Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.03.2003, Az.: L 9 V 30/95

Rücknahme eines negativen Feststellungsbescheides im Wege der Zugunstenentscheidung; Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz wegen Anerkennung von Schädigungsfolgen ; Ursächlicher Zusammenhang der Erkrankung aufgrund Wehrdienstfolgen; Durchbrechung der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.03.2003
Aktenzeichen
L 9 V 30/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21174
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0327.L9V30.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - AZ: S 7 V 36/92

Redaktioneller Leitsatz

Die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes wird auch in Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB X lediglich dann durchbrochen und eine erneute Sachentscheidung erforderlich, wenn - ähnlich den Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gerichtlicher Verfahren - konkrete Gründe substantiiert vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die die maßgeblichen Erwägungen für den Erlass des Verwaltungsakts erschüttern.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Berufungsbeklagte seinen negativen Feststellungsbescheid vom 12. Mai 1980 im Wege einer Zugunstenentscheidung zurückzunehmen und dem Berufungskläger unter Anerkennung von Schädigungsfolgen Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren hat.

2

Der im September 1924 geborene Berufungskläger leistete vom 10. Juli 1942 bis zum 8. Mai 1945 Dienst bei der Deutschen Wehrmacht. Seinen Angaben zufolge wurde er nach der Grundausbildung und einem anschließenden Lehrgang von Wahren am Müritzsee aus am 7. Januar 1943 zunächst nach Oslo (Südnorwegen) und am 25. Januar 1943 von dort aus nach Narvig (Nordnorwegen) kommandiert. Dort meldete er sich am 10. Februar 1943 mit einer starken Erkältung auf dem Krankenrevier. Nach anfänglicher ambulanter Behandlung kam es am 6. März 1943 zu einer stationären Aufnahme im Krankenrevier, in deren Verlauf Symptome einer Mandelentzündung, einer Nierenerkrankung, rheumatischer Gelenkbeschwerden sowie einer Diphterie auftraten. Wegen der Einzelheiten des Krankheitsverlaufs wird auf den Akteninhalt, insbesondere auf die in den Versorgungsakten enthaltenen Krankenkarten, Kriegskrankenblätter, Behandlungsscheine und Krankengeschichte, die Bescheinigung der Deutschen Dienststelle über Lazarettmeldungen vom 3. März 1987 und den Entlassungsschein Bezug genommen.

3

Mit Antrag vom 26. November 1979 begehrte der Berufungskläger erstmals, Funktionseinschränkungen des Herzens und der Nieren als Schädigungsfolge nach dem BVG festzustellen und ihm hierfür eine Versorgungsrente zu gewähren. Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt (VA) Essen nach Einholung eines versorgungsärztlichen Gutachtens des Dr. C. vom 31. März 1980 mit Bescheid vom 12. Mai 1980 ab und stellte zugleich fest, dass ein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG nicht bestehe. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) Duisburg nach Einholung internistischer Gutachten des Dr. D. vom 18. Mai 1982 und des Prof. Dr. E. vom 21. März 1983 sowie des nephrologischen Fachgutachtens des Dr. F. vom 28. Januar 1985 mit Urteil vom 15. April 1985 statt; indessen hob das Landessozialgericht Essen diese Entscheidung im Berufungsverfahren nach Einholung weiterer Gutachten des Nephrologen Prof. Dr. G. vom 5. Mai 1986, des Kardiologen Dr. H. vom 12. Januar 1987 mit ergänzender Stellungnahme vom 6. September 1988 sowie des Pathologen Dr. I. vom 20. Dezember 1989 und Auswertung mehrerer versorgungsärztlicher Stellungnahmen mit Urteil vom 29. Januar 1991 unter Abweisung der Klage auf. Die gegen die Nichtzulassung der Revision beim Bundessozialgericht eingelegte Beschwerde blieb mit dessen Beschluss vom 9. September 1991 erfolglos.

