Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.06.2003, Az.: L 6 U 241/02

Anspruch eines in der Sauenhaltung und Schweinemast Tätigen auf Anerkennung einer Atemwegserkrankung ( Atembeklemmungen ) als Berufskrankheit sowie die Zahlung einer Verletztenrente ; Auswirkungen einer nicht erfolgten Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung für den Versicherungsfall

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.06.2003
Aktenzeichen
L 6 U 241/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 20186
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0620.L6U241.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 10.04.2002 - AZ:S 7 U 60/01

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) sowie die Zahlung einer Verletztenrente.

2

Der 1956 geborene Kläger ist seit 1985 als Landwirt tätig, er betreibt Sauenhaltung und Schweinemast. Mitte/Ende 1998 traten bei der Arbeit im Schweinestall erstmals Atembeklemmungen verbunden mit Angst und Schwindelgefühlen auf, die sich im weiteren Verlauf verstärkten. Der Facharzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin Dr. C. diagnostizierte ein hyperreagibles Bronchialsystem und äußerte den Verdacht auf Asthma bronchiale (Bericht vom 20. März 2000).

3

Am 23. April 2000 zeigte der Kläger eine BK an. Die Beklagte holte das Gutachten von Prof. Dr. D. vom 21. Juni 2000 ein. Bei den Lungenfunktionsprüfungen war eine Atemwegsobstruktion nicht nachweisbar, die Allergiediagnostik ergab keinen Hinweis auf eine Sensibilisierung gegen landwirtschaftliche Allergene. Der Gutachter diagnostizierte u.a. ein hyperreagibles Bronchialsystem. Nach seinen Ausführungen bedeutet dieser Befund, dass Atembeklemmungen durch verschiedene unspezifische Reize (z.B. Stallgerüche, inhalierte Partikel oder Kälte) hervorgerufen werden könnten Derartige Reize seien jedoch nicht ursächlich wirksam, sondern kämen lediglich als Auslöser in Betracht. Die langdauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei nicht auf die Überempfindlichkeit der Atemwege zurückzuführen, sondern auf somatoforme Beschwerden als Folge einer nicht berufsbedingten Angst- oder Panikstörung.

4

Mit Bescheid vom 11. September 2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als entschädigungspflichtige BK der Ziffern 4301 und 4302 sowie Entschädigungsansprüche ab. Im Widerspruchsverfahren wandte sich der Hausarzt des Klägers Dr. E. mit Schreiben vom 18. Oktober 2000 an die Beklagte und teilte mit, dass nach seiner Einschätzung die Voraussetzungen einer BK Nr. 4301 oder 4302 vorlägen. Die Beklagte holte die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. D. vom 22. November 2000 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2001 zurück.

5

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat der Kläger den Bericht von Dr. C. vom 16. März 2001 eingereicht. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10. April 2002 mit der Begründung abgewiesen, die Anerkennung einer BK 4301 oder 4302 scheitere daran, dass bei dem Kläger eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht festgestellt worden sei.

6

Gegen dieses am 19. April 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. Mai 2002 Berufung eingelegt. Er trägt vor, durch die Stallarbeiten und die damit verbundene Exposition gegenüber verschiedenen Stoffen (Gase und Stäube, die sich bei der Tierhaltung entwickeln sowie Desinfektionsmittel) sei es zu einer richtunggebenden Verschlimmerung seiner Lungenerkrankung gekommen.

7

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    das Urteil des SG Oldenburg vom 10. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2001 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass seine Atemwegserkrankung Folge einer BK nach Nr. 4301 und/oder 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 10. April 2002 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte hält das Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend.

10

Im vorbereitenden Verfahren ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. C. vom 25. März 2003 eingeholt worden. Der Sachverständige hat das Vorliegen einer BK 4301 bzw. 4302 verneint.

11

Die Beteiligten sind mit Verfügung der Berichterstatterin vom 21. Mai 2003 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung hat die Verwaltungsakte der Beklagten zu Grunde gelegen.

13

II.

Der Senat konnte über die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässige Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 153 Abs. 4 SGG).

14

Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner Atemwegserkrankung als BK 4301/4302 (durch allergisierende Stoffe bzw. chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) verneint. Eine Anerkennung scheitert bereits daran, dass beim Kläger nach der übereinstimmenden Beurteilung von Prof. Dr. D. und Dr. C. keine obstruktive Atemwegserkrankung vorliegt. Darauf hat das SG zu Recht hingewiesen. Entgegen der Ansicht des Klägers kann eine BK 4301/4302 auch nicht deshalb anerkannt werden, weil sich seine Beschwerden bei den Arbeiten im Stall verstärken. Denn eine Verschlimmerung kann begrifflich nur vorliegen, wenn die zu beurteilende Gesundheitsstörung - hier: eine obstruktive Atemwegserkrankung - vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits als klinisch manifester Krankheitszustand vorhanden gewesen ist. Daran fehlt es hier jedoch, denn - wie bereits erwähnt - ist eine obstruktive Atemwegserkrankung beim Kläger nie diagnostiziert worden.

15

Der Senat musste nicht der Anregung des Kläger nachgehen und durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens aufklären, wodurch die von Prof. Dr. D. und Dr. C. angesprochene Panikstörung hervorgerufen wird. Denn diese Fragestellung ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.

16

Da sich eine BK nicht feststellen lässt, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Verletztenrente.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

18

Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen (§160 Abs. 2 SGG).