Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 24.03.2003, Az.: L 10 RI 69/02
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Halswirbelsäulensyndrom und vertebragener Schwindel; Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an schnell laufenden Maschinen sowie Überkopfarbeiten oder Arbeiten mit Wechselschicht oder unter Zeitdruck; Voraussetzungen für die Annahme einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 24.03.2003
- Aktenzeichen
- L 10 RI 69/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 13476
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0324.L10RI69.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 30.01.2002 - AZ: S 5 RI 185/99
Rechtsgrundlagen
- § 43 SGB VI a.F.
- § 44 SGB VI a. F.
- § 300 Abs. 2 SGB VI
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und insgesamt zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Nach Anhörung der Beteiligten konnte die Entscheidung über die Berufung daher gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss ergehen.
II.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zusteht.
Der 1944 geborene Kläger hat eine Berufsausbildung zum Maurer abgeschlossen. Er war jedoch seit 1967 als Bandarbeiter bzw. zuletzt als Staplerfahrer beschäftigt. Seit Juni 1997 ist er für diese Tätigkeit arbeitsunfähig. Im September 1998 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) oder Berufsunfähigkeit (BU). Zur Begründung wies er insbesondere auf ein Halswirbelsäulensyndrom sowie auf einen vertebragenen Schwindel hin. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin von Dr. F. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet begutachten, der ihn für noch in der Lage hielt, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne ständiges Drehen des Kopfes, ohne Kopftieflage sowie ohne Überkopfarbeiten zu verrichten. Unter Verweisung des Klägers auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes lehnte die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 30. Oktober 1998 die Gewährung von Rente ab. Der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, wegen der auftretenden Schwindelattacken nicht arbeitsfähig zu sein. Die Beklagte ließ ihn von dem Neurologen und Psychiater G., dem Orthopäden Dr. H. und dem HNO-Arzt Dr. I. begutachten, der den Kläger zusammenfassend für in der Lage hielt, körperlich leichte Arbeiten mit häufig wechselnder Körperhaltung zu verrichten. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, an schnell laufenden Maschinen sowie Überkopfarbeiten oder Arbeiten mit Wechselschicht oder unter Zeitdruck seien dem Kläger jedoch nicht mehr zuzumuten. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 23. August 1999 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben und weiter die Gewährung einer Rente begehrt. Unter Vorlage eines Attestes des Dr. J. hat er erneut auf die Schwindelattacken hingewiesen, die ihm eine Eingliederung in den Arbeitsprozess unmöglich machten.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers beigezogen und ihn dann von Prof. Dr. K. auf neurologisch-psychiatrischem und Dr. L. auf orthopädischem Fachgebiet begutachten lassen. Diese Sachverständigen haben für den Kläger über die bereits genannten Leistungsbeschränkungen hinaus Arbeiten mit häufigem Bücken oder Knien, mit Absturzgefahr oder mit Heben oder Tragen schwerer Lasten ausgeschlossen.
Mit Urteil vom 30. Januar 2002 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger stehe Rente nicht zu. Er sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig. Trotz der gesundheitsbedingten Leistungseinschränkungen könne er noch etwa die Tätigkeit eines Verpackers von Kleinteilen verrichten.
Gegen das ihm am 20. Februar 2002 zugestellte Urteil wendet sich die am 8. März 2002 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er die Auffassung vertritt, die Schwindelattacken seien von dem SG nicht ausreichend gewürdigt worden. Insgesamt liege bei ihm eine atypische Leistungseinschränkung oder jedenfalls eine Summierung von Leistungseinschränkungen vor, die die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machten. Die Tätigkeit als Verpacker von Kleinteilen komme für ihn bereits deshalb nicht in Betracht, weil sie mit Zwangshaltungen verbunden sei, die ihm nicht zuzumuten seien.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. Januar 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 1999 aufzuheben,
die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 30. Januar 2002 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und die mit ihm überprüften Bescheide für zutreffend.
Den Beteiligten wurde ein Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen M. vom 18. Oktober 2001 für das Landessozialgericht Niedersachsen in der Sache L 10 RI 165/01 zur Kenntnis gebracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese haben der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegen.
III.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Dem Kläger steht auch nach Auffassung des Senats Rente wegen EU oder BU gemäß §§ 44, 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden alten Fassung (a.F.), die hier gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI weiter anwendbar sind, oder Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe des seit dem 1. Januar 2001 geltenden Rechts (§§ 43, 240 SGB VI n.F.) nicht zu.