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Mit Antrag vom 22. Oktober 1991 begehrte der Berufungskläger nunmehr gegenüber dem VA Osnabrück, den Bescheid des VA Essen vom 12. Mai 1980 im Wege einer Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X zurückzunehmen, weil bei dessen Erlass von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Diesen Antrag lehnte das VA Osnabrück nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Medizinaldirektors J. vom 30. März 1992 durch Bescheid vom 2. April 1992 ab. Zur Begründung führte es aus, dass dem Berufungskläger im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren der Nachweis eines durch Infektionskrankheiten während des Wehrdienstes entstandenen Bluthochdrucks nicht gelungen sei. Auf diesen seien aber die aktuellen Erkrankungen, insbesondere die Nierenerkrankung in Gestalt einer Nephrosklerose zurückzuführen, sodass Versorgung nicht gewährt werden könne. An dieser Beurteilung des Sachverhalts ergebe sich keine Änderung.

5

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Landesversorgungsamt Niedersachsen mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1992 unter erneutem Hinweis auf die Gründe der Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seinem rechtskräftigen Urteil vom 29. Januar 1992 zurück.

6

Am 6. Juli 1992 hat der Berufungskläger Klage erhoben, zu deren Begründung er auf zahlreiche Einzelheiten seiner Krankengeschichte hingewiesen hat und deren medizinische Würdigung durch frühere Gutachten entgegen getreten ist. Das SG hat zur weiteren Sachaufklärung das fachinternistische Gutachten des Prof. Dr. K. vom 30. August 1994 erstatten lassen, der beim Berufungskläger eine arterielle Hypertonie, eine leichtgradige Aortenstenose und Metralinsuffizienz bei beginnender Herzinsuffizienz auf dem Boden der Hypertonie, eine Nierenschädigung in Form einer Eiweiß-Erythrozytenausscheidung bei noch grenzwertiger Nierenfunktion sowie eine leichtgradige restriktive Ventilationsstörung festgestellt, einen ursächlichen Zusammenhang dieser Erkrankungen mit Wehrdienstfolgen jedoch nicht für wahrscheinlich gehalten hat. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, an welcher entzündlichen Nierenerkrankung der Berufungskläger während des Wehrdienstes erkrankt gewesen sei. Die Ergebnisse einer 1984 durch den Nierenpathologen Prof. Dr. L. an der Universität Tübingen durchgeführten Nierenbiopsie belegten klar, dass bei dem Berufungskläger eine benigne Nephrosklerose vorliege, die typische Folge eines länger bestehenden Bluthochdrucks sei. Die vorliegende Nierenschädigung sei demzufolge nicht auf eine entzündliche Erkrankung der Nieren zurückzuführen, auf deren früheren Ablauf bei der feingeweblichen Untersuchung keinerlei Befunde mehr hingewiesen hätten. Es lasse sich dabei auch nicht feststellen, dass die während des Wehrdienstes aufgetretenen Erkrankungen den Bluthochdruck hervorgerufen hätten. Abgesehen davon, dass eine Hypertonie frühestens ab 1978 sicher dokumentiert sei, spreche gegen ihr früheres Auftreten insbesondere der Umstand, dass zuvor augenärztlicherseits keine hochdruckbedingten Schädigungen des Augenhintergrundes feststellbar gewesen seien. Zudem sei bei einem durch Glumerulonephritis verursachten Bluthochdruck zu fordern, dass dieser bereits während der Erkrankung erstmalig auftrete. Die über den Lazarettaufenthalt in Narvig vorliegenden Unterlagen wiesen indessen im Wesentlichen keine erhöhten Blutdruckwerte aus. Neben dem Bluthochdruck selbst seien auch die weiteren Veränderungen im Bereich des Herzens, insbesondere der Herzklappen, nicht als wehrdienstbedingt aufzufassen; sie könnten ohne weiteres auf den Bluthochdruck zurückgeführt werden.

7

Unter Hinweis auf dieses Begutachtungsergebnis hat das SG Osnabrück die Klage mit Urteil vom 23. März 1995 abgewiesen. Zur weiteren Begründung hat es ausgeführt, § 44 Abs. 1 SGB X vermittle dem Berufungskläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 12. Mai 1980, weil die Ergebnisse der im vorangegangenen Rechtsstreit vor dem SG Duisburg und dem Landessozialgericht Essen durchgeführten Beweisaufnahmen nicht in Frage gestellt würden. Dem Antrag des Berufungsklägers, die im Vorprozess erstatteten Gutachten nicht erneut zu verwerten, könne in diesem Zusammenhang nicht gefolgt werden; denn der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Zugunstenbescheides hänge gerade davon ab, ob im Ausgangsverfahren die dort getroffenen ärztlichen Feststellungen einer korrekten medizinischen und juristischen Bewertung unterzogen worden seien.

