Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.06.2003, Az.: L 6 U 341/01

Anerkennung einer Hepatitis-C-Erkrankung als Berufskrankheit ; Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente; Von der Berufskrankheit Nr. 3101 gechützter Personenkreis

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.06.2003
Aktenzeichen
L 6 U 341/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21097
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0619.L6U341.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 24.08.2001 - AZ: S 5 U 12/99

Redaktioneller Leitsatz

Berufskraftfahrer in der Abfallentsorgung, die mit der Entsorgung von Krankenhausabfällen betraut sind, gehören nicht zu dem durch die Berufskrankheit Nr. 3101 geschützten Personenkreis. Das Infektionsrisiko nach dieser Berufskrankheit muss für eine Anerkennung höher sein als dasjenige der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und mindestens ebenso hoch wie dasjenige des Pflegepersonals in deutschen Krankenhäusern.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 24. August 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Hepatitis-C-Erkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die Zahlung von Verletztenrente. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Hepatitis-C-Erkrankung des Klägers auf den beruflichen Kontakt zu Krankenhausabfällen zurückzuführen ist.

2

Der 1947 geborene Kläger war seit 1974 bei der Stadtverwaltung C. beschäftigt, und zwar nach der Auskunft des Arbeitgebers vom 23. Juli 1996 bis 1989 als Kraftfahrer im Grünabfallbereich (Abfahren und Leeren von Grünabfallcontainern) sowie seit 1990 als Kompaktorfahrer auf der Zentraldeponie D ... Der Kompaktor war vom Kläger regelmäßig zu säubern, zu warten und teilweise zu reparieren. Nach der Auskunft des Arbeitgebers vom 19. Juli 1996 wurden auf der Deponie auch Krankenhausabfälle angeliefert.

3

Ab 1987 wurden beim Kläger erhöhte Leberwerte festgestellt. Am 22. August 1995 wurde eine Hepatitis C diagnostiziert (Befundbericht Dres. E. vom 22. August 1995). Nach einer stationären Behandlung in den Städtischen Kliniken C. vom 27. September bis 10. Oktober 1995 und einem Heilverfahren in der Fachklinik F. vom 12. Dezember 1995 bis 9. Januar 1996 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

4

Am 26. Januar 1996 zeigte Dr. G. (Betriebsarztzentrum C. e.V.) eine BK an. Der Kläger gab am 31. März 1996 an, beruflich nicht mit an Virushepatitis erkrankten Personen, jedoch mit Blut von Patienten (Krankenhausabfälle) in Berührung gekommen zu sein. Nach dem Bericht des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) des Beklagten vom 12. November 1996 ist eine Hepatitis-C-Infektion durch Krankenhausabfall im vorliegenden Fall unwahrscheinlich. Auch der Staatliche Gewerbearzt Dr. H. hielt in seiner Stellungnahme vom 19. Februar 1997 einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und der Erkrankung für unwahrscheinlich. Dagegen sprächen der allenfalls geringfügige Umgang mit Krankenhausabfällen, die relative geringe Infektionswahrscheinlichkeit nach Kanülenstichverletzungen, die nicht nachgewiesene Kanülenstichverletzung im Rahmen der ausgeübten Tätigkeit sowie der Nachweis von erhöhten Leberwerten bereits 1987 und somit vor Beginn der Exposition gegenüber Krankenhausabfällen.

5

Mit Bescheid vom 28. Mai 1997 lehnte der Beklagte die Anerkennung einer BK und Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte er aus, eine Infektion durch Verletzung mit virushaltigen Gegenständen aus dem Krankenhausabfall sei u.a. wegen des zeitlichen Abstandes zwischen Benutzung und Anlieferung auf der Mülldeponie außerordentlich unwahrscheinlich. Gegen eine berufliche Verursachung spreche außerdem, dass bereits 1987 und somit vor Beginn der Tätigkeit als Kompaktorfahrer auf der Mülldeponie D. erhöhte Leberwerte nachgewiesen worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger als Kraftfahrer bei der Stadt C. im Grünabfallbereich mit dem Abfahren und Leeren von Grünabfallcontainern beschäftigt gewesen, sodass insoweit eine berufliche Verursachung der erhöhten Leberwerte ausgeschlossen sei. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

