Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.03.2003, Az.: L 3/9 U 462/00
Anerkennung und Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall; Zu Unfall führendes Verhalten in innerem Zusammenhang mit Betriebstätigkeit; Verhältnismäßigkeit des Weges zu einem dritten Ort
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.03.2003
- Aktenzeichen
- L 3/9 U 462/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 15670
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0326.L3.9U462.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - AZ: S 11 U 88/00
Rechtsgrundlage
- § 550 Abs. 1 RVO
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall (Wegeunfall).
Die Klägerin war im Unfallzeitpunkt als Altenpflegehelferin in einem Pflegeheim in Hamburg-Heimfeld beschäftigt. Sie wohnt in dem südwestlich hiervon gelegenen Sittensen (Kreis Harburg). Am Freitag, dem 23. Februar 1996 verließ sie gegen 14.00 Uhr ihre Arbeitsstätte und fuhr - gemeinsam mit ihrem jetzigen Ehemann - im Pkw in (nordöstliche) Richtung Hamburg-Poppenbüttel. Sie wollte dort einen alten Bekannten besuchen, bei dem sie seit Jahren alle 14 Tage regelmäßig ihr freies Wochenende verbrachte. Die Wegstrecke, die sie zurückzulegen hatte, betrug 44 km. Kurz vor Erreichung ihres Ziels befuhr sie in Hamburg-Wellingsbüttel den in nordöstliche Richtung nach Poppenbüttel führenden Wel-lingsbüttler Weg. Dort wollte sie einen Zwischenhalt einlegen, um in einem Fisch-geschäft Fischfilet zu kaufen. Das Fischgeschäft befand sich auf der (in Fahrt-richtung) linken Straßenseite. Gegenüber dem Geschäft mündete die Rol-finckstraße in den Wellingsbüttler Weg ein; im Einmündungsbereich befanden sich im Wellingsbüttler Weg in beiden Richtungen Ampelanlagen, vor denen die Straße zweispurig verlief. Die Klägerin fuhr an der Einmündung vorbei und parkte an der rechten Straßenseite in einer vor einem Getränkemarkt befindlichen Park-bucht. Das Fischgeschäft lag etwa 97 m hiervon in südwestlicher Richtung. Bei dem Versuch, den Wellingsbüttler Weg in Richtung des Fischgeschäfts zu über-queren, wurde sie - ca 30 m vom Parkplatz ihres Pkw entfernt - von einem Pkw erfasst und erlitt Brüche im Bereich des rechten Schienbeins und der rechten Schulter (Tibialkopftrümmerfraktur rechts, Fraktur Proc. coracoideus re Skapula) sowie eine Schädelprellung mit Gehirnerschütterung.
Nachdem die Krankenkasse, die die Behandlungskosten trug, die Beklagte über den Unfall in Kenntnis gesetzt hatte, teilte diese der Klägerin mit Schreiben vom 29. November 1996 mit, ihre Leistungspflicht sei nicht gegeben, weil die Klägerin sich durch das Verlassen des Fahrzeugs mit der Absicht, Besorgungen zu ma-chen, vom Versicherungsschutz gelöst habe. Gegen dieses mit einer Rechtsbe-helfsbelehrung versehene Schreiben legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.
Im Januar 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten,
unter Aufhebung des entgegenstehenden Verwaltungsakts einen Arbeitsunfall festzustellen und eine der noch zu klärenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) entsprechende Entschädigung zu gewähren.
Es habe ein Wegeunfall vorgelegen, wie sich aus der Entscheidung des BSG vom 02. Juli 1996 (Az.: 2 RU 16/95) ergebe. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalls mit Bescheid vom 27. April 1999 ab. Die Klägerin habe sich im Unfallzeitpunkt auf einem unversicherten Abweg befunden. Nach der Rechtsprechung bewirke der Richtungswechsel innerhalb eines grundsätzlich versicherten Heimweges eine deutliche Zäsur, weil sich der Weg damit sowohl nach seiner Zielrichtung als auch nach seiner Zweckbestimmung von dem zunächst eingeschlagenen Heimweg unterscheide. Dies gelte auch, wenn sich der Versicherte noch im Bereich des öffentlichen Verkehrsraums befinde. Dementsprechend habe die Rechtsprechung einen in den Heimweg eingeschobenen Rückweg von 10 bis 40 m als rechtlich bedeutsame Unterbrechung des geschützten Weges angesehen.
