Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 11.03.2003, Az.: L 6 U 48/03 ER
Anspruch auf berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ; Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Behandlung als Eingriff in die Rechte eines Beteiligten ; Erforderlichkeit einer Anhörung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.03.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 48/03 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 20167
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0311.L6U48.03ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 08.01.2003 - AZ: S 5 U 247/02 ER
Rechtsgrundlagen
- § 172 SGG
- § 173 SGG
- § 24 SGB X
- § 27 SGB VII
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 8. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin (Ast) begehrt, die Antragsgegnerin (Ag) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr die - Ende März 2002 abgebrochene - berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung weiterhin zukommen zu lassen. Die 1983 geborene Ast erlitt am 26. April 2001 als Schülerin auf einer Klassenfahrt einen Unfall: Anlässlich der Besichtigung des Kölner Doms übersah sie eine Stufe und vertrat sich den linken Fuß (Unfallanzeige der Privaten Handelsschule C., vom 13. Dezember 2001 sowie Angaben der Ast im Schreiben vom 28. Januar 2002). Der Durchgangsarzt Dr. D., den die Ast am 7. Mai 2001 aufsuchte, diagnostizierte eine Innenbandzerrung des linken Knies und bezeichnete einen "Zustand nach Meniskusschaden und Ruptur hinteres Kreuzband" als vom Unfall unabhängige Veränderungen (Durchgangsarztbericht vom 8. Mai 2001). Die Ast unterzog sich am 13. Juni 2001 und 21. Januar 2002 Arthroskopien, bei denen der linke Innenmeniskus teilweise entfernt wurde. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. März 2002 vertrat Dr. E. die Auffassung, nach der Unfallschilderung handele es sich trotz der Präzisierung durch den Vater nicht um ein adäquates Trauma, um einen Meniskusschaden zu verursachen.Mit Schreiben vom 28. März 2002 bat die Ag daraufhin den behandelnden Arzt Dr. D., ab sofort keine Behandlung auf ihre Rechnung durchzuführen, da kein Arbeitsunfall vorliege. Mit Schreiben vom 16. Mai 2002 teilte sie der Ast mit, sie habe das weitere Heilverfahren zu ihren Lasten abgebrochen; eine schriftliche Anhörung hierzu sei nicht erforderlich, da sie erstmalig einen Leistungsanspruch ablehne. Auf Wunsch der Ast begründete sie mit Schreiben vom 26. Juni 2002, warum sie "vor der Ablehnung der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung keine Anhörung gemäß § 24 Sozialgesetzbuch (SGB) X durchgeführt" habe.Die Ast wandte sich gegen den Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung; diese sei nur nach vorheriger Anhörung und nur dann zulässig, wenn die Berufsgenossenschaft mit Wahrscheinlichkeit nicht leistungspflichtig sei (Schreiben vom 22. Mai 2002). Die Ag wertete dies als Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 16. Mai 2002 und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2002 zurück: Der Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Behandlung stelle keinen Eingriff in die Rechte eines Beteiligten dar, sodass eine Anhörung nach § 24 SGB X nicht erforderlich gewesen sei. Der Widerspruchsausschuss habe die Grundlagen des angefochtenen Bescheides überprüft und keinen Anlass zu dessen Änderung gesehen.Dagegen hat die Ast am 12. September 2002 vor dem Sozialgericht - SG - Hannover den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt: Es bestünden bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Ein absoluter Anfechtungsgrund liege darin, dass sie nicht angehört worden sei. Die Ag habe ihr nicht die Gründe für den Abbruch der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung mitgeteilt. Ihre Entscheidung beruhe auch auf einem wesentlichen Mangel der Sachaufklärung. Denn sie habe selbst zum selben Zeitpunkt (Schreiben vom 16. Mai 2002) zur Feststellung des Leistungsanspruchs die Einholung eines Gutachtens angekündigt und drei Gutachter vorgeschlagen.Die Ag hat - gestützt auf ein chirurgisches Gutachten des Dr. F. vom 29. Oktober 2002 - Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 26. April 2001 abgelehnt.Mit Beschluss vom 8. Januar 2003 hat das SG die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt: Es bestünden nach summarischer Prüfung keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abbruchs der berufsgenossenschaftlichen Behandlung. Eine Anhörung der Ast sei nicht erforderlich gewesen. Darüber hinaus stehe auf Grund des Gutachtens des Dr. F. fest, dass ein geeignetes Unfallgeschehen fehle und eine Vorschädigung in Form von Umbauvorgängen am hinteren Anteil der inneren Kniegelenksknorpelscheibe (Innenmeniskus) auf dem Boden eines Kreuzbandteilrisses bestanden habe. Die Ast hat gegen diesen ihr am 14. Januar 2003 zugestellten Beschluss am 7. Februar 2003 Beschwerde eingelegt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf ihren Schriftsatz vom 6. Februar 2003 Bezug genommen.Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässige Beschwerde der Ast ist nicht begründet.Dabei kann offen bleiben, ob sich der vorläufige Rechtsschutz im vorliegenden Fall nach § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG (sog. Vornahmesachen) oder nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG (sog. Anfechtungssachen) richtet. Auch dann, wenn man die Beendigung der Heilbehandlung als belastenden Verwaltungsakt ansieht, vor dessen Erlass der Betroffene gemäß § 24 SGB X anzuhören ist, fehlen die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Maßgebliches Kriterium für die gerichtliche Ermessensentscheidung über vorläufigen Rechtsschutz ist die Erfolgsaussicht in der Hauptsache. Danach kommt einstweiliger Rechtsschutz in Betracht, wenn das Hauptsacheverfahren wahrscheinlich erfolgreich sein wird (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage 1998, Rdn. 852) und nach einer weniger strengen Auffassung auch schon dann, wenn der Erfolg des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahrens mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg (so Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - , DGV Bl. 1982, 412; vgl. auch Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 86 a Rdn. 27 m.w.N.). Bloße Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung und damit die Möglichkeit eines Erfolges in der Hauptsache reichen indessen nicht aus, um einstweiligen Rechtsschutz zu rechtfertigen. Eine Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren ist nach diesen Grundsätzen im vorliegenden Fall zu verneinen.Auch für den Fall, dass in dem Schreiben der Ag vom 16. Mai 2002 ein - die weitere berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung - ablehnender Verwaltungsakt liegt, wäre die - nach § 24 SGB X gebotene - und nicht erfolgte Anhörung kein wesentlicher Verfahrensmangel. Denn dieser Verfahrensmangel wäre bereits durch das ordnungsgemäß durchgeführte Widerspruchsverfahren geheilt (vgl. z.B. BSGE 80, 215, 217 und 81, 156, 158; vgl. auch § 41 Abs. 2 SGB X, wonach die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann). Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist ein Erfolg in der Hauptsache nicht wahrscheinlich. Denn Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 29. Oktober 2002 die Auffassung des beratenden Arztes der Beklagten (Dr. E.) bestätigt und schlüssig begründet, dass das Ereignis vom 26. April 2001 keine wesentliche Ursache für die im linken Kniegelenk festgestellten krankhaften Veränderungen war, die eine operative Behandlung erforderlich machten. Deshalb liegen jedenfalls seit Ende März 2002 nicht mehr die Voraussetzungen für eine berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung (§§ 27 ff. SGB VII) vor.Bei dieser Rechtslage kann der Senat offen lassen, welche Bedeutung der Umstand hat, dass kein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) glaubhaft gemacht werden kann, weil die Heilbehandlung der Ast anderweitig gewährleistet ist.Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).