6

Am 8. September 1998 beantragte der Kläger, den Bescheid gemäß § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X zurückzunehmen. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30. September 1998 ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1998). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück wies der Kläger darauf hin, dass er bereits vor 1987, d.h. während seiner Tätigkeit als Müllwerker, Umgang mit Krankenhausabfällen gehabt habe.

7

Mit Urteil vom 24. August 2001 hat das SG die Klage unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Bescheide abgewiesen. Gegen dieses am 6. September 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. September 2001 Berufung eingelegt. Er trägt vor, während seiner Tätigkeit als Kraftfahrer im Grünabfallbereich habe er auch Container von verschiedenen Krankenhäusern in C. abholen und zur Zentraldeponie D. zur Beseitigung bringen müssen. Er selbst sei etwa zwei Mal pro Woche mit dem Leeren der Container beschäftigt gewesen. Bei der Abfuhr der Container sei er mit den Abfällen in Berührung gekommen, und zwar zum einen beim Abholen der Container durch das Beiseiteräumen von nebenliegenden Abfällen und weiterhin beim Auflegen der Plane auf den Container. Ein weiterer Kontakt sei beim Entfernen der Plane bzw. beim Öffnen der Containertüren erfolgt, dabei seien die Abfälle bereits lose herausgefallen. Schließlich habe er die Container säubern müssen.

8

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 24. August 2001, den Bescheid des Beklagten vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1998 und den Bescheid vom 28. Mai 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass seine Hepatitis-C-Erkrankung Folge einer Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

9

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 24. August 2001 zurückzuweisen.

10

Der Beklagte hält das Urteil des SG und seine Bescheide für zutreffend.

11

Im Beweisaufnahmetermin am 18. September 2002 sind der Kläger persönlich gehört sowie die Arbeitskollegen des Klägers I. als Zeugen vernommen worden. Außerdem hat der Arbeitskollege J. die schriftliche Zeugenaussage vom 25. August 2002 zur Akte gereicht.

12

Im Anschluss an die Beweisaufnahme hat der Beklagte die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 5. Februar 2003 vorgelegt.

13

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten des Beklagten zu Grunde gelegen.

Entscheidungsgründe

15

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, seinen die Anerkennung einer BK Nr. 3101 ablehnenden Bescheid gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vermag auch der Senat nicht festzustellen, dass der Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, denn beim Kläger liegt keine BK Nr. 3101 der Anlage zur BKV vor. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente.

16

Zu der BK Nr. 3101 gehören "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war".

