Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.06.2003, Az.: L 1 RA 40/03
Statt Rente wegen Berufsunfähigkeit, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; Verrichtung vollschichtiger Arbeiten unter qualitativen Leistungseinschränkungen; Sozialmedizinische Leistungsbeurteilung in Gutachten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.06.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 40/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19976
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0616.L1RA40.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 14 RA 447/01
Rechtsgrundlage
- § 44 SGB VI a.F.
Redaktioneller Leitsatz
Eine Erwerbsunfähigkeit ist dann nicht gegeben, wenn der Antragsteller noch vollschichtig Arbeiten unter lediglich qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten kann.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten statt der ihm gezahlten Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Der im Jahre 1944 geborene Kläger hat zuletzt ca. 20 Jahre als Rettungsassistent bzw. Rettungssanitäter gearbeitet und hatte dabei bei langen Arbeitszeiten mit Schicht- und 24-Stunden-Diensten Notfallpatienten zu versorgen und zu betreuen, wobei er häufig schweren körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt war.
Im Jahre 1991 hatte der Kläger einen Hinterwandinfarkt mit ACVB-Operation/Bypass-Versorgung erlitten, im Jahre 1999 einen Vorderwandinfarkt mit PTCA. Er leidet unter einer 3-Gefäß-Koronaren-Herzkrankheit (KHK), einer Linksherzinsuffizienz, Gefäß-Stenosierungen sowie an einem arteriellen Hypertonus. Daneben bestehen ein diabetes mellitus, eine Hypercholesterinämie/Hyperlipidämie sowie eine jodinduzierte Hyperthyreose.
Nach dem zweiten Infarkt-Geschehen in 1999 war der Kläger arbeitsunfähig krank, bezog zunächst Krankengeld, später Arbeitslosengeld und stellte im November 2000 den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Rente wegen EU/BU.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin D. vom 19. Juni 2000 ein und zog die Entlassungsberichte zweier vom Kläger im Jahre 2000 absolvierter Reha-Maßnahmen bei (vom 7. März und 25. September 2000), nach deren übereinstimmender Feststellung der Kläger nicht mehr als Rettungsassistent bzw. Rettungssanitäter tätig sein, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht verrichten könne. Mit Bescheid vom 8. März 2001 (Neuberechnungsbescheid vom 28. August 2001) bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen BU unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles in 1999 und lehnte den weiter gehenden Antrag auf Rente wegen EU ab.
Auf den Widerspruch des Klägers, dem eine Ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes Liebe beigefügt war, ließ die Beklagte den Kläger untersuchen und begutachten von dem Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. E., der in seinem Gutachten vom 14. Mai 2001 ebenfalls zu der Einschätzung gelangte, dass der Kläger zwar nicht mehr im Rettungsdienst, so doch aber vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte bis kurzfristig mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck in Tagesschicht und mit ausreichenden Arbeitspausen verrichten könne. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 mit der Begründung zurück, dass der Kläger zwar berufs-, jedoch auf Grund seines vollschichtigen Leistungsvermögens nicht erwerbsunfähig sei.
Mit seiner hiergegen am 23. August 2001 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er auf Grund seiner kardialen Leistungseinschränkungen nicht nur berufs- sondern auch erwerbsunfähig sei. Das SG hat - neben einer Arbeitgeberauskunft (vom 3. Dezember 2001) - einen Befundbericht des behandelnden Internisten Liebe vom 13. März 2002 eingeholt und eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Internisten und Kardiologen Dr. F. veranlasst. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 26. September 2002 nebst ergänzender Stellungnahme vom 8. Oktober 2002 zu der Einschätzung gekommen, dass der Kläger noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit geistig normaler Beanspruchung in geschlossenen Räumen, überwiegend im Sitzen, ohne Zwangshaltungen, ohne Tragen von Lasten über 5kg, ohne Arbeiten unter Zeitdruck, nicht im Akkord und nicht in Nachtschicht, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und mit einer 1/4-stündigen sowie einer 1/2-stündigen Arbeitspause verrichten könne. Zudem könne der Kläger 4 x täglich mehr als 500m Arbeitsweg in einer Zeit unter 20 Minuten zu Fuß bewältigen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24. Januar 2003 mit der Begründung abgewiesen, dass in allen vorliegenden sozialmedizinischen Begutachtungen der Kläger übereinstimmend für noch vollschichtig leistungsfähig bei lediglich qualitativen Leistungseinschränkungen gehalten werde, weshalb eine EU nicht feststellbar sei.