8

Mit seiner am 20. April 1995 eingelegten Berufung verfolgt der Berufungskläger sein Begehren weiter. Er verweist erneut auf zahlreiche Einzelheiten seiner Krankengeschichte und die hierzu in medizinischen Veröffentlichungen vertretenen Auffassungen und macht insbesondere sinngemäß geltend, dass sich die medizinische Auffassung hinsichtlich der für einen Bluthochdruck zu fordernden Blutdruckwerte zwischenzeitlich geändert habe. Danach sei auf Grund der während des Lazarettaufenthalts in Norwegen ermittelten Werte jedenfalls von einem leichten Hochdruck auszugehen. Dieser habe auch nach dem Krieg fortbestanden. Er habe sich deswegen durchgängig bei verschiedenen Ärzten in Behandlung befunden. Zudem belege ein bei den Akten befindliches Schreiben seines Krankenversicherers, der M. vom 1. März 1958, dass bereits vor diesem Zeitpunkt ein Herzschaden (Mitralvitium) bei ihm festgestellt worden sein müsse. Schließlich weise der Entlassungsschein, bei dem es sich um eine beweiskräftige Urkunde handele, noch für den Zeitpunkt der Entlassung von der Wehrmacht eine fortbestehende Nierenerkrankung aus. Es fehle mithin nicht an Brückensymptomen zwischen den Erkrankungen der Jahre 1943 / 44 und den später eingetretenen Folgeerkrankungen.

9

Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichtes Osnabrück vom 23. März 1995 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Osnabrück vom 2. April 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes vom 30. Juni 1992 aufzuheben,

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, seinen Bescheid vom 12. Mai 1980 im Wege eines Zugunstenbescheides zurückzunehmen,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz eine sekundär benigne arterielle Hypertonie mit Zeichen des arteriosklerotischen Gefäßumbaus im Bereich der Mikrozirkulation, eine Belastungsinsuffizienz des Herzens sowie eine Funktionsminderung der Nieren an der Grenze zur Retention harnpflichtiger Substanzen anzuerkennen und ihm Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 90 v.H. ab 1. Januar 1979 zu gewähren.

10

Der Berufungsbeklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

12

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das internistische Fachgutachten des Prof. Dr. N. vom 18. Juni 1999 sowie auf Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 SGG das nephrologische Fachgutachten des Prof. Dr. O. vom 16. September 2002 erstatten lassen. Beide Gutachter haben unter Hinweis auf die Ergebnisse der von Prof. Dr. L. durchgeführten Nierenbiopsie sowie den späten Zeitpunkt des Auftretens von Augenhintergrundsveränderungen als frühe Anzeichen eines Bluthochdrucks die Ursächlichkeit der während des Wehrdienstes aufgetretenen Erkrankungen für die Entstehung des beim Berufungskläger vorliegenden Bluthochdrucks sowie des allein hochdruckbedingten Nierenschadens verneint und auch im Übrigen keine Gesundheitsstörungen festgestellt, die sie mit Wahrscheinlichkeit auf Wehrdienstfolgen zurückgeführt haben.

13

Der Berufungskläger ist einer Verwertung der im Vorprozess eingeholten Gutachten des Prof. Dr. G., des Prof. Dr. N., des Dr. D., des Dr. H. sowie des Dr. C. erneut entgegen getreten und hat hinsichtlich der Begutachtungen durch Prof. Dr. N. sowie durch Prof. Dr. O. Bedenken gegen eine Verwertung deshalb geltend gemacht, weil diese Gutachten nicht dem bestellten Gutachter, sondern anderen ausführenden Ärzten zuzuordnen seien.

14

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Aktenzeichen sowie zum Az.: S 4 V 63/80 des SG Duisburg sowie die Versorgungsakten Bezug genommen, die beigezogen worden sind.

15

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

16

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung. Dabei erweist sich die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung als nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit seinem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass dem Berufungskläger gegen den Berufungsbeklagten kein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 12. Mai 1980 zukommt. Bei diesem Bescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; mit ihm ist nämlich nicht bloß der vorausgegangene Antrag vom 26. November 1979 abgelehnt, sondern die weiter gehende Feststellung getroffen worden, dass Ansprüche nach dem BVG nicht bestehen.

