Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.03.2003, Az.: L 9 U 265/02
Rücknahme alter Verwaltungsakte; Wiederaufnahme abgeschlossener sozialgerichtlicher Verfahren ; Pflicht des Senats zur weiteren Nachforschung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.03.2003
- Aktenzeichen
- L 9 U 265/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20168
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0311.L9U265.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 2 U 160/00
Rechtsgrundlagen
- § 153 Abs. 2 SGG
- § 44 SGB X
- § 584 ZPO
- § 580 Nr. 7b ZPO
- § 582 ZPO
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rücknahme alter Verwaltungsakte sowie um die Wiederaufnahme abgeschlossener sozialgerichtlicher Verfahren.Der 1927 geborene Berufungskläger ist gelernter Maurer. Er hatte in den 50er und 60er-Jahren diverse Arbeitsunfälle erlitten. Wegen der genaueren Darstellung wird auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.Wegen der Folgen dieser Arbeitsunfälle hatte der Berufungskläger auch zahlreiche sozialgerichtliche Verfahren eingeleitet, die jeweils auch bei dem Landessozialgericht anhängig gewesen waren. Diese Verfahren sind mit rechtskräftigen Entscheidungen des Sozialgerichtes Lüneburg bzw. des Landessozialgerichtes Niedersachsen abgeschlossen worden.Im August 2000 beantragte der Berufungskläger bei der Berufungsbeklagten sämtliche im Hinblick auf seine Person ergangenen Bescheide zu überprüfen.Dies lehnte die Berufungsbeklagte mit Bescheid vom 10. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2000 ab. Sie war der Meinung, angesichts der zahlreichen Vorverfahren sei das Begehren des Berufungsklägers schon unzulässig, da die Grenze zum querulatorisch-rechtsmissbräuchlichen Verhalten überschritten sei.Am 1. September 2000 ist Klage erhoben worden.Im Klageverfahren hat der Berufungskläger diverse medizinische Unterlagen aus alter Zeit vorgelegt. Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat auf seinen Hinweis mehrfach versucht, weitere medizinische Unterlagen aus den Archiven der den Berufungskläger ehemals behandelnden Kliniken zu erhalten. Dies ist letztlich nicht gelungen.Am 10. September 2001 hat der Berufungskläger beantragt, alle Verfahren, die er vor dem SG geführt habe, wegen der Auffindung neuer Beweisstücke wieder aufzunehmen.Das SG hat daraufhin sämtliche ehemals von dem Berufungskläger betriebenen Verfahren neu eingetragen und mit dem bereits anhängigen Rechtsstreit verbunden. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat es sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG - nach erneuter konzentrierter Darstellung des Sachverhaltes - im Wesentlichen darauf hingewiesen, der Berufungskläger habe weder einen Anspruch auf Rücknahme von in der Vergangenheit ergangenen Bescheiden noch auf Wiederaufnahme abgeschlossener sozialgerichtlicher Verfahren. Es hätten sich weder Anhaltspunkte dafür ergeben, dass in der Vergangenheit das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, noch dafür, dass der Berufungskläger nunmehr "neue" Urkunden habe vorlegen können, die zu einer ihm günstigeren Entscheidung hätten führen können.Am 17. Mai 2002 ist Berufung eingelegt worden. Zu deren Begründung hat der Berufungskläger im Wesentlichen ausgeführt, aus einem Gutachten von Prof. Dr. C. aus dem Jahre 1970, nach welchem vom Berufungsgericht ermittelt werden solle, werde sich ergeben, dass sein Begehren zutreffend sei.Der Berufungskläger beantragt nach seinem bisherigen Vorbringen sinngemäß,1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. April 2002 sowie den Bescheid der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover vom 10. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2000 sowie alle früheren ablehnenden Entscheidungen aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen, insbesondere Leistungen zur Rehabilitation und eine Verletztenrente zu gewähren,3. alle früheren sozialgerichtlichen Verfahren wieder aufzunehmen.Die Berufungsbeklagte beantragt,die Berufung zurückzuweisen.Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtene Entscheidung und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt aller beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Das SG hat zutreffend erkannt, dass der Berufungskläger weder einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides der Berufungsbeklagten vom 10. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2000 oder anderer in der Vergangenheit liegender Verwaltungsakte der Berufungsbeklagten noch einen Anspruch auf Wiederaufnahme abgeschlossener sozialgerichtlicher Verfahren hat. Das SG ist hierbei von den richtigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren Erwägungen und zutreffend seine Entscheidung begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 18. April 2002 Bezug genommen, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ergänzend ist insoweit nur darauf hinzuweisen, dass die Wiederaufnahmeanträge des Berufungsklägers hinsichtlich der vor dem SG in früherer Zeit geführten Verfahren in Anwendung von § 584 Zivilprozessordnung (ZPO) schon unzulässig waren, soweit in diesen Verfahren ein Berufungsverfahren anhängig war. Nach dieser Vorschrift ist nämlich zuständiges Gericht für eine Wiederaufnahme dann ausschließlich das ehemalige Berufungsgericht. Dies wäre hier das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gewesen. Im Berufungsverfahren sind darüber hinaus wesentliche, neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten.Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Berufungsklägers ist lediglich auf Folgendes hinzuweisen. Soweit der Berufungskläger sich auf das Gutachten von Prof. Dr. C. aus dem Jahre 1970, dessen Inhalt er nach seinen eigenen Angaben selbst nicht kennt, bezieht, hat er damit keinen Restitutionsgrund im Sinne von § 580 Nr. 7b ZPO geltend gemacht. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei bzw. ein Beteiligter eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Insoweit hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gutachten von Prof. Dr. C. vom Berufungskläger weder vorgelegt worden ist noch es dem SG möglich war, dieses Gutachten beizuziehen (vgl. hierzu erneut das Schreiben von Prof. Dr. D. vom 6. Dezember 2001, in dem dieser mitteilt, in der dortigen Klinik sei das Gutachten nicht auffindbar und dieses sei auch bei Prof. Dr. C. nicht mehr vorhanden). Insoweit ist weder der Senat im Hinblick auf § 44 SGB X verpflichtet, weitere Nachforschungen anzustellen, noch ergeben sich aus dem nicht vorliegenden Gutachten Hinweise darauf, dass in der Vergangenheit liegende Verwaltungsakte der Berufungsbeklagten unrichtig sein könnten. Darüber hinaus vermag der Senat in Anwendung von § 582 ZPO nicht zu erkennen, warum der Berufungskläger in der Vergangenheit nicht in der Lage gewesen ist, das angeblich 1970 für ihn erstellte Gutachten den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen. Der Senat hält die Restitutionsklage des Berufungsklägers daher auch insoweit schon für unzulässig.Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.