Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.03.2003, Az.: L 3 B 3/03 P

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.03.2003
Aktenzeichen
L 3 B 3/03 P
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 39766
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0328.L3B3.03P.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - AZ: S 19 P 68/01

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

gegen

Beklagte und Beschwerdeführerin,

hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen

am 28. Januar 2003 in Celle

durch ...

beschlossen:

Tenor:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. November 2002 wird zurückgewiesen.

GRÜNDE

1

I.

Die Beklagte wendet sich mit Ihrer Beschwerde dagegen, dass das Sozialgericht Lüneburg ihr in dem angefochtenen Beschluss die Tragung der Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt hat.

2

Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Pflegegeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. November 2001 mit der Begründung ab, dass die Klägerin ausweislich des zuletzt eingeholten Gutachtens des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) vom 14. Mai 2001 im Bereich der Grundpflege lediglich einen Hilfebedarf von 34 Minuten im Tagesdurchschnitt aufweise und damit den gesetzlichen Grenzwert für eine Zuordnung zur Pflegestufe I von mehr als 45 Minuten nicht erreiche.

3

Hiergegen hat die Klägerin am 28. November 2001 Klage erhoben. Auf Nachfrage des SG hat der Hausarzt Dr. R HP m einem Befundbericht vom 25. Februar 2002 ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit März 2001 weiter verschlechtert habe. Es hätten mehrfach Krankenhausbehandlungen stattgefunden, und zwar insbesondere aufgrund der stark eingeschränkten pulmonalen Situation und wegen der unbefriedigenden Blutzuckereinstellung. Die körperliche Belastbarkeit habe weiter abgenommen. Aufgrund dieser Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei die Klägerin zunehmend geringer in der Lage, Maßnahmen der Körperpflege selbständig auszuführen. Insbesondere beim Anziehen, beim Waschen und bei der Essenszubereitung habe sich ihr Hilfebedarf deutlich verstärkt.

4

Die um Stellungnahme gebetene Beklagte hat im Schriftsatz vom 21. März 2002 ausgeführt, dass sie auch unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Dr. R. keinen Raum für die Gewährung von Pflegegeld sehe. Der von ihm geltend gemachte Hilfebedarf bei der Körperpflege, dem Anziehen und beim Waschen bzw. Duschen und Baden sei bereits von den Gutachtern des MDKN berücksichtigt worden. Darüber hinaus ergebe sich aus dem Gutachten vom 14. Mai 2001, das die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt keinen Hilfebedarf beim An- und Auskleiden mehr geltend gemacht habe.

5

Das SG hat das Gutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. H. vom 01. August 2002 eingeholt, in dem für die Zeit ab dem 24. Dezember 2001 ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege im Umfang von 59 Minuten im Tagesdurchschnitt bejaht worden ist.

6

Mit Schriftsatz vom 13. August 2002 hat die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Pflegegeld mit Wirkung vom 24. Dezember 2001 anerkannt. Daraufhin hat die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

7

Auf den Kostenantrag der Klägerin hat das SG Lüneburg mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. November 2002, der Beklagten zugestellt am 14. November 2002, der Beklagten die Tragung der Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat es insbesondere dargelegt, dass eine Belastung der Beklagten mit den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in diesem Umfang dadurch gerechtfertigt sei, dass sie den geltend gemachten Pflegegeldanspruch erst im August 2002 anerkannt habe, obwohl dieser bereits Ende Dezember 2001 bestanden habe.

8

Mit der am 29. November 2002 eingelegten Beschwerde macht die Beklagte unter Berufung auf Beschlüsse des LSG Hamburg vom 15. März 1978 (ANBs 4/78), des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. März 1996 (L 18 SJ 7/95) (Breithaupt 1996, 777), des LSG Schleswig-Holstein vom 13. Februar 1997 (L 2 Fb 8/97) (Breithaupt 1997, 576) und des LSG Berlin vom 16. Oktober 2000 (L 3 B 40/00 U ER) geltend, dass sie die früheste Möglichkeit eines Anerkenntnisses genutzt habe und dass daher kein Anlass bestehe, sie an den außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch nur teilweise zu beteiligen. Insbesondere könne von den Versicherungsträgern nicht erwartet werden, dass diese die Versicherten während des gerichtlichen Verfahrens wiederholt untersuchen ließen, um einer etwaigen Veränderung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Fall habe der vom SG eingeholte Befundbericht des Hausarztes keine Anhaltspunkte für eine Veränderung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Dezember 2001 erkennen lassen.