17

Der Kläger gehörte nicht zu dem grundsätzlich durch die BK Nr. 3101 geschützten Personenkreis. Er war nicht in einer der in der 1. bis 3. Alternative genannten Einrichtungen beschäftigt. Er war auch nicht in einer ähnlichen Weise wie dieser Personenkreis gefährdet. Die 4. Alternative der BK stellt keinen Auffangtatbestand dar, vielmehr setzt sie eine mit der versicherten Tätigkeit verbundene besondere Infektionsgefährdung voraus, die nach Art und Intensität mit der Gefährdung der im Gesundheitsdienst usw. Beschäftigten vergleichbar ist. Das Infektionsrisiko muss für eine Anerkennung höher sein als dasjenige der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und mindestens ebenso hoch wie dasjenige des Pflegepersonals in deutschen Krankenhäusern (vgl. Koch in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, Unfallversicherungsrecht § 39 Rdnr. 209; Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen, Beschluss vom 29. September 1997 - Az L 6 U 58/96). Dies lässt sich hier jedoch nicht feststellen. Anders als der Beklagte geht der Senat allerdings davon aus, dass der Kläger bereits während seiner Tätigkeit als Kraftfahrer des Städtischen Fuhrparks von 1974 bis 1989 mit Krankenhausabfällen Kontakt hatte. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben des Klägers und den Aussagen der Zeugen L ... Danach wurden in diesem Zeitraum nicht ausschließlich Grünabfälle abgefahren, sondern außerdem Container, die mit Abfällen von verschiedenen Krankenhäusern gefüllt waren. In den Abfallsäcken befand sich auch Blut, das teilweise aus den Säcken heraustropfte (Aussage Zeuge M.). Nach den von den Zeugen bestätigten Angaben des Klägers wurden ca. 8 bis 10 Container wöchentlich abgeholt. Beim Aufladen der Container konnte ein körperlicher Kontakt mit Abfällen erfolgen, wenn die Container überfüllt waren und deshalb Abfall umgepackt bzw. neben den Containern liegender Abfall beiseite geräumt werden musste. Beim Entladen auf der Deponie war ein Kontakt möglich, wenn Abfälle beim Öffnen der Containertüren lose herausfielen und beim Säubern der Container. Bei der folgenden ab 1990 ausgeübten Tätigkeit als Kompaktorfahrer war ein Kontakt mit Abfällen möglich bei Reparatur- /Wartungs- und Reinigungsarbeiten. Auch in dieser Zeit wurden von den Krankenhäusern gefüllte Blutbeutel auf die Deponie gebracht (Aussage der Zeugin N.).

18

Es ist aber nicht erkennbar, dass der Kläger bei der Ausübung der genannten Tätigkeiten gegenüber der Gesamtbevölkerung einem erheblich höheren Risiko ausgesetzt gewesen wäre, an einer Hepatitis C zu erkranken.

19

Prof. Dr. K. hat in diesem Zusammenhang erläutert, dass bei Personen, die - wie der Kläger - keinen direkten Kontakt mit Patienten haben, eine Infektionsgefahr bei Verletzung mit gebrauchten Spritzen oder scharfen Instrumenten sowie bei unmittelbarem Kontakt mit infektiösem Material besteht. Anders als bei Personal mit direktem Patientenkontakt sei jedoch in diesen Fällen das infektiöse Material in der Umgebung für einen unterschiedlich langen Zeitraum verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt, die die Infektiosität der Hepatitis-C-Viren beeinträchtigen könnten. Es sei davon auszugehen, dass Hepatitis-C-Viren außerhalb des menschlichen Körpers für mehrere Tage vermehrungsfähig bleiben könnten, insbesondere wenn viruskontaminiertes Material in Form von noch feuchten oder bereits eingetrockneten Körpersekreten oder Blutresten vorliege. Dementsprechend bestehe z.B. bei Beschäftigten in der Wäscherei, bei der Reinigung der OP-Bereiche oder bei der Aufbereitung gebrauchten Instrumentariums ein ähnliches berufsbedingtes Risiko, weil bei diesen Tätigkeiten Verletzungen auftreten können bzw. das Personal mit kontaminierten Oberflächen in Kontakt kommen könne. Im vorliegenden Fall ist Prof. Dr. K. für den Senat überzeugend zu dem Ergebnis gekommen, dass demgegenüber der Kläger einer erhöhten Infektionsgefahr nicht ausgesetzt war.

20

Zum einen steht nicht fest, dass in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung der Erkrankung des Klägers überhaupt (frisch)blutkontaminierte - d.h. noch ansteckende - Materialien auf die Deponie gelangt sind. Gegen eine erhöhte Gefahr der Ansteckung spricht außerdem, dass der Kläger - anders als Reinigungspersonal in Krankenhäusern - nicht regelmäßig, sondern allenfalls 8 bis 10-mal wöchentlich für kurze Zeiträume mit potenziell infektiösem Material in Berührung kam und eine Infektionsgefahr zudem durch entsprechende Verpackung des Abfalls in Müllsäcken und Schutzkleidung (lange Hosen und Handschuhe) gemindert wurde.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.