Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 17.06.2003, Az.: L 3/9 U 52/01

Gewährung einer höheren Verletztenrente aufgrund einer Berufskrankheit ; Wesentliche Änderungen des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.06.2003
Aktenzeichen
L 3/9 U 52/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 15087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0617.L3.9U52.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - AZ: S 7 U 71/00

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der 1940 geborene Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Verletztenrente aufgrund einer - dem Grunde nach von der Beklagten anerkannten - Berufskrankheit in Form einer Hauterkrankung nach Ziffer 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Die Hauterkrankung wurde über viele Jahre hinweg mit Kortison sowohl lokal als auch systemisch behandelt.

2

Mit Bescheid vom 07. Dezember 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1996 erkannte die Beklagte folgende Beeinträchtigungen als Folgen der Berufskrankheit an: Handekzem bei Sensibilisierung gegenüber Teflon 340 PFA und PA-Polyamide schwarz, Osteoporose ohne funktionelle Einschränkung als Folge der langjährigen Cortisonbehandlung. Darüber hinaus gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH.

3

Zugleich lehnte die Beklagte in dem Bescheid vom 07. Dezember 1995 ausdrücklich eine Anerkennung insbesondere folgender Beeinträchtigungen als Folgen der von ihr dem Grunde nach anerkannten Berufskrankheit ab: ... Beschwerden im Rückenbereich (durch Fehlstatik der Wirbelsäule mit weitgehend fixiertem Rundrücken im Brustwirbelsäulenbereich nach früherer Kompressionsfraktur des 11. Brustwirbels, schmerzhafte Segmentinstabilität L3 bis S1 mit begleitender Spondylarthrose ...) ...

4

In einem früheren auf die Gewährung einer höheren Verletztenrente gerichteten Verfahren hat der Senat im Berufungsrechtszug (L 3 U 27/97) ein Gutachten des Orthopäden Dr. Harms vom 21. Oktober 1997 eingeholt. Dieser gelangte zu der Einschätzung, dass neben den Hautschäden auch die kortikoidinduzierte Osteoporose bei der Bemessung der berufskrankheitenbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sei. Auch wenn der Kläger seit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit die früher regelmäßig eingenommenen Kortikoide aufgrund der deutlichen Besserung der Hautschädigungen nur noch bei Bedarf benutze, ließen sich die durch die medikamentöse Behandlung in der Vergangenheit bedingten biochemischen Vorgänge nicht mehr umkehren. Die Osteoporose, die bislang nur das Stadium I erreiche, schränke die Erwerbsfähigkeit des Klägers spürbar ein. Insbesondere sei die Belastbarkeit der Wirbelsäule deutlich reduziert, dem Kläger seien nur noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne schweres Heben und Tragen oder häufiges Bücken zuzumuten. Ungeachtet dessen, dass der Kläger seine sicherlich aggravierten Beschwerden stärker darstelle als noch wenige Jahre zuvor, sei jedenfalls seit 1995 keine wesentliche Verschlimmerung der Osteoporose festzustellen, zumal der Kläger Kortikoide nur noch in deutlich vermindertem Maße einsetze und die schädigende Noxe mithin nur noch wesentlich geringer einwirken könne. Die berufskrankheitenbedingte Gesamt-MdE bewertete Dr. Harms mit 30 vH.

5

In einem weiteren vom Senat eingeholten Gutachten vom 15. Juni 1998 bewerteten die Hautärzte PD Dr. D. und Dr. E. die Gesamt-MdE mit 25 vH, regten aber zugleich noch die Einholung einer weiteren orthopädischen Beurteilung an.

6

Der daraufhin vom Senat gehörte Chirurg und Orthopäde Prof. Dr. Nyga schloss sich in seinem Gutachten vom 04. November 1998 im Ergebnis der Beurteilung von Dr. F. an und gelangte ausgehend von einer berufskrankheitenbedingten Osteoporose vom Grad I mit leichten Funktionseinbußen und Beschwerden bei geringer Krankheitsaktivität zu einer Einzelbewertung der auf die Osteoporose zurückzuführenden MdE mit 20 v.H. und zu einer Gesamtbewertung der berufskrankheitsbedingten MdE mit 30 vH.

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Daraufhin erklärte sich die Beklagte vergleichsweise bereit, rückwirkend ab dem 01. Juni 1995 eine Verletztenrente nach der MdE um 30 v.H. zu gewähren (vgl. Schriftsätze der Beklagten vom 25. November und 17. Dezember 1998 und den Schriftsatz des Klägers vom 04. Dezember 1998). In Ausführung dieses Vergleichs bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 23. Dezember 1998 eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. mit Wirkung vom 01. Juni 1995 an.

8

Mit Schreiben vom 16. November 1999 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte eine Verschlimmerung der Osteoporose geltend. Ausweislich eines dem Schreiben beigefügten Arztbriefes des Radiologen Dr. Hardach vom 09. November 1999 handelte es sich allerdings um eine Osteoporose ohne signifikante Progredienz. Des weiteren rügte der Kläger, dass seine Verletztenrente nur um 10 v.H. auf 30 v.H. erhöht worden sei, obwohl Prof. Dr. Nyga die durch die Osteoporose bedingte MdE mit 20 v.H. bewertet habe.

