Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.06.2003, Az.: L 10 RI 45/03

Verfassungsmäßigkeit der Fortschreibung des Wertes des Rechts auf Altersrente; Ersetzung der an Gehaltsentwicklung der aktiven Erwerbsbevölkerung orientierten Rentendynamisierung durch an Inflationsrate orientierten Anpassung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
02.06.2003
Aktenzeichen
L 10 RI 45/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 19926
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0602.L10RI45.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 17.01.2003 - AZ: S 5 RI 102/01

Redaktioneller Leitsatz

Die in § 255c SGB VI gesetzlich angeordnete Aussetzung der an der Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiven Erwerbsbevölkerung orientierten Rentendynamisierung und deren Ersetzung durch eine an der Inflationsrate orientierten Anpassung verletzt weder die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG noch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip garantierte Teilhaberecht .

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Verfassungsmäßigkeit der Fortschreibung des Wertes des Rechts des Klägers auf eine Altersrente zum 1. Juli 2000 entsprechend dem Inflationsmaßstab nach § 255 c Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI).

2

Der 1933 geborene Kläger erhält als schwerbehinderter Mensch seit dem 1. Januar 1994 von der Beklagten eine Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres (Bescheid vom 8. Dezember 1993). Mit undatiertem Schreiben teilte der Rentenservice der Deutschen Post AG dem Kläger vor dem 1. Juli 2000 mit, dass der Monatsbetrag seiner Rente zum 1. Juli 2000 von 2.290,49 DM auf 2.304,24 DM, mithin um 0,6 v.H., angehoben werde. Hiergegen erhob der Kläger bei der Beklagten Widerspruch, den er damit begründete, dass diese auf die Inflationsrate begrenzte Rentenanpassung weder rentenpolitisch begründet noch sachlich erforderlich sei. Die Abkoppelung der Rente von der Einkommensentwicklung sei verfassungswidrig, da nicht nur die Rentenbeiträge, sondern auch die jährlichen Anpassungen dem Eigentumsschutz des Grundgesetzes unterlägen und aus allgemeinen haushaltspolitischen Gründen nicht willkürlich gekürzt werden dürften. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2001 unter Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen zurück. Als Rentenversicherungsträger sei die Beklagte nicht befugt, entgegen diesen Vorgaben zu verfahren.

3

Hiergegen hat der Kläger bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben und zur Begründung sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Mit Gerichtsbescheid vom 17. Januar 2003 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und sich dabei den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid sowie den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 30. bzw. 31. Juli 2002 - B 4 RA 1/01 R; B 4 RA 120/00 R - angeschlossen. Danach seien weder das verfassungsrechtlich geschützte Renteneigentum noch die durch Artikel 2 und 3 des Grundgesetzes (GG) geschützten Rechte des Klägers durch die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 verletzt worden. Dem Gesetzgeber sei es erlaubt, begrenzte und vorübergehende Suspendierungen des Prinzips der Anpassung nach der Lohn- und Gehaltsentwicklung vorzunehmen, solange ein Unterschreiten des Mindestsicherungsniveaus vermieden werde.

4

Mit seiner am 11. Februar 2003 beim Landessozialgericht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiter.

5

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2003 aufzuheben und den in Form der Anpassungsmitteilung zum 1. Juli 2000 ergangenen Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 abzuändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, seine Altersrente entsprechend der Entwicklung der Nettoeinkommen gemäß § 63 Abs. 7 SGB VI zum 1. Juli 2000 anzupassen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2003 zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegen haben.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter des Senats als Einzelrichter gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abse. 2 bis 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

10

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen die einen Verwaltungsakt im Namen der Beklagten verlautbarende Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 statthafte (vergleiche dazu BSG, Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 120/00 R = NJW 2003, 1474 m.w.N.) sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass weder die der Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 zu Grunde liegende Vorschrift des § 255 c Abs. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I, 2534) noch die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift durch die Beklagte gegen höherrangiges Recht verstößt.

11

Zutreffend haben die Beklagte und - ihr folgend - das SG zunächst darauf hingewiesen, dass die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 nach § 255 c Abs. 1 SGB VI in der Fassung des Haushaltssanierungsgesetzes 1999 und der Rentenanpassungsverordnung 2000 vom 31. Mai 2000 (BGBl. I, 788) in Höhe der Inflationsrate, mithin zum damaligen Zeitpunkt in Höhe von 0.6 v.H., vorzunehmen war. Eine unrichtige Anwendung dieser einfach-rechtlichen Bestimmungen durch die Beklagte ist nicht erkennbar und vom Kläger - zumindest im Berufungsverfahren - auch nicht (mehr) behauptet worden. Soweit der Kläger im Widerspruchsverfahren und im erstinstanzlichen Klageverfahren einen Verstoß dieser Rentenanpassung gegen andere Vorschriften des SGB VI - insbesondere gegen § 68 SGB VI - behauptet hat, verkennt er, dass nach dem eindeutigen Wortlaut von § 255 c Abs. 1 SGB VI mit der Bestimmung ausdrücklich eine abweichende Sonderregelung für die zum 1. Juli 2000 vorzunehmende Rentenanpassung getroffen werden sollte, die Vorrang vor den Regelungen der §§ 64 ff. SGB VI hat.

12

Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 nach Maßgabe eines Inflationsausgleichs ist aber auch mit Verfassungsrecht vereinbar. Zutreffend hat das SG hierzu insbesondere auf die Entscheidungen des BSG vom 30. Juli 2002 (B 4 RA 125/00 R, B 4 RA 1/01 R, B 4 RA 10/01 R) und vom 31. Juli 2002 (B 4 RA 120/00 R = NJW 2003, 1474) hingewiesen, mit denen das BSG entschieden hat, dass sich die streitige Rentenanpassung zwar nicht auf die Rentenanpassungsverordnung 2000, wohl aber unmittelbar auf die Bestimmung des § 255 c Abs. 1 SGB VI stützen könne. Die darin gesetzlich angeordnete Aussetzung der an der Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiven Erwerbsbevölkerung orientierten Rentendynamisierung und deren Ersetzung durch eine an der Inflationsrate orientierten Anpassung verletzt weder die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG noch das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip garantierte Teilhaberecht (BSG a.a.O.). Dieser Rechtsprechung folgt das Gericht nach eigener Überprüfung. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Ein Verstoß gegen darüber hinausgehende verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Klägers ist ebenfalls nicht erkennbar.

13

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch ein Verstoß der dargestellten Regelung zur Rentenanpassung im Jahr 2000 gegen gemeinschafts-rechtliche oder sonstige überstaatliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht ersichtlich ist.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG.

15

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere kann der Rechtssache nach den dargestellten höchstrichterlichen Entscheidungen des BSG eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) nicht mehr zugesprochen werden. Ebenso wenig liegt eine Abweichung von dieser Rechtsprechung vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG.