Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.03.2003, Az.: L 1 RA 251/00
Berechnung der Altersrente; Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages (EV) auf Rentenzugänge
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.03.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 251/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 14692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0305.L1RA251.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 01.01.1000 - AZ: S 14 RA 36/99
Rechtsgrundlagen
- § 256a SGB VI
- Art. 30 Abs. 5 EV
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte bei der Berechnung der Altersrente der Klägerin von zutreffenden Berechnungsgrundlagen ausgegangen ist.
Die 1937 geborene Klägerin, die in der ehemaligen DDR zunächst vom 1. Januar 1953 bis 31. März 1955 als medizinische Bademeisterin, vom 1. April 1955 bis 31. Juli 1957 als Masseurin und dann als Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt war, übernahm am 1. Februar 1964 ein Einzelhandelsgeschäft für 0bst und Gemüse und war in diesem Betrieb bis zum 31. Januar 1992 als Selbständige tätig. Danach bestand Arbeitslosigkeit, bis die Klägerin vom 1. November 1994 bis 4. November 1996 als Geschäftsführerin erneut berufstätig war. Anschließend war sie wiederum arbeitslos. Während ihrer Tätigkeit als Selbständige gehörte die Klägerin keinem der Zusatz- oder Sonderversorgungssysteme der früheren DDR an und war auch nicht Mitglied der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR).
Mit Bescheid vom 15. September 1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. 0ktober 1997 Altersrente für Frauen. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie unter Bezugnahme auf die Rentenberechnung bei ihrem Ehemann geltend machte, dass ihre Rente zu gering berechnet worden sei. Außerdem wandte sie sich dagegen, dass die bei ihr während ihrer Selbständigkeit erzielten Überentgelte nicht berücksichtigt und auch ihre Beschäftigung als Masseurin vom 1. April 1955 bis 31. Juli 1957, bei der es sich um eine Ausbildungszeit gehandelt habe, nicht als solche anerkannt worden sei. Mit Bescheid vom 26. Februar 1998 stellte die Beklagte die Rente der Klägerin unter Berücksichtigung zusätzlicher Zeiten für das Jahr 1990 neu fest. Mit weiterem Neufeststellungsbescheid vom 24. Juli 1998 berücksichtigte die Beklagte Beitragszeiten anstelle von Anrechnungszeiten wegen Arbeitsunfähigkeit. Im übrigen aber wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 12. Januar 1999 zurück und führte in den Gründen im einzelnen aus, dass die Berechnung des belegungsfähigen Gesamtzeitraumes nicht zu beanstanden sei. Auch komme eine Berücksichtigung der von der Klägerin erzielten Überentgelte bei der Ermittlung von Entgeltpunkten nicht in Betracht, da für diesen Verdienst keine Beiträge zur FZR gezahlt worden seien, obwohl für die Klägerin diese Möglichkeit bestanden habe. Schließlich könne die Ausbildung zur Masseurin nicht als Anrechnungszeit anerkannt werden, weil die Ausbildung die Zeit und die Arbeitskraft der Klägerin nicht überwiegend in Anspruch genommen habe.
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Im Verlaufe dieses Verfahrens ist der weitere Rentenbescheid vom 9. Juni 1999 ergangen. Die Klägerin hat nunmehr die Auffassung vertreten, ihre Rente sei insgesamt unzutreffend berechnet worden. Denn es sei verfassungswidrig, der Berechnung die besondere Beitragsbemessungsgrenze 0st zugrunde zu legen, nicht aber die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze. Außerdem seien die Versichertenrentenansprüche aus der Sozialversicherung der DDR unter entsprechender Anwendung der Zahlbetragsgarantie des Art. 30 Abs. 5 Einigungsvertrages in der Höhe zu leisten, in der sie bei einem Rentenbezug zum 1. Juli 1990 in der DDR gezahlt werden müssten. Die Begrenzung der Zahlbetragsgarantie auf Rentenzugänge bis zum 30. Juni 1995 sei im Hinblick auf die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung im Beitrittsgebiet nicht gerechtfertigt. Weiterhin hat sie ausgeführt, dass sie sowohl gegenüber den vergleichbaren Rentnern in den alten Bundesländern als auch gegenüber ehemals zusatz- und sonderversorgten Versicherten im Beitragsgebiet schlechter gestellt sei. Es sei willkürlich, den Umfang einer Berücksichtigung von Entgelten bei der Altersrente von einer FZR-Mitgliedschaft abhängig zu machen. Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass es keinen rechtlichen Bedenken begegne, wenn auf das vom Versicherten in der ehemaligen DDR erzielte und monatlich versicherte Entgelt zurückgegriffen werde. Dies sei inzwischen auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt worden. Auch im übrigen sei die Rente der Klägerin entsprechend den gesetzlichen Regelungen, die keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken unterlägen, gezahlt worden.