9

Mit Bescheid vom 22. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 lehnte die Beklagte eine Erhöhung der Verletztenrente unter Hinweis auf das Fehlen einer wesentlichen Verschlimmerung des Krankheitsbildes ab. Zur Begründung der am 14. März 2000 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er zunehmend unter therapieresistenten Schmerzen im gesamten Rücken und im Bereich der großen Gelenke und einer Belastungsinsuffizienz der Wirbelsäule leide. Auch Knochendichtemessungen zeigten eine Zunahme der Osteoporose.

10

Mit Urteil vom 17. Januar 2001, dem Kläger am darauffolgenden Tag zugestellt, hat das Sozialgericht Oldenburg die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X nicht ersichtlich sei. Bereits die zuerkannte MdE-Bewertung mit 30 v.H. berücksichtige vollständig die verminderte Belastbarkeit der Wirbelsäule; subjektive Beschwerden seien nicht gesondert berücksichtigungsfähig.

11

Zur Begründung der am 16. Februar 2001 eingelegten Berufung hebt der Kläger hervor, dass er weiterhin zeitweilig Kortison zur Behandlung der Hauterkrankung benötige. Infolge der Osteoporose sei der Knochenmineralgehalt im gesamten Skelett vermindert; eine Verschlechterung der Befundlage werde auch durch die durchgeführten Knochendichtemessungen belegt. Im Bereich der Wirbelsäule und an allen Gliedmaßen seien Bewegungseinschränkungen, Belastungsschmerzen und eine erhöhte Gefahr von Frakturen festzustellen. Besonders im Bereich der rechten oberen Extremität zeigten sich schon bei geringer Belastung erhebliche Schmerzen. Aufgrund der Frakturgefahr bewege er sich nur sehr vorsichtig, teilweise nehme er sogar eine Schonhaltung ein. Das Versorgungsamt Oldenburg habe einen Grad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt.

12

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Oldenburg vom 17. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 aufzuheben und

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm ab November 1999 eine Verletztenrente aufgrund der dem Grunde nach anerkannten Berufskrankheit gemäß Ziffer 5101 der Anlage 1 zur BKV nach einer MdE um wenigstens 40 v.H. zu gewähren.

13

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Der Senat hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr. Griesemann vom 27. Februar 2002, ein Gutachten des Orthopäden Dr. F. vom 22. Juni 2002 und - auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG - ein Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. phil. Dr. med. G. vom 19. April 2003 eingeholt. Auf den Inhalt dieser Ausarbeitungen wird verwiesen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

16

II.

Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 SGG, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet.

17

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die berufskrankheitenbedingte Verletztenrente höher als nach einer MdE um 30 v.H. festgesetzt wird, wie sie ihm von der Beklagten bereits mit Bescheid vom 23. Dezember 1998 zuerkannt worden ist.

18

Der Kläger könnte nur dann eine Neufestsetzung der Verletztenrente nach § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beanspruchen, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des - einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellenden - Rentenneufestsetzungsbescheides vom 23. Dezember 1998 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten wäre; eine solche ist jedoch auch unter Berücksichtigung der weiteren im Berufungsverfahren erfolgten Beweisaufnahme nicht ersichtlich. Vielmehr hat das Sozialgericht zutreffend eine weitergehende Entschädigung der Berufskrankheit abgelehnt.

19

Da der Kläger die hautbelastende berufliche Tätigkeit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) aufgegeben hat, beurteilt sich das Berufungsbegehren nach den Übergangsvorschriften der §§ 212, 214 SGB VII grundsätzlich weiterhin nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Allerdings ist nach § 214 Abs. 3 S. 2 SGB VII die Regelung u.a. des § 73 Abs. 3 SGB VII, wonach bezüglich des Grades einer Minderung der Erwerbsfähigkeit nur Änderungen von mehr als 5 v.H. als wesentlich im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X zu beurteilen sind, auch auf frühere Versicherungsfälle anzuwenden.

20

Eine Verletztenrente wird nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, der Verletzte erhält dann den Teil der Vollrente, der dem Grade der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entspricht (Teilrente). Dabei sind die Gesamtfolgen des Arbeitsunfalls bzw. - wie hier - der Berufskrankheit zu bewerten.

21

Zur Bemessung der unfallbedingten MdE ist die bei dem Verletzten vor dem Unfall bestehende Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legen. Es gehört zu den zwar ungeschriebenen, aber tragenden Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung, dass der Betroffene durch die Rechtsordnung in dem Gesundheitszustand geschützt ist, in dem er sich bei Eintritt des schädigenden Ereignisses befunden hat (vgl. Erlenkämper, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache, SGb 1997, S. 355, 357, mit Rechtsprechungsnachweisen). Der Schutz der Unfallversicherung dient allerdings nicht dazu, bei versicherten Tätigkeiten augenscheinlich werdende Gesundheitsstörungen zu entschädigen; entschädigt werden vielmehr nur die durch den Unfall bei versicherter Tätigkeit - zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - herbeigeführten Gesundheitsstörungen (BSG, SozR 2200 § 548 RVO Nr. 51). Die demnach maßgebliche individuelle Erwerbsfähigkeit ist mit 100 v.H. einzusetzen und die Einbuße an der individuellen Erwerbsfähigkeit durch den Unfall in einem bestimmten Prozentsatz davon auszudrücken (BSG SozR 2200 § 580 Nr. 5 m.w.N.).