Mit ihrem hiergegen am 07. Mai 1999 eingelegten Widerspruch berief sich die Klägerin weiterhin auf das BSG-Urteil vom 02. Juli 1996, in dem entschieden worden sei, dass auch bei einer Unterbrechung des versicherten Weges, um eine private Besorgung zu erledigen, im gesamten Bereich des öffentlichen Verkehrs-raums Versicherungsschutz bestehe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2000 wies die Beklagte den Wider-spruch zurück. Auch eine inzwischen durchgeführte Ortsbesichtigung habe erge-ben, dass es sich bei der Unterbrechung des Weges nicht um eine geringfügige Strecke gehandelt habe. Der innere Zusammenhang mit dem versicherten Weg sei somit aufgehoben und durch eine andere Handlungstendenz - Einkäufe für private Zwecke in einem ca 97 m entgegen der Zielrichtung liegenden Geschäft - ersetzt worden.
Gegen den am 19. April 2000 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 09. Mai 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben, mit der sie weiterhin ihre Auffassung vertreten hat, sie habe beim Überqueren des Wellingsbüttler Wegs am 23. Februar 1996 unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Auch wenn sie ihre private Besorgung zum dama-ligen Zeitpunkt in entgegengesetzter Fahrtrichtung zu erledigen gehabt habe, er-gebe sich aus dem BSG-Urteil vom 02. Juli 1996 (Az.: 2 RU 16/05), dass die heutigen Straßenverkehrsverhältnisse zu berücksichtigen seien. Sie habe ihr Fahrzeug aber gerade mangels anderer Parkmöglichkeiten bei dem Getränke-markt abstellen und die Besorgung im Fischladen zu Fuß erledigen müssen. Ih-rer Handlungstendenz zufolge habe sie ihren versicherten Rückweg von der Ar-beit nur für das Aufsuchen des Fischladens unterbrochen, um dann anschließend ihren Weg zum dritten Ort fortzusetzen. Es sei nicht gerechtfertigt, in einer Groß-stadt wie Hamburg den gesetzlichen Versicherungsschutz allein wegen der be-sonderen Straßenverkehrsverhältnisse abzukürzen. Die von der Beklagten an-geführten zulässigen Entfernungen von 10 bis 40 m halte sie in Anbetracht groß-städtischer Verkehrsverhältnisse für willkürlich und unangemessen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 17. November 2000 abgewiesen. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, den ursprünglichen Bescheid vom 29. No-vember 1996 aufzuheben und der Klägerin eine Entschädigung wegen des Un-falls vom 23. Februar 1996 zu gewähren. Diese habe sich auf ihrem Weg nach Hamburg-Poppenbüttel zwar grundsätzlich unter Versicherungsschutz befunden; dieser sei im Unfallzeitpunkt aber unterbrochen gewesen, weil die Klägerin mit dem Einkauf von Fisch eine private Verrichtung eingeschoben habe. Bei natürli-cher Betrachtungsweise könne der eingeschobene Einkauf, der ausschließlich dem privaten Lebensbereich der Klägerin gedient habe, nicht als zeitlich und räumlich geringfügig angesehen werden. Es habe sich nicht um eine Verrichtung gehandelt, die "im Vorbeigehen" und "ganz nebenher" habe erledigt werden kön-nen. Denn ein der Fahrtrichtung entgegengesetzter Weg zur Erledigung eines Einkaufs in einem ca 100 m entfernten Geschäft, dessen Zeitaufwand mit ca 15 bis 30 Minuten einzuschätzen sei, bedeute eine signifikante Zäsur und damit eine Unterbrechung des grundsätzlich unter Versicherungsschutz stehenden Nachhauseweges.
Gegen das ihr am 07. Dezember 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27. Dezember 2000 Berufung eingelegt, mit der sie sich insbesondere gegen die Auffassung des SG wendet, es liege eine signifikante Zäsur des grundsätzlich unter Versicherungsschutz stehenden Nachhausewegs vor. Zwar seien unversi-cherte Abwege als privatbedingte Wege definiert, die die versicherte Zielrichtung in entgesetzter Richtung verlassen. Von diesem Grundsatz seien jedoch nach der Rechtsprechung Ausnahmen zu machen, sofern es sich um Unterbrechungen von lediglich geringfügiger Dauer handele. Dies sei hier der Fall gewesen. Auch das Zurückgehen entgegen der ursprünglichen Fahrtrichtung könne nach der Rechtsprechung des BSG unschädlich sein, wenn der Versicherte seinen Pkw beispielsweise infolge anderer geparkter Fahrzeuge nicht unmittelbar gegenüber dem angestrebten Einkaufsort habe abstellen können. Entscheidend sei, dass der Betreffende die Strecke mit dem Willen zurückgelegt habe, den Weg nach dem Einkauf wieder fortzusetzen. Sie habe nach natürlicher Betrachtungsweise und ihrer eindeutigen Handlungstendenz im Anschluss an die kurzfristige Ein-kaufsunterbrechung jedoch wieder an ihren vorherigen Heimweg anknüpfen wollen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 17. November 2000 und den Bescheid vom 27. April 1999 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 18. April 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 29. Novem-ber 1996 zurückzunehmen und ihr wegen des Arbeitsunfalls vom 23. Februar 1996 Entschädigung aus der Gesetzlichen Unfallversi-cherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf das Urteil des SG Stade.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Entscheidung der Beklagten, den Unfall der Klägerin nicht als Arbeits-unfall anzuerkennen und zu entschädigen, nicht zu beanstanden ist.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er un-anfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der in dem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben vom 29. November 1996 liegende Bescheid der Beklagten war jedoch nicht rechtswidrig und musste deshalb nicht zurückgenommen werden. Die Beklagte hat vielmehr zu Recht entschieden, dass es sich bei dem Unfall vom 23. Februar 1996 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Rechtliche Grundlage hierfür sind vorliegend noch die bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil sich der hier als Versicherungsfall geltend gemachte Unfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 01. Januar 1997 ereignet hat ( Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Maßgeblich ist dabei § 550 Abs. 1 RVO, wonach als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 543-545 genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gilt. Auszugehen ist demnach zunächst von der nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Beschäftigung der Klägerin als Altenpflegehelferin in Hamburg-Heimfeld. Voraussetzung für die Anerkennung eines Wegeunfalls ist, dass das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, in einem inneren (sachlichen) Zusammenhang mit dieser Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach Beendigung dieser Tätigkeit der Erreichung der Wohnung oder eines sonstigen Ortes - dazu sogleich - dient. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw. - wie hier - zum Weg von der Arbeitsstätte gehört (ständige BSG-Rechtsprechung, vgl. BSGE 58, 66, 77; Soor 3-2200 § 550 Nrn. 1 und 14). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nrn. 4 und 16).
Beachtlich ist in diesem Sinne nicht nur der Weg von der Betriebsstätte zur eigenen Wohnung, sondern auch eine Wegstrecke, die der Beschäftigte von seiner Arbeitsstätte ausgehend zurücklegt, um einen sonstigen Ort (sogenannter "dritter Ort") zu erreichen. In diesem Fall ist nach ständiger Rechtsprechung für die Bejahung eines inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit jedoch erforderlich, dass der nach dem dritten Ort angetretene Weg grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen muss (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 6; SozR 3-2200 § 550 Nr. 78). Maßgeblich ist dabei in erster Linie ein Vergleich der Länge des Weges zum dritten Ort mit der des Weges, der üblicherweise zur Arbeitsstätte oder Wohnung zurückgelegt wird. Ist der Weg zum dritten Ort unverhältnismäßig bzw. unangemessen länger als der Weg zum Betrieb oder zur Wohnung, wird die erheblich längere Wegstrecke grundsätzlich nicht durch die beabsichtigte oder beendete betriebliche Tätigkeit geprägt, sondern durch die eigenwirtschaftliche Tätigkeit am dritten Ort (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 6). Ein derartiges Missverhältnis lag im Fall der Klägerin jedoch nicht vor. Die zurückzulegende Wegstrecke von Hamburg-Heimfeld bis Hamburg-Poppenbüttel betrug nach den glaubhaften Angaben der Klägerin ca. 44 km. Wie der Senat als allgemeinkundige Tatsache zu Grunde legen kann, beträgt die von Heimfeld nach Sittensen zurückzulegende Strecke demgegenüber ca. 40 km. Ein Missverhältnis zwischen diesen annähernd gleichen Strecken kann demzufolge nicht angenommen werden. Grundsätzlich stand deshalb die Klägerin auch bei ihrem am Unfalltag eingeschlagenen Weg nach Hamburg-Poppenbüttel unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung.
In dem Zeitpunkt des Unfalls war der Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit jedoch unterbrochen, weil die Zurücklegung des Weges nunmehr durch die Verfolgung eigenwirtschaftlicher Interessen der Klägerin geprägt war; die Klägerin verfolgte in diesem Augenblick primär das Ziel, im Fischladen einzukaufen.