Mit Urteil vom 14. November 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im einzelnen ausgeführt, dass die gesetzlichen Vorschriften, die von der Beklagten zutreffend angewendet worden seien, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Die Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrundlage von monatlich 600,00 DM sei rechtmäßig. Die darüber hinaus erzielten Entgelte der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen, da sie von der Möglichkeit, durch den Beitritt zur FZR freiwillige Beiträge zu zahlen, keinen Gebrach gemacht habe. Diese in § 256 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) getroffene Regelung sei verfassungsrechtlich unbedenklich, da der Verzicht auf eine Beitragsleistung der über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus erzielten Entgelte insoweit einen Erwerb eigentumsähnlicher Rentenanwartschaften ausschließe. Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liege nicht vor. Denn es bestehe keine Verpflichtung des Gesetzgebers, Versicherte rückwirkend und kostenfrei so zu stellen, als hätten sie die Voraussetzungen erfüllt, von denen die Altersversorgung westdeutscher Arbeitnehmer abhänge. Schließlich hat das SG ausgeführt, dass die Klägerin sich nicht gegen eine Begrenzung der Zahlbetragsgarantie nach dem Einigungsvertrag auf Rentenzugänge bis zum 30. Juni 1995 wenden könne. Denn diese Stichtagsregelung sei vom Bundesverfassungsgericht bereits für zulässig erklärt worden. Abgesehen davon habe die Klägerin nach dem Rentenrecht der DDR eine höhere Rentenleistung nicht erwarten können, und es sei auch nicht ersichtlich, dass sie ab Juli 1990 keine Möglichkeit mehr gehabt habe, zusätzliche Rentenansprüche zu erwerben.
Gegen das ihr am 5. Dezember 2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. Dezember 2000 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie legt erneut ihre Auffassung dar, dass die gesetzlichen Regelungen zur Überführung der Rentenanwartschaften, die in der ehemaligen DDR erworben wurden, nicht verfassungsgemäß seien.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. November 2000 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 15. September 1997, 26. Februar 1998 und 24. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 1999 zu ändern, 2. die Rente der Klägerin unter Zugrundelegung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze und unter Anwendung der Zahlbetragsgarantie des Art. 30 Abs. 5 Einigungsvertrag neu zu berechnen, 3. hilfsweise, das Verfahren gemäß Art. 100 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und vertritt insbesondere die Auffassung, dass die gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Berechnung der Rente der Klägerin zugrunde gelegt worden seien, verfassungsgemäß und nicht zu beanstanden seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die gemäß §§ 143 ff SGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihre Rente abweichend berechnet wird, insbesondere nicht unter Zugrundelegung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze oder unter Fortgeltung der Zahlbetragsgarantie des Art. 30 Abs. 5 Einigungsvertrag. Das SG hat in seinem Urteil die hier maßgeblichen Rechtsgrundlagen geprüft und rechtsfehlerfrei angewendet. Es hat insbesondere unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch in jeder Weise zutreffende Ausführungen zu der Verfassungsmäßígkeit der bei der Berechnung der Rente der Klägerin angewendeten gesetzlichen Vorschriften gemacht. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 14. November 2000 Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Im Berufungsverfahren sind neue Gesichtspunkte nicht zutage getreten. Die Klägerin hat noch einmal die Argumente dargelegt, die ihrer Meinung nach dafür sprechen, dass die bei der Berechnung ihrer Rente herangezogenen gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig sind. Dieser Auffassung vermag sich der Senat aus den Gründen, die bereits das SG dargelegt hat, nicht anzuschließen. Er folgt insoweit ebenso wie das erstinstanzliche Gericht der Rechtsprechung des BSG, das insbesondere in seiner Entscheidung vom 17. August 2000 - Az.: B 13 RJ 5/00 R - im einzelnen dargelegt hat, dass die Bestimmung des § 256 a SGB VI keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (ebenso für die Bestimmung des § 255 c SGB VIBSG Entscheidung vom 30. Juli 2002 - Az.: B 4 RA 125/00 R -). Diese inzwischen gesicherte Rechtsprechung ist auch in jüngster Zeit wieder bestätigt worden. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2002 ausdrücklich festgestellt, dass der Gesetzgeber den Regelungsgehalt des § 256 a SGB VI nach dem Wortlaut eindeutig und verfassungskonform bestimmt hat (Az.: B 5 RJ 14/00 R). Es ist daher nicht weiter zu beanstanden, dass die von der Klägerin im Beitrittsgebiet erzielten Überentgelte nicht rentensteigernd berücksichtigt worden sind, da für diesen Teil des Einkommens damals keine Beiträge zur FZR entrichtet worden sind.
Soweit die Klägerin meint, die Begrenzung der Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages auf Rentenzugänge bis zum 30. Juni 1995 sei verfassungswidrig und daraus die Forderung ableitet, auch die ihr zustehende Rentenleistung müsse der Zahlbetragsgarantie entsprechend festgestellt werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Schon das SG hat in seinem Urteil darauf hingewiesen, dass die Stichtagsregelung des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehen worden ist (BverfGE 100, 1/46). Für den Senat sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine andere Beurteilung nahe legen würden. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin zur Begründung der Berufung. Es muss folglich dabei verbleiben, dass die Klägerin, die seit dem 1. 0ktober 1997, und damit nach dem Stichtag Altersrente für Frauen erhält, eine Berücksichtigung der Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages nicht verlangen kann.
Die Berufung konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es bestand weder ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, noch das Verfahren gemäß Art. 100 GG auszusetzen.