Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.06.2003, Az.: L 6 U 404/00
Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten Berufskrankheit Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung; Beschäftigung als Reiniger von Eisenbahnwagons; Kontakt mit verschiedenen Reinigungsmitteln und mit Gummihandschuhen; Bildung eines Hautekzems auf der rechten Hand während der Berufsausübung; Sensibilisierung gegenüber Latex ein Jahr nach Aufgabe des Berufes; Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei Vorliegen eines kumulativ-toxischen Handekzems und einer Latexallergie; Kausalzusammenhang zwischen Latexallergie und derTätigkeit als Bahnreiniger
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 19.06.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 404/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21098
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0619.L6U404.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 14.09.2000 - AZ:S 72 U 114/97
Rechtsgrundlagen
- § 548 RVO
- § 551 Abs. 1 RVO
- § 581 Abs. 1 RVO
Redaktioneller Leitsatz
Zwischen der Gesundheitsschädigung und der beruflichen Tätigkeit muß ein Ursachenzusammenhang bestehen.
Nach den von der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie herausgegebenen Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Berufskrankheiten der Haut ist beim Zusammentreffen einer mittelgradigen Allergie (MdE 10) und einer leichten Hauterscheinung nach irritativer Schädigung (MdE 10) die MdE mit nur 15 v.H. zu bewerten.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 14. September 2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Verletztenrente wegen der Folgen einer anerkannten Berufskrankheit (BK) Nr. 5101 (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können). Zwischen den Beteiligten ist außerdem streitig, ob eine Sensibilisierung gegenüber Naturlatex Folge dieser BK ist.
Der 1963 geborene Kläger war vom 24. April 1991 bis 24. April 1993 bei der Bahnreinigung C. GmbH als Reiniger von Eisenbahnwagons beschäftigt. Bei dieser Betätigung kam er mit verschiedenen Reinigungsmitteln und mit Gummihandschuhen in Berührung. Im November 1991 traten Hauterscheinungen an der rechten Hand auf. Am 31. Januar 1992 zeigte der Hautarzt Dr. D. eine BK an. Er führte ein degeneratives Kontaktekzem auf den Umgang mit Gummihandschuhen und Reinigungsmitteln zurück. Nach Einschaltung des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) (Bericht vom 6. Januar 1993) holte die Beklagte das Gutachten von Dr. E. vom 13. Februar 1993 ein. Nach dessen Beurteilung sprechen der zeitliche Verlauf des Ekzems, die Lokalisation an den beruflich erheblich belasteten Hautpartien und die fehlenden Hinweise auf außerberuflich ausgelöste Ekzeme für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges mit dem Beruf. Der Hautbefund begründe den objektiven Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit.
In seinem zweiten Gutachten vom 3. Juli 1994 kam Dr. E. zu dem Ergebnis, dass für die nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit aufgetretenen Bläschenschübe ein deutlicher anlagebedingter Ekzemanteil erkennbar sei. Für die Zeit bis Frühjahr 1993 sei dagegen ein deutlicher irritativ toxischer Ekzemanteil vorhanden. Anzunehmen sei eine rechtlich wesentliche berufliche Teilursache des Ekzems im Sinne eines irritativ toxischen Ekzems zwischen 1991 und Frühjahr 1993. Ein Abklingen des beruflichen ...Ekzemanteils" nach Aufgabe der Tätigkeit sei zu erwarten. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege nicht vor. Die jetzigen Hautveränderungen ein Jahr nach Fortfall externer Hautbelastungen könnten als anlagebedingt gewertet werden. Dieser Bewertung stimmte der Staatliche Gewerbearzt Dr. F. in seiner Stellungnahme vom 21. Juni 1994 zu.