Das Einkaufen von Nahrungsmitteln und Getränken auf einem an sich versicherten Weg ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG dem persönlichen und nicht mehr dem betrieblichen Lebensbereich zuzuordnen, es sei denn, die damit verbundene Unterbrechung des Wegs zum oder von dem Ort der Tätigkeit ist nur ganz geringfügig, etwa weil die Besorgungen gleichsam "im Vorbeigehen" erledigt werden können (BSGE 20, 219, 221; SozR 3-2200 § 550 Nr. 19). Dabei kann das Einkaufen von Nahrungsmitteln und Getränken in einem Geschäft am Straßenrand jedoch nicht mehr als lediglich geringfügige Unterbrechung angesehen werden (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 14; Urteil vom 30. Juni 1999 - B 2 U 31/98 R).
Die Unterbrechung beginnt allerdings in der Regel erst dann, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum verlassen hat (BSG NJW 1993, 87; SozR 3-2200 § 550 Nr. 4). Denn die gesetzliche Unfallversicherung räumt dem Versicherten grundsätzlich ein bestimmtes Maß an räumlicher Bewegungsfreiheit ein, in dessen Grenzen er sich bewegen kann, ohne dass er negative versicherungs-rechtliche Auswirkungen befürchten muss. Dabei überlässt sie ihm, in welchem Bereich des öffentlichen Verkehrsraums, in dem er seinen Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit zurücklegt, er sich bewegen will (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 14). Die Klägerin hat sich im Zeitpunkt des Unfalls mitten auf dem Wellingsbüttler Weg und damit noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Gleichwohl stand sie nicht mehr unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung, weil der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit hier ausnahmsweise auch schon im öffentlichen Verkehrsraum unterbrochen war.
Die Unterbrechung ergibt sich jedoch noch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin ihren Pkw vor Betreten des Wellingsbüttler Wegs auf dem Parkplatz vor einem Getränkemarkt abgestellt hat. Das BSG hat zwar entschieden, dass der Versicherungsschutz im öffentlichen Verkehrsraum dann endet, wenn der Versicherte ihn kurzfristig verlässt, um sein Fahrzeug auf einem privaten Parkplatz abzustellen, und zwar auch dann, wenn er den öffentlichen Straßenraum anschließend wieder betritt (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 4). Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor, weil die zwischen Straßenkörper und Gehweg eingeschobene Parkbucht noch Teil des öffentlichen Verkehrsraums ist (vgl. hierzu OVG Lüneburg. Urt. v 09. Oktober 1990 - 9 U 193/89) und damit nicht als Privatparkplatz angesehen werden kann.
Die Unterbrechung des Versicherungsschutzes im öffentlichen Verkehrsraum ergibt sich aber daraus, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt eine andere als die zum dritten Ort führende Richtung eingeschlagen hatte und in dieser Richtung einen nicht mehr geringfügigen Weg zurücklegen wollte. Das BSG hat bereits mit Urteil vom 31. Juli 1985 (Az.: 2 RU 63/84) entschieden, dass die in einen versicherten Arbeitsweg aus privatem Interesse (im entschiedenen Fall: Neugier) eingeschobene Rückfahrt von 10 bis 40 m zu einer Unterbrechung des Unfallversicherungsschutzes führt. Später ist vom BSG präzisiert worden, der Richtungswechsel innerhalb eines grundsätzlich versicherten Heimwegs, mit dem der Versicherte sich von seinem Zielpunkt entfernt, bewirke eine deutliche Zäsur, wenn er sich sowohl nach seiner Zielrichtung als auch nach seiner Zweckbestimmung von dem zunächst eingeschlagenen Heimweg unterscheide (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 und § 550 Nr. 14). Trete an die Stelle des Zwecks, ausgehend von der Arbeitsstätte den häuslichen Bereich oder - wie hier - einen dritten Ort zu erreichen, endgültig eine andere Zweckrichtung ( etwa: Aufsuchen einer Diskothek - vgl. SozR 3-2200 § 548 Nr. 8- oder Verfolgung eines anderen Kraftfahrers zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen - SozR 3-2200 § 550 Nr. 1 -), so sei hiermit der innere Zusammenhang des ursprünglich nach § 550 Abs. 1 RVO geschützten Weges völlig aufgehoben und durch eine andere Handlungstendenz ersetzt worden (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 14). Dies führe zur Unterbrechung des Versicherungsschutzes, und zwar unabhängig von der Länge der nunmehr beabsichtigten Wegstrecke (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 8; Urteil vom 21.01.1997 - 2 RU 11/96).