22

Im vorliegenden Fall ist in keiner Weise ersichtlich, dass die berufskrankheitenbedingte MdE sich im Zeitraum seit ihrer letzten Festsetzung mit dem - den im vorausgegangenen Berufungsverfahren L 3 U 27/97 erzielten Vergleich umsetzenden - Bescheid vom 23. Dezember 1998 wesentlich, d.h. um mehr als fünf vom Hundert, verändert hat; es lässt sich vielmehr überhaupt keine Zunahme der MdE feststellen.

23

Beide im Laufe des Berufungsverfahrens gehörten Sachverständigen haben übereinstimmend und überzeugend die berufskrankheitenbedingte Gesamt-MdE mit jedenfalls nicht mehr als 30 v.H. bemessen. Diese Einschätzung leuchtet auch deshalb ein, weil sich im Vergleich zu den im Vorprozess L 3 U 27/97 durchgeführten Untersuchungen weder im klinischen noch im radiologischen Befundbild nennenswerte Veränderungen der Auswirkungen der Osteoporose oder sonstiger berufskrankheitenbedingter Beeinträchtigungen feststellen lassen. Im damaligen Verfahren ist die Gesamt-MdE von beiden Beteiligten in Anlehnung an die vom Senat eingeholten orthopädischen Gutachten im Ergebnis (vergleichsweise) mit 30 v.H. bewertet worden; diese Einschätzung erachtet der Senat sowohl bezogen für den damaligen Zeitpunkt als auch mangels greifbarer Veränderungen im Erscheinungsbild der Osteoporose bezogen auf den gegenwärtigen Zeitraum für sachgerecht. Namentlich hat seinerzeit auch Prof. Dr. H. die Gesamt-MdE mit 30 v.H. beurteilt, so dass auch sein Gutachten die geltend gemachte Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht zu stützen vermag.

24

Dr. Harms hat in seinem Gutachten vom 22. Juni 2002 überzeugend dargelegt, dass sich die Osteoporose weiterhin im Stadium I befindet. Den Röntgenaufnahmen seien nach wie vor keine Hinweise auf Deck- oder Grundplatteneinbrüche, Keil-, Fisch- oder Plattwirbel im Bereich der Wirbelsäule zu entnehmen (sieht man einmal von dem - berufskrankheitenunabhängig - bei einem früheren Verkehrsunfall frakturierten Brustwirbelkörper I. 11 ab). Soweit Prof. Dr. G. auf die nicht weiter abgeklärte Möglichkeit einer Eindellung der Deckplatte des 12. BWK hinweist, stellt er zugleich klar, dass auch eine solche Eindellung für die MdE-Bewertung nicht relevant wäre. Auch nach seiner Auffassung handelt es sich jedenfalls nicht um eine schwere Form der Osteoporose.

25

Darüber hinaus heben beide Sachverständigen hervor, dass ein erheblicher Teil der vom Kläger geltend gemachten Beschwerden ohnehin nicht auf die Osteoporose zurückzuführen und auch nicht anderweitig durch die Berufskrankheit bedingt sei. Dr. F. geht davon aus, dass (berufskrankheitenunabhängige) degenerative Veränderungen insbesondere auch in Form von Bandscheibenalterungen einen erheblichen Anteil der Wirbelsäulenbeschwerden (und zwar bezogen auf die MdE-Bemessung etwa zur Hälfte) bedingen. Prof. Dr. G. geht überdies von dem dringenden Verdacht von Knochenstrukturveränderungen aufgrund einer bisher im einzelnen nicht diagnostizierten - jedenfalls aber nicht durch die Berufskrankheit hervorgerufenen - weiteren Erkrankung aus.

26

Prof. Dr. G. hat überdies überzeugend dargelegt, dass entgegen der Auffassung des Klägers nicht von einem messtechnischen Nachweis einer spürbaren Verringerung der Knochendichte auszugehen ist, da die Messungen mit verschiedenen Verfahren durchgeführt worden und daher hinsichtlich der Messwerte untereinander nicht vergleichbar sind.

27

Soweit das Versorgungsamt einen höheren Grad der Behinderung festgesetzt hat, hilft das dem Kläger im vorliegenden Verfahren nicht weiter. Zum einen sind bei dieser Festsetzung von Seiten der Versorgungsverwaltung alle Behinderungen damit auch berufskrankheitenunabhängige zu berücksichtigen, zum anderen folgt die Festsetzung eines Grades der Behinderung anderen Bewertungsregeln als eine MdE-Bemessung.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.