Mit Bescheid vom 26. August 1996 erkannte die Beklagte eine BK nach Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) an und als deren Folgen: vorübergehende Verschlimmerung anlagebedingter Hautveränderungen an beiden Händen. Die Zahlung einer Verletztenrente lehnte sie ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 26. März 1997).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Beklagte die Stellungnahme von Dr. G. vom 17. März 1998 vorgelegt. Dieser hat klargestellt, dass die Hauterkrankung des Klägers im Sinne der Entstehung (nicht der Verschlimmerung) auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei. Es handele sich bei fehlendem Nachweis berufsrelevanter Kontaktsensibilisierungen um ein kumulativ-toxisches Handekzem. Dagegen seien die jetzt noch auftretenden Hauterscheinungen an den Händen nicht Folge der BK, denn Bläschen (eindeutig dyshidrosiforme Hauterscheinungen) seien erstmals im Oktober 1993 festgestellt worden.
Das SG hat den Befundbericht von Dr. H. vom 25. November 1998 eingeholt sowie das Gutachten von Prof. Dr. I. vom 7. Mai 1999. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass inzwischen eine Latexallergie festgestellt worden sei. Ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers sei jedoch allenfalls möglich. Denn es lasse sich nicht feststellen, wann die Naturlatexsensibilisierung stattgefunden habe. In Betracht komme die Tätigkeit bei der Bahnreinigung, außerdem ein Latexkontakt während der früheren Knieoperationen des Klägers. Der Kläger habe auch keine typischen Symptome im Sinne einer durch Latex verursachten Kontakturtikaria beschrieben. Das Ekzem sei teilweise durch die Arbeit ausgelöst worden. Dafür sprächen die arbeitsplatzabhängige Periodik und lokalisatorische Besonderheiten. Inzwischen spielten außerberufliche Faktoren eine Rolle. Das Hautekzem sei nicht mit einer MdE verbunden.
Mit Urteil vom 14. September 2000 hat das SG die Bescheide der Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, anstatt der anerkannten Folge der BK als Folge ein kumulativ-toxisches Handekzem beidseits anzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Handekzem sei im Wesentlichen abgeheilt, eine MdE von 20 v.H. sei nicht gerechtfertigt. Die Sensibilisierung gegenüber Latex sei nicht als BK-Folge anzuerkennen, da ein ursächlicher Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne.
Gegen dieses am 27. September 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Oktober 2000 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 14. September 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1997 zu ändern,
- 2.
festzustellen, dass eine Sensibilisierung gegenüber Naturlatex Folge der anerkannten Berufskrankheit Nr. 5101 ist,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger seit Mai 1993 Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 14. September 2000 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend.
Im vorbereitenden Verfahren ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. J. vom 10. Februar 2003 eingeholt worden. Der Sachverständige hat die Latexsensibilisierung als Folge der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Bahnreiniger angesehen und die MdE auf 20 v.H. geschätzt. Außerdem hat der Senat eine erläuternde Stellungnahme von Prof. Dr. I. vom 1. Mai 2003 eingeholt.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente.
Das Begehren des Klägers richtet sich auch nach Eingliederung des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (SGB) zum 1. Januar 1997 nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das ergibt sich aus der Übergangsregelung in § 212 SGB VII, wonach auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, das alte Recht (§§ 548, 580, 581 RVO) anzuwenden ist.
Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist gemäß §§ 551, 580, 581 RVO nur zu zahlen, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge einer BK um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Dies vermag auch der Senat nach Auswertung aller im Verwaltungs- , Klage- und Berufungsverfahren erstatteten Gutachten sowie der weiteren ärztlichen Stellungnahmen nicht festzustellen.
1.