Im Fall der Klägerin kann indes nicht davon ausgegangen werden, dass sie ihre Absicht, nach Poppenbüttel zu gelangen, endgültig aufgegeben hatte. Vielmehr hat sie glaubhaft und von der Beklagten nicht bestritten vorgetragen, sie habe im Anschluss an ihren Einkauf sofort den Weg zu ihrem Bekannten wieder aufnehmen wollen. Für diesen Fall hat das BSG (SozR 3-2200 § 550 Nr. 14) zwar entschieden, dass der versicherte Weg auch dann nicht unterbrochen wird, wenn sich der Versicherte im Unfallzeitpunkt in einer der Arbeitsstätte bzw. der Wohnung oder dem dritten Ort entgegengesetzten Richtung bewegt hatte. Auf diese BSG-Entscheidung vom 02. Juli 1996 beruft sich die Klägerin jedoch zu Unrecht. Sie übersieht, dass die zu Grunde gelegte Entscheidung einen Sachverhalt betraf, in dem der Versicherte nur eine geringfügige Strecke in entgegensetzter Richtung zurücklegen musste und das BSG hierauf - allerdings eher beiläufig - wiederholt abgestellt hat.
Eine nur geringfügige Wegstrecke kann vorliegend jedoch nicht angenommen werden. Das BSG war in seiner Entscheidung vom 02. Juli 1996 von der Geringfügigkeit eines rückwärts gewandten Wegs in einem Fall ausgegangen, in dem sich der Versicherte zu einem Kiosk begeben hatte, der 7 bis 8 Meter hinter seinem geparkten Pkw lag, und anschließend noch weitere 7 bis 10 Meter zurückgegangen war, um an einem abgestellten Lkw vorbeizukommen und anschließend wieder zu seinem Wagen zu gelangen. Die Klägerin hatte demgegenüber vor, sich zu einem 97 Meter entfernten Geschäft zu begeben und damit einen Weg zurückzulegen, der mehr als fünfmal länger als in dem vom BSG entschiedenen Fall war. Eine derart lange Wegstrecke kann selbst dann nicht mehr als geringfügig angesehen werden, wenn die Klägerin hierbei - neben dem eigen-wirtschaftlichen Ziel des Einkaufens - auch die Handlungstendenz weiterverfolgte, unmittelbar im Anschluss hieran weiter zu ihrem Bekannten in Poppenbüttel zu fahren. Denn ebenso wie oben bereits im Hinblick auf die Berücksichtigungsfähigkeit eines Weges zum dritten Ort ausgeführt worden ist, ist davon auszugehen, dass das rechtliche Gewicht der neben der versicherten Handlungstendenz bestehenden eigenwirtschaftlichen Zweckrichtung um so größer wird, je länger die zu deren Verwirklichung notwendige Wegstrecke ist. Während die Zurücklegung einer ganz kurzen Strecke in entgegengesetzter Richtung, die beispielsweise nur zur Umgehung eines Verkehrshindernisses notwendig ist, rechtlich noch von der Absicht geprägt bleibt, anschließend in die ursprüngliche Richtung weiterzufahren, ist ein mehrere Minuten beanspruchender Gang von fast 100 Metern in erster Linie durch die Absicht bestimmt, das hierdurch verfolgte eigenwirtschaftliche Ziel zu erreichen. Die außerdem weiter bestehende Absicht der Klägerin, ihren ursprünglichen Weg im Anschluss hieran fortzusetzen, tritt demgegenüber rechtlich zurück.
Soweit in der von der Klägerin angeführten BSG-Entscheidung vom 02. Juli 1996 ausgeführt worden ist, bei der Würdigung eines versicherungsrechtlichen Schutzes von Wegen in entgegengesetzter Richtung seien die heutigen Straßenverkehrsverhältnisse zu berücksichtigen, steht dies der angeführten Wertung nicht entgegen. Dem Kontext dieser Entscheidung ist vielmehr zu entnehmen, dass auch die Verkehrslage nur dann zu berücksichtigen ist, wenn sie zu geringfügigen Zusatzwegen führt. Zu längeren Wegen hat das BSG demgegenüber mit Urteil vom 21. August 1991 (SozR 3-2200 § 550 Nr. 4) ausgeführt, dass die Freiheit des Versicherten, für den Heimweg ein Verkehrsmittel auszuwählen, auch die versicherungsrechtlichen Vor- und Nachteile des einzelnen Verkehrsmittels umfasse. Der Autofahrer müsse deshalb bei Unterbrechungen zu Privatzwecken in Kauf nehmen, dass das vorschriftsmäßige Parken des Kfz ihn auch zu längeren Wegen zwingen könne, die nicht mehr unter Unfallversicherungsschutz stünden. Nach Ansicht des Senats wäre etwas anderes auch schon deshalb nicht mehr mit dem Schutzzweck der Gesetzlichen Unfallversicherung zu vereinbaren, weil den Unternehmern damit Risiken aufgebürdet werden könnten, die ihre Ursachen maßgeblich z.B. in der bekannten Parkplatznot in Innenstädten hätten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).