Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.06.2003, Az.: L 6 U 408/01
Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente; Auftreten von Gelenkschäden durch Exposition hochfrequenter Schwingungseinwirkungen; Durchblutungsstörungen in den Händen als Berufskrankheit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 05.06.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 408/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20367
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0605.L6U408.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 15.10.2001- AZ: S 11 U 61/01
Rechtsgrundlagen
- § 56 SGB VII
- § 118 Abs. 1 SGG
- § 128 SGG
Redaktioneller Leitsatz
Hochfrequente Schwingungseinwirkungen mit Frequenzen über dem Bereich von 10 bis 50 Hertz gelten als Risiko für das Auftreten peripherer Durchblutungs- und Nervenfunktionsstörungen an den Händen. Auch wenn ein wahrscheinlicher Zusammenhang nicht auf Grund einer Dosis-Wirkungs-Beziehung berechnet werden kann, kann nach medizinisch-wissenschaftlichem Kenntnisstand davon ausgegangen werden, dass bei kurzen täglichen Expositionen unter einer 1 Stunde in der Regel keine Knochen- oder Gelenksschäden auftreten.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Streitig sind die Berufskrankheiten (BKen) Nrn. 2103 (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) und 2104 (vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen) der Anlage (Anl.) zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1942 geborene Kläger arbeitete nach der Ausbildung zum Tischler von 1964 bis 1997 als Parkettleger. Im April 1998 äußerte die AOK den Verdacht auf eine BK und legte das - auf Veranlassung der LVA C. erstattete - internistisch-rheumatologische Gutachten der Oberärztin Dr. D. vom 2. Dezember 1997 vor, in dem ausgeführt wird, dass der Kläger an Funktionsstörungen der oberen Extremitäten leide und dass das Befallsmuster der Hände und Ellenbogengelenke für eine Arthrose spreche, die typischerweise bei langjährigen Tätigkeiten mit Vibrationsgeräten auftrete. Der den Kläger behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. E. teilte der Beklagten im Befundbericht vom 29. Juni 1998 mit, auf Grund des Krankheitsverlaufes und des Krankheitsbildes schließe er eine BK aus. Es handele sich um eine berufs- und belastungsunabhängige Erkrankung der kleinen Fingergelenke. Auch der Rheumatologe Dr. F., an den er den Kläger überwiesen habe, habe in den Arztbriefen nie den Verdacht auf eine BK geäußert, sondern darauf hingewiesen, dass es sich um ein schwer einzuschätzendes Krankheitsbild handele. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten gelangte in der Stellungnahme vom 20. April 1999 zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht i.S.d. BK Nr. 2103 gesundheitsbeeinträchtigend tätig gewesen sei. Denn der im Rahmen dieser BK zu berücksichtigende Gebrauch eines Bohrhammers sei nur ungefähr 30 Minuten je Arbeitstag erfolgt. Demgegenüber liege eine Gesundheitsbeeinträchtigung i.S.d. der BK Nr. 2104 durch den Gebrauch von Parkettschleifmaschine, Druckluftnadler und Handkreissäge vor. Anschließend veranlasste die Beklagte die Untersuchung des Klägers im Institut für Medizinische Begutachtung G ...
Im angiologischen Gutachten vom 24. Juni 1999 schloss Dr. H. Durchblutungsstörungen der Hände aus. Die BK Nr. 2104 liege deshalb nicht vor. Im orthopädischen Gutachten vom 24. Juni 1999 führte Dr. I. aus, dass im Bereich der Ellen-bogengelenke eine Erkrankung vorliege, die von der BK Nr. 2103 erfasst werde. Es sprächen jedoch gewichtige Indizien gegen eine wahrscheinlich berufsbedingte Verursachung: Die Arthrosis deformans der Ellenbogengelenke sei links stärker ausgeprägt als am rechten Arm, den der Kläger als sog. Andruckarm bei der Gerätebenutzung verwendet habe. Des Weiteren fehlten für die BK Nr. 2103 charakteristische Verschleißveränderungen. Statt dessen seien polyarthrotische Veränderungen in Bereichen ausgeprägt, die nicht von dieser BK abgedeckt seien und eine berufsunabhängige Grunderkrankung bewiesen. Für diese spreche auch der Befund der Halswirbelsäule und die polyarthrotischen Veränderungen peripherer Gelenke im Bereich der unteren Extremitäten. Es sei deshalb wahrscheinlich, dass auch die Ellenbogengelenkserkrankungen im Rahmen dieser systemischen Erkrankung entstanden seien. Die Anerkennung als BK erscheine deshalb nicht vertretbar. Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab (Bescheide vom 19. Oktober 2000) und wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheide vom 29. März 2001).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die am 24. April 2001 erhobene Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2001 abgewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 13. November 2001 eingelegten Berufung, mit der er an seiner Auffassung festhält, unter BKen zu leiden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 15. Oktober 2001 und die Bescheide der Beklagten vom 29. Oktober 2000 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 29. März 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 15. Oktober 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat die weitere Stellungnahme ihres TAD vom 25. März 2003 vorgelegt.