9

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

10

den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. November 2002 dahingehend zu ändern, dass Kosten nicht zu erstatten sind.

11

Die Klägerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

13

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

14

Da das Verfahren nicht durch Urteil beendet worden ist, ist Grundlage der Kostenentscheidung § 193 Abs. 1 2. Halbsatz Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das SGG gibt keine grundsätzliche Regelung für die Kostenentscheidung vor und lässt dem Gericht breite Entscheidungsmöglichkeiten. Auch wenn die Kostenvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht unmittelbar anwendbar sind, bieten die in ihnen kodifizierten Grundsätze jedoch regelmäßig Anhaltspunkte, an denen sich eine sachgerechte Ermessensentscheidung orientieren kann (vgl. dazu und zum folgenden den von der Beklagten herangezogenen Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. März 1996 aaO). Dementsprechend ist entsprechend § 91 a ZPO auch bei einer Entscheidung nach § 193 Abs. 1 2. Halbsatz SGG der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Bei der Entscheidung ist in erster Linie darauf abzustellen, wer bei einer streitigen gerichtlichen Entscheidung vermutlich unterlegen wäre. Der Schluss vom Unterliegen auf die Verursachung der Kosten ist allerdings nicht mehr gerechtfertigt, wenn der unterliegende Beklagte weder vor noch im Prozess durch sein Verhalten Kosten veranlasst hat. In Anwendung des Rechtsgedanken des § 93 ZPO ist davon abzusehen, einem Versicherungsträger Verfahrenskosten aufzuerlegen, der in Übereinstimmung mit der objektiven Sachlage im Verwaltungsverfahren einen nicht begründeten Anspruch abgelehnt hat, dann aber im Verfahren den jetzt begründeten Anspruch sofort anerkennt und damit keine Veranlassung für eine Klage gegeben und keine Kosten verursacht hat.

15

Im Gegensatz zu der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung ist die vorstehend erläuterte Rechtsansicht jedoch nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Es kann im vorliegenden Fall nicht davon die Rede sein, dass die Beklagte nach Eintritt der anspruchsbegründenden Voraussetzungen den dann begründeten Anspruch "sofort" anerkannt hat. Bereits Anfang März 2002 ist der Beklagten der Befundbericht von Dr. R. vom 25. Februar 2002 zur Stellungnahme zugeleitet worden. In diesem Befundbericht wird im Einzelnen dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin weiterhin verschlechtert und ihr Hilfebedarf insbesondere im Bereich der Grundpflege deutlich zugenommen habe. Berücksichtigt man weiter, dass bereits im letzten MDKN-Gutachten vom 14. Mai 2001 ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege in einem Umfang von 34 Minuten im Tagesdurchschnitt bejaht worden war, womit der gesetzliche Grenzwert von mehr als 45 Minuten nur um 12 Minuten verfehlt wurde, dann musste sich der Beklagten die Notwendigkeit einer umgehenden erneuten Überprüfung des Hilfebedarfs der Klägerin in Anbetracht einer ärztlicherseits dargelegten "deutlichen" Zunahme des Hilfebedarfs geradezu aufdrängen. Stattdessen hat die Beklagte im Schriftsatz vom 21. März 2002 im Einzelnen dargelegt, dass sich aus ihrer Sicht aus der Stellungnahme von Dr. R. "keine neuen Gesichtspunkte" ergeben hätten.

16

Ein Versicherungsträger, der auch nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs während des laufenden Gerichtsverfahrens deren Vorliegen in Abrede stellt, sich dabei ohne überzeugende Begründung sogar über ärztliche Zeugnisse hinwegsetzt und sich erst durch eine daraufhin vom Gericht veranlasste weitere Beweisaufnahme von der Unrichtigkeit seiner Beurteilung überzeugen lässt, kann sich naturgemäß nicht darauf berufen, dass er ein "sofortiges" Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO abgegeben habe.

17

Auch die vom SG beschlossene Kostenteilung lässt nach Auffassung des Senates keinen Ermessensfehler zu Lasten der Beschwerdeführerin erkennen.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).