dem Beginn der Rente wegen BU erfüllt worden ist.
Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Anspruch des Klägers auf Rente gemäß § 116 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung erst seit dem 5. Juli 1996 besteht. Für die Zeit zwischen Rentenantrag und dem Ende der Maßnahme der medizinischen Rehabilitation bestand gemäß § 25 Abs. 1 und 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung ein Anspruch auf Übergangsgeld, der den Rentenanspruch ausschloss.
Als Beginn der Rente i.S. der §§ 95, 313 a SGB VI ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht der Zeitpunkt anzusehen, von dem an ihm Rente zugestanden hätte, wenn der Anspruch auf Übergangsgeld nicht bestanden hätte. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 25. Juli 1995 (Az: 8 RKn 3/94, SozR 3-2600 § 95 Nr. 1) entschieden. Der erkennende Senat hat sich dem bereits früher (vgl. Urteil vom 19. April 2001, Az: L 10 RI 164/00) ebenso wie der 2. Senat des LSG Niedersachsen (Urteil vom 18. Oktober 1995, Az: L 2 I 147/95) angeschlossen.
Zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führt auch nicht die Berücksichtigungen seiner Behauptung, er habe die Rechtsfolgen der Durchführung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nicht gekannt. Der Eintritt der Rechtsfolgen der §§ 95, 313 a SGB VI ist von der Kenntnis des Klägers nicht abhängig. Dem Kläger steht die Auszahlung der begehrten Rente auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zu. Dieser setzt die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis entweder durch die Beklagte oder - soweit ihr zuzurechnen - durch die Krankenversicherung des Klägers voraus. Eine fehlerhafte Beratung hat aber selbst unter der Annahme nicht vorgelegen, dass der Kläger vor dem Antritt der Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nicht auf die jetzt streitige Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Rente hingewiesen worden sein sollte. Ein Anlass zu einer solchen Beratung ohne ausdrückliche Nachfrage des Klägers bestand nicht. Denn das Risiko der späteren Anrechnung von Arbeitslosengeld auf eine Rente bestand nur unter mehreren Voraussetzungen, deren Eintritt bei dem Beginn der Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nicht absehbar war. Einerseits durfte die Maßnahme der medizinischen Rehabilitation nach der damals geltenden Fassung des § 10 SGB VI nur durchgeführt werden, wenn durch sie voraussichtlich der Eintritt einer Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet oder eine schon geminderte Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden oder der Eintritt von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit abgewendet werden konnte. Ausgehend von der insoweit günstigen Prognose mussten alle Beteiligten vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme davon ausgehen, dass sie voraussichtlich zu einer wesentlichen Verbesserung des Leistungsvermögens des Klägers führen werde. Selbst wenn andererseits die Möglichkeit nicht völlig auszuschließen war, dass sich die Prognose nicht in vollem Umfang realisierte, war damit nicht automatisch die Folgerung verbunden, dass der Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch nach der Maßnahme nicht mehr werde verrichten können. Selbst das einkalkulierend musste nicht vorhergesehen werden, dass etwa weitere Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht zu bessern in der Lage sein würden und dass gleichwohl zunächst zu Un-recht die Gewährung einer Rente abgelehnt werden würde. Schließlich war vor dem Beginn der streitigen Maßnahme nicht abzusehen, ob und gegebenenfalls wann der Kläger welche Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch zu nehmen gezwungen sein würde.
Nach dem 5. Juli 1996 hat der Kläger die Anwartschaftszeit für das ihm seit dem 4. November 1996 gewährte Arbeitslosengeld nicht vollständig erfüllt. Hierfür ist das Zurücklegen von mindestens 12 Monaten eines Pflichtversicherungsverhält-nisses erforderlich (§ 123 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch), die in dem genannten Zeitraum schon rechnerisch nicht enthalten sein können.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.