Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.06.2003, Az.: L 5 V 1/01
Anspruch auf erneute Pflegezulage nach Bundesversorgungsgesetz (BVG); Anspruchsvoraussetzung der schädigungsbedingten Hilflosigkeit; Zahl der Verrichtungen, wirtschaftlicher Wert der Hilfe und zeitlicher Aufwand als maßgebliche Kriterien; Erheblichkeit eines täglicher Zeitaufwandes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 13.06.2003
- Aktenzeichen
- L 5 V 1/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21035
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0613.L5V1.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 2 V 16/99
Rechtsgrundlage
- § 35 Abs. 1 BVG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht (erneut) Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) geltend. Der 1921 geborene Kläger erhält Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. wegen folgender Schädigungsfolgen: Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk bei Oberarmamputation. Narben an der linken Brustseite. Metallsplitter in der linken vorderen Brustwand. Mit Bescheid vom 17. Juli 1990 hatte das Versorgungsamt (VA) Hamburg Zahlung von Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 1 BVG abgelehnt. Der sich anschließende Rechtsstreit endete mit dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 27. September 1994, mit dem ein Anspruch des Klägers auf Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG ebenfalls verneint wurde mit der Begründung, der Kläger könne sein tägliches Leben im Wesentlichen noch selbst gestalten. Im März 1999 beantragte der Kläger bei dem VA Osnabrück unter Hinweis darauf, dass seine im Juni 1997 verstorbene Ehefrau ihn nicht mehr versorgen könne, "Pflegehilfe". Die Versorgungsverwaltung ermittelte den medizinischen Sachverhalt u.a. durch Einholung eines Gutachtens von dem Sozialmediziner Dr. G., das dieser auf Grund einer häuslichen Untersuchung des Klägers erstattete. Der Gutachter verneinte die Voraussetzungen für eine Pflegezulage; der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Grund des Beweisergebnisses ab (Bescheid vom 11. Oktober 1999, Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1999). Dagegen hat der Kläger Klage erhoben, die am 1. November 1999 beim Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben in Hildesheim eingegangen ist. Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat von dem Facharzt für Allgemeinmedizin - Sportmedizin Dr. H. den Befundbericht vom 9. März 2000 eingeholt, dem der Entlassungsbericht der Klinik für Allgemein-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Marienhospitals I. über die stationäre Behandlung des Klägers vom 22. bis 30. Dezember 1998 beigefügt ist. Des Weiteren hat das SG das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 7. Januar 2000 und den Bescheid der AOK- Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - vom 13. Januar 2000 über die Ablehnung von Leistungen aus der Pflegeversicherung beigezogen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2001 abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Nach dem Ergebnis der vom Beklagten veranlasst gewesenen Begutachtung bestehe beim Kläger ein Zustand der Hilflosigkeit im Sinne des Versorgungsrechts (noch) nicht. Die von Dr. G. im August 1999 erhobenen Befunde hätten sich gegenüber den Grundlagen des Urteils des LSG Hamburg von 1994 nicht verändert. Auch das Pflegegutachten von Januar 2000 beweise dies. Danach bedürfe der Kläger einer erheblichen Grundpflege noch nicht. Der Hauptbedarf an fremder Hilfe liege im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dieser werde aber für einen Anspruch nach § 35 Abs. 1 BVG nicht berücksichtigt. Gegen den ihm am 19. Januar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. Januar 2001 Berufung eingelegt. Er schildert sein Schicksal als Kriegsbeschädigter und beklagt, dass ihm dafür kein Verständnis entgegengebracht werde.
Er beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
den Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2001 und den Bescheid vom 11. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1999 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, ab 1. März 1999 Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten, die mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind, wird auf den Inhalt ihrer vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen. Außer der Prozessakte haben die Beschädigtenakten und ein Band Schwerbehinderten-Akten des Beklagten vorgelegen sowie ein Band Prozessakten des SG Osnabrück (S 9 Vs 73/93; L 9 VS 63/95 betreffend Rechtsstreit Gladis./. Land Niedersachsen); auf den Inhalt dieser Akten wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im schriftlich erteilten Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht (SG) hat den Anspruch des Klägers auf Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 BVG zu Recht verneint.
Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzung der schädigungsbedingten Hilflosigkeit nicht. Anspruch auf Pflegezulage besteht nur, wenn der Beschädigte für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Die Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Bei einer Reihe von Verrichtungen wiederkehrend erforderliche Hilfe kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt und darüber hinaus ein Hilfebedarf erheblichen Umfanges erforderlich ist. Dies richtet sich nach dem Verhältnis der dem Beschädigten ohne fremde Hilfe nicht mehr möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe noch bewältigen kann. In der Regel wird dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein. Ein täglicher Zeitaufwand - für sich genommen - kann erst dann als hinreichend erheblich angesehen werden, wenn er mindestens zwei Stunden erreicht. (Vgl zu Vorstehendem: Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 10.12.2002, B 9 V 3/01 R, Breithaupt 2003, 292).
Nach dem vom SG beigezogenen Pflegegutachten des MDKN vom 07.01.2000 beträgt der Grundpflegebedarf des Klägers täglich 18 Minuten (der hauswirtschaftliche Hilfebedarf 60 Minuten pro Tag; dieser wird aber bei der Prüfung von Hilflosigkeit nach § 35 Abs. 1 BVG nicht berücksichtigt). Der Hilfebedarf besteht bei der Körperpflege und bei der Zubereitung der Nahrung. Dies ist auch schädigungsbedingt. Der zeitliche Umfang eines Hilfebedarfs erfüllt aber nicht annähernd den von der höchstrichterlichen Rechsprechung aufgestellten zeitlichen Rahmen von - neuerdings - zwei Stunden.
Weder der Senat noch das SG noch die Versorgungsverwaltung dürfen sich über die Anspruchsvoraussetzungen einer Pflegezulage etwa mit Rücksicht auf das Alter des Klägers oder sein schweres Schicksal hinwegsetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestanden nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).