Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.06.2003, Az.: L 6 U 248/02
Anspruch der Ehefrau auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei Tod des Ehemannes durch Unfall auf Heimweg; Ausschluss der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bei alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit des Versicherten zum Zeitpunkt des Unfallzeitpunktes; Voraussetzungen für die Feststellung bzw. Widerlegbarkeit der absoluten Fahruntüchtigkeit als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.06.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 248/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 10084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0605.L6U248.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 10.04.2002 - AZ: S 14 U 139/98
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Ihr Ehemann C. (Versicherter) verunglückte am 10. September 1997 gegen 22 Uhr auf dem Heimweg von der Arbeit (Unfallanzeige und Wege-unfallfragebogen vom 22. September 1997) tödlich, als der Pkw, den er fuhr, in einer Rechtskurve von der Fahrbahn nach links abkam, sich querstellte und gegen einen Straßenbaum schleuderte. Die Straße war im Unfallzeitpunkt trocken. Bremsspuren waren nicht vorhanden. Polizeihauptmeister (PHM) D. vermutete, dass der Versicherte mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sei (Verkehrsunfallanzeige und Ermittlungsbericht vom 11. September 1997). Die Untersuchung des Pkw ergab keinen Anhaltspunkt für einen technischen Mangel (Gutachten des Dipl.-Ing. E. vom 25. September 1997). Das Institut für Rechtsmedizin der Universität F. teilte im Blutalkoholbefund vom 12. September 1997 einen Wert von 1,19 0/00 mit. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Dezember 1997 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab, weil die auf Alkoholgenuss zurückzuführende Fahruntüchtigkeit des Versicherten den Versicherungsschutz ausschließe. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin das Gutachten des Dipl.-Ing. G. vom 6. Februar 1998 vor, in dem die Möglichkeit erörtert wird, dass dem Versicherten ein anderes Kfz entgegengekommen sei und er deshalb seinen Pkw nach links verrissen habe. Die Beklagte hielt an ihrer Entscheidung fest und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1998).
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die am 29. Juli 1998 erhobene Klage durch Urteil vom 10. April 2002 abgewiesen.
Gegen das ihr am 6. Mai 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. Mai 2002 Berufung eingelegt. Sie bezieht sich auf das Gutachten des Dipl.-Ing. G. und hält an ihrer Auffassung fest, dass ihr Ehemann einem Hindernis ausweichen musste und deshalb verunglückte. Der Blutalkoholgehalt sei rechtlich somit nicht allein wesentliche Unfallursache.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
- 1.
das Urteil des SG Braunschweig vom 10. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1998 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 10. April 2002 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Entgegen der Auffassung der Berufung hat das SG im Einzelnen rechtlich zutreffend begründet, dass die alkoholbedingte - absolute - Fahruntüchtigkeit des Versicherten die rechtlich allein wesentliche und damit den Schutz der gesetzlichen UV ausschließende Unfallursache war. Darauf nimmt der erkennende Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist zusammenfassend auf Folgendes hinzuweisen:
Auf Grund des Blutalkoholbefundes von 1,19 0/00 steht ohne besondere Beweiszeichen fest, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls fahruntüchtig war (BSG, Urteil vom 25. Februar 1992 - 2 RU 40/91). Die - absolute - Fahr-untüchtigkeit ist auch als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache anzusehen. Denn der Versicherte verunglückte am späten Abend des 10. September 1997 bei guten Witterungsverhältnissen in einer Kurve, die er mehrmals täglich durchfuhr. Deshalb kann der Unfall nur durch die Alkoholeinwirkung erklärt werden. Somit ist davon auszugehen, dass der Versicherte, wenn er nicht unter Alkoholeinfluss gestanden hätte, wahrscheinlich nicht verunglückt wäre, zumal er ansonsten ein besonnener Fahrer war (vgl. den Vermerk über das mit der Klägerin geführte Telefongespräch vom 11. Mai 1998). Eine andere Ursache als Alkoholeinwirkung ist nicht bewiesen.
Ein technischer Mangel als Unfallursache ist durch das Gutachten des Dipl.-Ing. E. ausgeschlossen worden. Entgegen den Ausführungen der Berufung ist dem Gutachten des Dipl.-Ing. G. nicht mit der erforderlichen Gewissheit (Vollbeweis) zu entnehmen, dass neben der alkoholbedingten Verkehrsuntüchtigkeit des Versicherten weitere Umstände für den Unfall ursächlich waren. Vielmehr sieht Dipl.-Ing. G. es lediglich als möglich an, dass dem Versicherten ein anderes Kfz entgegenkam und er deshalb seinen Pkw verriss. Diese Annahme beruht auf einer Spur, die Dipl.-Ing. G. auf den von der Unfallstelle gefertigten Fotos gesehen hat und die von einem entgegenkommenden Kfz stammen soll. Ob ein Zusammenhang zu dem Unfall des Versicherten besteht, kann nach den weiteren Ausführungen des Dipl.-Ing. G. jedoch nicht geklärt werden (S. 4 des Gutachtens vom 6. Februar 1998). Auch ist nicht nachgewiesen, dass der Versicherte Wild aus-weichen musste. Zwar ist nach der - von der Klägerin überreichten - Mitteilung des Landwirts H. vom 24. Februar 1998 davon auszugehen, dass sich im Bereich der Unfallstelle schon Wildunfälle ereigneten. Zum Zeitpunkt des Unfalls hat der Landwirt Auffälligkeiten jedoch nicht beobachtet und auch den polizeilichen Ermittlungen sind Hinweise auf einen Wildunfall nicht zu entnehmen. Im Übrigen vermag der Senat die Wertung des Dipl.-Ing. G. nicht nachzuvollziehen, dass das Verreißen eines Kfz aus normalem Kurvenverlauf heraus nicht typisch für einen alkoholisierten Autofahrer sei. Vielmehr belegt ein Unfall beim Durchfahren einer Kurve unter Alkoholeinwirkung regelmäßig eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (Urteile des erkennenden Senats vom 18. Oktober 2001 - L 6 U 48/00 - und 17. September 1998 - L 6 U 250/97; vgl. auch Schneble, Nachweis der Fahrunsicherheit infolge Alkohols, Blutalkohol 1983, 177, 182). Infolge leistungsmindernder Wirkung, die schon geringe Alkoholdosen bewirken, kommt es beim Ansteuern und Durchfahren einer Kurve zu Fahrfehlern (aaO, 182 f), die auch in Fahrversuchen mit Sportfahrern unter Alkoholgenuss gesichert wurden (vgl Bürkle ua, Erscheinungsformen, Ursachen und Folgen alkoholbedingter Verkehrsunfälle in Kurven sowie die Häufigkeit ihres Vorkommens, Blutalkohol 1971, 149, 175).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.