17

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieser negativen Feststellung nach § 44 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

18

Bei Anwendung dieser Vorschrift fehlt es bereits an der Voraussetzung einer unrichtigen Anwendung des Rechts oder der Berücksichtigung eines fehlerhaften Sachverhalts. Von diesen Alternativen kommt vorliegend allein die Berücksichtigung eines fehlerhaften Sachverhalts in Betracht; denn es ist nicht erkennbar, dass bei Erlass des Bescheides vom 12. Mai 1980 und seiner anschließenden gerichtlichen Überprüfung die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung von Schädigungen nach dem BVG und deren Entschädigung durch Gewährung einer Versorgungsrente verkannt worden sind. Auch der Berufungskläger macht dies nicht geltend. Er geht vielmehr nach seinem Antrag vom 22. Oktober 1991 davon aus, dass die ablehnende Entscheidung des Versorgungsamtes Duisburg auf unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruht hat. Maßgeblich für die Versagung einer Versorgungsrente ist allerdings insoweit gewesen, dass sich die zuständige Versorgungsverwaltung ebenso wenig wie das anschließend mit der Sache befasste Landessozialgericht Nordrhein - Westfalen davon hat überzeugen können, dass die beim Berufungskläger vorliegenden Erkrankungen der Nieren und des Herz - Kreislauf - Systems mit Wahrscheinlichkeit als mittelbare Folgen der 1943 / 44 aufgetretenen Erkrankungen auf die Verhältnisse des Wehrdienstes haben zurückgeführt werden können. Die vom Versorgungsamt Duisburg getroffene Entscheidung beruht insoweit auf dem vorausgegangenen versorgungsärztlichen Gutachten vom 31. März 1980, während ihre Bestätigung in letzter Tatsacheninstanz durch das LSG Essen zusätzlich - und wohl auch wesentlich - auf eine richterliche Gesamtwürdigung der im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens angestellten weiteren Ermittlungen, insbesondere der eingeholten Gutachten verschiedener Sachverständiger, zurückgeht.

19

Der Umstand, dass dabei die auf Rücknahme des Bescheides vom 12. Mai 1980 gerichtete Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen worden ist, steht nach wohl herrschender Literaturmeinung einer Aufhebung desselben Bescheides in Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB X generell nicht entgegen (vgl. von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 44 ff Rdnr. 7; Steinwedel, Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, Rdnr. 5). Auch der Senat teilt diese Auffassung, soweit es um die Berechtigung des Trägers geht, einen als von Anfang an rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt zurückzunehmen; problematischer erscheint allerdings, nach einem die Klage gegen einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt abweisenden Urteil unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 noch einen Anspruch des Adressaten auf Rücknahme zuzulassen; denn auf Grund des klagabweisenden Urteils steht in einem solchen Fall zwischen den Verfahrensbeteiligten mit Rechtskraft fest, dass der Verwaltungsakt nicht von Anfang an rechtswidrig war. Die hiermit zusammenhängenden Fragestellungen bedürfen indessen keiner abschließenden Erörterung. Denn nach ebenfalls herrschender Auffassung wird die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes auch in Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB X lediglich dann durchbrochen und eine erneute Sachentscheidung erforderlich, wenn - ähnlich den Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gerichtlicher Verfahren - konkrete Gründe substantiiert vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die die maßgeblichen Erwägungen für den Erlass des Verwaltungsakts erschüttern (vgl. insbes. BSG, Urt. v. 30. Februar 1988, Az. 9/9a Rv 18/86, BSGE 63, 33; von Wulffen, a.a.O., Rdnr. 13; Steinwedel, a.a.O., § 44 SGB X, Rdnr. 34).

20

An solchen Gründen fehlt es im Fall des Berufungsklägers. Denn bei den mannigfaltigen überwiegend in Form von ausufernden Fragenkatalogen abgefassten Erwägungen, mit denen dieser die Gründe für die Bestätigung des Bescheides vom 12. Mai 1980 durch das Urteil des LSG Essen in Frage zu stellen versucht hat, handelt es sich im Kern um Hinweise auf bereits im Erstverfahren bekannte Einzelumstände, mit denen lediglich die vom LSG Essen in seinem Urteil vom 20. Januar 1991 vorgenommene Beweiswürdigung erschüttert werden soll. Ungeachtet der Frage, ob die damit artikulierte Kritik an dem Verlauf des Erstverfahrens begründet ist oder nicht, vermag der Senat jedenfalls weder in der Formulierung der vermeintlich noch offenen medizinischen Detailfragen noch in der Aufstellung medizinischer Hypothesen zu ihrer Beantwortung den für ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens erforderlichen positiven Anhalt für die Fehlerhaftigkeit der die Erstentscheidung tragenden tatsächlichen Annahmen zu erblicken.

