Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.06.2003, Az.: L 9 SB 94/02

Neufeststellung des Grades einer Behinderung ; Einstufung der Höhe des Grades einer Behinderung; Bemessung des Teilgrades eines schwerbehindertenrechtlichen Bescheides

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.06.2003
Aktenzeichen
L 9 SB 94/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21037
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0613.L9SB94.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 30.04.2002 - AZ: S 28 SB 378/00

Redaktioneller Leitsatz

Die Bemessung des Teilgrades einer Berhinderung im begründenden Teil eines schwerbehindertenrechtlichen Bescheides erwächst grundsätzlich nicht in Bestandskraft.

Tenor:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hannover vom 30. April 2002 und der Bescheid des Beklagten vom 27. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juni 2000 und des Bescheides vom 16. Mai 2002 werden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, bei der Klägerin einen Grad der Behinderung - GdB - von 40 seit dem 19. August 1999 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im schwerbehindertenrechtlichen Neufeststellungsverfahren um die Höhe des der Berufungsklägerin zustehenden Grades der Behinderung (GdB).

2

Die 1941 geborene Berufungsklägerin war als Sportlehrerin tätig. Sie bezieht seit 1998 Berufsunfähigkeitsrente.

3

Mit zuletzt bindend gewordenem Bescheid vom 7. Dezember 1998 hatte das Versorgungsamt (VA) Hannover bei der Berufungsklägerin einen GdB von 30 festgestellt. Dem hatten folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde gelegen:

  1. 1.

    Wirbelsäulenschaden mit Nervenwurzelreizung, Schulter-Arm-Syndrom und Belastungsbeschwerden der Hände,

  2. 2.

    Herz-Kreislaufschaden, Bluthochdruck,

  3. 3.

    Chronisches Schmerzsyndrom mit Beteiligung aller Gelenke und der Muskulatur.

4

Dieser Feststellung hatte das versorgungsärztliche Gutachten von Medizinaloberrat Dr. D. vom 13. November 1998 zu Grunde gelegen.

5

Im August 1999 stellte die Berufungsklägerin einen Neufeststellungsantrag. Hierin heißt es unter 4., die beantragte Feststellung solle für die Zeit ab Antragstellung und ab Dezember 1998 gelten. Beigefügt war dem Neufeststellungsantrag ein Befund des Orthopäden Dr. E. von September 1999.

6

Das VA leitete Ermittlungen ein und zog diverse medizinische Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bei (Rentengutachten des Orthopäden Dr. F. von Oktober 1997 sowie ein weiterer Befund des Orthopäden Dr. E. von April 1999). Auch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (Dr. G. vom 7. September 1998) gelangte zum Vorgang. Weiter erstattete der Allgemeinmediziner Dr. H. einen Befundbericht.

7

Nach Auswertung dieser Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst lehnte das VA die Neufeststellung mit Bescheid vom 27. Dezember 1999 ab. Auf den Widerspruch der Berufungsklägerin, mit dem diese auch geltend machte, schon der Bescheid vom 7. Dezember 1998 sei falsch gewesen, erging der Bescheid des VA vom 23. März 2000, worin dies eine Rücknahme des Bescheides vom 7. Dezember 1998 ablehnte, da dieser nicht rechtswidrig gewesen sei.

8

Der Widerspruch ist sodann mit Widerspruchsbescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben (NLZSA) vom 8. Juni 2000 zurückgewiesen worden.

9

Am 7. Juli 2000 ist Klage erhoben worden.

10

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat einen Befundbericht des die Berufungsklägerin behandelnden Orthopäden Dr. I. vom 2. Februar 2001 beigezogen und sich sodann ein Gutachten des Orthopäden Dr. J. vom 7. September 2001 erstatten lassen. Dieser hat die Berufungsklägerin untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, die vormalige Bewertung mit einem GdB von 30 sei zutreffend gewesen. Indessen müsse der GdB nunmehr seit dem 19. August 1999 mit 40 bewertet werden, da weitere Beschwerden hinzugetreten seien.

11

Hierauf hat das beklagte Land unter dem 7. November 2001 ein Teil-Anerkenntnis abgegeben, mit dem es den GdB bei der Berufungsklägerin ab August 2001 mit 40 bewertet hat. Dieses Teil-Anerkenntnis ist von der Berufungsklägerin angenommen worden.

12

Das SG hat die darüber hinausgehende Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2002, der dem Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin am 6. Mai 2002 zugestellt worden ist, abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt:

13

Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Der Berufungsklägerin komme weder ein Anspruch auf eine frühere Höherbewertung des bei ihr festgestellten GdB noch auf einen höheren GdB zu. Aus dem Gut-Gutachten von Dr. J. ergebe sich, dass die Beschwerden der Berufungsklägerin im Bescheid vom 7. Dezember 1998 richtig bewertet worden seien. Daher habe die Berufungsklägerin auch keinen Anspruch auf Rücknahme dieses Bescheides. Die Berufungsklägerin habe auch keinen Anspruch auf eine höhere Bewertung des bei ihr festzustellenden GdB. Auch dies lasse sich dem ausführlichen und überzeugenden Gutachten von Dr. J. entnehmen.