Auf Antrag des Klägers ist Prof. Dr. J. gehört worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das orthopädische Gutachten vom 3. Januar 2003 verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§ 56 Sozialgesetzbuch - SGB - VII). Denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht infolge von BKen gemindert. Die BK Nr. 2104 kann schon deshalb nicht festgestellt werden, weil das Krankheitsbild dieser BK - Durchblutungsstörungen an den Händen - nicht vorliegt (angiologisches Gutachten des Dr. H. vom 24. Juni 1999). Auch die Voraussetzungen der BK Nr. 2103 sind nicht erfüllt. Zwar leidet der Kläger unter einem Krankheitsbild - fortgeschrittene Verschleißerkrankung der Ellenbogengelenke -, das von dieser BK erfasst wird. Es lässt sich jedoch nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass diese Erkrankung beruflich wesentlich (mit)verursacht ist.
Gegen den erforderlichen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang spricht schon, dass der - potenziell gesundheitsgefährdende - Gebrauch eines Bohrhammers arbeitstäglich lediglich 30 Minuten erforderte. Auch der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass i.S.d. BK Nr. 2103 traumatisch schädigend der Frequenzbereich zwischen ungefähr 10 bis 50 Hz ist. Hochfrequente Schwingungseinwirkungen mit Frequenzen über diesen Bereich, die bei dem Gebrauch von Parkettschleifmaschine, Druckluftnadler und Handkreissäge auftraten, gelten dagegen als Risiko für das Auftreten peripherer Durchblutungs- und Nervenfunktionsstörungen an den Händen (vgl. auch Schenk, Dosiskonzepte für die BKen i.S.d. Nrn. 2103 und 2104 der BKV, Zbl Arbeitsmed 2003, 37, 38). Auch wenn ein wahrscheinlicher Zusammenhang nicht auf Grund einer Dosis-Wirkungs-Beziehung berechnet werden kann, kann nach medizinisch-wissenschaftlichem Kenntnisstand aber davon ausgegangen werden, dass bei kurzen täglichen Expositionen unter einer 1 Stunde in der Regel keine Knochen- oder Gelenksschäden auftreten (a.a.O., 39). Auch wenn somit eine kurze tägliche Exposition von 30 Minuten, die beim Kläger vorlag, regelmäßig einen Ursachenzusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit zu begründen vermag, folgt aus dem Begriff ...in der Regel", dass in einem Ausnahmefall der Zusammenhang begründet werden kann. Der erkennende Senat vermag sich aber nicht - auch nicht auf Grund der vom Sachverständigen Prof. Dr. J. genannten Argumente - von der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs - ausnahmsweise in diesem Einzelfall - zu überzeugen. Vielmehr hält er weiterhin die Wertung des Dr. I. für zutreffend, die - als Urkundenbeweis (§ 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung) - zu würdigen ist (§ 128 SGG - vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87).
Dr. I. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei einer wahrscheinlich wesentlich beruflichen (Mit)Verursachung ausgeprägte degenerative Veränderungen am ...Andruckarm" zu erwarten sind. Der Kläger ist Rechtshänder und hat gegenüber Dr. I. - unbeeinflusst von der Kenntnis der medizinischen Voraussetzungen zur Feststellung der BK - nachdrücklich betont, dass der rechte Arm ...sein Hauptarm" sei, den er auch als ...Andruckarm" benutzt habe (S. 26 des orthopädischen Gutachtens vom 24. Juni 1999). Abgesehen davon, dass deshalb die Darstellung gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. J. nicht überzeugt, häufig beidseitig kräftigen Druck ausgeübt zu haben, ist entscheidend, dass er auch nach der Darstellung gegenüber dem Sachverständigen vornehmlich die rechte Seite eingesetzt hat (S. 21 des orthopädischen Gutachtens vom 3. Januar 2003). Die stärker am linken Ellenbogengelenk ausgeprägte Verschleißerkrankung ist deshalb weiter nicht mit einer wahrscheinlich wesentlich beruflichen (Mit)Verursachung zu vereinbaren. Des Weiteren hat Dr. I. darauf hingewiesen, dass für die BK Nr. 2103 charakteristische Verschleißveränderungen in anderen Bereichen fehlen (S. 26 des orthopädischen Gutachtens vom 24. Juni 1999). Wenn der Sachverständige Prof. Dr. J. solche Veränderungen nun auf Röntgenaufnahmen sieht, die er im Dezember 2002 gefertigt hat (S. 12 ff., 19 des orthopädischen Gutachtens vom 3. Januar 2003), ändert dieses an den Ausführungen des Dr. I. nichts. Denn es ist nicht plausibel und vom Sachverständigen auch nicht begründet worden, dass die Jahre nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit als Parkettleger aufgetretenen Veränderungen in einen wesentlichen Zusammenhang zu dieser Tätigkeit gebracht werden können.
Auf die Frage, inwieweit das Ausmaß der degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule und an den Gelenken der unteren Extremitäten gegen eine wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachte Verschleißerkrankung der Ellen-bogengelenke sprechen, kommt es deshalb entscheidend nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.