Das SG hat sachlich richtig und in der gebotenen Kürze die bis zum 31. Dezember 2000 geltenden rechtlichen Grundlagen seiner Entscheidung dargestellt. Daraus hat das SG auch zutreffend den Schluss gezogen, dass derjenige Versicherte nicht erwerbsunfähig ist, der nicht einmal berufsunfähig ist. Auch nach der Überzeugung des Senats ist der Kläger nicht berufsunfähig.
Das SG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufgeklärt, das Ergebnis der Beweisaufnahme im Wesentlichen sachgerecht ausgewertet und mit richtigem Ergebnis rechtlich beurteilt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Damit steht auch zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass der Kläger jedenfalls noch körperlich leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, ohne ständiges Drehen des Kopfes, ohne Kopftieflage oder Überkopfarbeiten, ohne Gefährdung durch schnell laufende Maschinen sowie ohne die Notwendigkeit von Wechselschicht oder Zeitdruck vollschichtig verrichten kann. Arbeiten auf Leitern, Gerüsten oder Treppen oder Arbeiten mit Absturzgefahr sind dem Kläger nicht mehr zumutbar. Die genannten Leistungseinschränkungen stehen der von dem SG zu Recht als sozial zumutbar angesehenen Verweisungstätigkeit des Verpackers von Kleinteilen nicht entgegen. Wie sich aus dem beigezogenen Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen M. vom 18. Oktober 2001 ergibt, handelt es sich bei der genannten Tätigkeit um eine solche, die teils sitzend, teils stehend zu verrichten ist. Eine Möglichkeit zur Bewegung am unmittelbaren Arbeitsplatz ist gegeben. Es handelt sich nicht um eine Akkordarbeit. Es entstehen zusätzliche Pausen, z.B. durch Wechsel des Produktes. Im Hinblick auf die Begrenzung der Verpackungstätigkeit auf lediglich Kleinteile ist auch eine Überlastung der Hebe- und Tragefähigkeit des Klägers ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Verrichtung der genannten Tätigkeit nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil sie mit für ihn unzumutbaren Zwangshaltungen verbunden wäre. Die Notwendigkeit von Zwangshaltungen bei der Verrichtung der Tätigkeit des Verpackers von Kleinteilen ergibt sich aus der berufskundlichen Auskunft des Sachverständigen M. vom 18. Oktober 2001 nicht. Eine ergänzende Rückfrage bei dem Sachverständigen ist aber auch deshalb entbehrlich, weil für den Kläger auch das Arbeiten unter längeren gleichförmigen Körperhaltungen nicht ausgeschlossen ist. Entgegen der von dem SG in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils mitgeteilten Einschränkungen hat allerdings - allein - Dr. I. in dem Gutachten vom 12. Juli 1999 ausgeführt, die für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten müssten ihm die Möglichkeit geben, unter häufig wechselnden Körperhaltungen zu arbeiten. Die genannte Beschränkung ist nach Auffassung des Senats jedoch nicht gerechtfertigt. Die von diesem Gutachter auf seinem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen rechtfertigen die genannte Einschränkung nicht. Denn er hat lediglich Hörstörungen diagnostiziert; die von dem Kläger auch damals geäußerten Schwindelbeschwerden hat er nicht objektivieren und im Übrigen auch eine Ursache nicht ermitteln können. Soweit Dr. I. in seiner Abschlussbeurteilung die Ergebnisse der zugleich eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters G. und des Orthopäden Dr. H. mit einbezieht, haben diese ihrerseits das Erfordernis häufig wechselnder Körperhaltung nicht postuliert. In dem Gutachten des Dr. I. findet sich auch kein nachvollziehbarer Hinweis dafür, dass die hier diskutierte Beschränkung etwa wegen des ungünstigen Zusammenwirkens mehrerer Gesundheitsstörungen auf unterschiedlichen Fachgebieten erforderlich wäre. Ein solches Zusammenwirken ist für den Senat auch sonst nicht erkennbar.
Der Kläger ist auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert i.S. des § 43 SGB VI n.F. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI n.F. ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Da der Kläger, wie bereits ausgeführt, vollschichtig einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, fehlen bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen für die Annahme einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung. Im Hinblick auf die - wie bereits dargelegt - fehlende BU kommt für den Kläger auch nicht die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU gemäß § 240 SGB VI n.F. in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.