14

Das VA hat das im Gerichtsverfahren abgegebene Teil-Anerkenntnis mit Bescheid vom 16. Mai 2002 ausgeführt und einen GdB von 40 ab August 2001 festgestellt.

15

Am 4. Juni 2002 ist Berufung eingelegt worden. Zu deren Begründung führt die Berufungsklägerin aus, bereits im Letzten bindend gewordenen Bescheid habe das berufungsbeklagte Land allein für die Wirbelsäulenbeschwerden der Berufungsklägerin einen Teil-GdB von 30 zu Grunde gelegt. Da nun weitere Beschwerden hinzugetreten seien, müsse sich nunmehr ein GdB von 50 ergeben.

16

Die Berufungsklägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hannover vom 30. April 2002 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 27. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 8. Juni 2000 aufzuheben sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 16. Mai 2002 abzuändern,

  2. 2.

    das beklagte Land zu verurteilen, bei der Berufungsklägerin ab dem 19. August 1999 einen GdB von 40 und ab dem 21. August 2001 einen GdB von 50 festzustellen. Das berufungsbeklagte Land beantragt schriftsätzlich,

    die Berufung zurückzuweisen.

17

Zur Begründung bezieht es sich auf seinen angefochtenen Bescheide und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

18

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des berufungsbeklagten Landes (1 Bd. zum Az.: K.) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist nur zum Teil begründet.

20

Das SG hat im Wesentlichen zutreffend erkannt, das die Berufungsklägerin weder einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 7. Dezember 1998 noch auf Zuerkennung eines höheren GdB im Zeitverlauf hat. Die Bescheide vom 27. Dezember 1999 und vom 23. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2000 und des Ausführungsbescheides vom 16. Mai 2002 sind überwiegend rechtmäßig und verletzen die Berufungsklägerin nicht in ihren Rechten.

21

Das SG ist bei seiner Entscheidung von den richtigen rechtlichen Grundlagen ausgegangen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 30. April 2002 Bezug genommen, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

22

Das SG und das beklagte Land haben indessen nicht berücksichtigt, dass Dr. J. in seinem Gutachten vom 7. September 2001 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, die Behinderung der Berufungsklägerin sei seit dem 19. August 1999 neu zu bezeichnen und zu bewerten (S. 28 des Gutachtens = Bl 50 der Gerichtsakte). Insoweit waren die erstinstanzliche Entscheidung und die angefochtenen Bescheide in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu ändern.

23

Im übrigen war die Berufung zurück zu weisen.

24

Darüber hinaus sind im Berufungsverfahren keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte zu Tage getreten.

25

Soweit die Berufungsklägerin meint, das berufungsbeklagte Land dürfe der Einschätzung ihres GdB nunmehr nicht im Hinblick auf ihre Wirbelsäulenerkrankung, wie von Dr. J. vorgeschlagen, einen Teil-GdB von 20 zu Grunde legen, trifft dies aus zwei Gründen nicht zu. Zum Einen erwächst die Bemessung des Teil-GdB im begründenden Teil eines schwerbehindertenrechtlichen Bescheides nicht in Bestandskraft, wie die Berufungsklägerin selbst eingeräumt hat. Zum Anderen trifft schon der Ausgangspunkt der Berufungsklägerin nicht zu. Auch im Bescheid vom 7. Dezember 1998 war nämlich nicht die Wirbelsäulenerkrankung der Berufungsklägerin isoliert mit einem Teil-GdB von 30 bewertet worden. Vielmehr war hier der Wirbelsäulenschaden mit Nervenwurzelreizung mit dem Schulter-Arm-Syndrom und den Belastungsbeschwerden der Hände zusammengefasst worden, wie sich aus dem versorgungsärztlichen Gutachten von Dr. D. vom 13. November 1998 (Bl. 69 R des Verwaltungsvorgangs) ergibt. Dr. J. hat in seinem erstinstanzlichen Gutachten nun - in Übereinstimmung mit dem System der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1996 (AP 96) - eine andere Zuordnung der jeweiligen Beschwerden vorgeschlagen. Insoweit hat er sich an den von den AP 96 vorgegebenen, unterschiedlichen Funktionssystemen (vgl. insoweit Rdnr. 18 Abs. 4 der AP 96) orientiert und hat einerseits die Beschwerden seitens des Rumpfs der Berufungsklägerin mit einem Teil-GdB von 20 und andererseits die Beschwerden seitens der Extremitäten ebenfalls mit einem Teil-GdB von 20 bewertet.

26

Angesichts der Angaben der Berufungsklägerin anlässlich der gutachtlichen Untersuchung durch Dr. J. und angesichts der von Dr. J. erhobenen objektiven Befunde liegen bei der Berufungsklägerin keine Funktionseinschränkungen vor, die höher bewertet werden müssten. Insoweit hat auch die Berufungsklägerin keine konkreten Hinweise vortragen lassen.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

28

Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.