Gegen dieses am 5. Februar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. Februar 2003 eingelegte Berufung, mit der der Kläger vorträgt, namentlich mit dem Gutachten des G. nicht einverstanden zu sein.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. Januar 2003 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2001 sowie den Bescheid vom 28. August 2001 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger anstatt der bewilligten Rente wegen Berufsunfähigkeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gem. §§ 155 Abse. 4, 3, 1, 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.
Die gem. §§ 143f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.
Weder das Urteil des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen EU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht (§ 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.). Denn der Kläger ist nicht erwerbsunfähig.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, sach-dienliche Ermittlungen angestellt, die erhobenen Beweise zutreffend gewürdigt und ist nach alledem zu dem auch für den erkennenden Senat überzeugenden Ergebnis gekommen, dass der Kläger noch vollschichtig Arbeiten unter lediglich qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten kann. Dann aber ist er nicht erwerbsunfähig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung verweist der Senat auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG (Seite 5, vorletzter Absatz, bis Seite 8, letzter Absatz). - Im Berufungsverfahren hat sich nichts Abweichendes ergeben.
Zusammenfassend und ergänzend ist Folgendes festzustellen:
Das Leistungsvermögen des Klägers ist in allen vorliegenden sozialmedizinischen Beurteilungen in sich widerspruchsfrei und schlüssig beurteilt worden. Dies gilt namentlich auch für das vom Kläger gerügte Gutachten des Dr. H ... Die Leistungsbeurteilung in diesem Gutachten deckt sich mit den während der dortigen Untersuchung erhobenen Befunden und steht auch mit den mehrfachen anamnestischen Angaben des Klägers zu seinem Leistungsbild in Übereinstimmung:
Dr. H. erhebt in seinem Gutachten als kardial relevante Befunde u.a. eine EKG-Belastbarkeit von bis 75 Watt über 5 Minuten ohne Angina Pectoris, ohne pathologische ST-Veränderungen und ohne Herzrhythmusstörungen. Der Frequenzanstieg erfolgte bis 119/Minute bei Blutdruckanstieg bis 160/90 mmHg. Der Abbruch des EKG erfolgte auf Grund Dyspnoe. Herzrhythmusstörungen waren hier ebenso wenig feststellbar wie im Langzeit-EKG. Die Pumpfunktion war leicht eingeschränkt. Bei dieser Befundlage ist es schlüssig in sich widerspruchsfrei und überzeugend, wenn der Sachverständige zwar schwere körperliche Belastungen nicht mehr für zumutbar hält, im Übrigen aber vollschichtig leichte Arbeiten mit den genannten qualitativen Leistungseinschränkungen für verrichtbar ansieht.
Diese Befund- und Beurteilungslage im Gutachten des Dr. H. steht auch in Übereinstimmung mit den übrigen vorliegenden sozialmedizinischen Einschätzungen, namentlich mit derjenigen im Gutachten des Dr. E ... Auch dieser Sachverständige hatte etwa zum Belastungs-EKG einen Abbruch allein wegen Dyspnoe (bei 120 Watt über eine Minute) ohne Herzrhythmusstörungen und ohne Angina Pectoris mitgeteilt und u.a. daraus - sowie auf Grund der weiteren Befunde - eine vollschichtige Belastbarkeit für leichte (bis gelegentlich mittelschwere) Arbeiten abgeleitet. Anlässlich der beiden Reha-Maßnahmen ergaben sich ähnliche Befunde (Belastungs-EKG bis 100 Watt, Abbruch wegen Dyspnoe) und eine nahezu identische Leistungsbeurteilung.
Es besteht für den Senat daher kein Zweifel daran, dass die Leistungseinschätzung im Gutachten des Dr. H. zutreffend ist.
Die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen steht im Übrigen aber auch im Einklang mit den mehrfachen anamnestischen Angaben des Klägers. So hat er angegeben, Beschwerden zu verspüren beim Rasenmähen und Tragen schwerer Gegenstände (Gutachten Dr. H.), beim Tragen von Lasten über 15kg (Gutachten Dr. E.) oder bei Hitzexpositionen (Reha-Entlassungsbericht vom September 2000), nicht aber etwa bei normaler Gangart in der Ebene (Gutachten Dr. H.). Diesen körperlichen Belastungen ist aber durch die von allen Sachverständigen nahezu identisch geforderten Leistungseinschränkungen Rechnung getragen, auch durch diejenigen im Gutachten des Dr. H ...
Nach alledem konnte eine über die BU hinaus gehende EU des Klägers nicht festgestellt werden.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.