Das als Folge der BK anerkannte ...kumulativ-toxische Handekzem beidseits" kann lediglich für einen begrenzten Zeitraum nach Aufgabe der Arbeit mit einer MdE um 10 v.H. bewertet werden. Bei dieser Bewertung folgt der Senat den überzeugenden und übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. K ... Danach waren zwar die bei der Tätigkeit des Klägers als Fahrzeugreiniger verwandten Reinigungsstoffe mitursächlich für das während des Beschäftigungsverhältnisses aufgetretene Handekzem. Dies gilt aber nicht für das - nach Arbeitsaufgabe erstmals von Dr. H. (vgl. Bericht vom 16. März 1994) festgestellte und weiter bestehende - dyshidrosiforme Handekzem (mit Bläschenbildung). Dagegen sprechen nach den Erläuterungen von Prof. Dr. I. der langjährige, zuletzt von der beruflichen Tätigkeit völlig losgelöste Verlauf dieser Hauterkrankung sowie der fehlende Nachweis von berufsspezifischen Kontaktsensibilisierungen. Auch Dr. E. hat darauf hingewiesen, dass nach Aufgabe der hautschädigenden Arbeit ein Abklingen des beruflichen ...Ekzemanteils" anzunehmen sei. Für die Auslösung und Unterhaltung der jetzigen intervallartig auftretenden Hauterscheinungen ist vielmehr die nach der Beurteilung sämtlicher Ärzte beim Kläger bestehende (außerberufliche) Ekzemdisposition im Sinne einer atopischen Hautdiathese verantwortlich. Diese ist belegt durch das Vorhandensein mehrerer klinisch-anamnestischer Kriterien (Erlanger Atopiekriterien) sowie mehrerer Sensibilisierungen gegen inhalative Allergene (z.B. Pollen und Katzenhaare) (vgl. Gutachten Prof. Dr. I., Dr. E., Dr. G.).
2.
Eine höhere MdE-Bewertung ergibt sich auch nicht unter Einbeziehung der beim Kläger bestehenden Latexallergie, denn es lässt sich nicht wahrscheinlich machen, dass diese Sensibilisierung durch die Tätigkeit als Bahnreiniger verursacht worden ist.
- Es lässt sich schon nicht feststellen, dass die Allergie in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem beruflichen Kontakt gegenüber Latex entstanden ist. Denn die Sensibilisierung ist erstmals im Februar 1999 (fast sechs Jahre nach Aufgabe der Arbeit) festgestellt worden. - Es ist auch nicht von einer starken Exposition auszugehen. Denn der Kläger hat gegenüber Prof. Dr. I. angegeben, selten Gummihandschuhe getragen zu haben. - Entscheidend gegen einen Ursachenzusammenhang spricht jedoch, dass nach den Angaben des Klägers bei der Arbeit als Reiniger keine für ein Kontakturtikariasyndrom sprechenden Symptome (z.B. Rötung und Anschwellen der Hände oder lokalisierte Quaddelbildung) aufgetreten sind. Vielmehr hat der Kläger bei der Untersuchung durch Prof. Dr. I. auf gezielte Befragung lediglich einen Juckreiz beschrieben.
Selbst wenn man jedoch - entgegen der Ansicht des Senats - die Latexallergie als Folge der anerkannten BK ansehen und mit einer MdE um 10 v.H. bewerten würde, wäre die MdE nicht mit insgesamt 20 v.H. zu schätzen. Denn nach den von der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie herausgegebenen Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei BKen der Haut (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 868) ist beim Zusammentreffen einer mittelgradigen Allergie (MdE 10) und einer leichten Hauterscheinung nach irritativer Schädigung (MdE 10) die MdE mit nur 15 v.H. zu bewerten.
Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. J., denn das Gutachten überzeugt den Senat nicht. Der Sachverständige setzt sich nicht mit den oben genannten Argumenten auseinander, die gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und dem Auftreten der Latexallergie sprechen. Außerdem unterstellt er, dass auf dermatologischem Gebiet eine MdE von 10 v.H. vorliegt, obwohl die Gutachter dieses Fachgebietes eine entsprechende MdE allenfalls für einen begrenzten Zeitraum annehmen. Zudem berücksichtigt Dr. J. nicht die - oben angegebenen, von Dermatologen herausgegebenen - Empfehlungen zur Bemessung der MdE, nach denen sich im vorliegenden Fall - wie ausgeführt - höchstens eine MdE von 15 v.H. ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.