21

Dessen ungeachtet hat der Berufungskläger indessen auch deshalb keinen Anspruch auf eine Rücknahme des Bescheides vom 12. Mai 1980, weil ihm die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Versorgungsrente rechtmäßig versagt geblieben ist und sich daher die angegriffene Entscheidung auch bei einer erneuten Sachprüfung als rechtmäßig erweist.

22

Für dieses Ergebnis kann dahinstehen, ob sich der Berufungskläger mit Recht gegen die Verwertung der im Erstverfahren erstatteten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G., Dr. D., Dr. H. und Dr. C. wendet oder nicht. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das im vorliegenden Berufungsverfahren von Prof. Dr. N. eingeholte Gutachten unverwertbar ist, weil dieses von dem Arzt Dr. P. unterzeichnet worden ist und Prof. Dr. N. durch den von ihm angebrachten und unterzeichneten Zusatz, kraft eigener "Kenntnisnahme" einverstanden zu sein, möglicherweise nicht hinreichend klar die volle eigene Verantwortung für den Gutachteninhalt übernommen hat. Der Senat teilt die insoweit vom Berufungskläger erhobenen Bedenken im Ergebnis nicht. Indessen ergibt bereits eine allein auf die Begutachtungen durch Prof. Dr. K. und Prof. Dr. O. - dessen Gutachten jedenfalls die Voraussetzungen für eine Zurechnung zu diesem vom Gericht bestellten Gutachter erfüllt - gestützte Beweiswürdigung, dass bei dem Berufungskläger keine Gesundheitsschäden nachgewiesen werden können, die mit Wahrscheinlichkeit Wehrdienstfolge sind. Die beiden genannten Gutachten stimmen mit den Ergebnissen der Begutachtung durch Prof. Dr. N. vollständig überein, sodass es auch für den Fall der Verwertbarkeit dieses weiteren Gutachtens keiner spezifischen zusätzlichen Erwägungen bedarf.

23

Ausschlaggebend ist insoweit, dass die Gutachter Prof. Dr. K. und Prof. Dr. O. (und sachlich mit ihnen übereinstimmend auch Prof. Dr. N.) es für den Senat überzeugend ausgeschlossen haben, dass die 1943/44 wehrdienstbedingt eingetretenen Erkrankungen des Berufungsklägers längere Zeit über die Beendigung des Wehrdienstes im Mai 1945 hinaus fortgewirkt und die streitgegenständlichen Gesundheitsschäden entweder im Sinne eines Rezidivs oder im Sinne einer Folgeerkrankung verursacht haben. Der Senat folgt dabei insbesondere der Begründung der Gutachter, dass der von Prof. Dr. L. in Auswertung der im Mai 1984 durchgeführten Nierenbiopsie erhobene nephropathologische Befund einer benignen Nephrosklerose ohne Anzeichen einer durchgemachten entzündlichen Nierenerkrankung nicht bloß die Annahme einer unmittelbaren Verursachung der streitgegenständlichen Nierenfunktionsstörungen durch eine 1943/44 durchgemachte bakterielle Nierenerkrankung ausschließt und mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit für eine durch den Bluthochdruck bedingte Entstehung spricht, sondern dabei auch der Annahme entgegen steht, dass eine infektiöse Nieren- oder Nierenbeckenentzündung wie sie beim Berufungskläger 1943/44 vorgelegen hat - ungeachtet ihrer genauen Eigenart - über den Zeitpunkt der Entlassung hinaus als wesentliche chronische Erkrankung fortgedauert und Folgeerkrankungen, insbesondere bei dem Berufungskläger bestehenden Bluthochdruck, verursacht hat. Ebenso wenig haben es die genannten Gutachter - in Kenntnis der vom Berufungskläger hervorgehobenen Einzelheiten - auf Grund der im Zeitverlauf erhobenen Befunde für erwiesen oder auch nur wahrscheinlich gehalten, dass bei diesem bereits seit dem Lazarettaufenthalt in Norwegen eine Herzerkrankung, etwa ein Herzvitium, bestanden hat, mit dem die streitbefangene Herzerkrankung oder der Bluthochdruck des Berufungsklägers in Verbindung gebracht werden könnten. Auch hinsichtlich der 1943 durchgemachten Diphterie gehen die Gutachter überzeugend von einem komplikationslosen Verlauf aus, der mit einem dreifach negativen Abstrichbefund abgeschlossen gewesen ist. Entsprechendes gilt für die Tonsillitis des Berufungsklägers, die über den Zeitpunkt der Entfernung der Mandeln im Jahr 1943 hinaus nicht persistiert haben kann. Schließlich hat insbesondere der Gutachter Prof. Dr. O. auch eine Ausheilung des wahrscheinlich durchgemachten rheumatischen Fiebers dargetan und die Verursachung von Folgeschäden des Herzens durch dieser Erkrankung verworfen.

