Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.03.2003, Az.: L 13 B 1/03 SB

Befangenheitsantrag gegen einen medizinischen Sachverständigen; Fristeinhaltung bzgl. eines Ablehnungsgesuches

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.03.2003
Aktenzeichen
L 13 B 1/03 SB
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21180
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0328.L13B1.03SB.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 06.12.2002 - AZ: S 4 SB 73/99

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 6. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aurich, mit dem ihr Befangenheitsantrag gegen den medizinischen Sachverständigen Dr. E. zurückgewiesen worden ist.

2

Dr. E., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat gemäß Beweisanordnung des SG vom 6. Februar 2002 ein Sachverständigengutachten vom 9. Juli 2002 zu den bei der Klägerin vorliegenden Funktionsstörungen, dem Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) und zum Vorliegen des Nachteilsausgleichs "G" erstattet. Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. September 2002, abgesandt am 8. Oktober 2002, ist das Gutachten der Klägerin - ohne Fristsetzung - zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt worden. Mit einem weiteren gerichtlichen Schreiben vom 22. Oktober 2002, abgesandt am 24. Oktober 2002, ist ihr mitgeteilt worden, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei, und Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme bis zum 30. November 2002 gegeben worden. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2002, eingegangen am 19. November 2002, hat die Klägerin den Sachverständigen Dr. E. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Sachverständige habe ihre Beschwerden als psychogen hingestellt, ihre Angaben verfälscht, Befunde anderer Ärzte, insbesondere einen Gefäßbefund, größtenteils ignoriert, und sei auf Grund dieser selektiven Vorgehensweise zu einem vollkommen falschen Ergebnis gelangt. Das Gutachten sei außerordentlich mangelhaft. Die bei ihr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht objektiv gewürdigt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 28. Oktober 2002 Bezug genommen.

3

Mit Schreiben vom 26. November 2002 hat der Sachverständige zu dem Befangenheitsantrag Stellung genommen.

4

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2002 hat das SG den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angegeben, der Ablehnungsantrag sei nicht rechtzeitig gestellt worden, da er nicht spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gutachtens eingegangen sei. Im Übrigen liege aber auch kein Ablehnungsgrund vor. Die Klägerin habe keine Umstände vorgetragen, die eine Voreingenommenheit des Sachverständigen erkennen ließen. Der Sachverständige sei dem Gutachtenauftrag in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Die Frage, ob der Sachverständige alle erforderlichen Untersuchungen durchgeführt habe und seine Einschätzungen richtig und überzeugend seien, seien vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidungsfindung kritisch zu überprüfen.

5

Gegen den ihr am 12. Dezember 2002 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 9. Januar 2003 Beschwerde erhoben, der das SG nicht abgeholfen hat.

6

Die Klägerin trägt vor, es sei ihr nicht bekannt gewesen, dass der Befangenheitsantrag fristgebunden sei. Dieser beruhe vornehmlich darauf, dass der Sachverständige wesentliche Vorbefunde, insbesondere hinsichtlich der hirnzuführenden Gefäße, nicht beachtet habe und damit von falschen Tatsachen ausgegangen sei. Ferner habe er der Begutachtung einen Leitfaden der Berufsgenossenschaften zu Grunde gelegt. Auch habe er bewusst eine Auswahl von Nebensätzen aus psychologischen Berichten zitiert und ihre eigenen Angaben nicht korrekt wiedergegeben. Davon ausgehend habe der Sachverständige zu ihren Lasten angenommen, dass keine organische Erkrankung vorliege.

7

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorliegenden Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen.

8

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht begründet.

9

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist allerdings noch als fristgerecht zu behandeln. Für die Ablehnung eines Sachverständigen ist nach § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Vorschrift des § 406 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend anzuwenden. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Vorliegend ergibt sich der geltend gemachte Ablehnungsgrund indes erst aus dem schriftlichen Gutachten. In einem solchen Fall, der in der genannten Vorschrift nicht geregelt ist, muss der Beteiligte den Antrag unverzüglich nach Eingang des Gutachtens stellen, wobei er ausreichend prüfen und überlegen kann (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 118 Rn. 12k und 12m). In diesem Zusammenhang ist hier zu berücksichtigen, dass die Klägerin als medizinischer Laie ein umfassendes medizinisches Sachverständigengutachten auszuwerten hatte. Nachdem das Gericht ihre Stellungnahme zunächst nicht innerhalb einer bestimmten Frist erbeten hatte, ist mit gerichtlicher Verfügung vom 22. Oktober 2002 im Rahmen der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG eine Frist zur abschließenden Stellungnahme bis zum 30. November 2002 gesetzt worden. Das Ablehnungsgesuch ist innerhalb dieser Frist eingegangen. Die seit Kenntniserlangung von dem Gutachten verstrichene Zeit von etwas mehr als einem Monat kann noch als angemessene Überlegungszeit angesehen werden.

10

Der Befangenheitsantrag ist jedoch nicht begründet. Befangenheit eines Sachverständigen liegt vor, wenn ein Grund gegeben ist, der bei verständiger Würdigung ein Misstrauen eines Beteiligten gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen von seinem Standpunkt rechtfertigen kann. Aus dem Gutachten vom 9. Juli 2002 ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige Dr. E. seine Aufgabe nicht unvoreingenommen wahrgenommen oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Soweit die Klägerin dem Sachverständigen vorwirft, Vorbefunde nicht oder unvollständig berücksichtigt zu haben und damit zu falschen Schlüssen gekommen zu sein, handelt es sich um einen Einwand, der vom Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. Ein Befangenheitsgrund ergibt sich daraus nicht, denn es ist Aufgabe eines medizinischen Sachverständigen, die vorliegenden Befunde auszuwerten und kritisch zu würdigen. Schließlich enthält auch die Wiedergabe der Angaben der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige der Klägerin gegenüber nicht unvoreingenommen gewesen ist.

11

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).