24

Die beim Berufungskläger vorliegenden Erkrankungen der Nieren sowie des Herz - Kreislauf - Systems könnten nach alledem lediglich noch insoweit als Schädigungsfolge beurteilt werden, als sie wahrscheinliche Folge eines durch die 1943/ 44 durchgemachten Erkrankungen hervorgerufenen Bluthochdrucks wären. Eine solche kausale Verknüpfung hat auch der Berufungskläger im durchgeführten Erörterungstermin als die aus seiner Sicht wahrscheinlichste Möglichkeit bezeichnet. Der Senat folgt indessen den genannten Gutachtern auch insoweit, als diese die Annahme, das Hochdruckleiden des Berufungsklägers sei bereits 1943/44 als Folge der durchgemachten Erkrankungen entstanden, verworfen haben. Der abweichenden Sachdarstellung des Berufungsklägers, er habe seit Kriegsende an einem Bluthochdruck gelitten und sich deshalb durchgängig in ärztlicher Behandlung befunden, vermag der Senat nicht zu folgen. Er hält nämlich die Überlegung der Gutachter für zwingend, dass ein krankheitswertiger Bluthochdruck, hätte er seit der Kriegszeit bestanden, schon bis zum Jahr 1978 zu indiziellen Veränderungen des Augenhintergrundes geführt hätte, während der behandelnde Arzt Dr. Q. für diesen Zeitpunkt in seinem Befundbericht vom 24. November 1981 an das Sozialgericht Duisburg noch einen vollständig unauffälligen augenärztlichen Untersuchungsbefund mitgeteilt hat. Anderweitige Erwägungen treten hinter dieser Überlegung, die der Annahme eines seit der Kriegszeit bestehenden, zur Verursachung von Folgeerkrankungen geeigneten, erheblichen Bluthochdrucks schlechthin entgegensteht, zurück. Dies gilt auch für das Vorbringen des Berufungsklägers, die während seines Lazarettaufenthalts gemessenen Blutdruckwerte seien bereits im Sinne eines Hochdrucks aufzufassen; denn abgesehen davon, dass das Vorliegen erhöhter Blutdruckwerte im Jahr 1943, insbesondere während der Zeit der Lazarettbehandlung, nicht auch das Bestehen eines Bluthochdrucks zwischen 1945 und 1958 belegt (für die Zeit ab 1958 bis 1965 hat der behandelnde Arzt Dr. R. in seinem Befundbericht vom 2. Oktober 1981 dann erstmals wieder erhöhte Blutdruckwerte attestiert), wird die Auffassung der Gutachter, dass die aktenkundigen Befunde die Annahme einer seit 1943 persistierenden Hochdruckerkrankung nicht rechtfertigen, durch eine lediglich definitorische Verschiebung der für einen beginnenden Bluthochdruck vorausgesetzten Standards nicht in Frage gestellt. Dies gilt umso mehr, als der Gutachter Prof. Dr. O. die für die Zeit des Lazarettaufenthalts mitgeteilten Werte ohnedies im Sinne eines leichten Bluthochdrucks interpretiert hat. Im Übrigen kommt - darauf weist der Senat lediglich zur Klarstellung hin - weder dem Entlassungsschein des Berufungsklägers noch dem Schreiben seines Krankenversicherers Beweiskraft hinsichtlich des Vorliegens einer Herz- oder Nierenerkrankung zu.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

26

Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.